Test
Suzuki VZ 800 Marauder

Halten sie Türen und Fenster geschlossen, schützen sie ihr Eigentum: Die Marauder (Plünderer) sind unterwegs.

Die Vorgehensweise von Suzuki hat Methode. Zuerst die Intruder-Reihe, die auf breiter Basis den Choppermarkt aufmischte, nun - als neuesten Coup - die Marauder. Die schickt sich an, die Geldbeutel derer zu plündern, die sich auf das Cruisen als derzeit coolste Art des entspannt-kraftvollen Dahingleitens einlassen wollen.Cruiser geben nichts auf die Leichtigkeit der Anmutung, die Chopper - getreu der ursprünglichen Bedeutung ihrer Gattungsbezeichnung - umweht. Cruiser sind härtere Burschen, schwerere Jungs, geben sich martialischer, tragen dicker auf. Folgerichtig schiebt die Marauder zwischen stämmigen Upside-down-Gabelholmen einen feisten 130er Reifen auf 16zölligem Gußrad vor sich her, läßt sie kraftmeiernd Tankflanken und Auspuffkrümmer schwellen, zeigt sie mit offenlaufender Kette Kraftübertragung ohne Umschweife, signalisiert sie per Dragbar-Stange, daß ihr Lenker auch als Widerlager für rabiate Beschleunigungskräfte dienen soll.Das Image des Heavy Metal-Bösewichts, das die Marauder wie ein Transparent vor sich herträgt, zeigt sich bei eingehender Untersuchung freilich als recht fadenscheinig. Lampen- und Tachogehäuse, Seitendeckel und Kotflügel sind, wie eine Klopfprobe verrät, statt aus Stahlblech aus Plastik gefertigt, die armdicken, chromblitzenden Auspuffrohre verkrümeln sich an vermeintlich unsichtbarer Stelle zu mickrigen, schwarzlackierten Röhrchen, und auch die in epischer Breite in die Schalldämpfer eingeprägten Textbeiträge zum Thema Emissionskontrolle helfen der Marauder nicht, ihre Rolle als Outlaw glaubwürdig zu verkörpern.Sogar in ihrem Kern ist die Marauder eher Biedermann als Brandstifter. Ihr von der Intruder übernommener V2 mit dem klassischen Zylinderwinkel von 45 Grad hat als Kurzhuber und Vierventiler zwar die Grundausstattung für gehobene Drehzahlen und ordentliche Füllung, läßt es gleichwohl aber mit nominell 50 PS bei zaghaften 6500/min bewenden. Die sorgen - mit immerhin 219 Kiogramm Leergewicht und Besatzung beschwert - zwar nicht für atemberaubende Beschleunigungswerte, lassen die Maschine aber so schnell aus den Startlöchern kommen, daß die Verteidigung der Pole Position beim Ampelstart - Cruiser-Ehrensache - nur selten gefährdet ist.Stets von Erfolg gekrönt ist der Versuch, die stärkere Seite des Marauder-Triebwerks ins Spiel zu bringen: seine Fähigkeit zu kräftigem Antritt in der unteren Hälfte des nutzbaren Drehzahlbands. Wer es mit der Schaltfaulheit nicht allzu arg treibt - schließlich gibt das exakt funktionierende Fünfganggetriebe dazu keinerlei Anlaß - wird jederzeit im Handumdrehen mit einem sanften, aber energischen Tritt in den Hintern belohnt. Die starken Momente, die die Marauder ohne häßliches Ruckeln aus der unteren Schublade zieht, kommen doppelt gelegen: Sie ermöglichen gefühlsechtes Cruisen, und sie trösten darüber hinweg, daß der 800-Kubik-V2 zwar bei Bedarf hohe Drehzahlen liefert, dabei aber kein rechtes Wohlbefinden signalisiert.Dies wird besonders bei Autobahnfahrt deutlich: Spätestens wenn die Tachonadel die 130er Marke streift, lupft der linke Fuß automatisch den Schalthebel, um dem angestrengt wirkenden Motor Erleichterung zu verschaffen - leider nichts zu machen, der Fünfte ist längst eingelegt. Das ist insofern schade, als man sich auf der Marauder bei höheren Geschwindigkeiten ansonsten recht entspannt treiben lassen kann: Die nur schwach gekröpfte Lenkstange gestattet, ohne kräftezehrende Armzüge dem Fahrtwind aufrechten Oberkörpers zu trotzen, während der gestreckte