Harley-Davidson-Modelle 2016 im Fahrbericht
Bigger twins!

Mehr Dampf im Kessel dank voller 1801 cm³ und düsteren bis klassischen Look bieten die neuen Harley-Davidson Softail-Topmodelle Fat Boy Special und Softail Slim Special. Zusätzlich bekommen auch alle Standard-Softails mehr Power und Ausstattung.

Bigger twins!
Foto: Harley-Davidson

Sie ist längst eine Ikone des Motorradbaus, die Harley-Davidson Fat Boy. Bereits 1990 erschien dieser „erste Cruiser ab Werk“. Wuchtige Scheibenräder, fetter Tank, massige Gabelverkleidung, dicker Scheinwerfer – an dieser Macho-Softail war alles größer, mächtiger. Bereits 1991 setzte ihr Arnold Schwarzenegger in James Camerons Science-Fiction-Spektakel Terminator 2 ein Denkmal: „Ich will deine Kleidung, deine Stiefel und dein Motorrad.“ Der Satz ist Filmgeschichte. Im feisten Sattel der Fat Boy rettete der Terminator die Welt. Ihr Big Twin wuchs mit der Zeit von 1340 cm³ damals auf aktuell 1690 cm³. In der Basisversion.

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Nun, 25 Jahre später und passend zum aktuellen Terminator 5, schließt sich der Kreis. In Barcelona, nicht Los Angeles, lädt Harley-Davidson zum ersten Rollout der neuen Fat Boy S. Sie trägt wie die ebenfalls neue Softail Slim Special den Biggest Twin, den die Company in Cruisern auffahren kann: Screamin’ Eagle-Performance-V2 blieben bislang exklusiv den streng limitierten CVO-Modellen vorbehalten. Nun gibt es zwei Serienmaschinen mit dem XXL-V2: 101,6 statt 98,4 Millimeter Bohrung machen bei identischen 111,1 Millimetern Hub aus 1690 volle 1801 Kubik. Zusammen mit dem Power-Luftfilter eine echte Kraftkur.

146 Newtonmeter bei bloß 4000 Touren

Arnie würde sich sicher darüber freuen: Satte 92 PS statt 79 der weiterhin angebotenen Standardmodelle sind eine Ansage. Vor allem gilt dies für volle 146 Newtonmeter Drehmoment statt bisher 132, bei bloß 4000 Touren. Du stehst in der ersten Startreihe – in Barcelona gibt es ganz vorn an den Ampeln Extraflächen für Motorräder –, und unter dir stampft dieser urwüchsige V2 sein tieffrequentes „Potato, Potato, Potato“. Schon im Leerlauf ahnst du die Potenz dieses Triebwerks. 980, 970, 990 zeigen die Flüssigkristalle im einblendbaren LCD-Dreh­zahlmesser innerhalb des Tachogehäu­ses­. Der Motor schiffsdieselt vor sich hin, läuft smooth und rund.

Alle Softail-V2 sind starr im Rahmen verschraubt, werden von zwei Ausgleichswellen beruhigt. Auch der Twin Cam 110 B mit 110 Cubic Inches. Deswegen bleibt das mächtige Motorrad im Stand komplett ruhig, erzittert nicht. Rot, Gelb – du ziehst an der hydraulisch betätigten Kupplung. Nein, das ist keine „Pussy Clutch“, dieser Hebel braucht Schmackes im Unterarm. Kalonkk! Unerbittlich rastet der erste Gang ein. Grün, nun gilt es! Der fette 200er-Dunlop D 408 krallt sich in den Asphalt, sucht wimmernd nach Traktion. Da geht was. Judgement Day. Schwärme von Rollerfahrern ringsum. Hasta la vista, baby! Logisch gibt es heute viel stärkere Motorradmotoren, 200 PS und mehr, klar ist ein Passat Kombi TDI objektiv besser als ein Chevrolet Camarro.

Bigger Twin dreht freier hoch als Standard-Big-Twin

Doch dieser der T-Rex auf Rädern serviert Urgewalt unnachahmlich archaisch, mit zwei untenliegenden Nockenwellen, vier Stoßstangen und maßkruggroßen Zylindern. Lässig steppst du per Schaltwippe den zweiten und dritten Gang rein, das Sechsganggetriebe rastet hart, aber exakt. Deine Sohlen ruhen auf halbmondförmigen Trittbrettern. Der geschwungene Lenker liegt so perfekt zur Hand, als hättest du selbst Maß gesessen. Und der breite Sattel mit ausgeprägter Sitzmulde bietet reichlich Platz und Komfort. Terminator-Feeling!

