Moto Guzzi California alt gegen neu
California 1400 trifft auf 850 T3 von 1976

Die neue Moto Guzzi California 1400 trifft auf ihre Ahnin, eine 850 T3 von 1976. Beide tragen den verheißungsvollen US-Westküstenstaat im Namen. Was ist sonst noch geblieben, was anders?

California 1400 trifft auf 850 T3 von 1976
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Der Monsieur auf der 1100er-Guzzi Griso fährt fast seinem Vordermann rein, vor lauter Den-Blick-nicht-mehr-abwenden. Und Madame, Besitzerin des Cafés, staunt: „Les Belles“, die Schönen, nennt sie unsere klassisch schwarz-weiß glänzenden Maschinen. Flanierwertung? Bestehen beide Moto Guzzi California mit Bravour. Nicht nur hier am Mittelmeer, bei Marseille, zweitgrößter Stadt Frankreichs. Unsere Gedanken indes tragen uns an den Pazifik. 1970 stellte das Police Department von Los Angeles, der zweitgrößten Metropole der USA, neben Harleys auch die V7 von Moto Guzzi mit dem noch recht jungen V2-Motor in Polizeidienst.

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Moto Guzzi California alt gegen neu
California 1400 trifft auf 850 T3 von 1976
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Für hoheitliche Aufgaben gerüstet durch Koffer, ausladende Scheibe, hochgezogenen Lenker, Einzelsitz, Trittbretter, Zusatzscheinwerfer, Sirene und Funkgerät. Eine Legende war geboren: das amerikanischste aller nichtamerikanischen Motorräder überhaupt. Grundstein für die zivile erste Moto Guzzi California. Sie begründete ab 1971 den bis heute andauernden Mythos. Den ab 1975 die 850 T3 als zweite Cali-Generation fortführte - so wie unser 1976er-Exemplar von Limbächer Classic Motorcycles, das da auf der Strandpromenade vor sich hin knistert. Heute ist sie eine Skulptur in unbunten Farben, ein Gesamtkunstwerk mit verchromten Kotflügeln aus Stahlblech, ein Fels in der Brandung schnelllebiger Zeiten.

Mit riesiger, getönter Scheibe, hoch aufragendem Lenker, Keksdosen von Kunststoffkoffern und Sturzbügelset davor sowie rund um die Zylinder. Kein Zufall, dass Linienführung, Lack und Ausstattung der neuen California 1400 Touring den Vorgänger zitieren.

Die nunmehr siebte California-Generation wahrt 37 Jahre später das Erbe. Mit traditionellem 90-Grad-V2 und Kardan. Nur fällt bei der heutigen Moto Guzzi California 1400, abgesehen vom Windschild, alles eine Nummer größer, martialischer aus als bei der Ahnin. Bis hin zur Chromreling hinterm wesentlich größeren Soziussitz im Luxusjacht-Format.

Zitate von vorgestern in moderne Formensprache gegossen. Dazu zählen Gussfelgen im Speichenlook und das coole Custom-Heck mit LED-Streifen: Rück-, Bremslichter und Blinker in einem. Beide Guzzis lehnen einvernehmlich auf ihren Seitenständern. Klar zum Entern! Gar nicht mal so einfach, die vielleicht längste Seitenstütze der Motorradgeschichte vom Sattel der 850er aus wieder einzuholen. Der ist satte fünf Zentimeter höher, aber auch etwas schmaler und kürzer als das Sitzmöbel der 1400er. Ihr Seitenständer, Guzzi hat dazugelernt, ist leichter zu erreichen. Dafür schüchtert die neue Moto Guzzi California 1400 zunächst durch ihre schiere Größe ein. Sie wirkt noch viel gestreckter, als es tatsächliche 22 Mehr-Zentimeter erklären können.

266 Kilo gegen 345 Kilo

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Generationentreffen bei Guzzis. Die Moto Guzzi California 1400 aus dem Jahr 2013 im Vergleich mit ihrer Ahnin, der 850 T3 aus dem Jahr 1976.

