Kein Lärm, keine Abgase – nach sieben Jahren Entwicklungszeit könnte das erste Elektro-Bike von KTM, die KTM Freeride E, dem Offroad-Sport eine ganz neue Perspektive geben.
Kein Lärm, keine Abgase – nach sieben Jahren Entwicklungszeit könnte das erste Elektro-Bike von KTM, die KTM Freeride E, dem Offroad-Sport eine ganz neue Perspektive geben.
Die Wanderer auf einem Gebirgsweg oberhalb von Saalbach-Hinterglemm wirken desorientiert. Sie sehen die Gruppe Endurofahrer auf sich zufahren, doch sie hören sie nicht. Und bevor die Wandervögel das fröhliche Servus der Enduristen erwidern können, ist der Schwarm der KTM Freeride E schon mit einem leisen Surren hinter der nächsten Biegung verschwunden.
Wohl ganz bewusst inszenierten die KTM-Marketingstrategen die Vorstellung der KTM Freeride E in der österreichischen Mountainbike- und Trekking-Hochburg. Um zu zeigen, was möglich ist, wenn Lärm und Abgase außen vor bleiben. Zeit, einen passenden Ort zu finden, hatte die KTM-Mannschaft genug. Seit 2007 werkeln die Mannen in Mattighofen an ihrem E-Motorrad-Konzept. Montierten – nachdem die Krise im Jahr 2009 die Finanzdecke dünn werden ließ – zwischenzeitlich sogar den 350er-Viertakt- und den 250er-Zweitakt-Enduromotor ins grazile E-Bike-Fahrgestell.
Inzwischen haben sich die Österreicher gut erholt, präsentierten im ersten Halbjahr 2014 mit 70.000 Maschinen die besten Verkaufszahlen der Firmengeschichte – und nun auch die KTM Freeride E. Wie die beiden Schwestermodelle mit Verbrenner steht auch das E-Bike da: schmal, leicht, zierlich. Kein Reichweiten-Jäger wie die Brammo, sondern Playmobil. 2,6 kWh Kapazität besitzt der Akku, 16 kW (22 PS) leistet der wassergekühlte Elektromotor, 110 Kilogramm wiegt die zulassungsfähige E-XC-Endurovariante (A1-führerscheintauglich).
Zündschlüssel umgedreht, Starterknopf kurz gedrückt. Zwei Balkenreihen im Display vor der Sitzbanknase dokumentieren den Ladestand des Akkus. Dazwischen können über eine Drucktaste drei Fahrmodi angewählt werden: Stufe 1 mit halber Leistung, Stufe 2 und 3 mit voller Power, aber unterschiedlich spontanem Ansprechverhalten. Schalt- und Fußbremshebel existieren nicht, ein Kupplungshebel genauso wenig. Gebremst wird mit den Lenkerarmaturen rechts (vorn) und links (hinten). Zum Losfahren genügt der Dreh am Gas-, sorry Stromgriff der KTM Freeride E.
Nur das moderate Pfeifen des Primärtriebs (Untersetzung 1:2,4) ist zu hören. Ruck, zuck schrauben wir uns die Wirtschaftswege nach oben. 75 km/h Topspeed gibt KTM für die KTM Freeride E an. Gut 60 Sachen schafft sie auf Stufe 3 bei geschätzten sieben Prozent Steigung. Nicht schlecht. Aus engen Kehren erleichtert die bauartbedingte Drehmomentstärke des Elektromotors bei niedrigen Drehzahlen den dosierten Antritt enorm, lässt die in solchen Situationen bei Verbrennern nötige glättende Hand am Kupplungshebel vergessen.
