Mit endlichen Mitteln Unendliches schaffen, diese Erkenntnis Wilhelm von Humboldts passt auf Harley-Davidsons Modellpolitik.
Mit endlichen Mitteln Unendliches schaffen, diese Erkenntnis Wilhelm von Humboldts passt auf Harley-Davidsons Modellpolitik.
Die Einheit in der Vielfalt entdeckte der liberale preußische Bildungsreformer, Humanist und Staatsmann Wilhelm von Humboldt (1767-1835) nicht nur in der Natur, sondern auch in der Sprache. Ihr gelingt es, mit einer überschaubaren Anzahl von Buchstaben und einer endlichen Menge von Wörtern einen ganzen Kosmos von Gedanken abzubilden. Ähnliches beobachten wir beim Geschäftsmodell von Harley-Davidson. Die Amerikaner schaffen es immer wieder, mit neuen Kombinationen vorhandener Teile sowie Rückgriffen auf die eigene 107-jährige Geschichte neue Modelle zu entwickeln, mit denen sich Kundschaft locken lässt.
So geschehen auch mit der jüngsten, schlicht Forty-Eight genannten Kreation. Im Grunde ihres (luftgekühlten) Herzens ist sie nämlich eine 1200er Sportster, welche mit aufs Nötigste reduzierter Ausstattung, dickem Vorderrad, schmalem Lenker, vermeintlich fehlendem Rücklicht, viel Schwarz und niedriger Sitzhöhe auf Bobber gestylt wurde. Bobber wird in Langgabler-Kreisen die Stilrichtung genannt, bei der Bikes auf die Optik der Nachkriegszeit getrimmt werden. Und es funktioniert, die Forty-Eight - kurz, flach, gedrungen - macht an, schon im Stand.
Ihren Namen verdankt sie dem wichtigsten und gleichzeitig fragwürdigsten Attribut, dem nur 2,1 Gallonen (7,95 Liter) fassenden Peanut-(Erdnuss-)Tank genannten Benzinbehältnis. Eben dieser Tank begann seine Karriere 1948 als Treibstofflager der Harley-Davidson S 125. Und eben diese war nichts anderes als ein Nachbau der DKW RT 125, deren Konstruktionspläne als Reparationsleistung zu den Amis kamen.
Die Optik des Winzlings kann überzeugen, bei der Funktionalität hingegen kommen leichte Zweifel auf. Bei einem Verbrauch von 5,1 Litern Super geht bereits nach rund 120 Kilometern die Reserveleuchte an, nach spätestens 30 weiteren Kilometern heißt es dann schieben. Der Fahrer ist aber durchaus froh über die Pause. Die auf den ersten Metern so coole klappmesserartige Sitzposition auf der 705 Millimeter niedrigen und dünn gepolsterten Solo-Sitzbank verkehrt sich nach kurzer Zeit ins Gegenteil. Wie festgenagelt sitzt man, die Füße weit vorn auf den breiten Rasten, die Hände ebenfalls weit weg am nicht zu breiten Lenker. Alsbald meldet sich schmerzhaft das Sitzfleisch.
Bis es aber soweit ist, bastelt sich der Bobberist aus endlichen Mitteln wie dem Blubbern des V-2, dessen wohligen Vibrationen, den gewaltigen Klonks des Fünfganggetriebes und den Stößen des durch extrem kurze Federwege (vorne 92, hinten 54 Millimeter) gehandicapten Fahrwerks unendliche Beat-Variationen. Wobei der Schwerpunkt klar bei Blues oder Rock n Roll liegt, je nach Stimmung. Wie bei Harley üblich, sind auch bei der Forty-Eight technische Highlights wie die hinteren Blinker, die auch die Funktion von Rück- und Bremslicht übernehmen, sowie Gruseligkeiten wie Schrauben aus der Landmaschinenkiste bunt gemischt.