Schlappe 266 Kilogramm wiegt die 850er in vollem Touren-Ornat, satte 345 Kilo dagegen die 1400er. Allrounder gegen gewollt schweren Luxus-Touren-Cruiser aus Mandello del Lario. Eisenzeit gegen Elektronikzeitalter. Nur paradox. Denn mehr Metall bietet ganz klar die leichte alte Moto Guzzi California! Blinkergehäuse, Lampenglocke, Schutzbleche, was hier funkelt, ist auch massiv. Dagegen zeigt die 1400er bei diesen (und anderen) Bauteilen viel verchromtes und lackiertes Plastik. Stilbruch? Beide V2-Motoren sind vor lauter Plaudern ausgekühlt. Auf der 850er heißt es nun, den Choke zwischen linkem Zylinderkopf und Rahmen suchen, von dort führen zwei Züge zu den Starterdüsen. Feinmechanik trifft Feinmotorik.

Beide Benzinhähne offen? Leerlauf drin? Die stabförmigen, schwach glimmenden Kontrollleuchten fallen funzelig aus, die Schalter an den metallischen Lenkerarmaturen fummelig. Die Hände gleiten gelassen zu den Enden des Hirschgeweih-Lenkers.

Start! Der Anlasser summt, die Schwungscheibe rotiert. Bodomm, bodomm, bodomm - noch etwas sprotzelnd läuft der Motor. In beiden keck unterm Tank hervorlugenden Zylindern zündet es. Im Herzen brennt Benzin. Die Strandpromenade erzittert. Die weiße Nadel im grünblau unterlegten Veglia-Drehzahlmesser macht es ihr nach. Fröhlich tickern die Ventile, dumpf bellend beantworten die recht schlanken Auspuffe jeden Dreh am Gasgriff. Das macht an.

Unkapriziös startet die Moto Guzzi California 1400er. Sofern man zuerst die sich selbst einschaltende elektronische Wegfahrsperre deaktiviert: Knöpfchen am Transponder drücken. Endlich, der größte V2 in Guzzis Werksgeschichte, der größte überhaupt aus Europa, zündet. Er basiert auf den bisherigen 1200er-Modellen - mit mehr Bohrung und effektiver Verbrennung dank Doppelzündung. Denn hier stampfen gewaltige 104er-Kolben auf und ab. Nur nicht weit, der Hub ist kaum größer als beim 850er: gerade mal 81,2 zu 78 Millimeter. Im alten Motor rotiert die Lichtmaschine direkt auf dem vorderen Kurbelwellenstumpf, beim neuen hochgesetzt zwischen den Zylindern.

Viel getan hat sich beim Ventiltrieb: Früher rotierte eine zentrale, untenliegende Nockenwelle. Sie steuerte per Stößel, Stoßstangen und Kipphebel lediglich zwei Ventile pro Zylinder. Die neue Moto Guzzi California hat doppelt so viele. Je eine halbhochliegende Nockenwelle pro Zylinderkopf betätigt über kurze Stoßstangen und Kipphebel ein Ventilquartett. Im neuen Motor beatmet nur noch eine zentrale Drosselklappe, rein elektronisch per Ride-by-Wire gesteuert, beide Brennräume drehmomentfördernd über lange Ansaugwege.

Moto Guzzi California 1400 kann 185 Sachen

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Moto Guzzi 850 T3: Ehrwürdige Patina trägt der V2. Auch in Form der 30er-Dellorto-Vergaser.

Synchronisierungsprobleme? Pah, sind von gestern. Genau wie die 30er-Dellorto-Vergaser. Heute spritzt man ein, zündet digital befunkt, entgiftet sein Abgas per G-Kat, von zwei Lambdasonden kontrolliert. Wummernd bassig klingt der 1400er der Moto Guzzi California im Stand. Der Motor schüttelt sich, im Leerlauf zittern die Lenkerenden, die Brille hüpft auf der Nase. Wunderbar. Im Cockpit-Rundinstrument mit riesigen 15 Zentimeter Durchmessern tanzt die Drehzahlmesser-Nadel um das hochinformative Multifunktionsdisplay des Bordcomputers.

