Vergleich Yamaha XV 535 und XVS 650 mit 34 PS
Bodenschätze

Hier die zierlich-possierliche XV 535, dort die schwermetallene Drag Star - verwandschaftsverbandelt, in Erdverbundenheit vereint, doch so unterschiedlich wie Chopper und Cruiser.

Chopper oder Cruiser - das ist hier und jetzt die Frage. Vorbei die Zeiten, da die Freunde zweirädriger Bodendecker einträchtig an wundersam gekrümmten Lenkstangen hingen und mit dürren Vorderrädern die Landschaft zerteilten. Immer häufiger treffen sie bei ihrem geruhsamen Tun auf Artgenossen, die unverkennbar Brüder (und Schwestern) im Geiste sind, ebenso unverkennbar aber von der reinen Lehre des Chopperns abgewichen sind, ihrem Heil mit offenen Armen auf schwerem, dickbesohlten Gerät entgegenrollen. Entgegencruisen.
Chopper oder Cruiser - das ist eine Frage, die Yamaha salomonisch-weise mit »ja« beantwortet. Dieses Bekenntnis zum Sowohl-als-auch manifestiert sich in der Drag Star, die der notorisch erfolgsverwöhnten XV 535 zur Seite gestellt wurde.
Seite an Seite gestellt, materialisieren sich die weltanschaulichen Unterschiede zwischen den Gattungen augenfällig. Die XV 535 bekennt sich unverkennbar zum Grundgesetz des Chopperbaus, zum Minimalismus, zur Kunst des Weglassens: Ihr zergliederter Körper mit der eng geschnürten Wespentaille zwischen Tank und Sitzkissen läßt Motor und Speichenräder optisch dominieren, macht die XV 535 zum Motor-Rad.
Anders die Drag Star. Sie huldigt dem Motto »größer ist besser«, macht sich lang und breit, trägt dick auf, präsentiert ihr Triebwerk eher beiläufig, scheint mit ihrer Leibesfülle auf den Überraschungseffekt zu setzen, daß sich solch ein Brocken überhaupt aus eigener Kraft vorwärts bewegen kann.
Kann er denn überhaupt? Schließlich wurde sein Motor zur Ader gelassen und um sechs PS erleichtert, auf daß die Drag Star ihre Tauglichkeit in der 34-PS-Klasse unter Beweis stellen könne. Eine Überschlagsrechnung verheißt da zunächst wenig Gutes: 231 Kilogramm Maschinengewicht plus Fahrer, verteilt auf 34 Pferderücken - das ruft fast schon die Tierschützer auf den Plan.
Doch der beschnittenen Drag Star hilft keine schützende Hand, sie braucht eine harte Rechte mit starkem Rückdrehmoment: Nur mit voll aufgedrehtem Hahn ist sie zu klassenüblicher Hurtigkeit zu überreden - was leider in krassem Widerspruch zum Cruiser-Anspruch steht, Dynamik und Gelassenheit unter einen Hut zu bringen. Denn von Gelassenheit kann keine Rede sein, wenn die Drag Star unter vollen Segeln läuft: Der Motor wirkt obenheraus gleichermaßen angestrengt wie lustlos, und er wehrt sich gegen anhaltend hohe Drehzahlen mit heftig schwirrenden Fußrasten, die damit eine Art Drehzahlbegrenzerfunktion übernehmen.
Eine munter jubelnde Drehmaschine ist auch der XV 535-Motor nicht, doch er nutzt sein Hubraumdefizit geschickt zu seinem Vorteil. Mit weniger Hub und reduzierter Bohrung reagiert der kleinere der beiden V2 munterer auf Marschbefehle, dreht williger hoch, macht weniger Aufhebens um seine Aufgabe, 34 PS aufzubereiten, vergeudet weniger Energie darauf, sein Umfeld in Schwingungen zu versetzen.
Der gutaufgelegte Motor und ein Gewichtsvorteil von 35 Kilogramm machen es der XV 535 möglich, die dicke Schwester Drag Star zu düpieren: Beim Beschleunigen hat sie oben heraus den längeren Atem, der ihr letztlich auch zu einer ansehnlicheren Höchstgeschwindigkeit verhilft. Und um noch eins draufzusetzen, überläßt der Chopper dem hubraumstärkeren Cruiser nicht einmal kampflos den Titel des Kellermeisters, der in der Tiefe des Drehzahlbands ein Faß aufmacht.
