Neuheit Ducati XDiavel und XDiavel S
Von Grund auf neu

Der extravaganten Diavel stellt Ducati die noch extremere Ducati XDiavel zur Seite. Und die ist keineswegs eine Variation zum Thema, sondern ein von Grund auf neues Motorrad – und was für eins.

Von Grund auf neu
Foto: Ducati

Cruiser? Niemals! Als die Diavel 2011 auf den Markt kam, zuckten die Ducati-Manager vor diesem Wort zurück wie der Teufel vor dem Weihwasser – was durchaus passte, denn „Diavel“ ist Bologneser Dialekt und heißt Teufel. „Don’t call me Cruiser“, ließen die Italiener ihre Diavel in interna­tionalen Werbespots heiser raunen; als Muscle-Bike wollte sie verstanden werden, als Hightech-Sportler der anderen Art. Doch die Zeiten ändern sich. Freudig überrascht vom großen Erfolg der Diavel – sie verkaufte sich in Europa bislang 13.000 Mal, in den USA über 5000 Mal –, setzt Ducati mit der XDiavel nun ein noch extremeres Konzept in die Motorradwelt, das diesmal ganz offiziell auf den Namen Cruiser hört.

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Neuheit Ducati XDiavel und XDiavel S
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Motor und Design

Selbstredend erfüllt die neue Ducati XDiavel sämtliche Kriterien des Segments, ist mit einem Radstand von 1,615 Metern ellenlang und mit 75,5 Zentimetern Sitzhöhe fast däumlingsniedrig, setzt standesgemäß auf vorverlegte Fußrasten und Zahnriemenantrieb statt Kette. Mit ihrer aufregenden Optik und dem ultrastarken Motor übertrifft sie übliche Cruiser-Ansprüche. Die extremen Abmessungen verbinden sich zu klaren, kühnen Linien, dank des vertikal statt horizontal montierten Wasserkühlers bleibt das Motorrad vorn vergleichsweise schmal. Mit dem kurzen Heck, der schlanken Taille, der massigen Schwinge und dem dicken Motor als Blickfang wirkt die Ducati XDiavel wie eine Mischung aus Arnold Schwarzenegger und George Clooney – muskulös und geschmeidig zugleich.

Hochwertige Werkstoffe und ein makelloses Finish ziehen selbst des Cruisens bislang unverdächtige Sportfahrer in ihren Bann, zumal die technischen Daten eine deutliche Sprache sprechen: 156 PS leistet der Desmo-V2 mit variabler Ventilsteuerung. Der Motor der Ducati XDiavel ist im Prinzip bereits aus der Multistrada 1200 bekannt, bekommt für seinen neuen Verwendungszweck aber mehr Hubraum – nämlich 1262 cm³ – und einen krassen Antritt: Bereits bei 5000/min erreicht er das maximale Drehmoment von knapp 129 Newtonmetern, 100 liegen sogar schon bei 2100/min an. Im Vergleich zur Diavel bleibt angesichts dieser extremen Auslegung ein wenig Spitzen­leistung auf der Strecke, doch das juckt wohl niemanden.

Der Motor der Ducati XDiavel steht auch beim Design im Mittelpunkt. Dank der neu positionierten Wasserpumpe (siehe Interview) verschwanden alle Schläuche und Abdeckungen. „Wir vom Design haben diesen ganzen Ab­deckungen ohnehin den Krieg erklärt“, erklärt Chefdesigner Gianandrea Fabbro lachend. „Eine so schöne Mechanik wie die unseres V2-Motors darf man nicht verstecken, sondern muss sie betonen.“

Fahrdynamik und Ausstattung

Die neue Ducati XDiavel verheißt fast schon sportliche Bodenfreiheit: 40 Grad Schräglage soll sie ermöglichen, ohne dass Anbauteile schleifen oder Funken sprühen. Auch die Ergonomie soll die Auslegung als dyna­mischen Techno-Cruiser, wie die Entwickler ihre XDiavel definieren, widerspiegeln: „Klar, die Sitzposition entspricht natürlich einem Cruiser“, sagt Produktmanager Stefan Tarabusi. „Aber sie ist nicht extrem, sondern erlaubt immer noch eine sehr gute Kontrolle des Motorrads.“ Die Fußrasten lassen sich serienmäßig um 22,5 Millimeter nach vorn oder hinten versetzen. Fahrdynamisch können die Entwickler den nach vorn versetzten Fußrasten sogar einen gewissen Vorteil abgewinnen: „Anders als bei unseren Sportlern kann sich der Fahrer beim Beschleunigen nicht auf den Fußrasten abstützen“, erklärt Projekt­ingenieur Eugenio Gherardi. „Er wird in den Sitz gedrückt, ähnlich wie bei einem Sportwagen, was dazu führt, dass er Fahrtwind und Beschleunigung deutlich mehr spürt, ein wirklich emotionales Erlebnis.“ 

