Vergleichstest Powercruiser

Vergleichstest Powercruiser
Nachtschwärmer

Veröffentlicht am 31.05.2002

Kollege Waldemar Schwarz ist ein nüchterner Technokrat, bei MOTORRAD schon von Dienst wegen zu höchster Akkuratesse verpflichtet. Zuweilen aber zeigt er völlig unerwartet Emotionen. Dann schimmert der Mensch im Ingenieur durch, dann schwärmt Waldemar von sechs Zylindern in ihrer aufregendsten Form und meint – einen Cruiser, Hondas F6C.
»Plagiat«, winkt Kollege Schröter müde lächelnd ab. Den Fan des American Way of Life versetzt schon der Gedanke an die just absolvierte Fahrt mit der Harley-Davidson V-Rod in neuerlichen Rausch. Dabei verlangt der nun folgende Versuch, jetzt auch Schwarz zu missionieren, nach angemessenem Bierernst.
Schröter (zwei Fläschchen öffnend): Nicht nur ich, sondern auch die Kollegen wissen jetzt endlich, dass es eine echte Alternative zur Honda F6C gibt. Wurde ja höchste Zeit. Konnte deine sarkastischen Bemerkungen über V-Twins aus Amerika nicht länger ertragen. Von wegen wenig Leistung für viel Geld.Schwarz (dreht spontan hoch): Leistung. Was für eine schnöde Floskel. Entscheidend ist, wie sie sich offenbart. Bei einem Cruiser unaufdringlich, bitte sehr, aber mit Nachdruck. Kultiviert und begleitet von unvergleichlichem Klang. Sanft und kraftvoll wie beim Zwölfzylinder-Mercedes, akustisch wie ein 911er der ersten Stunde. F6C, sag´ ich nur. F6C.Schröter: Wenn du über Autos labern willst, bist du hier auf dem falschen Dampfer. Sechs Zylinder, das sind genau vier zu viel. Egal, ob Racer oder Cruiser. Zwei Zylinder, auf das Wesentliche reduziert, aufregend in Aluminium verpackt, das ist V-Rod. Punkt. Deine Honda wirkt dagegen schwülstig, dekadent und overdressed.
Schwarz (schaltet einen Gang runter): Na ja, zugegeben, sie sieht nicht schlecht aus, diese V-Rod. So auf dem Seitenständer, vor dem In-Café. Genau da gehört sie hin. Entscheidend sind aber die inneren Werte. Das müsste eigentlich auch dir bei unserer Testfahrt klar geworden sein. (Schwarz lächelt süffisant): Was machen eigentlich deine Bandscheiben? Hab dich noch nie so bewegt gesehen wie vorhin auf dieser miesen Landstraße.
Schröter: Lieber trocken und direkt als schwammig und um vier Ecken. Die V-Rod kommt zur Sache. Natürliche Härte, Alter. Nix für graue Panther. Ein elastischer Körper gleicht die bockige Harley-Abstimmung locker aus. Deine Dicke kann’s ja ganz passabel, aber ihr unterdämpftes Geschaukel ist doch peinlich, oder? Irgendwie Opel Rekord...
Schwarz: Moment mal, nur weil die Honda einen komfortablen Sitzplatz anbietet, auf dem wirklich alles passt, gehöre ich noch lange nicht zum alten Eisen. Mit Verlaub, du hockst auf der V-Rod wie der berühmte Affe auf dem Schleifstein. Die Beine unnatürlich gespreitzt, die Knie verkrampft, das Steißbein von der harten Sitzbank malträtiert. Und der Oberkörper hängt an diesem unnatürlich gekröpften Lenker hilflos wie ein Fähnchen im Orkan. Toller Typ, echt spitze. (Schwarz streckt, auf dem Steiß balancierend, alle Viere von sich und schüttelt sich vor Lachen).
Schröter: Pass auf, dass du nicht vom Stuhl fällst, alter Mann. Die V-Rod fordert eben, das reizt mich. Sie verlangt einen bewussten und aktiven Fahrstil. Nicht so soft und beiläufig wie dein Honda-Weichspüler. Ein ganz ordentlicher Cruiser, okay, aber ein langweiliger.
Schwarz: Langweilig? Ich fand’s höchst kurzweilig, wie du auf dem kurvenreichen Stück verzweifelt versucht hast, mit deinem Sport-Cruiser Anschluss zu halten. Kippt doch in jeder Kehre urplötzlich über den breiten Hinterreifen ins Eck. Und fährt eine eigenartige Linie. (Schwarz purzelt beim Nachahmen fast von der Bank. Dann gibt er ein raspelndes Geräusch von sich). Warum zerspanst du eigentlich schon bei geringer Schräglage dein sündhaft teures Metall? Schau mal die Fußrasten und die Kühlerverkleidung an.
Schröter (ebenfalls in Schieflage): Logisch, bei den dicken Reifen und dem niedrigen Schwerpunkt werden alle Kurven wieder aufregend. Das verlangt ambitionierte Schräglagen, wo du lässig und neutral ums Eck zirkelst. Herrenreiter! (Schwarz verschluckt sich, gestikuliert protestierend.) Aber beim Bremsen nehme ich dir vor jeder Kurve Kilometer ab. Und beim Rausbeschleunigen die nächsten. So gewaltig, wie der Twin von unten bis oben drückt. Wie am Gummiband gespannt. Und dieses weiche Ansprechverhalten. Null Lastwechselreaktionen. Ein Traum. Die Honda wirkt dagegen geradezu lethargisch, um’s mal freundlich auszudrücken.
Schwarz (gibt sich plötzlich nüchtern abwägend, beinahe diplomatisch): Gut, überzeugt, schon beeindruckend, wenn der Zweizylinder losschiebt. Aber ist das Cruisen? Oder pubertäres Potenzgehabe? Deine Beschleunigungswerte sind Schall und Rauch, die Lufthoheit über dem Biker-Stammtisch überlasse ich gerne anderen. Genau wie diesen Twin-Klang. Gewöhnlich. Gibt’s an jeder Ecke. Unter Seinesgleichen ganz nett, wahrscheinlich, weil Porsche mitentwickelt hat. Ohne die schwäbischen Sechszylinder-Spezialisten würde Harley heute noch nach Power suchen.Schröter: Jetzt wirst du albern. Hol lieber noch ne Lage Bier. By the way: Ganz schön durstig, dein Powercruiser. Na gut, sechs Zylinder wollen gefüttert werden. Außerdem gönnt man sich ja sonst nichts – behauptest du jedenfalls. Zugegeben, die Harley ist auch keine Kostverächterin, aber dein Sixpack ist ein Nimmersatt.
Schwarz (verdreht die Augen): Du kapierst es nicht. Dieses Klangerlebnis ist unvergleichlich (er intoniert zum x-ten Mal enthusiastisch das ‘Wwwhhh’ des Sechsers). Und mir persönlich schon deshalb das eine oder andere Literchen Sprit wert (hebt sein Bierchen). Daran kann man sich nie satt hören. Ich schwör dir, mit 70, da bin ich soweit. Ich kaufe mir eine F6C, baue den ganzen Schnickschnack ab und reduziere sie aufs Wesentliche – den Sechszylinder. Mein größter Wunsch ist bis dahin sowieso schon längst Realität: 1800 Kubikzentimeter, mehr Leistung, noch mehr Drehmoment. Prost
Schröter: Schön, wenn man in deinem Alter noch Träume hat. Aber denk mal drüber nach, dass deine XXL-F6C sich dann noch schwerer rangieren lässt. Bestell dir gleich ´ne Rückfahrhilfe, sonst beißt du dir an deinem Traum-Trumm die Dritten aus.
Schwarz: Jetzt reicht’s. Und nun, junger Mann, wenden wir uns lieber den elementaren Dingen zu. Nehmen wir noch eins – und wer zahlt nachher das Taxi?