Erstaunlich leicht lassen sich die 333 Kilo der Harley-Davidson Fat Boy S durchs Großstadtgewühl dirigieren, trotz Böse-Buben-Image. Hinter der Stadtgrenze hat der fette Junge freien Auslauf. Zwischen 3000 und 4000 Touren ändert er Tonlage und Charakter. Jetzt wird er böse, stampft nach vorn wie ein wilder Stier. Der tut was, der will nicht bloß spielen … „Fast forward“, schreit der Adler! Bei 5000/min liegt volle Leistung an, bei rund 5600 knipst der Begrenzer die Zündung aus. Nur 2300 Mal dreht sich die Kurbelwelle bei Tempo 100. Der Bigger Twin dreht fast freier hoch als die Standard-Big-Twins mit 1690 Kubik!

ABS? Ehrensache, unsichtbar versteckt

So hat der singuläre vordere Vierkolben-Sattel einen aufreibenden Job. Wie der Terminator T-800, alias Arnie. ABS? Ehrensache, unsichtbar versteckt. Viel Feeling, mental wie physisch. Bis dann in den Bergen die ersten Kurven kommen, krrikk, krrakk, krrikk – früh nehmen die Trittbretter Asphaltproben. Doch wenn deren Ausleger aufsetzen, wird der Kurvenradius zementiert, weiter abwinken unmöglich. Also Obacht! Gleiches gilt beim zwölf Kilo leichteren Bobber Softail Slim S mit Speichenrädern. Sein Military-Look zitiert Harleys WLA-Modelle aus dem Zweiten Weltkrieg, die danach massenhaft zu zivilen Bikes umgebaut wurden.

Fürs Cruisen mit 2016er-Softails prädestiniert nun ein Tempomat, die Cruise Control: Fat Boy S, Softail Slim S, Heritage Softail Classic sowie Softail Deluxe erhalten sie serienmäßig, für die anderen Softails gibt es sie optional. Alle Standard-Softails haben nun den „High Output Twin Cam 103 B“ mit fülligerem Drehmomentverlauf dank neuer Luftfilter und Nockenwellen. Der satte Druck der zwei S-Modelle kostet bloß 1200 Euro Aufpreis zu den Basisversionen. Das erscheinen die Biggest Twins locker wert.

Harley Sportster-Baureihe

Harley-Davidson
Goodbye lasche Federelemente, hello Dämpfung: 2016 erhalten alle Sportster 883 und 1200 endlich bessere Gabeln und Federbeine.

Die Sportster kommen in Europa gut an: noch bezahlbar, agil und doch echte Harley-Davidsons, ein Statement auf Rädern, das jeder versteht. 2016 nochmals aufgewertet. Dafür sorgen neue Kartuschen-„Cartridge“-Gabeln mit progressiv gewickelten Federn, ­sowie stufenlos in der Vorspannung ein­stellbare Federbeine mit progressiv gewickelten Federn. Nun erst bieten Sportster sämige Dämpfung und Durchschlagsreserven selbst beim härteren Bremsen und auf Schlechtweg-Strecken. Das zeigt bereits der Babyboomer Iron 883. Sein Fahrwerk ­arbeitet Kanaldeckel und dicke Fahrbahn-Schwellen gut ab, spricht sauber genug an. Ein echter Fortschritt im Fahrverhalten!

V2 lässt Vorbau im Leerlauf erzittern

Das US-Chassis informiert über die Stra­ßenoberfläche, ohne einen darunter leiden zu lassen, kann durchaus überzeugen. Allerdings verwindet die 39er-Gabel bei Betätigung der Einscheibenbremse (neue, schwimmend gelagerte Bremsscheibe!). In der Stadt gibt sich die 900er easy und wuselig, fällt auf schmalem 19-Zöller vorn und 150/80er hinten leicht in Schräglage: Neue Neunspeichen-Gussfelgen mit markant gefrästen Flächen sollen leichter sein, ungefederte Massen reduzieren (mehr Federungskomfort!) und das Handling verbessern.

Im Leerlauf lässt der in Gummielementen gelagerte V2 den gesamten Vorbau erzittern – der Sinn des Bebens. Das macht an. Beim Anfahren kommt die Baby-Harley gut vom Fleck, schön lastwechselarm beim Gas-auf-zu-wieder-auf. Und so ist die 883 tatsächlich ein tolles Stadt-Motorrad. Doch auf Landstraßen wird der Vortrieb zäher, wirken 53 PS und 71 Newtonmeter mit 256 Kilogramm vollgetankt fast untermotorisiert. Hinzu kommt die lange Übersetzung, Tempo 100 sind nur 3250 Touren. Der neue, abgespeckte Sitz und mittig platzierte Fuß­rasten passen wie angegossen. Die wertige Verarbeitung stimmt – mit blechernen Kot­flügeln und ABS. Alles was eine Harley braucht. Sie gibt zum Preis ab 10125 Euro trotz Lowtech einfach ein gutes Gefühl.

