Fahrbericht Yamaha XVS 1300 A Midnight Star

Fahrbericht Yamaha XVS 1300 A Midnight Star Baby Doll

Mit der 1300er stellt Yamaha der erst vor einem Jahr vorgestellten XVS 1900 eine kleine Schwester zur Seite – mit modifiziertem Rahmen, brandneuem Motor und erstaunlich quirligem Charakter.

Baby Doll Kinrade

Der Fahrtwind streicht angenehm temperiert über das Gesicht, die von den Bäumen unterbrochenen Sonnenstrahlen zaubern einen beruhigend flackernden goldgelb-asphaltgrauen Flickenteppich auf die Straße, die sich die sanften Hänge hinauf- und hinunterwindet. Biker’s Paradise? Ganz sicher, nur jetzt nicht. Denn es fällt schwer, die Ideallinie zwischen den ersten gefallenen Laubblättern anzuvisieren, wenn der Blick von diesen vom Herbst karamellisierten Hügelketten angelockt wird. Indian Summer in den Blue Ridge Mountains in North Carolina.
Ein Ambiente, in dem jeglicher Gedanke an die schnelle Fortbewegung erstirbt, in dem Motorradfahren einzig und allein bedächtigen Genuss bedeutet. Cruisen eben – nur nicht mit einem dieser Motorräder, die für den coolen Auftritt teuer
mit bockigem Handling und eigentümlicher Ergonomie bezahlen. Wohl deshalb präsentiert Yamaha das jüngste Modell des Hauses, die XVS 1300 A Midnight Star,
gerade in diesem Terrain. Damit ist klar, dass die Neue nicht nur für die US-Highways, sondern auch für den netten Trip über die verschlungenen Provinzsträßchen in good old Europe taugen soll.
Auch wenn sich die neue 1300er noch nicht ganz mit ihrem Zusatzjob abgefunden hat. Krrrk, rattern die aufgeschraub-
ten Nippel der Trittbretter schon bei moderater Schräglage über den Asphalt. Selbst schuld. Denn abgesehen von der branchenüblich mageren Schräglagenfreiheit lässt es sich mit der XVS in der Tat ganz anständig durch die Wälder ziehen.
Dafür haben sich die Ingenieure ordentlich ins Zeug gelegt. Angesichts des für 2008 prognostizierten Ablebens der XVS 650 und 1100 Drag Star weitet die 1300er das modernisierte Cruiser-Modellprogramm nach der zu Jahresbeginn vorgestellten 1900er-Midnight Star nach unten aus. Und das mit einem eigenständigen Konzept. Alles wirkt zierlicher, schlanker, weniger schwülstig. Und moderner. Immerhin geht der brandneue Motor als erster Yamaha-Cruiser überhaupt wassergekühlt auf Tour, trägt die Kühlrippen nur als Zugeständnis an das klassische Styling der Zunft – um dahinter ebenfalls mit der Tradition zu brechen. Mit einem auffällig kurzen Hub von 83 Millimetern, einer oben liegenden Nockenwelle, vier reibungsarm über einen Rollenkipphebel betätigten Ventilen, zwei Ausgleichswellen und Benzineinspritzung signalisiert der 60-Grad-V2 (XVS 1900: 48 Grad) im behäbigen Cruiser-Metier den Willen zum beschwingten Leben.
Das gilt auch für den gegenüber der 1900er um 25 Millimeter kürzeren Radstand. Selbst wenn dazwischen gespart wurde. Schwinge und Doppelschleifen-Rahmen bestehen aus Stahl und nicht wie bei der XVS 1900 aus Aluminium. Kein Beinbruch, aufs Pfund kommt es bei der Cruiser-Fraktion nicht an. 283 Kilogramm trocken ergeben vollgetankt etwas mehr als sechs Zentner (XVS 1900: 346 Kilo).
Die Pfunde versteht die 1300er gut
zu verstecken. Krrk, schon wieder rasseln die Trittbretter Funken sprühend über den
Asphalt. Ein gutes Zeichen. Die neue Kleine – vorausgesetzt, man legt die Maßstäbe ihrer Zunft an – mag es, wenn’s um Ecken geht. Das für Cruiser so typische, widerspenstige Einlenken, das ebenso charakteristische Einklappen des Vorderrads in Schräglage – die XVS 1300 gibt sich in
