Im Winter bevorzugen Grog-Trinker die handliche 0,7-Liter-Flasche. Chopperfahrer mit Vorliebe für größere Füllmengen greifen in der restlichen Jahreszeit dagegen gern zur Kawasaki VN-15 - die dröhnt auch.
Im Winter bevorzugen Grog-Trinker die handliche 0,7-Liter-Flasche. Chopperfahrer mit Vorliebe für größere Füllmengen greifen in der restlichen Jahreszeit dagegen gern zur Kawasaki VN-15 - die dröhnt auch.
Einige Motorrad-Weisheiten werden besonders gern strapaziert, wenn es um Chopper geht. Die drei abgenudelsten Sprüchen sind erstens: Hubraum ist durch nichts zu ersetzen. Zweitens: Echte Chopper kommen nur aus den USA. Drittens: Nur ein Vau-Zwo-Motor ist ein guter Motor. Wenn dem denn so sein sollte, dürften Chopper-Fans eigentlich nur noch auf der Kawasaki VN-15 unterwegs sein. Denn die wird schließlich vom weltgrößten Serien-Zweizylinder angetrieben, hat die beiden Pötte in der beliebten V-Anordnung und wird in Lincoln/Nebraska - und damit eindeutig in den USA - gebaut. Chopper-Puristen erklären spätestens an dieser Stelle unaufgefordert, woher der Name Chopper eigentlich kommt. Auf die Gefahr hin, daß der geneigte Leser zum 25. Mal mit dieser Geschichte behelligt wird - hier ist sie: »Chopper« ist vom englischen »to chop« abgeleitet - übersetzt heißt das »zerhacken, hauen, spalten«, im übertragenen Sinn steht es für »alles Überflüssige abbauen«. Abschließend wird immer noch gern darauf hingewiesen, daß Chopper grundsätzlich unheimlich individuell zu sein haben und nicht industriell herzustellen sind. Na gut, die Ende 1986 präsentierte Kawasaki Vulcan - so heißt sie weltweit, nur nicht in Deutschland - ist demnach kein Chopper, denn sie schleppt jede Menge Zeug mit sich herum, das zur eigentlichen Fortbewegung nicht zwingend notwendig ist. Das fängt bei der Wasserkühlung an, geht bei der Doppelzündung weiter und hört bei der zahnradgetriebenen Ausgleichswelle und der Gummilagerung des Motors noch nicht auf. Was die Erleuchteten noch viel mehr stört: Die Vulcan/VN-15 kann problemlos von Nicht-Schraubern bewegt werden - Kardanwelle, kontaktlose Digitalzündung, funktionierende Bremsen - igitt, kein echter Chopper! Das müssen die Kawasaki-Verantwortlichen in Deutschland genauso gesehen haben, denn im ersten Verkaufsjahr gab's die VN-15 nur beim Grauhändler.
Die machten ein gutes Geschäft, was aber auch nicht sein durfte. Ab 1988 wurde die VN dann auch offiziell importiert, und das gleich im Doppelpack. Der Kunde konnte zwischen der VN-15, Typ A2, und der VN-15 SE, Typ B2, wählen. »SE« steht für »Special Edition«. Auffälligste Unterscheidungsmerkmale sind die Räder (A2: Gußspeiche, B2: Drahtspeiche), die Sitzbank (zwei-/einteilig), der Tank (16 Liter mit Konsole und Tankanzeige/zwölf Liter ohne Konsole), die Luftfilterkästen (oval/rund), das Vorderradschutzblech (groß/klein) und vor allem die Auspuffanlage (zwei Töpfe rechts/je ein Topf links und rechts). Nicht sofort zu erkennen sind die Unterschiede beim Lenkkopfwinkel (A2: 59 Grad, B2: 57,5 Grad), Nachlauf (128 Millimeter/132 Millimeter) und Radstand (1605 Millimeter/1630 Millimeter). Die B2 ist etwas lauter, die A2 darf dafür zehn Kilogramm mehr zuladen. Bei der Motorleistung herrscht Einigkeit (70 PS), aber bei der Nenndrehzahl (A2: 4500/min, B2: 5000/min) und beim gewaltigen Drehmoment (124 Nm bei 3000/min/128 Nm bei 3000/min) scheiden sich bereits wieder die Geister. Ab 1990 wurde nur noch die VN-15 SE (B4) importiert. Die sechs PS Leistungsverlust wurden durch verschärfte Abgas- und Geräuschbestimmungen erzwungen.