2016er-Forty-Eight ab 12.345 Euro

Noch mehr gilt das für die größere Schwester Forty-Eight, einen echten Erfolgstyp: Seit Markteinführung vor fünf Jahren fand sie in Deutschland 6047 Käufer, war meist Harleys Topmodell. Klar reißt ihr 1200er-45-Grad-V2 etwas mehr am pflegeleichten Zahnriemen. Er stemmt ja auch 67 PS und 96 Newtonmeter bei leichteren (!) 252 Kilogramm Gewicht. Da ist Schmackes beim Anfahren dahinter, reichen 2700 Touren im finalen fünften Gang für Tempo 100. Alle Sportster seit 1957 haben vier unten­liegende Nockenwellen. Und auch etwas mehr Literleistung als die Big Twins.

Doch nur die 2016er-Forty-Eight hat zum Preis ab 12.345 Euro eine besonders satt gedämpfte, dicke, verwindungssteife 49-Millimeter-Gabel. Ferner trägt sie leich­tere 16-Zoll-Gussräder. Ergonomisch sind ­ihre weiter vorn montierten Fußrasten und der andere Lenker gewöhnungsbedürftig. Sportster-typisch: mangelhafter Knieschluss am hier nur 7,9 Liter kleinen Winztank und der den rechten Unterschenkel behindernde Luftfilter. Harley sieht die Sportster als Einstieg in die Welt des Customizings, des Individualisierens. 83 Prozent aller Sportster-Käufer kamen neu zur US-Marke. Die meisten werden ihr lange treu bleiben.

Street 750 und Street Bob

Harley-Davidson
Harley-Davidson hat die Kritik an den mangelhaften Bremsen der Street 750 erhört. 2016 soll sie souveräner stoppen. Hinzu kommt eine neue Dyna-Version.

Die Kritik an der in Indien gebauten Harley-Davidson Street 750 in MOTORRAD 8/2015 war deutlich: „schwierig, gefühlvoll zu bremsen, wenn eine Bremsanlage derart stumpf agiert wie diese. Insbesondere die Vorderradbremse der Street 750 verlangt enorme Handkraft für wirkungsvolle Verzögerung. Im Trockenen lässt sich so das Vorderrad zwar kaum überbremsen, aber bei feuchter oder nasser Fahrbahn ist Bedacht angeraten, gerade weil der Michelin Scorcher 11 nicht für grenzenlosen Nassgrip bekannt ist.“ Hinzu kam ausgeprägtes Bremsfading: Im Test ließ die Verzögerung bei ­einer Vollbremsung aus 100 km/h bereits im zweiten Versuch stark nach, bevor die Bremse bei der dritten Bremsung dann wegen Über­hitzung versagte. Das darf nicht pas­sieren! Daher soll Harleys Asia-Bike mit wasser­gekühltem, 57 PS starkem 60-Grad-V2 im neuen Modelljahr mit verbesserter Brems-Hardware punkten: Neu sind Doppelkolben-Schwimmsattel vorn wie hinten, Brems­hebel und -pedal, Bremsbeläge, 300er-Scheiben und -leitungen. Nur ABS ist nicht erhältlich. Und der Preis? Ab 8045 Euro.

Street Bob Special mit flachem, breitem Lenker

Eine wichtige Stütze in Harleys Modellprogramm war bereits kurz nach Aussterben der Dinosaurier die Street Bob. Ihr hochaufragender Ape Hanger-Lenker lässt sie aus der Dyna-Baureihe buchstäblich herausragen. Doch ständige Belüftung der Achselhöhlen scheint nicht allen zu gefallen: Für 2016 bietet die Motor Company eine neue Version des 79-PS-Choppers an, die Street Bob Special. Sie verfügt über einen flachen, breiten Fat Bob-Lenker, der wie seine Riser schwarz lackiert ist. Zudem sollen ihre vorverlegten Fahrerfußrasten für eine relaxte Sitzposition bürgen. Ebenfalls neu ist die schlanke „Badlander“-Sitzbank für zwei Personen nebst Beifahrerfußrasten. Geteilte Freude ist doppelte Freude. Das Factory Custombike rollt auf schwarzen, 19 und 17 Zoll großen Gussrädern. Gefräste Bereiche zieren ihre fünf Doppelspeichen. Ein schwar­zer „Pork Chop“-Luftfilter soll „den düsteren Charakter des Bikes“ unterstreichen. Die Maschine ist für 15335 Euro nur im matten Farbton Black Denim zu haben.

Technische Daten

Harley-Davidson
Zweieiige Zwillinge: Die 1200er auf 16-Zöllern (r.) ist leichter als die 883.
Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023