Test Suzuki VL 1500 Intruder LC
Großkundgebung

Die VL 1500 Intruder zerstreut jeden Zweifel: Ab sofort wird Cruisen bei Suzuki großgeschrieben.

Volle Kraft aus 1462 cm³ Hubraum. Im Stand verheißungsvoll blubbern, gleich darauf mit maximalem Drehmoment Geschwindigkeit zulegen - so charakterisiert Suzuki die Eigenschaften des VL 1500-Motors. Daß dieses Statement kein leeres Geblubbere ist, verheißt ein Blick auf das Prüfstandsprotokoll dieses V2, der mit seinen respektheischend großen Töpfen wahrlich den Titel »Otto der Große« verdient hätte: Buchstäblich ab Leerlaufdrehzahl schnalzt die Drehmomentkurve nach oben, erreicht einerseits schon bei 2200/min ihr Maximum von 117 Nm, hat anderseits einen ausreichend langen Atem, um bei 4800/min für ordentliche 78 PS geradezustehen.
Der breite Rücken der Drehmomentkurve öffnet ein weites Betätigungsfeld: Er ist die Basis für gepflegtes Bummeln, pardon: cruisen - wobei »gepflegt« angesichts der gebotenen Laufruhe durchaus wörtlich zu nehmen ist -, und er ist Grundlage für imposante Kraftakte, die das schwere Gerät buchstäblich im Handumdrehen voranstürmen lassen. Eines ist er freilich nicht: Garant für die bei großvolumigen Ein- und Zweizylindern immer wieder gern heraufbeschworene Kraft aus dem tiefen Drehzahlkeller. Die ist zwar - siehe oben - theoretisch verfügbar, läßt sich in der Praxis wegen der geringen Schwungmassen und der unregelmäßigen Zündfolge des V2 immer nicht ausschöpfen. Wer einmal versucht hat, bei Tempo 60 im fünften Gang Vollgas zu geben, weiß, was gemeint ist: Da rüttelt`s und schüttelt`s so brachial, daß es den Motor aus seinen Verankerungen zu reißen scheint. Der Wahl der richtigen Übersetzungsstufe kommt also erhebliche Bedeutung zu, was angesichts des zwar lautstark, aber sicher und leichtfüßig zu schaltenden Fünfganggetriebes kein Beinbruch ist.
In Sachen Spritkonsum sind keine Wunderdinge von einem Motorrad zu erwarten, das deutlich über sechs Zentner wiegt und in seinen aerodynamischen Qualitäten auf dem Niveau einer gotischen Kathedrale liegen dürfte - eine Einschätzung, die von den ermittelten Verbrauchswerten auf der ganzen Linie bestätigt wird.
Zumindest den Landstraßenverbrauch gilt es in diesem Zusammenhang zu relativieren: Die VL 1500 animiert einfach dazu, das Leistungsangebot des V2 immer wieder freudig zu nutzen. »Schuld« ist das Fahrwerk, das allen dunklen Ahnungen zum Trotz - genannt sei nur der rekordverdächtige Radstand von 1700 Millimetern - eine erfrischende Behendigkeit an den Tag legt. Unterstützt durch die Hebelwirkung der ausladenden Lenkstange, läßt sich die VL geradezu mühelos und mit vertrauensfördernder Zielgenauigkeit durch die Gegend schwenken - egal, ob sich enge Kehren oder langgezogene Biegungen in den Weg stellen. Selbst auf welligem Untergrund legt es die Maschine nicht darauf an, die Nervenstärke des Fahrers auf die Probe zu stellen. Im Vergleich zu einer VS 1400 etwa, deren Fahrwerk auf schlechten Straßen schnell den Adrenalinspiegel in die Höhe treibt, ist die VL die Ruhe selbst - sicher ein Verdienst des neuen Rahmens, der die Hinterradschwinge auf breiter, steifigkeitsfördernder Lagerbasis führt.
Das heißt freilich nicht, daß die VL ganz auf spielverderbende Merkmale verzichten würde: Die Trittbretter, die einerseits ein willkommenes Fundament für eine solide Mensch-Maschine-Beziehung bilden, entpuppen sich andererseits bei Kurvenfahrt als Drosselklappen, die ernsthaften Bemühungen um Schräglage kratzend einen Riegel vorschieben. Beim Versuch, das Tempo rechtzeitig auf ein bekömmliches Maß zu drosseln, zahlt es sich aus, kräftig aufs Bremspedal zu steigen und dem etwas müden vorderen Stopper größtmögliche Unterstützung zukommen zu lassen - die im Vergleich zu »normalen« Motorrädern schwach ausgeprägte dynamische Radlastverschiebung macht`s möglich.
Ein vorteilhaftes Verhältnis von (kleinen) ungefederten zu (großen) gefederten Massen sollte dem Komfort an Bord der VL 1500 ebenso zugute kommen wie der vergleichsweise große Arbeitsweg der Hinterhand. Die Praxis sieht freilich anders aus: Ansprechverhalten und Schluckvermögen der Federelemente sind allenfalls durchschnittlich. Daß man sich im Sattel der VL gleichwohl gut aufgehoben fühlt - das gilt für Fahrer und Sozius gleichermaßen, - liegt an der üppig gepolsterten Bestuhlung und dem großzügigen Raumangebot, das konditionserhaltende Variationen der Sitzhaltung zuläßt. Somit taugt die VL für weit mehr als das kurze Bad in der Menge - wofür sie ohnehin nicht sonderlich gut geeignet ist, steht sie sich doch wegen ihrer schieren Größe im Verkehrsgetümmel oft selbst im Weg.

Unsere Highlights

Mein Fazit - Suzuki VL 1500 (T)

Cruiser - und vornehmlich die großen Kaliber - leben von ihrer Ausstrahlung. Die VL 1500 hat diese hochgeschätzte Strahlkraft: Ihre schiere Größe beeindruckt ebenso wie das wohl abgestimmte Wechselspiel von poliertem Aluminium und lackiertem Blech. Erfreulicherweise bietet die VL mehr - eine gehörige Menge Fahrspaß dank ihres kräftigen, kultivierten Motors und ihres unter dem Strich gelungenen Fahrwerks.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023