Es kann nur einen Boß geben - okay. Und heute Nacht fällt die Entscheidung. Entgültig.
Es kann nur einen Boß geben - okay. Und heute Nacht fällt die Entscheidung. Entgültig.
Kein überflüssiges Herumgeplänkel, keine unnötigen einleitenden Worte, kein Austausch ohnehin verlogener Höflichkeiten - das hier ist schließlich kein Kaffeekränzchen. Kommen wir also lieber gleich zur Sache: Worum‘s geht, dürfte klar sein, nach welchen Richtlinien gespielt wird ebenfalls. Oder hat irgendwer noch irgendwelche Fragen? Nein. Schön. Soll aber später keiner kommen und sagen, ihm sei die Tragweite dieser Unternehmung nicht bewußt gewesen: Wer jetzt schweigt und mitmacht, gibt sein Einverständnis, den Sieger dieses nächtlichen Zusammentreffens als Herrscher über das Cruisertum anzuerkennen.
Im Clinch ob des ehrwürdigen Patronats liegen drei edle Vertreter der High-Snobiety. An vorderster Stelle ein schwerer Junge aus der Manufaktur Harley-Davidson, Fat Boy genannt, der mit Fug und Recht auf seine Pionierleistungen verweist: Er war der Wegbereiter, war schon da, als man die dicken Dinger mit den dicken Reifen noch gar nicht Cruiser nannte. Eine durchaus günstige Voraussetzung. Doch die Kawasaki VN 1500 Classic meint mehr zu haben: mehr als alle anderen. Und tatsächlich hat sie auch mehr: mehr Hubraum nämlich. Aber damit hat sich‘s auch schon. Vorerst zumindest. Denn aus technischer Größe allein erwächst noch keine Vormachtstellung. Und wenn‘s so wäre, würde eher die Yamaha XVZ 13 A Royal Star absahnen - mit vier Zylindern und 74 Pferdestärken das Power Bike in dieser Runde.
Harley könnte komplett einpacken, ginge es hier lediglich um irgendwelche Daten, denn der luftgekühlte 1300-Kubik-Motor vermag gerade mal 56 PS zu mobilisieren. Die Kawasaki, zwar auch keine Ausgeburt an Stärke, bringt immerhin 64 PS. In einem Punkt ist die Fat Boy ihren Konkurrentinnen zahlenmäßig jedoch haushoch überlegen: beim Preis. Mit rund 32 000 deutschen Märkern steht so ein amerikanisches Custom Bike in der Liste. Die VN 1500 kostet etwa 12 Riesen weniger, der königliche Stern geht bei genau 24 500 Steinen auf.
Allerdings spielt Geld bei solchen Draufgängern keinerlei Rolle. Mitunter gelten hier horrende Summen sogar als Verkaufsargument. Gutes muß eben teuer sein. Vor allem aber muß es Charakter haben: Ja, ein starker Charakter zählt im knallharten Showgeschäft zu den allerwichtigsten Eigenschaften.
Rein äußerlich fehlt es keinem der drei Testkandidaten an ernstzunehmenden Anlagen. Mit Scheibenrädern, Shotgun-Sidepipes, 40er-Jahre-Gabel, Starrahmenlook und jeder Menge Chrom gerüstet, gibt die Harley eine gestählte, traditionsbewußte Figur ab. Die Kawasaki setzt, wie der Name schon sagt, auf den Klassizismus, trägt Drahtspeichenräder, einen stärker gekröpften Lenker und konventionelle, außenliegende Federbeine. Etwas moderner wirkt die Yamaha: Da gibt es gegossene Alu-Speichenräder, eine Doppelscheibenbremse am Vorderrad und dann diese schnörkellose, zentral gefederte Kardanschwinge. Auch die VN 1500 wird per Kardan angetrieben, während man bei Harley nach wie vor auf einen Zahnriemen vertraut.
