Das ursprüngliche Ziel lautete Champagne. Nordvogesen abschippern, dann Lothringen, auf dem Rückweg in die Ardennen. Schaumwein schlürfen, lecker Stopfleber mampfen, das Spesenkonto mit übertriebenen Hotelübernachtungen belasten. Schließlich will und muss mit exklusiven Sechszylinder-Reisedampfern vom Schlag einer BMW K 1600 Grand America (Basis: 25.070 Euro, Testmotorrad 31.200 Euro) und Honda GL 1800 Gold Wing (als komplett ausgestattete Tour DCT Airbag: 35.595 Euro) angemessenes Luxustouring betrieben sein. Saus, Braus, Überfluss, und mittendrin ein Vergleich. Nur der Wettergott rettet die Firmenkreditkarte vorm Ausglühen: Im Westen Sturm und Gewitter. Planänderung, Schnapsidee: „Passend wäre ja, mit denen nach Amerika zu fahren.“ Überraschung: Das Navi berechnet für den augenscheinlich doch vorhandenen Landweg von Stuttgart nach Amerika gut 460 Kilometer und vier Stunden dreißig. Besseres Wetter würde es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sicherlich auch geben. Also Anker einholen, Leinen los! Im Falle der Gold Wing ist das wörtlich zu nehmen: Die Handbremse im linken Bug sollte man nicht vergessen! Anlassen. Klack, wummmmmm – wie per Gottes Fingerschnipp gebietet der in die Lichtmaschine integrierte Anlasser dem mächtigen Flat Six Dienstbeginn.
Duell der Big-Bikes
Mag sein, dass der quadratisch ausgelegte Unicam-Vierventiler im Leerlauf mechanisch präsenter rotiert als sein noch mal watteweicherer Vorgänger – im großen Spektrum aller Kraftradmotoren aber kennt der höchst distinguierte Honda-Boxer in Sachen Laufkultur nur einen einzigen echten Kontrahenten: Jenen 1650-Kubik-Sechsender der Bayerischen Motoren Werke. Welcher soeben auch antritt: gedämpft auch aus den ewig langen Ofenrohren, aber heiserer, obertonreicher. Er läuft mindestens ebenso poliert, wegen seines Reihen-Layouts doch völlig anders. Seidiger, schärfer. Ein, zwei ermunternde Gasstöße im Stand verheißen im Gegensatz zur mönchsartig hummenden Honda fürchterliche Potenz.

Kupplung ziehen – die BMW hat noch eine, und die ist erstaunlich leichtgängig – und mit langem Weg und dem typisch bayrischen Schlag sitzt Gang eins. Wenn die Kupplung gleich einrückt, macht der ausgezeichnete „Schaltassistent Pro“ der K 1600 die linke Hand des Fahrers so arbeitslos wie jene der Honda. Auf der nämlich findet der rechte Daumen den D-Knopf, und der einzigartige Doppelkuppler, welcher leider der arg teuren „Tour DCT Airbag“ mit Koffern und Luftsack vorbehalten ist, sortiert automatisch und je nach Fahrmodus alle der sieben Gänge. Bereit.
Rangierhilfen bei beiden Bikes unerlässlich
Dass Maschinen dieses Kalibers nicht aus Tiefgaragen und Städten hinaus ihr Potenzial entfalten – klar. Immerhin: Dank merklich tiefem Schwerpunkt (Boxer!) und sehr niedriger Sitzhöhe (745 Millimeter) lässt sich die Gold Wing auch von halbwegs versierten Kurzbeinigen sowohl im Stand als auch auf Schleichfahrt angenehm bugsieren. Angenehmer als die zwar leichtere (schlanke 368 Kilo), aufgrund höheren Schwerpunkts aber ein wenig diffizilere, manch einer mag finden beängstigendere, BMW. Neben der höheren, ausladenderen, für maßkrugstemmende Hünen geschneiderten Grand America wirkt die in ihren Ausmaßen spürbar geschrumpfte Gold Wing beinahe zierlich. Hilfreich, nein unerlässlich: eine Rangierhilfe, ebenfalls in die Lichtmaschinen-/Anlassereinheit integriert, schiebt den 385-Kilo-Koloss (immerhin minus 40 Kilo zur Vorgänger-GL) elektrisch zurück, bei Bedarf auch vor. Rückwärts rangiert auch die K 1600 elektrisch, per Druck auf den Anlasser.

