Produkttest: Motorradkombi
Wasserdichte Textileinteiler

Er ist durchgeschüttelt, sie gerührt: Ein Biker im feinen Zwirn! Textileinteiler machen's möglich. Schützen den Edeldress vor Nässe und Straßenschmutz und sind mit abriebfester Haut und Protektoren jeder Regenkombi überlegen. Was sie wirklich draufhaben, klärt dieser Test.

Wasserdichte Textileinteiler
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Für den täglichen Trip ins Büro sind manche Textil-Overalls gut geeignet. Doch schon bei einer kleinen Tour mangelt es an Komfort.

Rainer ist glücklich. Smoking, Fliege und Frisur sitzen perfekt. Also rauf aufs Motorrad und ab zur Party. Doch was ist das: Schmuddelwetter vor der Haustür. Was tun? Rainer ist sich sicher: Mit dem Big Block vorfahren würde Rebecca im kleinen Roten mächtig cool finden. Doch sich dann aus einer Regenkombi schälen? Zu schäbig! Motorradklamotten anziehen und sich anschließend auf dem Herrenklo in den feinen Zwirn zwängen? Nur noch peinlich! Es müsste einen sturmfesten und wasserdichten Motorrad-Overall geben, der binnen Sekunden über- wie abgestreift ist. Dann in bester James-Bond-Pose die Nelke ins Knopfloch und rein ins Vergnügen. Das wär’s doch.

Wie soll’s anders sein – in den USA ist das längst ein alter Hut. Mancher Amerika-Reisende schwärmt beispielsweise vom Aerostich Roadcrafter (www.aerostich.com). Der Textil-Einteiler mit der bewährten Gore-Tex-Klimamembrane ist drüben fast schon ein Klassiker. Erhältlich nicht nur in zahlreichen Zwischengrößen, sondern auch in etlichen, frei kombinierbaren Farben. Nun wäre es kein Problem, die allwettertaugliche US-Kombi via World-wide-Web zu ordern. Allerdings ist dann noch die Zoll-Hürde zu meistern. Das von MOTORRAD angeforderte Testmuster ging nach einem Behördenhickhack um die Zahlung des Einfuhrzolls schließlich retour zum Absender. So viel Stress muss nicht sein.

Unsere Highlights

Bleiben wir deshalb beim heimischen Fachhändler und schauen, was hierzulande an Textil-Einteilern auf dem Bügel hängt. Gedacht nicht nur für Partygänger, sondern vor allem für Pendler, die im Büro-Outfit zur Arbeit eilen und einen praktischen Überwurf fürs motorisierte Zweiradeln brauchen. Die Auswahl ist überschaubar. Vier Modelle haben wir in diesem Vergleichstest gebündelt. Und viel mehr gibt es auch nicht. Erwähnenswert wäre noch der „Admiral E-Type“ von Spidi, der allerdings zum Testzeitpunkt nicht lieferbar war. Auf den ersten Blick sehen die Textil- Einteiler in unserem Test nach mehr aus als nach einer Regenkombi „de Luxe“. Abriebfestes Außengewebe gepaart mit Protektoren, die zu einem anständigen Fahreranzug gehören, dazu Wetterschutz durch eine wind- und wasserdichte Klimamembrane. Im Prinzip all das, was man von einer herkömmlichen Textilkombi kennt, nur eben in einteiliger Form und gepaart mit einem pfiffigen Einstiegssystem.

Beim Preis klappt die Schere jedoch weit auf: von günstig mit knapp 250 Euro für den Cycle Spirit City Overall aus dem Hause Louis bis teuer. Stolze 1000 Euro werden für den Revit Infinity fällig. In Sachen Ausstattung wird sowohl der Minimalist fündig (BMW Coverall) wie auch derjenige, der alle Vorzüge einer guten Tourenkombination erwartet (Alpinestars 360 R). Bei dieser Bandbreite sollte man sich genau überlegen, zu welchem Zweck der Anzug eingesetzt werden soll. BMW und Revit sind beispielsweise für den täglichen Pendelverkehr ins Büro gut geeignet. Allerdings scheitern diese sehr puristisch aufgebauten Einteiler bereits bei einem kleineren Wochenend-Trip über Land. Hier fehlt es eindeutig am Komfort, den man von einer anständigen Textilkombi erwartet. Hier punkten die Exemplare von Alpinestars und der Louis-Marke „Cycle Spirit“. Der Louis-Einteiler gibt mit einem herausnehmbaren Thermofutter auch im Winter eine gute Figur ab. Allerdings fällt bei diesen beiden der Wohlfühlbereich deutlich schmaler aus, wenn man unten drunter Business- oder Party-Look trägt und richtig zerknautscht am Ziel ankommt. Ein riesengroßes Problem offenbarte zudem der Nässetest, bei dem beide Exemplare versagten.