Als nächstes tat sich erst 1994 wieder etwas. Die SE flog aus dem Programm und wurde von der VN-15, Typ C, abgelöst. Das »neue« Modell war nichts anderes als der alte A-Typ mit Drahtspeichenrädern und modifizierter Gabel. Die Leistung betrug fortan 61 PS. Die nächste Modellpflege gibt's 1996 mit der auf E-Glide-Optik getrimmten VN 15 Classic. Größte Stärke der Kawasaki ist der extrem durchzugsstarke Motor. Das Vierganggetriebe reicht völlig aus, ab 30 km/h geht alles im letzten Gang. Die neun PS Unterschied zwischem dem ersten und letzten Baujahr sind praktisch nicht zu spüren. Größter Schwachpunkt sind die Federelemente. Mit etwas Wohlwollen läßt sich die ganz auf Komfort abgestimmte Telegabel noch akzeptieren. Die völlig unterdämpften Federbeine sind dagegen eine Zumutung. Vorn helfen progressiv gewickelte Gabelfedern weiter (zum Beispiel von White Power oder Wirth, zirka 150 bis 180 Mark), hinten sind neue Federbeine fast schon ein Muß (zum Beispiel Koni oder Hagon, ab 400 Mark). Vieles, was an der VN außerdem nervt, hat mit Öl zu tun. Zum Beispiel der hohe Verbrauch von bis zu 1,5 Litern auf 1000 Kilometern. Fast alle Leserzuschriften wissen von ungewöhnlich hohem Schmiermittelverbrauch zu berichten, Werte unter 0,5 Liter sind die Ausnahme.
Kawasaki hält das für normal, die großen Einzelhubräume seien angeblich dafür verantwortlich. Doch wie schaffen es zum Beispiel Automobilhersteller, weitaus leistungsstärkere Motoren mit ähnlich großen Einzelhubräumen (Porsche 944, Dreiliter-Vierzylinder) nahezu ölverbrauchsfrei zu konstruieren? Autokunden würden solche laxen Begründungen jedenfalls nicht akzeptieren. Zweiter Kritikpunkt in Sachen Öl ist die geniale Fehlkonstruktion der Ölstandskontrolle und des Einfüllens. Das Schauglas liegt auf der rechten Seite so versteckt, daß ein Überprüfen bei der hauptständerlosen VN jedesmal zur Zirkusnummer wird. Hobbyschrauber schaffen sich am besten den Original-Kawasaki-Scherenheber an. Der kostet allerdings heftige 680 Mark. Der hilft aber leider auch nicht beim Ölauffüllen, denn die Öffnung liegt nicht waagerecht, sondern senkrecht, das Eingießen wird damit zwangsläufig zur Sauerei. Ärgern wird sich, wer sich die Original-Sturzbügel anschafft. Es dauert nämlich meist nicht lange, bis die unterdimensionierten Halterungen abbrechen. Zubehörteile von Five Stars sind deutlich besser. Vom gleichen Hersteller gibt's auch eine 239 Mark teure Sissybar.
Und die Original-Dunlop-Bereifung ist auch nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluß. Im Trockenen bieten die Gummis noch ausreichenden Grip, bei Nässe werden sie allerdings schnell zum Schmiermittel. Es hat lange gedauert, aber mittlerweile existieren Freigaben für die wesentlich besseren Metzeler-Reifen Marathon Front und ME 88 Marathon (bis 1994). Die Vorderradbremse ist für Chopperverhältnisse recht ordentlich, vereinzelt gab's Beschwerden über rubbelnde Bremsscheiben. Dem Importeur ist davon nichts bekannt, Ursache dürften Gefügeveränderungen im Werkstoff sein, die möglicherweise von untauglichen Zubehör-Bremsbelägen verursacht wurden. Ein allgemein bekanntes Leiden sind rutschende Kupplungen. Das Material wird an der Kontaktfläche zwischen Tellerfeder und Vorspannhülse weggequetscht und reduziert dadurch die Vorspannung. Ab Mai 1994 werden verbesserte Teile verbaut. Probleme mit der Kraftstoffversorgung haben ihre Ursache meist in einem abgeknickten Tankbelüftungsschlauch.
Die Händler wurden darüber im März 1990 informiert. Das Angebot von Leistungsreduzierungen ist üppig und vor allem extrem preiswert. Ob 27, 34, 50 oder über 60 PS - alles ist mit Kawasaki-Freigabe machbar, benötigt werden lediglich zwei Drosselblenden zum Stückpreis von rund fünf Mark plus Einbau. Selbst in der leistungsschwächsten Version fasziniert der Motor immer wieder. Rund 4400 offiziell importierte VN-15 sind in Deutschland unterwegs, die Zahl der Grauimporte ist unbekannt. Gebrauchte unter 6500 Mark sind praktisch nicht zu bekommen, das Gros des Angebots bewegt sich zwischen 10 000 und 12 000 Mark. Egal, ob die VN nun Chopper oder Tourer ist, sie ist jedenfalls die garantiert größtmögliche Pott-Wahl.