Allerdings nicht den Blick aufs Display der KTM Freeride E. Schnell sinkt die Ladestandsanzeige, lässt den Dreh am Gasgriff zaghafter werden. 50 Kilometer Reichweite proklamiert KTM. Ein realistischer Wert. Bereits im Jahr 2008 ermittelte MOTORRAD bei der mit identischer Akkugröße ausgestatteten, mittlerweile aber wieder vom Markt verschwundenen E-Enduro von Quantya eine Reichweite zwischen 25 Kilometern (Motocross) und 55 Kilometern (Waldwege).
Insofern kommt der holprige Wanderweg ganz gelegen. Gas weg. Leistungsstufe 1 würde hier reichen. Doch mit 11 PS Restleistung und zaghaftem Ansprechen bleibt der Fahrspaß arg verhalten. Dass das Fahrwerk der KTM Freeride E lässig die Rüttelpiste aufschnupft sowie erstklassig lenkt und bremst, versteht sich bei dem Know-how der Offroad-Schmiede von selbst. Boden schonende Trialreifen statt der Wettbewerbs-Grobstöller hätten dem umweltbewussten Charakter des E-Mobil-Konzepts vielleicht dennoch besser zu Gesicht gestanden.
Sei’s drum. Auf einer Alm hoch über Hinterglemm ist eine Sonderprüfung abgesteckt. Doch bevor die KTM Freeride E mit erstaunlichem Speed auf der Cross-Piste glänzen kann, wird aufgetankt. Sitzbank hochklappen, vier Schrauben lösen und einen vollgeladenen Akku implantieren dauert keine zwei Minuten. Wer keinen Ersatz hat, muss warten. 50 Minuten, bis
80 Prozent der Akkukapazität wiederhergestellt sind, 80 Minuten für die volle Ladung. Und: Man braucht Strom.
Ein Aspekt, der unweigerlich zur Grundsatzdiskussion zurückführt. Denn die teure Akku-Technik treibt den Preis der Basis-Freeride E (inklusive Akku und Ladegerät) mit 11.545 Euro auf ein schwer verdauliches Niveau. Einen 28 Kilo schweren und 3205 Euro teuren Ersatzakku in den Rucksack zu stecken, ist unrealistisch. Bleibt für die KTM Freeride E deshalb, trotz aller Begeisterung für den lautlosen Ritt durch die Natur, die Perspektive als Spaßmobil auf dem Spielplatz rund um die Steckdose. Eine Tatsache, die dem Offroad-Sport, etwa mit E-Cross-Pisten in Industriegebieten, einen wahren Boom bescheren könnte – und KTM den Respekt, als einer der ersten Hersteller den Weg dorthin gebahnt zu haben.
Motor: Wassergekühlter permanenterregter Synchronmotor, ohne automatische Rekuperationsfunk-
tion, 3 kW Ladegerät, Lithium-Ionen Batterie, maximale Akku-Kapazität 2,6 kWh, 1 Modul, 360 Zellen, 10 Ah, Batteriespannung 260 V, kupplungsfreier Antrieb mit Kette.
Maximalleistung: 16 kW (22 PS) bei 4500/min
Nennleistung: 11 kW (15 PS) bei 5500/min
Max. Drehmoment: 42 Nm, von 0/min bis 6600/min
Fahrwerk: Verbundrahmen aus Stahl und Aluminium, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein direkt angelenkt, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Scheibenbremse vorn, Ø 260 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Scheibenbremse hinten, Ø 230 mm, Einkolben-Schwimmsattel.
Alu-Speichenräder: 1.60 x 21; 2.15 x 18
Reifen: 2,75-21; 120/90-18
Maße+Gewichte: Radstand 1418 mm, Lenkkopfwinkel 67 Grad, Nachlauf 102 mm, Federweg v/h 250/260 mm, Sitzhöhe 910 mm, Gewicht 106 (XC: 110) kg, Zuladung XC 170 kg.
Garantie (Fahrzeug/Batterie): zwei/fünf Jahre
Farben: Orange/Weiß
Preis: 10.995 (XC: 11.295) Euro
Nebenkosten: 250 Euro