Ob die Motorrad-Overalls tatsächlich eine Chance haben, ist fraglich. Dabei könnten sie sich zum Multifunktions-Fahreranzug mausern, der viele Vorzüge kombiniert: als flotter Overall für den Pendler, durch ein einzippbares Funktionsfutter als tourentaugliche Textilkombi, per Reiß- und Klettverschluss auch auf ein sportlich kompaktes Format zu trimmen. Ideen gibt es viele. Doch bevor Rainer und Rebecca die Korken knallen lassen, müssen die Produktentwickler noch mal gründlich ran.

Alpinestars 360 R Drystar

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Alpinestars 360 R Drystar

Anbieter: Alpinestars,
Telefon 0039-0423/5286,
www.alpinestars.com
Preis: 499,95 Euro
Größen: S bis 4XL
Farbe: Schwarz
Gewicht*: 2,6 Kilogramm

Ausstattung und Verarbeitung (9 von 10 Punkten):
Nicht nur auf den ersten Blick besticht der Alpinestars-Anzug durch seine saubere Machart. Zudem glänzt er durch Features wie praxisgerechte Weitenversteller und die durchdachte Taschenanordnung.

Passform (13 von 20 Punkten), Tragekomfort (15 von 10 Punkten):
Beim Fahren gefällt der Textileinteiler durch seinen flatterfreien und geschmeidigen Sitz. Unterm Strich eine gut sitzende Textilkombi, bei der Jacke und Hose „ab Werk“ gekoppelt sind. Durch seine langen Bein-Reißverschlüsse bis hoch zur Hüfte lässt sich der Einteiler auch mit Stiefeln blitzschnell überstreifen. Über normaler Alltagsbekleidung sitzt er allerdings eine Spur zu stramm.

Sicherheit (20 von 30 Punkten):
Mit CE-Protektoren an Schultern, Ellbogen und Knien inklusive Schienbeinen bietet der Anzug klassenüblichen Schutz mit nur durchschnittlichen Dämpfungswerten. Rücken- und Brustprotektoren sind nur gegen Aufpreis erhältlich. Gut gefallen dagegen die exakte Positionierung der Protektoren, verstärkte Sturzzonen sowie Reflexpaspeln an Front und Rücken.

Wetterschutz (7 von 20 Punkten):
Keine Belüftungsreißverschlüsse, kein Thermofutter. Doch nicht nur im Hochsommer sowie an kalten Wintertagen zeigt das Klimapaket des Einteilers Schwächen. Mit starkem Wassereintritt beim Nässetest versagt der Overall auch bei Regenfahrten.

Fazit:
Bequem zu tragende Tourenkombi im Einteiler-Format. Die Praxistauglichkeit wird aber durch den mangelhaften Wetterschutz bei Regen stark geschmälert.

64 von 100 Punkten; befriedigend

BMW Coverall

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BMW Coverall

Anbieter: BMW, Telefon 0180/5001972, www.bmw-motorrad.de
Preis: 590 Euro
Größen: XS bis 3XL
Farbe: Schwarz
Gewicht*: 2,1 Kilogramm

Ausstattung und Verarbeitung (8 von 10 Punkten):
Die Ausstattung ist beim BMW-Overall aufs Notwendigste reduziert, gefällt aber durch seine saubere Verarbeitung.


Passform (9 von 20 Punkten) und Tragekomfort (13 von 20 Punkten):
Einen körperbetonten Schnitt sucht man beim Coverall vergeblich. Damit der Einteiler einigermaßen fest sitzt, muss man darunter gut angezogen sein. Und selbst dann ist er windanfällig. Besonderes Plus beim Anziehen: Kein Einteiler im Test ist flinker übergestreift und verschlossen.


Sicherheit (24 von 30 Punkten):
Mit Protektoren an Schultern, Ellbogen, Hüfte und Knien mit Schienbeinen bietet der Coverall mehr Schutz als üblich, verzichtet aber auf die Rückenpartie. Hier muss gegen Aufpreis nachgerüstet werden. Durch den weiten Schnitt sitzen die Protek-toren allerdings unpräzise und können sich beim Sturz leicht verschieben. Da helfen auch die sehr guten Dämpfungswerte wenig. Auf Verstärkungen an den Sturzzonen wird ganz verzichtet. Gut dagegen die Signalwirkung der Reflexstreifen an Front, Seite und Rücken.