In Sachen Ausstattung und Assistenzsysteme präsentiert sich die Ducati XDiavel voll auf der Höhe der Zeit. Ride-by-Wire und ABS sind bei Ducati längst selbstverständlich, ebenso eine einstellbare Traktionskon­trolle. Es gibt drei Fahrmodi, von denen der sanfteste namens Urban die Leistung auf 100 PS limitiert. Neu im Vergleich zur Diavel sind das einstellbare Kurven-ABS und der Tempomat. 

Ein im wahrsten Sinn des Wortes mitreißendes Zusatzvergnügen ermöglicht der kleine DPL-Schalter (Ducati Power Launch) am Lenker. Einfach an der Ampel den Knopf drücken, ersten Gang einlegen, Gas aufreißen, bei Grün die Kupplung kommen lassen – und die Ducati XDiavel legt los wie eine Wilde, kombiniert maximal mögliche Power mit passender Traktionskontrolle, leicht abhebendes Vorderrad inklusive. „Unbegrenzt kann man das aber nicht machen,“ erklärt Projektingenieur Eugenio Gherardi schmunzelnd, „das würde auf Dauer doch die Kupplung ruinieren.“ Im schärfsten der drei wählbaren Power Launch-Modi sind daher nur drei Vollgasstarts hintereinander möglich.

Ducati XDiavel S für 3000 Euro Aufpreis

Noch exklusiver als die Ducati XDiavel gibt sich die Ducati XDiavel S. Für 3000 Euro Aufpreis glänzt sie mit noch aufwendigerem Finish, darunter Räder mit zwölf auffällig geformten Speichen, die an der Außenseite der Felgen verankert sind. Dazu kommen das erste Tagfahrlicht des Hauses, eine DLC-Beschichtung der Gabelgleitrohre und Brembo-Monobloc-Bremsen vorn. Ihre Alu-Schwinge ist eloxiert und gebürstet, die Zahnriemenabdeckung besteht aus Aluminium, ein Bluetooth-Modul sorgt für die Verbindung von Smartphone und Cockpit. Die XDiavel gibt es nur in Mattschwarz, die Variante S in Schwarzglänzend mit entsprechend lackiertem Motorblock.

Ob und wie sich die neue Ducati XDiavel auf die erfolgreichen Verkaufszahlen der Diavel auswirkt, weiß allerdings niemand. „Dynamisch und cool sind beide,“ meint Produktmanager Stefano Tarabusi. „Wir glauben, dass jede ihr Publikum finden beziehungsweise behalten wird.“ Doch warum heißt die Neue nun XDiavel, wo sie doch mit der Diavel im Endeffekt gar nicht so viel gemein hat? „Über den Namen haben wir lange diskutiert“, bekennt Tarabusi. „Im Gespräch war auch eine völlig neue Bezeichnung.“ Doch weil die Diavel nun mal Wegbereiterin und Inspiration für die Neue sei, bleibe sie Namensgeberin. „Das X hat uns gefallen, weil es alles Mögliche bedeuten kann“, ergänzt Chefdesigner Gianandrea Fabbro, „von der Unbekannten in der mathematischen Gleichung bis hin zum Symbol für eine Verbindung.“ Im Fall der Ducati XDiavel jene zwischen hochtechnologischen Sportmotorrädern und Cruisern – und die scheint durchaus gelungen.

Giuliana Casadei
Irgendwie ähnlich, aber doch ganz anders: hier die teuerste Variante der Diavel, ...

Die Diavel stand Pate bei der Geburt der XDiavel. Und so gibt es einige Gemeinsamkeiten: von der generellen Design-Linie mit dem hohen Heck über das Sechsganggetriebe mit identi­scher Übersetzung bis hin zum fetten 240er-Hinterreifen.

Ducati
... und hier die Basisversion der neuen Ducati XDiavel.

Größter optischer Unterschied: Bei der Ducati XDiavel steht der Motor im Mittelpunkt, bei der Diavel das Fahrwerk und der Rahmen.

Interview

„Wohin bloß mit den Fußrasten?“

Breutel
Der gebürtige Niederländer Bart Janssen Groesbeek ist seit mehr als 14 Jahren Mitglied des Design-Teams von Ducati. Neben der neuen XDiavel stammt auch die Diavel im Wesentlichen aus seiner Feder.

 ?  Ducati Diavel und Ducati XDiavel wirken auf den ersten Blick ähnlich, sind aber doch ganz anders. Welche Unterschiede sind Ihnen besonders wichtig?