2. Platz - Harley-Davidson V-Rod

»Zugegeben, das Design der V-Rod macht an. Aber schon die Ergonomie ist völlig daneben, nichts passt. Und dann dieses eigentümliche Fahrverhalten in Kurven. Der gelungene V2 taugt deshalb für mich nur für den heißen Sprint auf der Showmeile«, sagt Kollege Schwarz. »Kann nix dafür, dass der Kollege zu kurze Beine hat. An der V-Rod passt für mich alles, gerade auch die Sitzposition. Ist halt nichts für ältere Herren. Der Motor ist schlichtweg ein Gedicht, ihr Aussehen sowieso, nur der exorbitante Preis verbietet mir den Kauf«, entgegnet Kollege Schröter.

1. Platz - Honda F6C

»Oh Gott, was für ein schwülstiger Brocken. Was für eine Verschwendung von kostbaren Ressourcen. Okay, der Sechszylinder entbehrt nicht eines gewissen Charmes, aber dieses Design? Hak’s ab, lieber Kollege Schwarz.« »Werter Kollege Schröter: Draufsitzen und wohlfühlen, schon mal erlebt? Auf der Honda fahr’ ich total relaxed durch bis Sizilien. So weich, so sanft und nachdrücklich wie dieser Sechszylinder agiert, das ist Cruisen. Zu guter Letzt macht, wie stets im Leben, der Ton die Musik. Und den triftt die Honda wie keine andere. Wwwwhhhh!“