Wetterschutz (14 von 20 Punkten):
Dank Dreilagen-Laminat und wasserdichter Reißverschlüsse gibt es kein Problem bei Regenfahrten. Ein isolierendes Futter fehlt genauso wie Belüftungsreißverschlüsse für den Hochsommer.


Fazit
Der Einteiler für Minimalisten. Für den täglichen Kurztrip ins Büro bestens geeignet, doch bereits bei kleineren Touren ist Schluss. Zudem mangelt es an einer ordentlichen Passform.


68 von 100 Punkten; befriedigend


Cycle Spirit City Overall

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Cycle Spirit City Overall

Anbieter: Detlev Louis, Telefon 040/73419360, www.louis.de
Preis: 249,95 Euro bis Größe L; 259,95 Euro ab Größe XL
Größen: XS bis 3XL
Farbe: Grau/Schwarz
Gewicht*: 3,1 Kilogramm

Ausstattung und Verarbeitung (8 von 10 Punkten):
Der Einteiler von Cycle Spirit ist zwar günstig, lässt es aber an nichts missen: Zur guten Verarbeitung außen wie innen gesellen sich viele praktische Extras.

Passform (12 von 20 Punkten) und Tragekomfort (12 von 20 Punkten):
Der City Overall entpuppt sich als knackig anliegende Tourenkombi, deren zu kurze Ärmel allerdings auf den Testfahrten weit nach oben rutschten. Ebenfalls störend: eine heftige Druckstelle in der Sitzfläche durch das aufgedoppelte Antirutsch-Polster. Trotz eines langen, vom Hals bis zum Knöchel reichenden Reißverschlusses lässt sich der Einteiler nur umständlich und mit Stiefeln gar nicht anziehen. Über Alltagsbekleidung sitzt die Kombi zudem eine Spur zu stramm.

Sicherheit (19 von 30 Punkten):
Die Protektoren an Schultern, Ellbogen und Knien/Schienbeinen glänzen mit klasse Dämpfungswerten und können zudem dank sinnvoller Weitenversteller exakt positioniert werden. Hüfte und Rücken lassen sich allerdings nur gegen Aufpreis mit Protektoren nachrüsten. Gut: der Sturzzonen-Besatz und die Signalwirkung der Reflexpaspeln.

Wetterschutz (9 von 20 Punkten):
Komplettausfall beim Nässetest. Bereits nach wenigen Minuten stehen Bauch- und Schrittbereich komplett unter Wasser. Da hilft auch das wattierte Thermofutter für kalte Wintertage wenig.

Fazit
Funktioneller Touren-Overall für Sparfüchse, der allerdings ungenügenden Schutz gegen Regen bietet. Als flotter Überwurf für den Alltagspendler nur bedingt geeignet.


60 von 100 Punkten; befriedigend

Rev'it Infinity

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Rev'it Infinity

Anbieter: Revit, Telefon 0031-412/696740, www.revit.eu
Preis: 999,99 Euro
Größen: S bis XYL (entspricht 3XL)sowie lange und kurze Zwischengrößen
FarbeN: Schwarz, Hellgrau
Gewicht*: 2,6 Kilogramm

Ausstattung und Verarbeitung (6 von 10 Punkten):
Mit schmutzresistenten Gewebe sowie aufwendig gummierten Reißverschlüssen setzt der Rev‘it-Overall äußerlich echte Glanzpunkte und wirkt wie aus einem Guss. Innen verzichtet man indes auf ein Futter und lässt das Patchwork-Muster aus der Fertigung offen zu Tage treten.

Passform (11 von 20 Punkten) und Tragekomfort (16 von 20 Punkten):
Die steife Außenhaut schränkt den komfortablen Sitz gehörig ein, geschmeidig liegt allenfalls der Kragen an. Wer allerdings darunter im Business-Look unterwegs ist, hat dafür nicht nur ordentlich Platz, sondern kann den komplett aufklappbaren Anzug bequem und schnell anziehen. Mangels Futter scheuert der Anzug gerade an den Armen unangenehm auf der Haut.

Sicherheit (27 von 30 Punkten):
Fullservice in Sachen Protektoren, die an Schultern, Ellbogen, Hüfte, Knien/Schienbeinen und Rücken zu finden sind und exzellente Werte auf dem Prüfstand zeigen. Mangels Weitenversteller kann der Knieschutz allerdings schnell verrutschen. Die breiten Reflexprints an den Oberarmen sowie am Rücken haben eine gute Signalwirkung.

Wetterschutz (16 von 20 Punkten):
Regen prallt problemlos an dem wasserdicht laminierten Außengewebe ab. Für heiße Tage gibt es effektive Belüftungs-reißverschlüsse, für kalte Tage indes gar nichts.