dieser Beziehung williger und unproble-
matischer. Wohl mit ein Verdienst der mit
48 Prozent Last auf dem Vorderrad vergleichsweise frontorientierten Gewichtsverteilung und des zweigeteilten Tanks, von dessen 18,5 Liter Gesamtinhalt immerhin sieben in einem tief unten im Rahmenheck untergebrachten Zusatztank schwappen.
Und es thront sich cruisig. Das Sitz-
kissen ist kommod gepolstert, der breite, nach hinten gezogene Lenker liegt locker in der Hand, hält den Oberkörper in einer angenehm neutralen Position, die Füße
ruhen bequem auf den Trittbrettern. Passt haarscharf und unterscheidet sich sym-
pathisch von den auf Dauer anstrengen-
den, extremen Relax-Sitzhaltungen auf manchen Kolleginnen. Eine Auslegung, die auch der Motor unterstreicht. Zur souveränen Cruiser-Mentalität addiert der 1300er einen bemerkenswerten Schuss Lebendigkeit. Sauber hängt der Kurzhuber am Gas, verkneift sich nervige Vibrationen und verströmt gleichwohl den »big pulse«, diesen satten Schlag eines dicken Vau-Zwo – wenn auch spürbar domestiziert. Übrigens genauso wie der Sound. Mit dem grol-
lenden Donnern ist mittlerweile endgültig Feierabend. Und auf den derzeit gängigen Trick mit der ab Drehzahlmitte öffnenden Klappe im Schalldämpfer verzichten die Yamaha-Techniker.
Trotz kurzen Hubs: Das Reich des Zweizylinders sind die unteren und die mittleren Drehzahlen. Gut so. Die Schaltwippe zwischen dem Dritten und Vierten hin- und herschaukeln, mehr braucht’s auf der Landstraße nicht. Die angegebenen 73 PS reichen locker, um mit dem rechten Handgelenk immer und überall den Wohlfühl-Speed zu justieren. Dazu trägt auch der kultivierte Antrieb bei. Lastwechsel-
reaktionen kennt das Triebwerk kaum, zieht am Kurvenscheitelpunkt blitzsauber und ohne störenden Übergang am Zahnriemen. Und sollte man sich vor Kehren mal verschätzen, kein Problem. Ein Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage ist nicht spürbar. Allerdings verlangt die vordere 298-Millimeter-Doppelscheibe sehr entschlossenes Zugreifen. Doch weil die Bremsscheibe hinten genauso groß dimensioniert ist wie vorne und sich die Radlast bei den niedrigen Cruisern beim Verzögern ohnehin wenig verlagert, bremst der XVS-Treiber bevorzugt hinten. Das reicht.
Der Genuss auf der Landstraße wird zusätzlich von der Federung unterstützt. Was durchaus nicht selbstverständlich ist, weil die lässige Sitzposition den Körper Schlaglöchern normalerweise ohne Chance auf Gegenwehr ausliefert. Mit feinem Ansprechen und komfortabler Abstimmung nimmt die Yamaha-Hinterhand Holperpisten den Schrecken, ohne sich in welligen Kurven unterdämpft aufzuschaukeln. Das kennen die meisten Cruiser-Piloten anders. Zumal die konventionelle, fein ansprechende 41er-Gabel von Kayaba mit dem Heck schön harmoniert.
Aber die XVS 1300 wäre kein Cruiser, wenn es ihr die Highways nicht doch angetan hätten. Dort marschiert sie unbeirrbar geradeaus, lässt sich höchstens von Spurrillen ohne nennenswerte Beunruhigung ein wenig am Vorderrad zerren. Und erst auf der Bahn dringt man in den oberen Drehzahlbereich vor, dreht – wenn’s unbedingt sein muss – bis in den Begrenzer
bei 6600/min. Was nur im vierten Gang gelingt. Der Fünfte ist als Overdrive übersetzt und erlaubt der Midnight Star, auch bei
120 Sachen noch niedertourig zu blubbern. Vielleicht ganz bewusst, schließlich könnte man auf der harmonischen 1300er gelegentlich vergessen, dass Cruisen eigentlich was mit der bedächtigen Art der Fortbewegung zu tun hat.

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