Den insgesamt softesten Eindruck macht die Kawasaki, deren Linienführung, bei aller Anlehnung ans Harley-Design, irgendwie zu verspielt geraten ist. Außerdem verleihen ihr die üppigen Rundungen ein leicht - nennen wir«s mal »matronenhaftes« Aussehen, während Royal Star und Fat Boy eher die gestrengen Paten mimen. So fällt denn auch die Annäherung an die Kawasaki am leichtesten, obschon auch sie enorm ausladende Abmessungen an den Tag legt.
Der Schein trügt nicht: Die VN 1500 ist ein Softie. Ohne sich lange bitten zu lassen, springt der eineinhalb Liter Motor an, lahm und leise plätschert eine glanzlose V2-Melodie aus den Sidepipes, verhalten schüttelt der Riesenhuber ein paar Vibrationen aus sich heraus. Auf Dauer kann es zwar durchaus von Vorteil sein, wenn so ein Motor kein allzu verrücktes Gebaren entwickelt, wenn er nicht am Fahrwek rüttelt wie ein Gefangener an den Gitterstäben, doch bei der ersten Kontaktaufnahme, da noch allerhand Idealismus vorhanden ist, wirkt ein derart kultiviertes Stück Maschinenbau im Rahmen eines Cruisers wie eine blutleere Handarbeitslehrerin in einer Diskothek.
Wesentlich temperamentvoller gibt sich der Yamaha-V4, entläßt - nach dem nicht unproblematischen Startvorgang - bitterböse Töne durch seine vier Töpfe in die Umwelt, pulsiert spürbar unterm Sattel, versetzt das Bike schon bei Standgas in bemerkenswerte Bewegung. Und wenn man dann auf die Harley umsteigt, ist klar: that‘s it. Alles andere wirkt plötzlich grotesk. Nachgemacht eben. Die Fat Boy ist echt, elementar, ungehobelt - wie ein rohes Stück Eisen. Sie kennt kein Pardon, macht von Anfang an klar, daß sie jedwede Sanftheit verachtet. Abgrundtief. Alles an ihr fordert Kraft und Nerven.
Die Startzeremonie hat etwas Mystisches an sich: Wird der Anlasser betätigt, knirscht es im metallenen Gebälk. Aus allen Löchern dringen prustende Geräusche: Die Maschine erbebt, und sollte sie tatsächlich zum Leben erwachen, tut sie‘s, als sei es das letzte Mal. Man glaubt an ein Wunder, an den glorreichen Sieg über die Trägheit. Und wie der Motor in seinen Aufhängungen zuckt, wie‘s überall klappert und krabbelt und kribbelt - das muß es wohl sein.
Wie es sich für einen echten Cruiser gehört, wurde die Harley mit Trittbrettern und einer Schaltwippe ausgestattet. Die Japaner haben das auch, jedoch erregen sie mit diesen Accessoires ungleich weniger Aufsehen. Während sich die fernöstlichen Techniker darum bemühten, Vibrationen von den Füßen fernzuhalten, scheinen die US-Amerikaner auf die Reflexzonenmassage zu setzen: Die Harley-Trittbretter zittern wie Espenlaub, vibrieren von allen Maschinenteilen am engagiertesten vor sich hin. Und die Schaltwippe - für sich betrachtet zwar noch gar nicht so sensationell, in Verbindung mit dem krachenden Getriebe allerdings eine der Hauptattraktionen im davidsonschen Erzgebirge: Wenn der erste Gang ins Getriebe fährt, hört sich das an, als falle ein Zimmermannshammer in einen zehn Meter tiefen Metallschacht. Auch den folgenden Gangwechseln haftet eine gewisse Härte an.
Das Yamaha-Getriebe, obschon auch keins von der Butter-Sorte, schaltet sich vergleichsweise anstandslos, an der Kawasaki entartet dieser Punkt aber ebenfalls zur wunden Stelle: Der Wechsel vom ersten in den zweiten Gang klappt so gut wie nie. Meist mischt sich der Leerlauf ins Spiel, worauf ein ätzendes, zähneknirschendes Geräusch folgt, und erst wenn der Fuß vehement nachhakt, kracht der zweite Gang rein. Das hört sich derart unprofessionell an, daß man mit der Zeit versucht, ohne das unterste Stockwerk des vierstufigen Schaltapparats auszukommen.
