Bei Autos ist die Hybrid-Technologie längst in Serie gegangen, im Zweiradbereich ist sie noch Neuland. BMW-Spezialist Wunderlich zeigt nun mit dem Prototypen Hybrid-BMW X2, was denkbar wäre. MOTORRAD konnte die Elektro/Verbrenner-GS ausprobieren.
Bei Autos ist die Hybrid-Technologie längst in Serie gegangen, im Zweiradbereich ist sie noch Neuland. BMW-Spezialist Wunderlich zeigt nun mit dem Prototypen Hybrid-BMW X2, was denkbar wäre. MOTORRAD konnte die Elektro/Verbrenner-GS ausprobieren.
Verbrennungsmotoren kennen wir alle zur Genüge. Motorräder mit Elektroantrieb hat der ein oder andere vielleicht auch schon mal gefahren, ein paar Serienmaschinen sind ja immerhin schon am Markt. An die Kombination beider Antriebsarten hat sich bisher aber niemand herangetraut. Doch welchen Sinn würde solch ein Hybrid-Zweirad überhaupt machen?
Werfen wir zunächst einmal einen Blick auf den Autobereich, dort gibt es schließlich Hybridantriebe schon seit Längerem. Dabei geht es in vorderster Linie um den Umweltgedanken, um eine Reduktion des Verbrauchs fossiler Treibstoffe. Das wird dadurch erreicht, dass die Akkus beim Bremsen wieder gefüllt werden (Rekuperation), auch können diese in manchen Fällen zu Hause an der Steckdose geladen werden (Plug-in-Hybrid). Zudem kann der Verbrennungsmotor dank des alternativen Zusatzantriebs in einem günstigeren Wirkungsgradbereich effektiver betrieben werden.
Das Zusammenspiel von Elektro- und Verbrennungsmotor ist unterschiedlich gelöst und ganz entscheidend von der Leistung des E-Motors und der Akkukapazität abhängig. Mitunter wird ein Elektroantrieb eher als Booster für kurze Beschleunigungsvorgänge eingesetzt (Mildhybrid), was prinzipiell ja auch bei aktuellen Formel 1-Rennwagen der Fall ist. Auf der anderen Seite können manche Hybrid-Serienfahrzeuge mit hoher Akkukapazität und starken E-Motoren sogar über gewisse Strecken rein elektrisch fahren (Vollhybrid).
Trotzdem kann man über Sinn oder Unsinn dieser Technologie durchaus geteilter Meinung sein. Denn oft handelt es sich um Modelle der oberen Preiskategorie mit großvolumigen Verbrennungsmotoren, die sich durch den Hybridantrieb mit dem Deckmäntelchen der Umweltfreundlichkeit schmücken wollen.
Ginge es allein um eine Reduktion des Verbrauchs, machte die Hybrid-Technologie in einem Zweirad wohl eher wenig Sinn. Zumal sie zwangsläufig aufwendig, teuer und schwer ist. Bei einem Zweitonnen-Auto der oberen Preisklasse kein Argument, bei einem 200-Kilo-Bike für einen Bruchteil des Preises schon. Doch da ist beim Motorrad noch ein anderer Aspekt: Man könnte funktionelle Vorteile gewinnen, indem der Verbrenner konventionell das Hinterrad, der Elektromotor zusätzlich das Vorderrad antreibt.
Womit wir beim Thema Zweiradantrieb wären. Auch daran haben sich im Laufe der Evolution schon einige Bastler und Tüftler, aber auch namhafte Hersteller wie Öhlins/Yamaha versucht. Durchsetzen konnten sich diese hochkomplizierten mechanischen oder hydraulischen Antriebsvarianten aber bisher nicht, es blieb bei Prototypen oder Kleinstserien. So gesehen wäre der elektrische Zusatzantrieb des Vorderrads innovativ.
Genau das hat BMW-Spezialist Wunderlich in einem Prototyp auf Basis der BMW R 1200 GS umgesetzt. Die Hybrid-BMW-GS X2 besitzt den unveränderten Antriebsstrang des Boxers, zusätzlich treibt ein 7,6 kW starker Elektromotor in der Nabe das Vorderrad an. Die Akkus mit einer Kapazität von etwa 2 kWh sind verteilt auf die beiden Koffer untergebracht. Man kann leicht ausrechnen, dass man mit dieser Energiereserve wirklich nur begrenzt rein elektrisch fahren könnte. Recht praktisch ist der Elektroantrieb beim Rangieren, zumal sich der Motor ganz einfach per Kippschalter auf Rückwärtsbetrieb umschalten lässt.