Hinaus mit den beiden auf die A 81, denn entgegen anderslautender Vermutungen scheint sich Amerika im Nordosten zu befinden. Im Tour-Mode hängt der Honda-Sechser eher gemütlich am Gas, schaltet das DCT früh hoch. Ein erhabenes Erlebnis gerade deshalb: Wie eine dieselelektrische Trieblok brummt und sirrt die DCT-GL ihre mit Fahrer und viel Gepäck dann doch gut neun Zentner mit der versammelten Lockerheit von 1800 Kubik nach vorne. Das über weite Strecken praktisch vibrationsfrei, mit beinahe bis zur Unkenntlichkeit verschliffenen Schaltvorgängen. Diese Antriebseinheit ist kein Motorradmotor im klassischen Sinn. Und deshalb der perfekte Gold Wing-Motor, denn zum gesetzten Charakter der GL als Supertourer passt das Doppelkupplungsgetriebe vorzüglich. Von der Präsentation in Texas weiß man, dass auch der Sechsgang-Schalter ausgezeichnet funktioniert. Wer aber die Kleinigkeit von 36 Mille Spielgeld hat, sollte sich eine Probefahrt mit DCT keinesfalls entgehen lassen.
K 1600 Grand America 160 PS stark
Die K 1600 Grand America auf der anderen Seite, die hat einen Motorradmotor. Und was für einen! Ab gut 1.000 Umdrehungen fahrbahr, bis 3.000 für jede normale Fahrsituation inklusive zügigem Überholen gewappnet, mit zwar leicht verzögerter Gasannahme selbst im „Dynamic“-Modus (eine Drosselklappe für sechs Zylinder), dafür besagt ziseliertem Lauf – im unteren Drehzahldrittel gibt der 24-Ventiler den souveränen, gediegenen Reise- und Flanierkumpel. Nur um dann, mit steigender Drehzahlnadel, diese Persönlichkeit zu den Akten zu legen. Unter der Maskierung: ein waschechter, nur mit 1650 Kubik eben riesiger Sportmotor. Sein wahres Wesen: unaufhaltsame Kraft. Dieser kühl servierte, abartige Schub steht in einem herrlich schizophrenen Widerspruch zur Grand America an sich. Außen modischer Boulevard-Bagger mit Florida-Ambition, unter der Haube axtschwingender, heiser schreiender Gewaltverbrecher. Irgendwie unpassend, aber von erheblichem Unterhaltungspotenzial. Dr. Jekyll und Mr. Hyde? Eher Elton John und Jack Nicholson in „The Shining“.

Schräg auch, dass die Grand America, folgt man der subtil stets präsenten Aufforderung dazu, den Gigaliner mal wenige Sekunden so richtig von der Leine zu lassen, bei exakt 162 Stundenkilometern in den elektronischen Begrenzer läuft. Das entspricht ziemlich genau 100 Meilen pro Stunde. Im Land der Freiheit, wo man für solche Geschwindigkeiten im Knast landet, sicher von nachrangiger Bedeutung. Auf dem Weg von Stuttgart nach Amerika aber eine Hypothek. Denn so muss eine 160 PS starke K 1600 Grand America die weniger absurd motorisierte, auf praxisgerechtere 180 Sachen (18 mehr!) begrenzte GL 1800 von dannen ziehen lassen. BMW dazu: „Diese Maßnahme berücksichtigt die Tatsache, dass die in diesem Fahrzeugsegment beliebte Individualisierung durch Zusatzausrüstung im Heckbereich zu einer signifikanten Veränderung der Radlastverteilung führen kann, und gewährleistet in allen fahrdynamischen Situationen maximale Stabilität.“ Was die Amis da wohl dranbauen mögen? Verständlich ist die Maßnahme dennoch. Bei Topspeed wird die seitenwindempfindliche GA in der Tat unruhiger als die bolzstabile GL.
Bedienkonzept der Honda wirkt aufgeräumter
Zurück zum Highway-Gleiten, der Paradedisziplin für Motorräder der Amerika-Klasse: Tempomaten auf angenehme 140, Windschilde elektrisch nach oben (die GA schützt absolut vollumfänglich, die GL lässt einen Hauch an die Schultern), Sofalandschaften einsitzen (auf beiden logiert man eh sensationell, für Kleine sind die BMW-Trittbretter aber zu weit vorne, der Lenker etwas hoch), Infotainment in den Pkw-ähnlichen Kommandozentralen ergründen. Von wegen arbeitslose linke Hand: Bluetooth, Radio, MP3, Navi – das alles ist in dieser Klasse so selbstverständlich wie Keyless, Zentralverriegelung, Kardan, Griff- und Sitzheizung. Vorteil Honda: Ihr neues Bedienkonzept wirkt aufgeräumter, ihr riesiges Display integriert das Navi, welches bei der K noch als teilintegrierte Lösung verbaut ist. Toll aber auch die bekannte Bedienung der BMW per Handrad. An ihr kostet vieles extra, bei der teuren Honda ist schon alles inklusive. Kleiner Wermutstropfen: Bei Autobahntempo brummt die GL 1800 lauter aus der Airbox, als Trucker-Haudegen es goutieren werden. Im Zuge der Verjüngung hat die Gold Wing – unter Last – ein wenig ihrer Zurückhaltung preisgegeben. Das will so wenig zu ihrem Charakter passen wie die nun wesentlich kleineren Koffer. Zweimal 30 zerklüftete Liter plus 50 Liter Topcase sind einiges, aber merklich weniger als früher. So begrüßenswert die Verschlankung aus Rangier- und Fahrdynamiksicht auch sein mag – schätzt die eingeschworene Winger-Gemeinde nicht gerade das Riesige, das Dinosaurierartige am Gigaliner?

