Ein neuer Auftrag. Zwei Harleys. Südfrankreich. Dazu ein Typ, der dir wegfahren will. Nicht mit mir.
Ein neuer Auftrag. Zwei Harleys. Südfrankreich. Dazu ein Typ, der dir wegfahren will. Nicht mit mir.
Wieder mal Marseille. Hundescheiße auf den Gehwegen, Pastis statt Bier, Merguez statt Currywurst. Ich lehnte an der Hotelbar und goss mir die Spuren der letzten Nacht aus dem Gesicht. Weiß der Henker, warum sie diese mexikanische Party geschmissen hatten, aber sie hing mir arg in den Knochen. Hinter dem Tresen stand eins dieser Girls, für das du deine Mutter verkaufen würdest. Meine war tot. Pech gehabt. Lächelnd goss die Kleine mir einen Konter-Tequila in den Kaffee. Ich kritzelte meine Handynummer auf den Bierdeckel, schenkte ihr ein Augenzwinkern und marschierte vor die Tür. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Draußen standen sie in Reih und Glied. Matt. Schwarz. Bis auf die Felgen, deren goldener Farbton an die glorreichen Räder in den sechziger und siebziger Jahren erinnern sollte: Harley-Davidson Low Rider S. Das S stand vermutlich für schwarz, sexy und sportlich. „Wir haben dem Baby hier die letzte Ausbaustufe unserer luftgekühlten V2-Herzen spendiert, ein 1800 Kubik starkes Screaming-Eagle-Triebwerk. Das Ding hat fast 100 PS und 156 Newtonmeter“, brummte ein Techniker. „Sollte reichen“, brummte ich zurück. Sie hatten rund 50 Bikes an die Côte d‘ Azur gekarrt. Die Hälfte Low Rider S, die andere ein neues 1200er-Sportster-Modell namens Roadster. Heute durfte man die dicke Low Rider Gassi führen. Drei Tourguides sollten sicherstellen, dass sich niemand verirrt. Na dann.
Jethelm auf die Rübe, Jacke zu, Handschuhe an. Ich fuhr neben den Tourguide und steckte mir eine Kippe an. „Mach die Zigarette aus, sonst verglüht sie im Fahrtwind!“, knurrte der Tourguide. Fahrtwind? „Immer mit der Ruhe, Mann. Meinst du, ich bin blöd? Harley! Gruppenfahrt! Kennt man doch. Schleichfahrt. Wenn ihr dazu noch orange Warnwesten tragt, könnte man euch mit einer Wanderbaustelle verwechseln. Also erzähl’ mir nichts von Fahrtwind!“ Der Tourguide schaute giftig. So, als hätte man ihm gerade unterstellt, den kleinsten Schwanz zu haben. Oder ihm gesagt, er könne nicht richtig Motorrad fahren ...
Wir waren keine 500 Meter weit gekommen, da wusste ich zwei Dinge: Der schreiende Adler ist sein Geld wert, obwohl sie knapp 20 Riesen dafür haben wollen. Und der giftige Tourguide meint es wirklich ernst. Er flitzte durch die Blechschlangen stets auf Pole. Und malte bei Ampelstarts jedes Mal ein Autogramm auf den Asphalt. Ich unterschrieb daneben. Dann kam das Ortsschild. Und die gewundene Straße am Meer entlang. Aber was war mit diesem Kerl? Hatte seine Frau ihn letzte Nacht nicht rangelassen? Oder musste er dringend pinkeln und wollte deshalb einen Vorsprung herausfahren? Ich entschied mich für die Variante, dass er hier jedem zeigen wollte, wer am schnellsten ist. Okay, Bursche, Auftrag angenommen.