Vorgesehen ist die Wunderlich X2 jedoch für den kombinierten Antrieb. Von der Bedienung her funktioniert sie wie jede andere BMW R 1200 GS: Starten, Kuppeln und Schalten – alles ganz normal. So gesehen könnte man den zusätzlichen Elektroantrieb vorn eigentlich vergessen. Nur die zusätzlichen Bedienelemente auf der Tankabdeckung unterscheiden die Hybrid-GS von einer normalen. Hier lässt sich der elektrische Antrieb zuschalten und über einen Regler in der maximalen elektrischen Leistung begrenzen. Wobei 150 Prozent bedeuten, dass im Extremfall der maximale Strom von 15 Ampere fließen kann. Bei Bedarf lässt sich die elektrische Antriebsleistung reduzieren. Während der Fahrt erfolgt die Steuerung zusammen mit dem Verbrennungsmotor proportional zur Gasgriffstellung.
Völlig unmerklich ist der Hybridantrieb aber nicht, er macht sich zunächst einmal durch das höhere Gewicht bemerkbar. Das schwere Vorderrad samt Nabenmotor, die Akkus und die aufwendige Regelelektronik ergeben ein Gesamtgewicht von satten 315 Kilogramm. Das macht sich beim Rangieren und bei niedrigen Geschwindigkeiten natürlich bemerkbar. Auch fahrend bleibt das Gewicht durch das infolge der höheren Kreiselkräfte träge einlenkende Vorderrad stets präsent. Die Wunderlich X2 fährt sich wie eine schwer beladene BMW R 1200 GS. Wunderlich musste zudem vorn Federweg und Lenkeinschlag kappen, da unter dem Entenschnabel die Regelungstechnik verstaut werden musste.
Doch was bringt das angetriebene Vorderrad? Der Boost-Effekt ist auf jeden Fall deutlich spürbar, maximal fünf Sekunden mobilisiert der E-Motor beim Beschleunigen den vollen Zusatzschub. Der steht bei jedem Gang- und Lastwechsel erneut zur Verfügung, daher reicht auf der Landstraße diese kurze Zeitspanne durchaus. Beim Beschleunigen aus der Kurve ergibt der Hybridantrieb zudem mehr Stabilität, weil das Vorderrad zieht. Andererseits bringt beim Hineinfahren das infolge der Rekuperation abbremsende Vorderrad etwas Unruhe in die Lenkung. Trotzdem wirkt die Abstimmung des Hybridantriebs der Wunderlich X2 gelungen.
Ab 120 km/h schaltet der Vorderradantrieb völlig ab. Darüber bringt er keinen Nutzen, weil sein Anteil an der gesamten Antriebsleistung wegen der auf rund 10 PS begrenzten Motorleistung mit zunehmenden Fahrwiderständen immer kleiner wird. Den größten Vorteil bringt das angetriebene Vorderrad bei großem Schlupf, etwa im Gelände. Auf rutschigem Terrain sorgt der Allradantrieb der Wunderlich X2 für mehr Traktion, um etwa auf nassem Gras anzufahren.
Und der Umweltgedanke? Der Energiegewinn durch Rekuperation ist sehr gering und wird durch das zusätzliche Gewicht und höhere Reibungswiderstände am Vorderrad sicherlich wieder aufgefressen. Kein Wunder, dass der Verbrauch auf der MOTORRAD-Testrunde mit 4,8/100 km im Rahmen der üblichen Messwerte für die normale BMW R 1200 GS lag. Aber darum ging es bei dem Wunderlich-Projekt gar nicht. „Die Idee entstand irgendwann mal abends an der Theke. Wir haben dann Möglichkeiten gesucht und gefunden, das umzusetzen“, erklärt der Geschäftsführer von Wunderlich, Frank Hoffmann. An eine Serienfertigung oder Weiterentwicklung ist nicht gedacht. So bleibt die Wunderlich X2 ein reines Showbike, auch wenn das Potenzial des Allradantriebs schon im Prototyp-Stadium erkennbar ist.
Wunderlich-Hybrid-BMW X2
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