Ein wahres Kurven-Eldorado bietet die Region rund um den malerischen Ort Ronda in Andalusien mit seiner berühmten Schlucht. Unter südspanischer Sonne fährt man sich hier schwindelig, schraubt sich in kurzer Zeit von Meereshöhe auf 725 Meter empor. Kein Wunder, dass viele Motorradhersteller hier gern neue Modelle präsentieren. Schon die Wahl der Ronda-Runde ist ein Statement: „Unser Fahrzeug kann was!“ In Hunderten Kurven geht’s um Abwinkeln und Aufrichten, Beschleunigen und Bremsen. Das richtige Revier für die Harley-Davidson Street Rod? Kurventanz statt Posen vorm Café oder Cruisen über endlose Highways?
Gar keine echten Harleys?
Nun, für manche Fans war die seit 2014 in Indien 35.000-mal gebaute Street 750 gar keine echte Harley. Hey Folks, aufwachen: Auch KTM und BMW fertigen in Indien, Triumph in Thailand. Und die US-Company ist stolz auf ihr in Eigenregie geführtes Werk auf dem Subkontinent, sorry, Mister Trump. Selbst die seit Oktober 2016 nicht mehr produzierten V-Rod-Typen mit zuletzt 1.247 Kubik stießen ab 2002 zunächst auf Vorbehalte. Sind aber nun Kult. Wie diese haben auch die komplett in Indien montierten Modelle Harley-Davidson Street 750 und Harley-Davidson Street Rod einen wassergekühlten 60-Grad-V2. Er drückt hier in der sportlicheren Variante 71 PS und 65 Newtonmeter.
Video zum Fahrbericht der Harley-Davidson Street Rod
20 Prozent Leistungsplus
Alarmstufe Rod: Dies sind 20 Prozent Leistungsplus und zehn Prozent mehr Drehmoment als bei der Schwester Street 750. Offenbar bedeutet „Rod“ (Stab, Stange) in der Modellbezeichnung ein Vermächtnis. Zudem stemmt die Harley-Davidson Street Rod mehr Spitzenleistung als sämtliche Sportster-Modelle: Die 883er lassen es bei 53 PS, die 1.200er bei maximal 68 PS gut sein. Klar wuchten deren V2-Motoren mehr Drehmoment, sie sind aber auch schwerer und länger übersetzt.
Genügend Punch für Bergaufpassagen
Archaischem Kaltblut-Charakter größerer Harleys stellt die neue „XG 750 A“ wie einst die selige V-Rod Drehzahlen bis 9.000 Touren entgegen. Ja, der ohc-Kurzhuber mit acht Ventilen hat etwas, was den Stoßstangen-Motoren abgeht: gefühlte Leichtigkeit und Spritzigkeit beim Hoch- und Ausdrehen. Der V2 der Harley-Davidson Street Rod wirkt lebendig, verwöhnt mit breitem Drehzahlspektrum. Er läuft rund im Keller, gibt sich elastisch. Verwöhnt zwischen 4.000 und 5.000 Touren mit einer kräftigen Mitte, dreht frei in den Begrenzer. Das wuppt. Genügend Punch für Bergaufpassagen ist’s allemal.
Kupplungs- und Bremshebel nicht einstellbar
Nun, ein Dreiviertelliter Hubraum ist ja auch was! Der modifizierte Motor hängt fein und direkt am Gas. Doppelt ausgeführte Drosselklappen der Street Rod und alle anderen Modifikationen (Luftfilter, Nockenwellen, Auspuff) am „High Output Revolution X“ zeigen Wirkung. Trotz der höchsten Verdichtung aller Harley-Motoren fällt das Bremsmoment beim Gaswegnehmen nicht sehr groß aus. Der V2 gefällt als guter Landstraßen-Motor. Erst in der zweiten Drehzahlhälfte vibriert er spürbar, aber nie störend. Da scheint die Ausgleichswelle wohldosiert zu arbeiten. Tempo 100 liegen laut kleinem Drehzahlmesser im zentralen Rundtacho moderate 3.750 Umdrehungen im sechsten Gang zugrunde. Nur für flotte Überholmanöver muss man in den Fünften zurückschalten. Das Getriebe arbeitet recht unauffällig, nur die Leerlaufsuche an Ampeln fällt ziemlich schwer. Besser dosierbar sein dürfte die Seilzug-Kupplung beim Anfahren. Weder Kupplungs- noch Bremshebel der Harley-Davidson Street Rod sind einstellbar.
