Von der Spannkraft ihres inhaltsstarken Motors beflügelt, durchstreift die Kawasaki VN 1500 Classic lässig die Weite des Raums.
Von der Spannkraft ihres inhaltsstarken Motors beflügelt, durchstreift die Kawasaki VN 1500 Classic lässig die Weite des Raums.
Die Frage, ob es etwas mehr sein darf, wird bei Kawasaki seit jeher freudig bejaht: mehr Biß bei den Zweitaktern den frühen Jahre, mehr Leistung bei den ersten Viertakt-Vierzylindern und - was Wunder - mehr Hubraum beim großen V2-Choppertriebwerk, das, in seinen Grundzügen mittlerweile 10 Jahre alt, mit 1,5 Litern Arbeitsvolumen nach wie vor eine Ausnahmestellung innehat.
Mehr Hubraum ist besser als viel Hubraum - diese viel zitierte Regel des Motorenbaus hat manches für sich, stößt aber an Grenzen, wenn die Zylinderzahl nicht mit der Weite des Raums schritthält. Der VN 1500 Classic-Motor ist so ein Grenzfall: Nur zwei Töpfe, die aufgrund des Zylinderwinkels von 50 Grad in unregelmäßigen Abständen unter Verbrennungsdruck geraten, wehren sich gegen geschmeidigen Rundlauf bei niedrigen Drehzahlen. Es sei denn, man hilft ihnen, wie beim VN 1500-Motor geschehen, mit gehörigen Schwungmassen über die Runden: Ein fetterer Lichtmaschinenrotor verleiht dem Kurbeltrieb - verglichen mit dem VN 15-Triebwerk - 25 Prozent mehr Schwungkraft.
Was in der Praxis nachzuvollziehen ist. Die VN 1500 tuckert rund mit niedrigem Ruhepuls und läßt sich im großen Gang mit behutsamer Gashand ab Tempo 60, mit rücksichtsloser Gashand ab etwa 80 km/h beschleunigen, ohne daß der Motor unwillig an seinen Aufhängungspunkten rüttelt. Auch die mit steigender Drehzahl anschwellenden Massenkräfte des Großkolbentriebwerks können nicht viel ausrichten: Was nicht von der zahnradgetriebenen Ausgleichswelle glattgebügelt wird, verläuft sich fast zur Gänze in den vorderen Gummilagern des Triebwerksblocks. So beschränken sich die Lebensäußerungen des V2 auf dezente Zitterpartien, die als willkommene Zugabe zum dezenten Auspuffbrabbeln aufgenommen werden.
Schwungmassen, Ausgleichswelle, dicke Kolben - da kommt einiges zusammen, was beim Hochdrehen in die Gänge gebracht werden will. Beziehungsweise nicht will. Denn dem VN-Big Block kann beim besten Willen keine Neigung zu überschwenglichem Jubeln bescheinigt werden. Nein, der 1,5-Liter versucht sich - unterstützt durch ein zurückhaltendes Verdichtungsverhältnis und milde Steuerzeiten - wie ein guter Whiskey zu geben: weich in der Anwendung, aber gleichwohl mit durchschlagender Wirkung.
Doch Rauschzustände infolge hochprozentiger Fahrleistungen stellen sich an Bord der VN 1500 nicht ein, denn von der Zugkraft einer Lokomotive, wie sie der Kawasaki-Pressetext verspricht, ist der V2 weit entfernt. Die Höchgeschwindigkeit ist bescheiden, und weder bei der Durchzugsprüfung im großen Gang noch beim Beschleunigen aus dem Stillstand wachsen der Kawasaki Flügel.
Zum Höhenflug setzt die VN 1500 dagegen beim Kraftstoffkonsum an. Wer mit Tempo 100 auf der Autobahn zwischen Lkw-Kolonnen bummelt, läßt knapp fünfeinhalb Liter Sprit auf 100 Kilometer in den Tiefen des Hubraums versickern, wer den Gasgriff häufig bis zum Anschlag aufdreht, muß sich auf Verbräuche von deutlich über zehn Litern gefaßt machen - viel zuviel angesichts der objektiv gebotenen Fahrleistungen. Daß die nicht standesgemäßer ausfallen, liegt zum einen an der zurückhaltenden Leistungsbereitschaft der Testmaschine mit gemessenen 57 statt versprochenen 64 PS, zum anderen an der ellenlangen Endübersetzung, die gerade in den oberen Gängen bei Zwischenspurts lähmend auf den Charakter der VN 1500 wirkt.
Folglich erlebt das Vierganggetriebe mehr Gangwechsel, als angesichts des Hubraumgiganten von V2-Motor vorauszusehen wäre. Daß dies nicht auf das Fahrvergnügen schlägt, ist der archaisch anmutenden Wippe am linken Trittbrett zu verdanken: Sie weckt Maschinisten-Gefühle und übersetzt achtlose Fußtritte in sichere und geräuscharme Schaltvorgänge - is cool, man.
Überhaupt ist der Umgang mit der VN 1500 Classic von Lässigkeit - im Geben wie im Nehmen - geprägt. Schulterzuckend hingenommen werden müssen das altväterliche Lenkschloß, die Kaltblütigkeit des Motors nach richtig kalten Kaltstarts, die hinterhältige Lage von Chokehebel und Zündschloß. Dankbar hingenommen wird die legere Sitzhaltung auf tiefem, weichem Kissen, die schöne Aussicht auf Tankkonsole und Chromscheinwerfer, die Leichtigkeit, mit der sich die Maschine trotz ihrer beträchtlichen Masse aus der schrägen Seitenständer-Ruhelage aufrichten läßt.
Von überraschender Leichtigkeit ist auch der fahrerische Umgang mit dem Dickschiff geprägt. Ohne Eigenmächtigkeiten im Lenkverhalten zu zeigen, zirkelt die Maschine um engste Biegungen, bis hinunter zu Schrittgeschwindigkeit läßt sie sich exakt dirigieren - gute Voraussetzungen für streßfreies Cruisen im stressigen Großstadttrubel.
Flottes Dahingleiten auf kurvigen Straßen mag die VN 1500 auch, wenn es in Maßen genossen wird. Will heißen: mit angepaßter Kurvengeschwindigkeit. Denn so leicht sich das Motorrad abwinkeln läßt, so früh werden die Trittbretter zu Pflugscharen. Da triftt es sich gut, daß die vordere Einscheibenbremse - anders als an der bei der Präsentation gefahrenen Maschine - mit vertretbarer Handkraft genügend Biß aufbringt, um den Reifen zum Schreien zu bringen.
Langer Radstand, großer Nachlauf, flach angestellte Gabel - damit bietet die VN 1500 alle Voraussetzungen für angstfreies Geradeausbolzen. Nennenswerte Fahrwerksunruhen bleiben dann auch tatsächlich aus - abgesehen von unkritischen Schlägelbewegungen, die der Fahrer bei nachlassender Kondition über die Haltekräfte am Lenker induziert. Die Möglichkeit, den zerrenden Windkräften auszuweichen, hat jeder in der (rechten) Hand. Die aufrüttelnde Wirkung des VN-Fahrwerks ist dagegen festgeschrieben: Trotz weicher Federungselemente kann von Abrollkomfort über Fugen und Kanten nicht die Rede sein - was dafür sorgt, daß das Raum-Schiff seiner Besatzung nie den Eindruck vermittelt, den Boden unter den Rädern verloren zu haben.