Japanischer Power-Cruiser sucht deutschen Lebenspartner. Chiffre XV 1700.
Japanischer Power-Cruiser sucht deutschen Lebenspartner. Chiffre XV 1700.
Damals hat es nicht geklappt. Es kam nicht eine Zuschrift. Also neuer Versuch: Ich (zwei Zylinder in V-Form, 1670 cm³, 297 Kilogramm, 87 PS gemessene PS) erblickte als Power-Cruiser unter dem Namen Road Star Warrior das Licht der Welt. In Japan geboren, habe ich das erste Jahr in den USA gelebt. Seit April 2003 bin ich in Deutschland. Meine Freunde nennen mich Herr Rohrig. Eine Reminiszenz an mein Megarohr (61 mal 13,5 Zentimeter, verchromt). Wenn du gelegentlich sportlich unterwegs bist, aber auch gemütliche Ausfahrten magst, du auf Coolness in Verbindung mit massig Muskeln und einer bassigen dumpfen Stimme stehst, sollten wir uns unbedingt kennen lernen. Punkt, Ende, Postkasten. Drei Wochen später zwei Zuschriften. Anschließend das erste Blind Date. Ich wusste nicht viel über ihn. Er war Techniker. Seine letzte Liebschaft: eine Suzuki GSX-R 1000, 2003er-Modell, ein One-Week-Stand. Das Luder wog 97 Kilogramm weniger als ich und hatte 80 PS mehr. Was solls. Techniker kann man mit harten Fakten überzeugen.
Also spielte ich meine technischen Joker aus. Protzte mit wartungsarmem und sauberem Zahnriemenantrieb, ein Garant für weiche Lastwechsel. Lobhudelte über meinen leichten Aluminiumrahmen, einer Weltpremiere im Cruiserbau. Pries meinen 200er-Schlappen, die Suzuki-Braut stöckelte auf einem 190er. Und präsentierte ihm beiläufig einen Messwert, der sich sehen lassen kann: 143 Newtonmeter Drehmoment bei 3700, über 130 Newtonmeter schon ab 2000/min. Für alle Nicht-Techniker: Das reicht locker, um ein Auto quasi im Standgas über die Alpen zu schleppen. Der Techniker war platt. Schlüpfte in seinen Rennkombi, ließ sich in meinen Sattel fallen und schickte meine Schwungmassen in die Umlaufbahn.
Welch ein Ritt. Ich gab alles. Spurtete in nur 4,3 Sekunden auf 100 km/h. Marschierte froh gelaunt bis an den roten Bereich bei 5000/min. Erkämpfte 185 km/h Topspeed. Biss mit meinen Vierkolbensätteln in die 298er-Scheiben, bis der Brückenstein-Gummi wimmerte, und beschützte den Zukünftigen mit meinen Federelementen so gut es ging vor heimtückischen Bodenangriffen. Es hätte der Beginn einer großen Liebe sein können. Doch er war Techniker, ein Erbsenzähler par excellence.
Und sein Urteil vernichtend: Meine Leistung sei schon okay, aber die Vibrationen oberhalb von 4000/min alles andere als angenehm. Meine Instrumente, aluminisierte Schönheiten, schlecht ablesbar. Der Sozius fühle sich wie ne Kröte. Die Vorderradbremse sei stumpf und erfordere zu hohe Handkraft. Die Schaltung fand er zwar exakt, umlenkungsbedingt aber schwergängig. Und dann der breite Hinterreifen. An jeder Fuge, jeder Bodenwelle würde er sich stören, mich, »das Eisenschiff«, taumeln lassen wie bei Windstärke fünf. Und damit seine Vorstellungen von Ideallinie und Lenkpräzision zerbröseln. Das Fahrwerk, ein guter Kompromiss zwischen Sport und Komfort, sei für Cruiserverhältnisse zwar sehr gelungen. Doch die Hinterhand arbeite leicht unterdämpft und reiche derbe Schläge weiter. Die Gabel gerate bei Extrembremsungen auf Bodenwellen an ihre Grenzen. Und überhaupt. Diese Sitzposition. Gekrümmt, verkrampft, nach vorn gebeugt. Der Tank als Ablage für ausgewachsene Bierpolster. Nein danke.
Ebenso. Zurück mit ihm, wo er hingehört. Nächstes Date. Ein ewig Suchender. Hatte anscheinend schon mit allen Power-Cruisern dieser Welt eine Nacht verbracht. Und bestieg mich stilecht mit Sonnenbrille, Lederjacke und Roof-Helm. Es war Liebe auf den ersten Meter. Wahrer Rock n Roll. Das muss man sich mal vorstellen: Im Grunde genommen entstammt mein Herz der urgemütlichen 1600er-Wild Star. Meine Kurbelwelle wiegt satte 21,8 Kilogramm. Auf meinem einzigen Hubzapfen rotieren zwei Pleuel und schicken wechselseitig Kolben mit 97 Millimeter Durchmesser auf eine 113 Millimeter lange Reise durch die Zylinderlaufbahn. Dahinter angeflanscht: ein mächtiges Gehäuse mit Fünfganggetriebe. Dazu mein Ventiltrieb. Auch alles andere als magersüchtig. Zwei untenliegende Nockenwellen, ellenlange Stoßstangen, Kipphebel und Stößel mit hydraulischem Ventilspielausgleich. Für alle Nicht-Techniker: Ein urschweres Antriebs-Sammelsurium mit hohem Massenträgheitsmoment, das die Bezeichnung modern meiden sollte und im Regelfall mit Agilität so viel gemein hat wie eine lahmende Schildkröte.
