Hightech-Ofen gegen Purismus-Feile, Ducati XDiavel S gegen Victory Octane. Kein Duell auf Augenhöhe, schon gar nicht bei Preis und Leistung. Doch Endorphine flippern beide ins Hirn.
Hightech-Ofen gegen Purismus-Feile, Ducati XDiavel S gegen Victory Octane. Kein Duell auf Augenhöhe, schon gar nicht bei Preis und Leistung. Doch Endorphine flippern beide ins Hirn.
Spätestens wenn die zwanzigjährige Kaffeemaschine, die schon bei den Eltern regelmäßig Frühschicht hatte, keinen Mucks mehr macht, heißt es Farbe bekennen: Filterkaffee oder Vollautomat? Siebträger oder Kapselschlucker? Puristisch oder Hightech? Und dann geht es los, das Abwägen, das Aufzählen aller Vor- und Nachteile. Und am Ende? Da entscheidet üblicherweise der Preis. Ziemlich nervig so was. Zum Glück geht es hier nicht um Kaffee, sondern um Power-Cruiser. Auch wenn die Sache ähnlich diffizil liegt. Zugegeben, das Duell zwischen der neuen Victory Octane und der Ducati XDiavel S ist keines auf Augenhöhe. Das Bologna-Bike schlägt allein mit einem Mehrpreis von 10.000 Euro zu Buche. Gerade deshalb ist es ein Kampf um Prinzipien. Rocky trifft auf Apollo Creed, ein fieser Vollstrecker aus Italien auf einen Underdog aus Amerika.
Trotz des Außenseiter-Status macht die Victory mächtig auf dicke Hose. Denn dieses Bike ist böse. Alles schwarz, alles schlicht, rundherum aufs Nötigste reduziert. Für Rebellion reicht Kraft, braucht es kein Chrom und sonstigen Schnickschnack. Entsprechend kann bei der VictoryOctane kein Teil kaputtgehen, das man nicht kennt. Einspritzung, Tassenstößel, Einscheibenbremse, Telegabel: Im Zweifel reicht ein Leatherman, um die Sache wieder geradezubiegen. Ganz im Gegensatz dazu der italienische Hengst, die Ducati XDiavel S. Sie bringt Technik an den Start, dass einem die Spucke wegbleibt. Variable Ventilsteuerung samt Desmodromik, farbiges TFT-Dashboard, Kurven-ABS, mächtige Einarmschwinge, gefräste Motordeckel: Man spürt regelrecht, wie die Duc um jeden Preis der Chef sein will.
Doch Ende der Theoriestunde, diesen Viertelmeilen-Brennern muss man mit der Zunge über den Tank schlecken, um zu checken, ob der Funke überspringt. Wenn es nach Freiheit schmeckt, gleichzeitig nach Power riecht, die Souveränität des Bikes in Fleisch und Blut übergeht, dann flippern Endorphine durch die Rübe, dass die Mundwinkel die Ohrläppchen kitzeln.
Rauf auf die Victory Octane: Mit ihr haben die Amis vor ein paar Wochen einen Weltrekord aufgestellt. Ein Stuntfahrer ließ die nominal 104 PS und 99 Newtonmeter des 1200er-V2 gekonnt auf den schmalen 160er-Hinterreifen los. Mit Erfolg: Über eine Strecke von 3,6 Kilometern wimmerte, kreischte, glühte der Pneu jämmerlich durchdrehend durch das Motodrom in Orlando, USA. Das Ergebnis: längster Rolling-Burnout aller Zeiten. Kein Zufall, denn Victory meint es ernst.