4,3 Liter je 100 Kilometer
Beim Laufen im Stand grillt Abwärme des hinteren Zylinders dieses „Verbrennungs-Motors“ die Oberschenkel, vor allem links: Hot Rod! Durchaus amtlich, kernig-dumpf klingt die Harley-Davidson Street Rod. Dies ist wahrlich kein Säusel-Sound … In längeren Rollphasen (Schiebebetrieb) prustet der V2 auch mal herzhaft brabbelnd aus dem schwarz lackierten, verkürzten Schalldämpfer. Dick verblendet sind Edelstahl-Krümmer und großer Kat. Euro 4 lässt grüßen. Löblich: Den Normverbrauch gibt Harley-Davidson mit bescheidenen 4,3 Litern je 100 Kilometer an. Markentypisch wartungsarm und pflegeleicht treibt ein Zahnriemen das Hinterrad an. Merkwürdig unentschlossen wirkt die Sitzposition beim ersten Aufsteigen. Zur Street 750 etwas weiter hinten, „mittschiffs“ platzierte Fußrasten ergeben mit der geraden, fast ungekröpften Drag Bar-Lenkstange eine aufrechte Hab-acht-Sitzhaltung. Selbst bei kleinen Fahrern liegen die Knie eher oberhalb des tropfenförmigen Tanks mit 13,2 Litern Inhalt. Zum Glück gewöhnt man sich rasch daran. Bequem bettet die 76,5 Zentimeter hohe Bank den Po. Suboptimal sind recht hoch und vorn liegende Soziusrasten sowie das Minibrötchen auf dem gechoppten Heck.
Breiter Lenker hilft beim Einlenkimpuls
Im Kurvenkarussell und Winkelwerk weckt das 238 Kilogramm schwere (leichte?) US-Bike Lust an der Bewegung. Fahraktiv segelt die Harley-Davidson Street Rod durch die Kurven. Das Fahrverhalten des neuen Roadsters pushen 43er-Upside-down-Gabel sowie Federbeine mit Ausgleichsbehältern und verspielt wirkenden orangen Federn an der verlängerten Schwinge. Viel moderner als bei der Schwester Street 750. Recht komfortabel absorbieren die neuen Federelemente Fahrbahnunebenheiten, sind nicht unterdämpft. Alle Fahrwerksparameter weisen in Richtung besseres Handling: Lenkkopf steiler, Nachlauf und Radstand kürzer. Linientreu sticht die Sieben-Fünfer durch die Kurven. Und klappt am Ende der kurzen Geraden recht easy in Schräglage ab. Zusätzlich hilft der breite Lenker beim Einlenkimpuls oder bei notwendigen Kurskorrekturen. Der größere 17-Zoll-Hinterreifen und die längeren Federbeine erhöhen die Bodenfreiheit gegenüber der Street 750 von knapp 15 auf über 20 Zentimeter. Das ist viel! Rechts gibt es rund 37, links 40 Grad Schräglagenfreiheit. Dann kratzen die Angstnippel der recht hohen Aluminium-Fußrasten über den Asphalt.
Erhältlich ab 8.465 Euro
Schön rund bis zur Reifenkante rollen speziell für die Street Rod modifizierte Michelin Scorcher „21“ ab. Heißa, da geht was. Leider bieten die Michelins maues Feedback, extrem wenig Gefühl für die Verzahnung mit der Straße. Und dazu noch beschränkte Haftung kalt wie warm gefahren. So bleiben unvermittelte Rutscher nicht aus. War Laufleistung hier wichtiger als Grip? Schade, denn der Hot Rod animiert in der Tat zu flotter Fahrweise, mehr als jede Sportster. Immerhin ermöglichen gängige Reifenformate 120/70 R 17 und 160/60 R 17 besser haftende Alternativen. Den Vorwärtsdrang stoppen drei Doppelkolben-Schwimmsättel vorn und hinten. Sie beißen auf je 300 Millimeter messende, direkt an die Nabe geschraubte Scheiben. Bei der Hardware ist Harley nun in den 90er-Jahren angekommen. Verzögerung und Dosierbarkeit rangieren auf mittlerem Niveau, der Hebel-Leerweg zur Aktivierung der Doppelscheibe vorn ist recht lang. Dies sind immer noch keine Top-Stopper, aber gegenüber den ersten Street 750 mit damals katastrophalen Bremsen vor drei Jahren ein Riesenfortschritt. Zumal heute auch ein offenbar vernünftig abgestimmtes ABS an Bord ist. 8.735 Euro kostet die Street Rod in den Farben Grau und attraktivem „Olive Gold“, alles inklusive. Für „Vivid Black“ (schwarz) sind 8.465 Euro fällig.
Einige schöne Details an Bord
Unterm Strich gibt’s dafür einige schöne Details wie LED-Blinker, lackierte Lampenmaske, Wegfahrsperre mit Alarmanlage und hippe, aber im Stadtverkehr etwas unpraktische Lenkerenden-Spiegel. Geblieben sind ungleichmäßige Grate vorn am Tank, wenig wertige Schraubenköpfe und plumpeste XXXL-Muttern an Schwinge und hinterer Radachse – optimiert für indische Dorfschmiede? Knapp 1.000 Euro Mehrpreis zur Street 750 erscheinen für spürbares Tuning an Motor, Fahrwerk und Bremsen absolut angemessen. Weniger dynamische 883er-Sportster kosten schon über 10.000 Euro. Letztlich fährt die Harley-Davidson Street Rod durchaus anregend. Heiß genug ist sie jedenfalls.