 !  Die Diavel war unsere erste Annäherung an die Cruiserwelt, eigentlich ist sie ein Streetfighter mit langer Schwinge. Diesmal sollte es ein hundertprozentiger Cruiser werden. Rahmen und Schwinge sind kürzer, den Motor haben wir nach hinten versetzt, was dem Schwerpunkt zugutekommt. Entscheidend ist die neue Position der Wasserpumpe. Die saß bislang auf dem Deckel der Lichtmaschine, weshalb auf der linken Seite des Motors Schläuche und Kabel verliefen. Das hätte diesmal gestört, denn im absoluten Mittelpunkt steht bei der Ducati XDiavel der Motor. Jetzt sitzt die Wasserpumpe im V zwischen den beiden Zylindern, die Schläuche verlaufen innen.

 ?  Haben Sie von Anfang an ein mögliches Customizing mit einbezogen?

 !  Ja. Anders als bei der Diavel, bei der die einzelnen Komponenten ineinander übergehen, sind bei der XDiavel Teile wie der Stahltank, Schwinge oder Sitzbank klar voneinander abgegrenzt. Das macht ein Customizing einfacher.

 ?  Gab es besondere Probleme?

 !  Der Zahnriemenantrieb war eine Herausforderung. Wir haben eine dreigeteilte Einarmschwinge entwickelt: oben Gitterrohr, unten Guss, in der Mitte Schmiedeteile, die lassen sich für die Wartung aufschrauben. Und dann waren da die vorverlegten Fußrasten, für uns ja echtes Neuland. Irgendwann haben wir uns gefragt: Wohin bloß mit denen, wo kann man die verankern? Am Ende haben wir eine Extra­strebe eingebaut, darauf sitzen sie jetzt.

Michael Pfeiffer über die XDiavel

Ducati
Ducati-Chef Claudio Domenicali führt uns die neue Ducati XDiavel S höchstpersönlich vor. Sie ist die erste Ducati mit Riemenantrieb.

Es ist schon eine gute Tradition: Ducati lädt MOTORRAD zu einem ersten Eindruck ihrer neuesten Maschinen ein. So geschehen jetzt auch mit der brandneuen Ducati XDiavel. Der Techno-Cruiser wurde dabei vom Chef höchstpersönlich präsentiert.

Ducati
Ducati-Chef Claudio Domenicali erklärt MOTORRAD-Chef Michael Pfeiffer die neuen Schaltereinheiten, die nun rot beleuchtet sind

Blauer Himmel, klare Luft, ein bullig vor sich hin schnaufender 1300er-Desmo-V2: Die Welt kann so schön sein. Doch halt: Ich darf sie nicht fahren, denn die Weltpräsentation für die Journalistenkollegen fand noch nicht statt, und man kann ja MOTORRAD nicht so bevorzugen. Für mich gibt es also eine andere Maschine. Macht nichts. Denn Claudio Domenicali fährt vor mir und lässt die neue 1300er mit den weit vorne liegenden Fußrasten flott um die glibberigen Ecken fliegen. Mutig, mutig denke ich – das Thermometer zeigt nur schmerzende vier Grad an – aber wenn sich einer hier in den Bergen südlich von Bologna auskennt, dann ist er es. Also nichts wie hinterher, auch wenn sein fettes 240er-Hinterrad dicke Salzstaubwolken aufwirbelt.

"Noch nie lief unser V2 so weich"

Was auffällt: Die neue Ducati XDiavel klingt kräftig, aber dezent. Die Zeiten, in denen eine Ducati krawallig durch die Gassen hämmert, sind definitiv vorbei. „In der Auspuffanlage steckt viel Know-how, mit ihr haben wir dieses fantastische Drehmoment hingekriegt.“ Domenicali ist begeistert von der Arbeit seiner Ingenieure und schwärmt geradezu vom feinen Ansprechverhalten und Druck aus dem Keller. „Der Zahnriemenantrieb ist für uns eine neue Welt.“ referiert er. „Endlich konnten wir das Antriebsspiel reduzieren, Du wirst es schon nach den ersten Metern merken, noch nie lief unser V2 so weich und mit so geringen mechanischen Geräuschen.“

Wir brausen weiter und Domenicali macht klar, dass auch die längste und flachste Ducati aller Zeiten eine echte Ducati bleibt. Immerhin leistet auch der neue Euro4-Motor satte 156 PS bei vergleichsweise geringen 247 Kilogramm Fahrzeuggewicht, was aus einem Cruiser natürlich bei entsprechender Fahrweise ein ziemlich schnelles Geschoss macht. So gesehen ist die Ducati XDiavel einzigartig im Markt.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023