Rund 25 Prozent aller weltweit zugelassenen Motorräder über 500 Kubik sind Cruiser. Kein Wunder, dass die Münchner sich von diesem großen Kuchen ein Stück einverleiben wollen. Richten soll es die neue BMW R 18: 1.800 Kubik. 91 PS. 158 Newtonmeter. Knapp sieben Zentner schwer. Offen laufende Kardanwelle.
Sitzposition passt – für alle
Gestartet wird per Knopfdruck. Damit das funktioniert, muss die Kupplung gezogen werden. Gut so. Denn es ist ratsam, dass der Fahrer für den Start beide Hände am Lenker hat...Das Rückdrehmoment des Hubraumriesen ist ähnlich, als würde Bruce Lee dem 345 Kilo schweren Bike von rechts einen mächtigen Tritt verpassen.
Nach dem Aufwecken beginnt der Boxer niedertourig zu strampeln. Der leicht instabile wirkende und zappelige Leerlauf, irgendwo zwischen 850 und 950 Touren, ist gewollt. Während der erste Gang ohne Radau in seine Verzahnung springt, sortiert man auf den ersten Metern seine Beine hinter die beiden Zylinder ein. Und entkräftet damit das wohl größte Vorurteil aller Skeptiker: Egal ob der Fahrer 1,70 Meter oder 1,99 Meter misst – trotz rausragender Zylinder sitzt man auf der R 18 entspannt.
Niedertourig passt am Besten
Es geht raus aus München. Highway. Richtung Alpenpanorama. Das Sechsganggetriebe ist von der R nineT abgeleitet und fürs Gleiten auf den endlosen Straßen dieser Welt maßgeschneidert. Im sechsten Gang dreht der 1.800er Boxer 2.200/min bei 100 km/h und ist dabei kaum präsent. Er läuft seidenweich, geschmeidig und produziert hauchzarte Geräusche, die den Fahrtwind nicht überleben. Auch 120 km/h fühlen sich bei 2.700/min noch lässig an, doch jetzt kribbelt es leicht im Lenker. Bei 140 km/h rotiert die Kurbelwelle 3.100 Mal pro Minute und die Vibrationen sind merklich spürbar. Runterschalten, Gas auf. Oberhalb von 3.800 Touren wird es interessant. Der Sattel vibriert heftig und erinnert stark an einen Massagesessel. Gas weiter auf. Erst bei 5.750/min greift der Begrenzer ein. Eins wird dabei sofort klar: Wer sich auf der R 18 in diesen Drehzahlregionen bewegt, hat das falsche Produkt gewählt. Die Maschine ist ausgelegt für entspanntes Bummeln bis genüssliches Cruisen. Sollte sich doch einer versuchen: Bei 180 km/h wird die Chose elektronisch abgebremst.

Runter vom Highway, rauf auf bayrische Landstraßen und die drei Fahrmodi Rain, Roll und Rock ausprobiert. Wer nach 50 km Fahrt im Roll-Modus auf kurvenreicher Strecke in den Rain-Modus wechselt, verpasst sofort die Ideallinie, weil er woanders rauskommt als angepeilt. Der dicke Boxer reagiert im Rain-Modus derart verhalten auf Gasbefehle, dass der Verdacht aufkommt, sie hätten ihm die Hälfte seiner 91 Pferde aus dem Stall geklaut. Das genaue Gegenteil ist der Fall, wenn man in den Rock-Modus schaltet. Hier hängt der 1.800er äußerst direkt am Gas. Allerdings sind die im Rock-Modus auftretenden, harten Lastwechselreaktionen im Antriebsstrang auch sehr gewöhnungsbedürftig.
Trotz 345 Kilogramm fahrdynamisch
Der Fahrdynamik tut das keinen Abbruch. Die R 18 schwingt zielsicher, präzise und relativ leichtfüßig von einer Schräglage in die andere. Die Kurvenhatz wird nur von den recht früh aufsetzenden Fußrasten gestoppt, BMW verspricht 30 Grad Schräglage. Die recht straffe Fahrwerksabstimmung in Verbindung mit bescheidenen 130 mm vorn und 90 mm hinten als Weg erlaubt jedenfalls eine recht agile Fahrweise. Natürlich gibt es was zu meckern. Der Sound könnte voluminöser sein, die Bremse aggressiver. Obwohl die teilintegral ausgeführten Stopper perfekt verzögern.

Über eins muss man sich im Klaren sein: Selbst mit seinen 1.800 Kubik bietet der R 18-Boxer nicht annähernd den Unterhaltungswert eines American Big Twins, wie er noch bis 2018 produziert wurde. Der fette Boxer läuft schlicht zu kultiviert. Das Fahrgefühl ist dennoch herausragend und der Antrieb verwandelt Benzin stets in ein dickes fettes Grinsen.
Fazit
Rund zwei Jahrzehnte nachdem BMW mit der R 1200 C verhalten erfolgreich auf dem Cruiser-Parkett getanzt hat, bringen die Münchner mit der R 18 jetzt ein Bike, das wirklich die Chance zum Bestseller hat.