Bringt der Anlasser die gut zehn Zentimeter fetten Kolben der Victory Octane in Wallung, schnalzt der Viertakt-Beat bassig, blubbrig, bärig aus den mattschwarzen Doppelschalldämpfern. Dazu gesellt sich charakterbildend eine schwankende Leerlaufdrehzahl, die für abwechslungsreiche Akustik sorgt. Erstaunlich leicht lässt sich der Kupplungshebel ziehen, ohne Radau rastet der erste Gang ein. Wahnsinn, wie geschmeidig das funktioniert. Klar, mancher mag es lieber hart und direkt. Solche Leute werden mit der Octane wenig anfangen können. Setzt man sich auf den komfortablen Einzelsitz, stellt die Füße auf die schlicht gummierten Fußrasten, nimmt den angenehm gekröpften Lenker in die Hände, fühlt man sich wie zu Hause im Ledersessel. Kein Zwicken, kein Verbiegen. Nichts davon. Lässig und ausreichend aktiv hockt man auf der Kommandobrücke. Der mickrige 12,9-Liter-Tank fällt dabei schmal aus, spreizt die Beine zaghaft. Mit dieser Gutmütigkeit hätte man nicht gerechnet.
Und die Ducati XDiavel S zeigt an dieser Stelle, wie man seinen Dompteur foltern kann. Nicht nur gefühlt sitzt man bei der XDiavel direkt über dem fetten 240er-Hinterreifen. Das sieht zwar megawichtig aus – und etwas Chic hat schließlich noch niemandem geschadet –, hat aber ansonsten nur Nachteile. Schon nach wenigen Metern glaubt man, das Vorbild für diese Haltung mit den weit nach vorne gezerrten Armen war eine Streckbank. Die Füße finden auf einer weit vorn positionierten, dreifach in der Horizontalen verstellbaren Rastenanlage Platz. Schon auf mittlerer Stellung sucht man nach dem Anfahren vergebens die Stiefelablage. Da ist es wieder, das Auffallen um jeden Preis.
Die Victory Octane versucht es derweil weiter mit Understatement. Der mit 73,6 Millimetern eher kurzhubig ausgelegte V-Twin der Octane säuselt ab Schrittgeschwindigkeit sanft vor sich hin, lässt die Victory ganz geschmeidig, ohne nennenswerte Vibrationen über den Asphalt gleiten. Der 60-Grad-Zweizylinder glänzt mit weicher Gasannahme (Ride-by-Wire) und gut gedämpften Lastwechselreaktionen (Riemenantrieb). Würde man es nicht besser wissen, glaubte man auf einem japanischen Motorrad zu sitzen. Da stellt sich aber zu Recht die Frage: Dieser Cruiser soll in unter zwölf Sekunden über die Viertelmeile ballern? Soll ein richtiger harter Hund, ein böser Fiesling sein? Bis 3000 Touren reißt das Aggregat erst mal keine Bäume aus, drückt eher verhalten. In der Stadt kann man damit leben, zumal es unterhalb von 2000 Umdrehungen manierlich am Gas hängt. Aber um am Ortsausgang ein Auto aufzuschnupfen, steppt man mindestens in den dritten, besser noch in den zweiten Gang. Klar, das ist jammern auf hohem Niveau, denn ab 4000 Umdrehungen ist richtig Leben in der Hütte, geht die Gaudi endlich los.
Der Twin der Victory Octane dreht von da an sehr engagiert und befreit bis zum Drehzahllimit von 8000 Umdrehungen, wuppt dabei zwischen 4500 und 7500 Touren über 90 Newtonmeter an die Kurbelwelle. Das langt locker für entspanntes Cruisen – aber eben auch für einen Rolling-Burnout.