Pustekuchen. Dank größerer Ventile, modifizierter Nockenwellen und Kipphebel, Einspritzung und einer geänderten Zündanlage reagiere ich auf spontane Befehle mit quicklebendigem und direktem Anstieg von Drehzahl und Speed. Nach nur 8,6 Sekunden stehen 140 km/h auf der Uhr. Zum Vergleich: Hondas Vorzeige-Power-Cruiser, die VTX 1800, benötigt ganze zehn Sekunden. Mein Motor ist wie ein gut bestücktes Buffet. Der erste Biss macht hörig, der letzte weckt den Wunsch nach einem größeren Magen. Beispiel Ortsausgang. 3. Gang, 1600/min, 50 km/h. Ein leichter Dreh genügt. Aus meinem Megarohr flieht ein bassiger, dumpfer, erwachsener Sound. Der 200er-Schlappen verdreht die Erde, als wäre sie ein Medizinball. Die Beschleunigung, eine Mischung aus Traktor und Dragster, macht süchtig. Aufgrund des köstlichen Mix aus Sound und Kraft wird jeder Überholvorgang zu Balsam für die Seele des Fahrer. Dieser wünscht sich Tage mit 25 Stunden. Zwölf Monate Urlaub im Jahr. Quasi den unendlichen Magen, um aufs Buffet zurück zu kommen.
Mein neuer Partner wusste dies zu schätzen. Allerdings störte auch ihn das kippelige Fahrverhalten, das Einlenken dagegen fand er easy. Die Federelemente ebnen sogar hinterschwarzwäldlerische Schleichwege. Reisen statt Rasen vorausgesetzt. Aber auch Letzteres ist möglich. Erstens durch die für einen Cruiser enorme Schräglagenfreiheit. Zweitens durch die Motorpower, die einem Vulkanausbruch nahe kommt. Yamaha hat mit meinem Motor das verwirklicht, wovon alle Cruiserfans und Tuner seit Jahrzehnten träumen. Ein Happy End? Jein. Denn der Neue kniff. Begründung: Ich sei käuflich. Okay, seine Entscheidung. Für nur 15300 Euro wird jede Stunde mit mir zur Happy Hour. Sollte ich unbedingt in meine nächste Anzeige schreiben.
Motor: Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-48-Grad-V-Motor, Kurbelwelle querliegend, zwei untenliegende, zahnradgetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Hydrostößel, Stoßstangen, Kipphebel, Trockensumpfschmierung, elektronische Saugrohreinspritzung, Ø 40 mm, Kondensatorzündung, Sekundärluftsystem, E-Starter, Drehstromlichtmaschine 430W, Batterie 12 V/12 Ah.Bohrung x Hub 97,0 x 113,0 mmHubraum 1670 cm³Verdichtungsverhältnis 8,3 : 1.Nennleistung 62 kW (84 PS) bei 4400/minMax. Drehmoment 135 Nm (13,8 kpm) bei 3750/minKraftübertragung: Primärantrieb über Zahnräder, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, Zahnriemen.Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus Alu-Rohren, Upside-down-Gabel, Gleitrohrdurchmesser 41 mm, verstellbare Federbasis, Zweiarmschwinge aus Aluprofilen, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, schwimmend gelagerte Bremsscheiben, Ø 298 mm, Vierkolbensättel, Scheibenbremse hinten, Ø 282 mm, Einkolbensattel.Alugussräder 3.50 x 18; 6.00 x 17Reifen 120/70 ZR 18; 200/50 ZR 17Fahrwerksdaten: Radstand 1665 mm, Lenkkopfwinkel 61 Grad, Nachlauf 130 mm, Federweg v/h 135/110 mm.Garantie zwei Jahre ohne KilometerbegrenzungFarben GraumetallicPreis 15 300 EuroNebenkosten 195 Euro
Fahrleistungen1Höchstgeschwindigkeit* 185 km/hBeschleunigung 0-100 km/h 4,3 sek0-140 km/h 8,6 sek0-180 km/h 28,8 sekDurchzug 60-100 km/h 4,4 sek100-140 km/h 5,5 sek140-180 km/h 15,9 sekTachometerabweichung Anzeige/effektiv 50/48 , 100/97 km/hKraftstoffart NormalVerbrauch im Testbei 100 km/h 4,6 l/100 kmbei 130 km/h 5,7 l/100 kmLandstraße 6,1 l/100 kmTheor. Reichweite 246 kmMaße und GewichteL/B/H 2380/ 940/1200 mmSitzhöhe 830 mmWendekreis 6330mmGewicht vollgetankt 297 kgZulässiges Gesamtgewicht* 480 kgZuladung 183 kgRadlastverteilung v/h 48/52 %Tankinhalt 15 Liter1 Messbedingungen: Temperatur 10 Grad, leichter Wind, Messort Hockenheim* Herstellerangaben