Als wäre dies nicht genug der Demütigung, muß die Drag Star auch in Sachen Fahrverhalten ihrem Hang zur Größe Tribut zollen. Bei Geradeausfahrt entpuppt sich ihr dralles Vorderrad als Spurrillen-Detektor, in langsam gefahrenen Kehren beansprucht die mit flachem Lenkkopfwinkel vorgetragene Frontpartie energisch Mitspracherecht bei der Linienführung, und schon bei moderater Kurvenneigung werden die Fußrasten zu Pflugscharen. Gut, daß wenigstens die Bremsen in der Lage sind, die Drag Star immer wieder auf den Boden der ihr angemessenen Geschwindigkeit zurückzuholen.
Nicht grundlegend anders, aber durchweg besser schlägt sich die XV 535. Weil sie in Gewicht, Radstand und Vorderreifenbreite klar den Kürzeren gezogen hat, zeigt sie der Drag Star in puncto Handling eine lange Nase. Berechenbarer in der Spurhaltung, präziser im Lenkverhalten, lockerer und leichter in Schräglage zu befördern, zeigt sie der 650 jederzeit, wo`s langgeht - bis auch bei ihr die Rasten kratzen und zur Vorsicht mahnen.
Dabei hatte es nach der ersten Anprobe noch ganz anders ausgesehen. Keine Spur von lässig lockerer Sitzhaltung auf dem Chopper, im Gegenteil: Knie und Ellbogen stark angewinkelt, die Oberschenkel um Kontakt zum Tank ringend, die Hände auf diesen komischen Schubkarrengriffen - das konnte es ja wohl nicht sein. Schöner wohnen dagegen auf der 650er: Platz, die Beine ein wenig zu strecken, der richtige Abstand zum Lenker, ein Tank, der Halt und Stütze bietet - so müßte es sich doch aushalten lassen. Läßt es sich, doch auch nicht länger als auf der 535. Hier wie dort erwacht nach spätestens einer Stunde Fahrt der Wunsch nach einem Zigarettenpäuschen, nicht (nur), weil der Nikotinspiegel abgesunken ist, sondern weil der Rücken (oder ein Klagelied vom rückwärtigen Notsitz) signalisiert, daß es wieder einmal Zeit ist, sich die Beine zu vertreten. Weil hier wie dort die Sitzhaltung unverrückbar festzementiert ist, weil hier wie dort Hinterradfederungen wirken, die ihre Aufgabe als schlagende Verbindung zwischen Fahrbahn und Allerwertestem verstehen.
Spätestens jetzt aber schlägt die Stunde der Drag Star. Mit ihrer Körperfülle lässig auf die Seitenstütze gelehnt, steht sie schnell im Mittelpunkt des Interesses schaulustiger Passanten und gibt dem Cruiser-Piloten endlich die Gewißheit, doch die richtige Wahl getroffen zu haben. Der Chopper-Fahrer sieht´s mit Gelassenheit - kaum beachtet zwar, aber in der beruhigenden Gewißheit, den besseren Bodenschatz gefunden zu haben.

Unsere Highlights

Mein Fazit

Chopper oder Cruiser -.das ist für mich keine Frage des besseren oder schlechteren Motorrads. Wenn es nur danach ginge, führte kein Weg an der XV 535 vorbei. Der langgediente Bestseller ist das agilere, dynamischere Motorrad, mit dem man auch abseits glattgewalzter, schnurgerader Boulevards eine Menge Spaß haben kann. Nein, wenn schon bodennahe Fortbewegung angesagt ist, dann auf schwerem, respektheischenden Gerät, das meinen 1,80 Meter ausreichend Lebensraum bietet und meinem Hang zum Exhibitionismus entgegenkommt. Also trotz aller sachlicher Vorbehalte die Drag Star - allerdings nicht mit 34, sondern mit 40 PS. Schließlich soll`s nicht nur bei der Show, sondern auch beim Fahren ein bißchen vorwärts gehen. Wozu hat man denn schließlich einen Vollwert-Einser.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023