Fahrbericht Speer-Cruiser
Walz-Werke

»Gib Gummi«, dachte sich Herbert Speer und verpaßte seinen Suzis publikumsträchtige Reifen im Druckpressen-Format.

Gelobt sei, was breit macht. Das Glaubensbekenntnis jener Menschen, die der liebe Gott statt nach oben und unten nur nach rechts und links wachsen läßt, findet seit Jahren auch im Motorradlager immer mehr Anhänger. Dick ist schick, und dicker ist schicker. Vor allem bei den Reifen und besonders bei Cruisern. Einbußen dynamischer Natur werden gern in Kauf genommen. Hauptsache, es quillt in der Horizontalen.
Musterbeispiele für diesen Trend entstehen beim Reutlinger Motorrad-Händler und Tuner Herbert Speer. Der suchte sich für seine radiale Fettzellenkur natürlich Produkte seiner Hausmarke Suzuki aus und landete so zwangsläufig bei der VS 1400 und der VL 1500. Zwei Exemplare, die schon ab Werk nicht gerade durch überschwengliche Kurvenfreude glänzen, sondern der behäbigen Art der Fortbewegung zugetan sind.
Doch bei Speer kommt´s noch dicker: Einen knappen Viertelmeter (230/60) breit ist die Walze, die sich auf einer Sieben-Zoll-Felge im Heck der VL 1500 dreht, die 1400er muß sich mit einem 200/70-Format auf Sechs-Zoll-Felge begnügen. Vorne kommt einheitlich ein die Proportionen wahrender 170/80er auf 4,25 Zoll zum Einsatz, der vor dem Umbau im Hinterrad der VS Dienst tat. Gewaltig, zweifelsohne! Doch zuviel des Guten oder nicht?
Daß diese Frage nicht eindeutig zu beantworten ist, liegt an der Speerschen Strategie. Unten dranpacken, oben wegpacken, lautet das Motto. Und das schlägt sich auch im täglichen Umgang nieder. Speziell mit der VL 1500. Diese Mischung aus überbordendem Materialzuwachs unterhalb der Gürtellinie und strikter, nur durch den breiten Lenker eingedämmter Askese radaufwärts steht für eine Fahrdynamik der ganz speziellen Art, die im Grunde genommen schon im Stand beginnt. Die VL 1500 ist nichts für kleine Leute. Auch nichts für Mittelgroße. Die VL 1500 ist, was die Abstände von der zierlichen Sitzbank zu den serienmäßigen Hebeleien angeht, für Riesen maßgeschneidert. Draufsetzen, ausstrecken - und versuchen, beim Start aus der Garage den nicht eben üppigen Lenkeinschlag auszunutzen und das Gartentor zu treffen. Ein Erlebnis der besonderen Art. Aber kein einmaliges. In der Stadt hat man das an jeder Ecke. Linksherum. Rechtsherum geht es noch schlechter, weil der Monsterreifen nur auf einer Felge unterzubringen war, die trotz der modifizierten Schwinge nicht mittig, sondern um zehn Millimeter versetzt eingespeicht werden mußte. Da heißt es drücken, drücken, drücken. Und fluchen. Zurückgeben? Zurückbauen? Was tun? Nichts von alledem! Raus auf die Landstraße. Die andere Seite der VL erleben.
Freilich entwickelt sich die Speer-Suzuki auch außerhalb befestigter Mauern nicht zum Spring-ins-Feld der schnellen Wechselkurven. Sie wird vielmehr zum ultimativen Gradmesser fahrerischen Körpereinsatzes. Ein Einsatz, der sich lohnt, weil er die herkömmlichen Kriterien zweirädriger Fortbewegung in den Hintergrund drängt. Einmal vor Unerbittlichem stehen - und bestehen. Mit der VL in jeder Kurve aufs neue. Sich unter schwierigsten Bedingungen durchsetzen - auf der VL immer wieder spannend. Das befriedigt, macht Spaß, gibt Selbstvertrauen - und generiert zusammen mit den Schlägen ins Kreuz und der sich bei jeder Bremsung fröhlich verwindenden Gabel ein Fahrerlebnis der archaischen Art. So ähnlich muß es gewesen sein, damals, als man aus der Höhle auszog, um das Mammut mit Steinen zu bewerfen. Und trotzdem mit leckeren Steaks heimkam.
Im Vergleich dazu ist ein Ritt auf der 1400er wie Wurzeln mit dem Stock ausgraben. Würdelos. Aber nur für Menschen, die das Stahlbad VL 1500 hinter sich haben. Für alle anderen ist die kleine Speer-Suzuki ein Hingucker, der sich sogar ganz angenehm fahren läßt. Nicht besser als das Original, aber auch nicht so viel schlechter, wie die Bereifung vermuten läßt. Ebenfalls vorn wie hinten unterdämpft, ebenfalls mit wankelmütigen Rahmenrohren und einer Vorderradbremse, die der bescheidenen Wirkung der Ur-VS in nichts nachsteht. Dafür aber aufregender, weil das Bewußtsein mitfährt, etwas Besonderes zu bewegen. Denn genau wie die große glänzt auch die kleine Speer nicht nur mit ihrer üppigen Bereifung und dem kapriziösen Fahrverhalten, sondern auch mit liebevoller Detailarbeit und einer Silhouette, die selbst (oder vor allem?) Motorradunkundige zum Innehalten und Staunen veranlaßt. 18 Posten sind es, die Speer veränderungswürdig fand (Preise siehe Kasten). Dabei reicht die Palette von breiteren Gabelbrücken über die Riser für den Lenker mit innenliegender Kabelführung bis zum Rücklicht der BMW R 1200 C. Das paßt zu dem engsitzenden Kotflügel wie das Henna-Tatoo zum String-Tanga und schließt gekonnt eine Linienführung ab, die mit ihrer Mischung aus Überschwang und vornehmer Zurückhaltung auch jene zu begeistern vermag, die normalerweise die sportliche Demutshaltung bevorzugen.
Nicht gefallen dürfte diesen Leistungsfetischisten, daß der Motor beider Speer-Suzukis unberührt blieb. Jeweils eine TÜV-konforme Schüle-Auspuffanlage montiert, das war´s. Und das ist gut. Denn so gibt es auf die beiden Speer-Suzuki volle Garantie - und es sinkt die Wahrscheinlichkeit, daß die beiden Walz-Werke mehr plattmachen, als gut ist. Für sie und für den Fahrer.