Vorteil BMW: Zivil bewegt, säuselt der Antrieb dezenter, und mit 37 Litern je Seite bieten die „Bags“ etwas mehr Volumen, das Topcase ebenfalls 50 Liter. Zwar genehmigt sich die K deutlich mehr Sprit als die sensationell sparsame GL, mit dem 26,5-Liter-Fass sind aber dennoch gute Reichweiten drin. So die letzten Überlegungen, bevor wir mit den Achsenmächten nach Amerika einrollen. Das liegt also rund 15 Kilometer nordöstlich von Chemnitz. Hier ist an einem Mittwochabend keine Menschenseele unterwegs. Grabesstille selbst im Biergarten. „Wegen Krankheit geschlossen“ steht da, hoffentlich kein Omen für die Zukunft der anderen Atlantikseite. Bedeutet für uns: Des folgenden Tages über Land weiter, vorbei an Leipzig, quer durch den wilden Osten und allerlei herrlich ruhige Naturparks nach Tangermünde. Jenem unbedingt bereisenswerten Hansestadt-Kleinod an der Elbe.
Welches Bike gewinnt den Vergleichstest?
Eher vorteilhaft für die Gold Wing: die tendenziell schnurstracks zum Horizont verlaufenden Alleen. Sie schippert mit ihrem ewigen Radstand und dem sehr flachen Lenkkopfwinkel in Tateinheit mit 18-Zoll-Vorderrad verlässlich wie der Intercity. Will aber auch von fester Hand zur Kursänderung gebracht sein. Ein riesiger Fortschritt in Sachen Fahrstabilität und Komfort: die neue Vorderradführung per Doppelquerlenker. Bei BMW nennt sich die Gabelalternative ja Telelever. Auch das entkoppelt auf ähnliche Weise, erzeugt aber auch einen noch erhabeneren Fahrkomfort. Wie es auch die Grand America versteht, ihren hinten üppigeren Federweg auf dem hier immer wieder anzufindenden Kopfsteinpflaster in noch schwebenderen Komfort umzumünzen. Was nicht bedeutet, dass eine Gold Wing unkomfortabel wäre, im Gegenteil.

Lenkfreudiger, auf den teuren Schmiederädern schon beinahe zu motiviert, kann die K 1600 in Kurven dann nicht verleugnen, dass sie irgendwo tief drinnen gern ein Sportmotorrad geworden wäre. Was auch auf ihre Bremse zutrifft: Die verzögert so arg, wie der Motor anreißt. Auf der GL findet alles eine Nummer gelassener statt. Weniger vehement, touristischer. Anlegen in Tangermünde! Abgesehen von den Kosten, die bei beiden Maschinen nicht nur beim Kaufpreis, sondern auch im Unterhalt verheerend ausfallen, ist die BMW in jedem der Wertungskapitel knapp, aber nie zwingend überlegen. Sie ist unterm Strich das bessere Motorrad im allgemeinen Sinn. Das bessere, weil entspanntere, in sich ruhendere Tourenmotorrad aber heißt GL 1800 Gold Wing.
MOTORRAD-Testergebnis
1. BMW K 1600 Grand America
Irgendwie schizophren: Eine Brechstange von Motor in diesem Chassis, dann auf 162 abgeregelt. Und doch faszinierend, weil bis in jedes Detail High End.
2. Honda GL 1800 Gold Wing Tour DCT Airbag
Abgesehen von der schieren Motorleistung ist die Honda der BMW nirgends zwingend unterlegen. Sie weiß genauer, was sie sein will: das angenehmere, pulssenkendere Tourenmotorrad.