Fazit
Pfiffig gemachter Overall mit Luxusausstattung, der untendrunter noch ordentlich Feinschliff braucht. Passt zum täglichen Pendelverkehr, weniger zum Touren.

69 von 100 Punkten; befriedigend

Auf dem Prüfstand

Seit über zehn Jahren gibt die Protektorennorm EN 1621-1 vor: Gelenkprotektoren müssen beim Schlagtest unter 35 Kilonewton (kN) Restkraft bleiben. Wie, das bleibt jedem Hersteller selbst überlassen. In diesem Test fallen die Protektoren aus dem Alpinestars-Einteiler besonders auf: Sie liegen mit rund 30 kN deutlich über dem, was bei der Konkurrenz gemessen wird. Die Protektoren von BMW, Cycle Spirit und Revit schlucken deutlich mehr. Ihre Restkraftwerte liegen nur noch zwischen 15 und 20 kN.

So testet Motorrad

Unterwegs beim Praxistest auf Landstraßen und Autobahn: Wo zwickt es, wann flattert es? Zwei Größen werden genau unter die Lupe genommen.


Sicherheit
Der Testabschnitt, bei dem es um die meisten Punkte geht: Was bietet der Fahranzug in Sachen Sicherheit? Welche Protektoren sind vorhanden, wie schneiden sie auf dem Prüfstand ab, wie sind sie positioniert? Sind Verstärkungen und Reflektoren vorhanden?
Maximal 30 Punkte.


Passform
Zwei verschiedene Standardgrößen (L und XL) wurden bei einer ausführlichen Anprobe und im Fahrbetrieb bewertet. Sind Arm- und Beinlängen okay, drückt der Kragen bei unterschiedlichen Sitzhaltungen, spannt der Rücken, stimmen Proportionen und Zuschnitt? Maximal 20 Punkte.


Tragekomfort
Kann die Kombi in der Praxis überzeugen? Auf einer supersportlichen Honda Fireblade sowie dem Naked Bike Triumph Speed Triple mussten die Textil-Einteiler zeigen, ob sie ausreichend Bewegungsfreiheit bieten und sich angenehm tragen lassen. Maximal 20 Punkte.


Wetterschutz
Das Klimaschutzprotokoll im Test: Was wird in Sachen Isolation und Belüftung geboten? Wie absolvieren die Kombis den Nässetest, bei dem ein starker Regen simuliert wird? Maximal 20 Punkte.


Ausstattung/Verarbeitung
Ausstattungsdetails (Taschen, Reiß-verschlüsse), Verarbeitung und Preis? Maximal 10 Punkte.

Standpunkt: Mehr erwartet

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Jörg Lohse, Service-Redakteur, zeigt sich nach dem Test enttäuscht.

Textileinteiler – das klingt nach Innovation und Raceflair. Hightech-Materialien in einem Guss, eng anliegend, wie man es von den sportlichen Einteilern aus Leder kennt. Doch das Gegenteil ist der Fall. BMW und Revit schneidern die teuersten Anzüge zusammen, die zunächst wie ein nasser Sack am Körper hängen. Figurbetont ist etwas anderes. Klar, Zielgruppe sind Büro-Pendler, deren Bügelfalten an Hemd und Hose keinen Knick bekommen sollten. Ob für diesen Zweck allerdings der sündhaft teure Materialmix aus Bionik-Gewebe, Dreilagen-Klimamembrane und versiegelten Reißverschlüssen sinnvoll ist? Zum Reisen sind die beiden Anzüge denkbar ungeeignet. Hier bietet jede halb so teure Textilkombi mehr Komfort. Ein bisschen mehr Breitbandnutzen wäre wünschenswert. Beispielsweise durch einen einzippbaren Unteranzug, der den Anzug tourentauglich macht. Alpinestars und Louis sind auf dem richtigen Weg, scheitern aber grandios beim Wetterschutz. Aber vielleicht schlummert ja tatsächlich noch ein wirklich wasserdichter Highend-Sport-Einteiler bei einem Entwickler in der Schublade. Dann nichts wie raus damit!

Fazit

Der Einteiler-Test endet etwas überraschend, denn in der Endnote kommt kein Anzug über das Urteil „befriedigend“ hinaus. Das darf eigentlich nicht sein. Zumal es sich zum Großteil um richtig hochpreisige Ware handelt. Alpinestars und Cycle Spirit besitzen viele praxisnahe Ansätze, fallen aber beim Nässetest durch. Revit und BMW fehlt zum „gut“ ein ordentlicher Tragekomfort.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023