Radstand der Maschine in Zusammenspiel mit der Cruiser-spezifischen Lenkgeometrie für soliden Geradeauslauf, mithin für mentales Wohlbefinden sorgt.Leider bringt die Marauder auf Schnellstraßen, Marke Plattenbau, das dentale Wohlbefinden in Gefahr. So lässig sich die Federungselemente im Glanz ihrer äußeren Hüllen sonnen, so nachlässig erfüllen sie ihren Job, kleine, kurze Stöße vom Fahrer fernzuhalten. Während die Gabelholme immerhin versuchen, durch elastische Verformung ihr schlechtes Ansprechverhalten zu überspielen - ein hoffnungsloses Unterfangen -, machen die Federbeine erst gar keine Anstalten, ihre knochige Grundhaltung zu vertuschen.Die harte Tour zieht die Marauder auch auf der Landstraße durch. Bei langwelliger Topographie hat sie damit zunächst auch Erfolg: In schnellen Kurven schaukelt nichts auf, bleibt die saubere Linie erhalten. Heikler wird’s, wenn die Maschine in Schräglage knackige Stöße in kurzer Folge unter die Räder bekommt. Da stuckert die Gabel, da entdeckt der breite vordere Reifen die Lust am Eigenlenken, da verliert das Hinterrad mangels ausreichenden Negativfederwegs bisweilen Bodenkontakt. Plötzlich wird der Cruiser-Chauffeur ungewollt zum Steuermann, der mit kräftigem Griff an der Ruderpinne versucht, den Kreuzer auf Kurs zu halten.Kurskorrekuren sind auch beim Verzögern in Schräglage angezeigt, und wiederum hat der Vorderradreifen seine lenkende Hand im Spiel: Beim Ziehen des Bremshebels in der Kurve richtet sich die Maschine auf, beim Loslassen legt sie ein paar Grad Seitenneigung zu. Letzteres ist insofern unerfreulich, als die Schräglagenfreiheit bei der Marauder streng rationiert ist: Schrappende Fußrasten führen den Begriff »die Kurve kratzen« schon bei moderaten Kurvengeschwindigkeiten hör- und spürbar auf seine Ursprünge zurück.Unter diesen Vorzeichen kommt den Bremsen besondere Bedeutung zu. Der hintere Stopper, eine 180-Millimeter-Trommel, hätte gute Chancen, einen gehörigen Beitrag zur Verlangsamung der hecklastigen Maschine zu leisten, böte sie nur ein besseren Gefühl für den Zusammenhang zwischen Pedalkraft und Verzögerung. So bleibt die Hauptarbeit an der vorderen, starren Einfachscheibe mit Doppelkolbensattel hängen. Die macht ihre Sache ziemlich gut: Sie verlangt zwar nach einem kräftigen Griff am Hebel, ist aber in der Lage, den vorderen Gummi bei jeder Geschwindigkeit zum Pfeifen zu bringen.Zum Pfeifen - nämlich auf den Vordermann - bringt die Marauder etwaige Beisitzer. Das Sitzkissen auf dem Hinterradkotflügel - gottlob abschraubbar - liefert bei Gebrauch das, was seine mickrigen Abmessungen androhen: einen Scheidungsgrund.Aber auch im Kommandostand ist nicht alles Gold: Einerseits haben bei Suzuki mit der Marauder endlich Blinkerschalter mit Druckrückstellung Einzug in den Custom-Bereich gefunden, anderseits sind Chokeknopf, Zünd- und Lenkschloß nach wie vor locker über die Maschine verteilt. Bei der Suche nach dem »Sesam öffne dich« wird dann per Zufall vielleicht auch das Bordwerkzeug gefunden: hinter dem rückwärtigen Zylinder, in einer verchromten Blechdose mit ungesichertem(!) Schraubdeckel - was für eine Gelegenheit für Marauder-Plünderer.

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Suzuki VZ 800 Marauder (T) (Archivversion)

Die Raffgier der Marauder hält sich bei einem Preis von 12290 Mark in Grenzen. Dafür muß in Kauf genommen werden, daß sich die Maschine dem Trend »Metall statt Plastik« verweigert. Gleichwohl ist das gebotene Gesamtkunstwerk stimmig: Design, Sitzposition und Motorchrakteristik treffen das Cruiser-Thema ziemlich gut.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023