Gewiß - hier geht‘s weniger ums Schalten als ums Cruisen, und weil die Kawasaki so schön cruisen kann, mögen ihr diese Aussetzer weitestgehend verziehen sein. Wie - was das bedeutet? Cruisen? Sie wissen nicht, was CRUISEN bedeutet? Oh. Tja, wie soll man das erklären? Gar nicht so einfach. Eigentlich ist cruisen ungefähr das gleiche wie choppern. Fragen Sie jetzt aber bitte nicht, was choppern heißt.
Zum Cruisen braucht‘s auf jeden Fall einen durchzugkräftigen Motor. Den hat - und das sei hier mit aller Deutlichkeit gesagt - zwar keins der drei Riesenräder, aber die Kawasaki zeigt wenigstens guten Willen. Auch wenn der Vierventiler von seiner Veranlagung her eher langweilig wirkt, was wohl hauptsächlich an seiner geschliffenen Lauf- und Geräuschkultur liegt, überrascht er mit der größten Elastizität in diesem Terzett. Im dritten Gang - der letzte ist wie bei den anderen als Schongang, sprich: Overdrive ausgelegt - plottert die Kawasaki the whole day long vor sich hin. Bergauf, bergab, links-, rechts- und im Kreis herum, egal was kommt.
Die Royal Star und die Fat Boy, jeweils mit fünf Gängen gerüstet, tun sich da schwerer. Während die Yamaha ihr Verlangen nach einer abwechslungsreicheren Übersetzungstätigkeit des Getriebes aber noch einigermaßen im Griff hat, fordert die Harley quasi an jeder Ecke nach einem anderen Gang. Gewiß, wer Geduld hat, kann auf den Durchzug warten und sich die Zeit mit philosophischen Betrachtungen vertreiben, oder mit Zahlenspielen. Zum Beispiel: Eine VN 1500 braucht von 60 auf 120 km/h 11,4 Sekunden, die Royal Star benötigt 12,3 Sekunden und auf der Fat Boy verstreicht mehr als eine viertel Minute.
Daß die Harley nicht ganz so frisch aus dem Quark kommt, ist in Anbetracht ihrer mageren Leistung kaum verwunderlich, doch läßt sich dieses Manko verschmerzen, da sie zum Ausgleich dafür in der B-Note besticht: An künstlerischem Ausdruck ist der Stoßstangen-Motor nicht zu überbieten. Was sich bereits bei Standgas andeutete, setzt sich bis zum (bitteren) Ende fort. Bitter deshalb, weil das Geschüttel des Zweiventilers - zumindest während langweiliger Autobahnetappen - schon nach 50 Kilometern an die Substanz geht. Auf Landstraßen sorgt dieses Temperament hingegen für beste Unterhaltung.
Nichtsdestotrotz - den goldenen Mittelweg zwischen Harley- und Kawasaki-V2 beschreitet der Yamaha-V4: Die Schläge seiner Kolben treffen voll den Nerv, nerven aber nie. Und - anders als auf der Fat Boy - beschleicht einen hier nicht das ungute Gefühl, die Fuhre könne unter den Vibrationen Schaden nehmen. Überhaupt wirkt die XVZ 13 A unverwundbar: Sie macht den solidesten Eindruck, was nicht zuletzt daran liegt, daß sie die größte, dickste und schwerste unter den drei Eisenhalden ist.
Fahrwerksseitig sind sich die Maschinen dennoch zunächst mal sehr ähnlich: So sitzt man auf allen denkbar ungemütlich - die Arme ausgebreitet, die Beine gestreckt, den Oberkörper leicht nach hinten geneigt. Schon klar, so muß das sein, es sieht auch lässig aus, keine Frage, aber unbequem ist‘s trotzdem, das muß gesagt werden. Ferner fährt jede zwar am liebsten, doch keine besonders gut geradeaus, wobei die Yamaha in dieser Disziplin noch am besten abschneidet. Außerdem kämpfen alle drei auch in Kurven mit Stabilitätsproblemen. Am schlechtesten benimmt sich dabei die hoffnungslos unterdämpfte Kawasaki.