Unsere Highlights

Umbauliste - Eine breite Palette

An beiden Speer-Suzuki wurde richtig umgebaut (Preise ohne Arbeitszeit). Mit den breiten Reifen (650 respektive 790 Mark) allein ist es nicht getan. Bei der kleinen 1400er müssen neue Gabelbrücken (1190 Mark) und ein Bremszangenadapter (130 Mark) her, während bei der VL 1500 die Schwinge geändert werden muß (980 Mark). Dazu kommen die Laufräder selbst, die mit 2980 Mark (VS 1400) und 3500 Mark (VL 1500) zu Buche schlagen. Damit das Ganze richtig knackig aussieht, kommen neue GFK-Kotflügel (jeweils 390 Mark) und andere Sitzbänke (360 Mark) hinzu. Die Sitzbänke können auch aufgepolstert werden. Außerdem neu im Heckbereich: Die BMW-Rücklichter (220 Mark), Schüle-Auspuffanlage (VS 1400: 1390 Mark, VL 1500: 1550 Mark), Koni-Stoßdämpfer an der VS (790 Mark). Die modifizierte Frontpartie setzt sich zusammen aus dem Old-Style-Lenker (150 Mark), den Ochsenaugenblinkern (320 Mark), den Vorderradkotflügeln (190 bzw. 240 Mark), den Doppelscheinwerfern inclusive Halterung (410 Mark) und bei der VS 1400 einem neuen Tank (1190 Mark). Wer die Motorräder lieber gleich komplett kauft, ist mit 29500 (VL 1500) und 28900 Mark (VS 1400) dabei.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023