Die Ducati XDiavel S macht in dieser Hinsicht ihrem Ruf alle Ehre. Ihr fantastisches V2-Stakkato kann schon im Stand Wunden heilen, versetzt jeden Trübsal-Blaser in Euphorie. Dank der variablen Ventilsteuerung ist dieser auf 1262 cm³ aufgebohrte Dampfhammer gegenüber dem alten Testastretta-Antrieb etwas zahmer geworden, aber weiterhin kein Kind von Traurigkeit. Das Ansprechverhalten und die Lastwechsel sind nun geschmeidiger, die Laufkultur bleibt aber ein Thema. Allerdings eines, das man als Charakterzug werten kann. Über den gesamten Drehzahlbereich kribbelt der Desmo-Twin alle Körperteile wach. Gut so, denn auf der Ducati XDiavel S muss man immer auf Zack sein. Dieser V2 ist der Inbegriff einer Druckpresse. Sobald die Drehzahl über 3000 Touren liegt und nicht mehr arglos auf dem fetten Riemenantrieb rumgestochert wird, schießt der Italo-Cruiser vorwärts, als verfolge ihn die sizilianische Mafia. Kein Wunder, dass man dem Bike mit Traktionskontrolle, Kurven-ABS und mächtigen Brembo-M50-Bremszangen alles an Technologie und Technik mit auf den Weg gegeben hat, was die Ingenieurkunst so hergibt. Dieser Motor hat so viel Bums, man möchte beim Durchfeuern weinen vor Glück.
Wer das Triebwerk ausdrehen will, braucht entsprechend stramme Nerven, eine Autobahn und besser noch einen Ersatzführerschein. Das Biest zieht und schiebt und schuftet. Bereits bei 4500 Touren liegen 120 Newtonmeter an. Wer das Gas stehen lässt, den schießt die Ducati XDiavel S in eine andere Galaxie. Der Begrenzer setzt der brachialen Beschleunigung erst bei 10.000 Umdrehungen ein Ende. Da stehen im dritten Gang bereits 190 km/h auf dem Tacho. Sicher, genau genommen braucht so was kein Mensch. Aber das gilt auch für Bier und Wein. Doch sind wir mal ehrlich: Mit diesen Dingen kitzelt es einfach mehr an den Ohrläppchen.
Und wie sieht es mit der Fahrdynamik aus? Besser als gedacht. Patzen beide Kontrahenten noch hinsichtlich des Ansprechverhaltens ihrer Federelemente, zeigen sie je mit straffer Dämpfungscharakteristik, dass in ihnen wahrer Sportsgeist steckt. Die nur 254 Kilogramm leichte Octane lässt sich easy wie ein Fahrrad fahren, überfordert zu keinem Zeitpunkt. In Kombination mit dem neutralen Einlenkverhalten und bis zu 32 Grad Schräglage fährt man beschwingt den Pass hinauf, ohne gestresst zu sein. Auf der Victory Octane genießt man das Leben, hat den Duft von Freiheit und Souveränität in der Nase. Was also will man mehr?
Vielleicht 40 Grad Schräglage, einstellbare Upside-down-Gabel und Sachs-Federbein? Dann zurück auf die Ducati XDiavel. Sie bringt mit ihrem fetten 240er-Hinterreifen per se die ungünstigere Peripherie für den flotten Strich mit. Aber wie schon bei vorherigen Tests zeigt sich, dass der von Pirelli extra für die Diavel entwickelte Pneu dank runder Kontur extrem unauffällig bleibt, nur auf löchrigem Asphalt dazu neigt, das Motorrad aufzustellen. Ansonsten fällt die Duc motiviert in Schräglage, lässt sich mit ihren 250 Kilogramm ebenfalls leicht umlegen.
Hightech oder Lowtech, das volle Programm oder Purismus, was knallt mehr? Ohne Frage, die Ducati XDiavel S ist am Ende das aufregendere, schnellere und modernere Bike. Auf ihr ist man zweifelsfrei der Chef im Ring. Und die Victory Octane? Die bietet japanische Qualitätsanmutung, einen drehfreudigen Motor, das bessere Handling, ein dunkles Erscheinungsbild und eine Sitzposition, auf der man es länger als zwei Stunden im Sattel aushält. Mag sein, dass sie nicht ganz so doll prickelt wie die Duc, aber für die 10.000 Euro, die sie weniger kostet, ist selbst die edelste italienische Siebträgermaschine noch ganz locker drin.
Hier sehen Sie einen Auszug der technischen Daten. Wenn Sie die kompletten, von uns ermittelten Messwerte inklusive aller Verbrauchs-, Durchzugs- und Beschleunigungswerte möchten, können Sie den Artikel als PDF zum Download kaufen.