Natürlich setzt die Dyna Low Rider S auf. Zuerst schleift man die zeigefingerlangen Stahlfühler an den Rasten weg, dann folgen die Rasten selbst. Kaum zwanzig Kilometer weit gekommen, hatte ich nur noch die Hälfte von den Dingern. Eins musste man diesem Typen lassen: Rauchen während dieser Fahrt war wirklich nicht. Wie Synchronspringer jagten wir die Mainroad entlang. Hätten uns die Bullen aus der Luft überwacht – sie hätten eine unsichtbare Abschleppstange zwischen uns vermutet. Der Kollege hatte von allem 30 Prozent zu viel. Gewicht. Schräglage. Speed. Seid ihr auch schon mal durch südfranzösische Käffer gerast? Es gibt neckische, elektronische Schilder, die dir nicht nur deinen Speed, sondern auch die Strafe nennen, für den Fall, dass sie dich erwischen: 40 km/h drüber, drei Punkte, 500 Euro. Aber vielleicht bekam man ja mildernde Umstände, weil das Ding so brutal anschob?
Böse Zungen behaupten, mit den dicken Luftgekühlten sei es bald endgültig vorbei. Sie bekämen eine Wasserkühlung. Aus diesem Grund hätten sie in Milwaukee die Regale geleert und die letzte Ausbaustufe ihrer Big Twin-Motoren in alle möglichen Bikes gepflanzt. Ausverkauf! Kann schon sein. Fakt ist: Die Low Rider S ist im derzeitigen Harley-Portfolio so etwas wie Vitali Klitschko zwischen Kandidaten der Serie „Biggest Loser“. Zwar läuft der 110er bis 2000/min mechanisch rappeliger als sein kleinerer und 20 PS schwächerer Bruder mit 103 Kubik-Inch, doch was der schreiende Adler ab 2500 Umdrehungen mit dir anstellt, ist nicht normal. Er grollt serienmäßig aus den beiden Schalldämpfern wie aus einer teuren, fragwürdig legalen Nachrüstanlage. Die angegebenen 156 Nm fühlen sich an, als hätten sie da eine Null am Ende vergessen. Dieser Energie hatten die Techniker eine gut dosierbare und wirkungsvolle Doppelscheibe zur Seite gestellt. Muss ich noch deutlicher werden? Schraub hinten noch drei, vier Zentimeter längere Federbeine rein, und mit der so gewonnenen Boden-, ergo Schräglagenfreiheit schüttelst du 95 Prozent aller Deppen aus den Rückspiegeln. Wir kamen mit tickernden Motoren im Niemandsland zum Stehen und schwangen die Ärsche aus den Sätteln. Der Kollege stand in schräg abgeschliffenen Schuhen vor mir, schickte mir ein Grinsen an der Ray Ban vorbei und meinte: „Jetzt kannst du dir eine anstecken. Ich geh derweil pissen.“ So kann man sich täuschen.
Es war immer noch Tequila übrig. Ich habe zwar noch nie gehört, dass er absteht oder schlecht wird, doch eh das passiert... „Wie war dein Tag, Buk?“ Die Kleine an der Bar schenkte mir ein Fragezeichen. „Brauch’ bald ein paar neue Schuhe. Aber sonst sehr aufschlussreich.“ Die Uhr stand auf weit nach Mitternacht. Wieder mal war ich Letzter an der Tränke. „Morgen schon was vor?“, gurrte sie. „Leider. Muss noch ’ne Harley fahren, Sportster Roadster. Geht aber schnell.“ Stimmt sogar, dachte ich. Sie lächelte, wischte mit links über den Tresen, kritzelte mit rechts eine Telefonnummer auf den Bierdeckel und blinzelte verheißungsvoll. Es gibt Momente, in denen weißt du, dass Motorradfahren nur die zweitschönste Sache im Leben ist.
Nächster Morgen. In der Tasche der Bierdeckel mit ihrer Telefonnummer, vor mir der Typ von gestern. Konnte der Tag schöner werden? „Yeah, Mann! Hast du heute die Blase leer, oder drückt’s wieder?“ Er schob die Ray Ban fester ans Auge und deutete ein Lächeln an. Drei Minuten später waren wir on the road. Man kann den Harley-Jungs nicht viel vorwerfen. Seit 107 Jahren bauen sie nun schon luftgekühlte 45-Grad-Vau-Motoren. Aber wäre ich an ihrer Stelle, ich hätte alle zuerst auf die neue Roadster gesetzt. Und dann auf die Low Rider S. Steig mal aus einem Porsche in einen Smart. Und gib Gas. Dann weißt du, was ich meine. Wie auch immer. Augen zu und durch.