Gut gemachte Technologie, digital trifft analog. Weich rückt die heutzutage hydraulisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung aus. Sanft klickt der erste Gang rein. Die Schaltwippe der Moto Guzzi California 1400 ist viel ergonomischer. Ohne den Fuß vom Trittbrett zu nehmen, lassen sich alle noch folgenden fünf Gänge präzise per Hackentrick einlegen. Davon kann Rainer auf der 850er-Cali nur träumen. Zum Schalten muss er mit Nachdruck zutreten: Das Fünfganggetriebe kennt tückische Zwischenleerläufe. Oder vermeldet „neutral“, wenn noch ein Gang drin ist. Einen trainierten Unterarm braucht ihre Seilzugkupplung … Ein Männer- oder Müsli-Motorrad. Kernig, gehaltvoll.

Auch der neue Vau-Zwo neigt das ganze Motorrad beim Gasgeben im Leerlauf wie eh und je spürbar zur Seite - Reaktionsmoment der quer zur Fahrtrichtung rotierenden Kurbelwelle. Einmal in Fahrt jedoch läuft der Schiffsdiesel erstaunlich sanft. Schwingungselastische Aufhängung des Motors in Gummi-Elementen macht’s möglich. Neuland für Guzzi. Genau wie so viel Dampf in einer Cali. Gemessene 96 PS bei 7160 Touren. 185 Sachen würde die bärenstarke Moto Guzzi California 1400 bei Bedarf rennen. Der 850er attestierte DAS MOTORRAD dagegen bereits 1975, dass sie über 150 gegen eine Mauer aus Luft fährt. Und kritisierte mächtigen Zug („Sturm“) hinter ihrer kaum gewölbten Scheibe. Aerodynamik kann die 1400er besser.

Beim historischen Stoßstangenmotor zeigt die „4000“ im Zenit des Drehzahlmessers den Wohlfühlbereich an. Darüber werden die Vibrationen derber, der Vortrieb obenraus zäher. Die Drehfreude des Neuen geht ihm ab. Egal. Denn selten war Motorradfahren beruhigender. Freiwillig 80 oder 90 fahren, voll genießen. Alles sehen, alles riechen, alles fühlen. Das Ziel ist der Weg. Gilt ähnlich auch an Bord der Moto Guzzi California 1400. Bis 3500 Touren läuft der Maxi-V2 seidenweich. Erst darüber pulsiert er sanft. Nervig, dass dann auch die mechanischen Geräusche aus Kardan und Getriebe dominieren, nicht der Auspuffsound. In Fahrt klingt die Alte besser. Sie darf das auch.

Geradeaus geht auf der 850er alles schwerer - Kuppeln, Schalten, der schwergängige Gasdrehgriff. Doch in engen Kurven und Kehren ändert sich das Bild. Da fährt die 80 Kilogramm leichtere 850er auf ihren Spaghetti-Reifen Kreise um die Moto Guzzi California 1400. 4,10 Zoll, ganze 10,4 Zentimeter breit sind die historischen Reifen, vorn und hinten identische 18-Zöller. Sie sind auf bildschöne Speichenräder mit Borrani-Hochschulterfelgen gezogen. Schmal macht handlich und braucht bei gleichem Tempo weniger Schräglage. Aus jedem Kreisverkehr, und davon gibt es in Südfrankreich viele, ist Oma Cali schon wieder raus, wenn die XXL-Enkelin Gerade mal richtig drin ist.

Mehr Feeling, weniger Masse ist das Motto der T3

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Moto Guzzi California 1400: Den größten V2 in Guzzis Werksgeschichte krönen vier Ventile und raffinierte Schlitze in den Zylinderdeckeln.

Tribut an einen 130er-Reifen vorn und die 200er-Heckwalze sowie an immense 1,68 Meter Radstand der Moto Guzzi California 1400, die flach angestellte Gabel und den langen Nachlauf. Erstaunlich, wie neutral der Brummer in Schräglage bleibt. Obwohl die Trittbretter eher aufsetzen als jene der 850er. „Mehr Feeling, weniger Masse ist das Motto der T3. Ihr Fahrwerk ist wirklich ein feines für Mitte der 70er-Jahre. Stammte ja auch vom unverkleideten Tourer T3 ab. Mit dem damals brandneuen Tonti-Rahmen der Sportmodelle.