Im Alltag verlangt die Forty-Eight Kompromissbereitschaft: Die unterhalb des Lenkers angebrachten Spiegel erfordern penibles Einstellen, will man den rückwärtigen Verkehr anstelle der eigenen Knie sehen. Außerdem stört die beschränkte Schräglagenfreiheit der Forty-Eight. Aufgrund der kurzen Federwege fräsen bereits bei mäßigen Schräglagen die Fußrasten Furchen in den Asphalt. In Rechtskurven sollten möglichst keine Bodenwellen auftauchen, sonst sorgt der unnachgiebige vordere Auspufftopf für unerwünschten Einfluss auf die Linienwahl und erhöhten Adrenalin-Ausstoß.
Doch Harley-Jünger sind in der Regel geruhsame Zeitgenossen, auch wenn sich die Forty-Eight bei Bedarf zu immerhin 190 km/h aufschwingt. Jenseits der 120 km/h hat der Spaß aber ein Ende, ab da führen über den Lenker oder Bodenwellen eingeleitete Impulse zu deutlichem Rühren im Gebälk. Kurvige Straßen hingegen nimmt die kleine Schwarze, ebenen Belag vorausgesetzt, gelassen unter die breiten Räder. Auf schlechtem Terrain hingegen sind die Federelemente schnell mit ihrem Latein am Ende. Und Bremsen? Hat sie, und sie verzögern auch. Das reicht.
So wird auch die Forty-Eight auf ihre Art Humboldt gerecht: Mit endlicher Funktionalität denen, die bereit sind, sich darauf einzulassen, unendlichen Fahrspaß bereiten. Der muss mit 10395 Euro nicht einmal übermäßig teuer bezahlt werden.
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Motor:
Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-45-Grad-V-Motor, vier untenliegende, zahnradgetriebene Nockenwellen, zwei Ventile pro Zylinder, Hydrostößel, Stoßstangen, Kipphebel, Trockensumpfschmierung, Einspritzung, Ø 45 mm, ungeregelter Katalysator, Lichtmaschine 405 W, Batterie 12 V/12 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, Zahnriemen, Sekundärübersetzung 30:68.
Bohrung x Hub 88,9 x 96,8 mm
Hubraum 1202 cm3
Verdichtungsverhältnis 9,7:1
Nennleistung 49,0 kW (67 PS) bei 5700/min
Max. Drehmoment 98 Nm bei 3200/min
Fahrwerk:
Doppelschleifenrahmen aus Stahl, Telegabel, Ø 39 mm, Zweiarmschwinge aus Stahl, zwei Federbeine, verstellbare Federbasis, Scheibenbremse vorn, Ø 292 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Scheibenbremse hinten, Ø 292 mm, Einkolben-Schwimmsattel.
Speichenräder mit Stahlfelgen 3.00 x 16; 3.00 x 16
Reifen MT 90 B16; 150/80 B16
Bereifung im Test Dunlop D 401/402
Maße und Gewichte:
Radstand 1520 mm, Lenkkopfwinkel 60,0 Grad, Nachlauf 119 mm, Federweg v/h 92/54 mm, Sitzhöhe* 705 mm, Gewicht vollgetankt* 256 kg, Zuladung* 198 kg, Tankinhalt 8,0 Liter.
Garantie zwei Jahre
Service-Intervalle 8000 km
Farben Schwarz, Silber, Orange
Preis 10395 Euro
Nebenkosten zirka 350 Euro
Messwerte:
Fahrleistungen:
Höchstgeschwindigkeit(Herstellerangabe)
190 km/h
Beschleunigung
0-100 km/h 5,2 sek
0-140 km/h 10,2 sek
Durchzug
60-100 km/h 5,8 sek
100-140 km/h 6,9 sek
140-180 km/h 11,1 sek
Tachometerabweichung
effektiv (Anzeige 50/100) 48/97 km/h
Verbrauch
Landstraße 5,1/100 km
Theoretische Reichweite 156 km
Kraftstoffart Super
* MOTORRAD-Messungen