Ein neues Modell bei Harley heißt nicht unbedingt, dass sie die große Überraschung aus dem Hut zaubern. Die verbaute Upside-down-Gabel erinnerte stark an jene, die damals in der XR 1200 zum Einsatz kam. Der hintere Fender war stärker gekürzt und die Sitzposition stärker vorderradorientiert als bei anderen Sportster-Modellen. Zudem hatten sie der Roadster ein neues Cockpit spendiert. Und geglaubt, man würde die Kiste nur nachts bewegen? Richtig ablesen kannst du das Ding tagsüber jedenfalls nur, wenn du bis auf zehn Zentimeter mit den Augen rangehst. Doch wer macht das schon? Der Motor leistete, wie fast alle 1200er-Sportster, 67 PS, stemmte knapp 100 Nm und war angeblich kürzer übersetzt als seine Brüder in anderen Modellen.
Erstaunlicherweise merkte man davon nicht viel. Aber vielleicht lag das auch an dem Umstieg vom Porsche. Wie auch immer. Täglich grüßt das Murmeltier. Der Typ vor mir schien erneut einen guten Grund zu haben, der Welt die Rücklichter zu präsentieren. Diesmal bog er von der Küste Richtung Bergmassiv. Da stellst du dich innerlich schon von Hummer auf Hammel um. Und auf noch mehr Kurven. Ich lag nicht falsch. Bis fast zur Hälfte der Maximaldrehzahl wirkte der Antrieb recht blutleer. Danach, als hätte er Kokain geschnupft. Wer den Kurvenswing ordentlich ausübt und sich schnellstmöglich von einer zur anderen Kehre katapultieren will, darf die Kurbelwelle nie unter 3500/min rotieren lassen. Abgesehen davon konnte sich die Performance wirklich sehen lassen. Die Bremsen eine Wucht, die Schräglage für Harley-Verhältnisse exorbitant. Außerdem traf man mit ihr auch die angepeilte Kurvenlinie. Handlich war die Kiste auch. Irgendwie. Die Sitzposition verleitete eher zu aktivem Cruisen als zum passiven Bummeln und war nicht so lässig wie auf der Low Rider S. Aber was soll’s? Verbessern sollte man nur den Sound. Diese Kiste hier war kein schreiender Adler. Sondern eher eine zornige Elster. Liegt Rohrvergrößerung nicht im Trend?
Wir jagten die Pässe hoch. Und wieder runter. Junge, hatte dieser Kerl eine Blase! Oder hatte er etwa? Unterwegs? Ich meine, das merkt doch niemand. Es kam zu einem letzten Schlagabtausch an der einzigen Ampel im gefühlten Umkreis von 100 Kilometern. „Stechen fahren“ nannten wir das früher, erinnert ihr euch? Volle Konzentration. Zwei Finger an der Kupplung. Gasgriff gleich Gewehrabzug. Am Ende der Geraden bog ich als Erster ein. Vielleicht sollte der Kerl wirklich mal abnehmen. Wieder hielten wir im Niemandsland an einem Café. „Stationärblitzer, drei Passbilder pro Nase, hast‘ gesehen?“, brummte er. Nur drei? „Hauptsache, es hat sich gelohnt“, brummte ich zurück, orderte ein Fahrbier, zog den Deckel aus der Tasche und wählte die Nummer der Kleinen. Gibt es am Ende des Fahrtages was Besseres, als nach dem Bier einen wegzustecken? Eine fremde Stimme am Ende der Leitung. Männlich dazu. Die Kleine hatte mir die Rufnummer des örtlichen Krankenhauses zugesteckt ...
Der Schriftsteller Charles Bukowski wurde als Sohn deutsch-polnischer Eltern 1920 in Andernach am Rhein geboren. Als er zwei Jahre alt war, wanderte die Familie nach Amerika aus. Mit 35 Jahren begann er zu schreiben. Bukowski gilt heute als einer der bedeutendsten Dichter Amerikas und Meister der Schmutzgeschichte. Er starb am 9. März 1994 in Los Angeles. Unter der Rubrik BUKOWSKI FÄHRT schreibt FUEL-Head Rolf Henniges Fahrberichte im Stil des großen Meisters.