Komfortabel, doch ohne unterdämpftes Geschaukel folgen die klassischen Federelemente (hinten Konis!) dem Fahrbahnrelief. Der Oldtimer bleibt schön spurstabil auf Kurs. Gilt noch mehr für die Moto Guzzi California 1400 mit mächtiger 46er-Gabel und ellenlanger Schwinge. Und erst ihre eingebaute Sicherheit: Traktionskontrolle und Antiblockiersystem serienmäßig. Beides war 1975 noch nicht erfunden. Für so wirkungsvolle und fein dosierbare, radiale Vierkolbenstopper hätte man seinerzeit einiges gegeben. Da ist Moto Guzzis Mitte der 70er innovatives Integralbremssystem nur ein schwacher Trost.

Das Pedal der 850er bedient die Scheibe links vorn mit. Es ist plump dosierbar, weil dafür der Fuß hochgenommen werden muss. Die verbleibende rechte Einzelscheibe ist zahnlos. Ergonomisch wirkt die Moto Guzzi California 1400 entspannender. Mit weiter ausgestreckten Beinen und besserem Kontakt zum Tank, die Knie nicht so merkwürdig hoch wie an der 850er. Rein funktional kann die Neue vieles besser. Emotional hat die Alte mehr Charme, ist authentischer, erlebnisintensiver. Man muss sich mehr in sie hineindenken, kann mehr mit ihr verschmelzen. Die 1400er-Cali läutet eine neue Epoche bei Moto Guzzi ein, obwohl die Marke monomotorisch weiterhin bloß ein Motorenkonzept hat. War die 850er noch ein klassisches, ja sportives Touren-Motorrad, attackiert der aktuelle Touren-Cruiser 2013 frontal Harley-Davidson. Es ist eine Frage des Stils.

Fazit

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Moto Guzzi 850 T3 von 1976 und California 1400 aus dem Jahr 2013.

Nur auf den ersten Blick macht die Neue auf alt. Die Moto Guzzi California 850er war ein klassisches Touren-Motorrad, handlich, sportiv-leicht und fahraktiv. Dagegen ist die Moto Guzzi California 1400 ein schwerer, technoider Touren-Cruiser mit starkem V2 und viel Ausstattung.

Technische Daten

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Moto Guzzi 850 T3 von 1976 und California 1400 aus dem Jahr 2013.

Moto Guzzi California 1400

Luft-/ölgekühlter 90-Grad-V-Zweizylinder, 1380 cm3, Bohrung x Hub 104,0 x 81,2 mm, vier Ventile je Zylinder, Verdichtung 10,5:1, 71 kW (96 PS) bei 6500/min, 120 Nm bei 2750/min, Einspritzung, Sechsganggetriebe, Kardan, Doppelschleifenrahmen aus Stahl, Telegabel 0 46 mm, zwei Federbeine, 20,5-Liter-Tank, drei Scheibenbremsen (vorn Vierkolbensättel), ABS, Traktionskontrolle, Reifen 130/70 R 18 und 200/60 R 16, Gewicht 345 kg, Preis 19600 Euro

Moto Guzzi 850 T3

Luftgekühlter 90-Grad-V-Zweizylinder, 844 cm3, Bohrung x Hub 83,0 x 78,0 mm, zwei Ventile je Zylinder, Verdichtung 10,2:1, 43,4 kW (59 PS) bei 6900/min, zwei Dellorto-Vergaser (0 30 mm), Kontaktzündung, Fünfganggetriebe, Kardan, Doppelschleifenrahmen aus Stahl, Telegabel, zwei Federbeine, 22,5-Liter-Tank, drei Scheibenbremsen (vorn Zweikolbensättel), Verbundbremssystem, Reifen vorn/hinten 4.10 H 18, Gewicht 266 kg, Preis 9260 D-Mark plus Nebenkosten (1975)

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Erscheinungsdatum 26.05.2023