Trotzdem können verwinkelte Landstraßen mit der VN 1500 lockerer genommen werden als mit der Royal Star, denn letztere stellt nur ein Minimum an Zielgenauigkeit zur Verfügung. Der extrabreite Vorderreifen treibt den denkbar unhandlichen Brocken in Kurven stets nach außen. Mehr Schräglage? Nicht drin: Die Fuhre kratzt früher über den Asphalt als jeder tiefergelegte Manta an der Bordsteinkante. Flottere Einlagen mit der Yamaha wollen demnach geübt sein. Zwar nehmen es Kawasaki und Harley mit der Linientreue auch nicht besonders ernst, doch in etwa folgen sie der angepeilten Richtung. Außerdem verfügen die beiden über handlichere Talente sowie mehr Bodenfreiheit.
Das Schlechteste, was es in Sachen Bremsen zu bieten gibt, findet sich - wie immer - an der Harley: Nach wie vor schiebt das Ami-Bike mit einer nahezu unbrauchbaren Einscheiben-Anlage durch die Gegend. Um zu etwas ähnlichem wie einem Verzögerungswert zu gelangen, muß man am Hebel ziehen wie ein Ochse. Die Doppelscheibenanlage der Yamaha fordert zwar nicht viel weniger Handkraft, dafür gibt«s hier das, was gemeinhin unter dem Begriff Bremswirkung bekannt ist. Ganz im Stil des Hauses, wartet die Kawasaki mit einer akzeptablen Bremsanlage auf.
Ohne jetzt zu weit ins Kleinkarierte abzudriften, sollen an dieser Stelle doch ein paar Auffälligkeiten benannt werden, die den Umgang mit Motorrädern nicht gerade erleichtern. Beispielsweise sucht man an so einem Cruiser vergeblich nach einem zentralen Zünd-Lenkschloß, lenkernahe Chokehebel gibt«s auch nicht und die Zündschlösser selbst - fürchterlich: An der XVZ 13 A gelangt man nur unter albernen Verrenkungen an das rechtsuntenhintenkreuzverquer angebrachte Mistding. Bei der Kawasaki will der Schlüssel vorne links reingesteckt werden, und um die Fat Boy zu starten, braucht‘s erst gar keinen Schlüssel: Drehknauf am Tank umlegen, und los geht‘s. Wehe denen, die vergessen, das Teil abzuschließen.
Etwas ganz Besonderes ließ man sich bei Harley auch zum Thema Tankbefüllung einfallen. Das Benzinfaß hat zwei Schraubverschlüsse, keiner davon abschließbar, und - ohne Witz - wer den Tank richtig voll machen will, muß den Sprit zu beiden Seiten reinlassen. Auf die segensreiche Erfindung des Tank-Klappverschlusses besann sich leider nur das Haus Kawasaki. Freilich ersetzt diese kleine Annehmlichkeit keine Charakterstärke, genau davon aber könnte die VN 1500 eine Portion mehr verkraften.
Und damit ist wenigstens ein Teil der eingangs gestellten Frage beantwortet: Die Kawasaki VN 1500 hat leider nicht das Zeug zum Chef-Cruiser. Wer dann? Nun, die Harley besitzt gute Anlagen, verfügt über jede Menge Persönlichkeit, bietet so ziemlich alles, was man von einem Custom Bike erwartet, aber - bei aller Liebe: Sie ist zu schwach auf der Brust. Mit diesem zugestopften Motor kann sie den anderen unmöglich eins vorfahren. Bleibt also die XVZ 13 A. Ja, ja, das haben sich eh schon alle gedacht, weil die Yamaha so schön groß ist, so viele Zylinder hat und so viele PS. Aber das allein ist´s eben nicht, denn zusätzlich vermittelt die Royal Star dieses spezielle Gefühl: Hinter dem breiten Lenker wird der Alltag ganz klein. Probleme? Gibt es nicht. Streß? Wird plattgewalzt. Die Welt? Gehört mir. Der Chef? Bin ich.
Doch abwarten: Bald schon kommt dieser Sechzylinder, dieses Monstrum namens Honda F6.