Finale: Eigenbau Rallye-Yamaha XT 500
Die Jungfernfahrt einer Rallyemaschine

Selbst baut der Mann, dachte sich Motorrad-Konstrukteur Klaus Nennewitz und schuf mit viel Know-how und kompetenter Hilfe seine ganz spezielle Rallyemaschine. Bei der Rallye Dresden-Breslau durchlebte das Duo eine ereignisreiche Jungfernfahrt.

Die Jungfernfahrt einer Rallyemaschine
Foto: Nennewitz

Die Rallye-XT-500 ist kein Jugendtraum von mir, ganz bestimmt nicht. Als Jugendlicher hatte ich die Wände meines Zimmers mit Postern von Moto-Cross-Stars aus den USA tapeziert. Die fuhren Motorräder mit Wasserkühlung, Scheibenbremsen und Mono-Federbeinen. XT-500-Fahrer waren höchst uncool, entweder altväterlich oder hyper-alternativ.

Doch meine Laufbahn als Konstrukteur für die Motorradindustrie hat mich empfänglich gemacht für den Charme der XT, der sich abseits von Rotstift und Marketingstrategien mit angenehm gedämpfter Auspuffmusik beim Schottercruisen entfaltet. Die Freundschaft mit dem holländischen Paris-Dakar-Fahrer Henno van Bergeijk, der im Jahr 2006 auf einer leicht modifizierten XT 500 als Letzter ins Ziel kam, tut das Übrige: Ich beschließe, mir eine Rallye-XT aufzubauen und damit Dresden-Breslau zu fahren.

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Die Jungfernfahrt einer Rallyemaschine
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Meine beiden neuzeitlichen Rallye-KTM im Blick zeichne ich Layouts, um Gewichtsverteilung und Fahrwerksgeometrie für eine akzeptable Fahrbarkeit zu finden. Nach einer Woche steht das Konzept und dann finden sich auch zwei XT 500. Ein perfektes 1986er-Exemplar dient als Vorlage für den Modellbau, eine nicht funktionsfähige 1982er wird die Basis fürs Rallyemotorrad. Dazu kaufe ich einen SR-500-Motor, der mit seinem größeren Einlassventil und dem 12-Volt-Generator besser geeignet ist, als die Originale.

Provisorisch werden Gabel, Federbeine und Schwinge verlängert, um die Geometrie der Zeichnung zu realisieren und die richtigen Proportionen für die Spezialteile zu finden. Einer der letzten italienischen Blechkünstler, der Anfang der 1980er-Jahre mit handgedengeltem Alu die ersten Rallye-Cagiva einkleidete, baut mir Tanks, Luftfilterkasten und Verkleidungsteile. Italienische und spanische Zulieferer sowie einige gefledderte Fremdfabrikate liefern weitere Komponenten. Die Schwinge zum Beispiel stammt von einer Kawasaki KLX 250 des Baujahres 1980.

Drei Wochen vor der Rallye ziehe ich mit einem Bus voller Teile in die Werkstatt von Yamaha-Händler Meinhold "Shorty" Müller nach Beverungen. Für ein Happening, bei dem ich als Praktikant hautnah erleben darf, wie der Meister an der Drehbank und mit dem Schweißgerät zahllose kleine Kunstwerke produziert. Sein Bruder Norbert, einst Messtechniker im Atomkraftwerk Würgassen, konzipiert und baut innerhalb von zwei Tagen die komplette elektrische Anlage. Jedes Halteblech, jede Schrauben- oder Steckverbindung muss neu konzipiert und angefertigt werden; weil Zeit knapp ist, werden kleine Irrtümer zu mittleren Katastrophen.

Nennewitz
Bei der Dresden-Breslau-Rallye muss sich die XT nicht nur durch tiefes Wasser sondern auch durch tiefen Sand arbeiten.

In der Nacht vor dem TÜV-Termin läuft erstmals der Motor, und nachdem tags darauf der Prüfingenieur eine halbe Stunde probegehoppelt ist, trägt er alle Änderungen ein. Nur noch ein Tag bleibt für Testfahrten inklusive dringend nötiger Nachbesserungen an Benzinversorgung und Elektrik. Weil die Abstimmung der praktisch dämpfungsfreien Gabel und der viel zu zäh arbeitenden Federbeine nicht harmoniert, bestelle ich andere Federn direkt nach Dresden. Die sind rasch eingebaut, aber das Starten des Motors wird ein Drama, das sich durch die ganze Rallye zieht.

Äußerst vorsichtig taste ich mich mit der XT durch den Showprolog auf einem stillgelegten Messegelände bei Dresden. Trotzdem, oder gerade deswegen, versackt die Maschine im ersten der künstlich angelegten Schlammlöcher. Aber lieber saufe ich ab, als dass ich Gas und Kupplung loslasse und dabei womöglich der Motor abstirbt.

Es wird noch viel anstrengender. Noch eine Runde Messegelände, dann 700 Kilometer Verbindungsetappe auf Asphalt und schließlich 100 Kilometer Wertungsprüfung sind das Programm für den nächsten Tag. Im Camp in Polen, beim Service der XT nachts um ein Uhr, kommt Panik auf. Bereits nach 150 Kilometern offroad haben sich etliche Schrauben gelöst, einige fehlen ganz, und die Batterie ist aufgeblasen wie ein Luftballon. Vor lauter Unruhe kann ich während des viel zu kurzen Rests der Nacht nicht einschlafen. Dabei stehen morgen 200 Kilometer auf den achterbahnähnlichen Panzerpisten polnischer Militärgelände an. Immerhin gelingt es mir bis 50 Kilometer vor dem Ziel, die Tränen der Erschöpfung zu unterdrücken. Dann geht mir auch noch das Benzin aus, und nach der Zieldurchfahrt lege ich mich mit schwarzen Gedanken ans Aufgeben erst einmal für zwei Stunden schlafen.

Nennewitz
Ohne ein verlässliches Team ist die Rallye Dresden-Breslau für Fahrer und Maschine kaum zu schaffen.

Das gibt mir Energie und Motivation zurück. Jetzt erst recht. Zum Glück folgen Pisten ohne supercrossähnliche Schwierigkeiten, auch passe ich meinen Fahrstil immer besser der Dämpferabstimmung an. Doch der Kickstart bleibt ein Alptraum, vor allem als ich meine XT nur fünf Meter vor einem Kontrollpunkt bis zur Sitzbank im Sumpf versenke. Mit Hilfe einiger Fotografen, mit einigen Baumstämmen aus dem Wald und einem Abschleppseil wuchte und zerre ich die XT nach einer Dreiviertelstunde wieder aus dem Schlamm. Aber sie springt halt einfach nicht an. Rettung naht in Gestalt des Vorjahressiegers Robert Leischner, der zuerst ebenfalls im Schlamm versinkt und mich dann anschleppt. Dafür diene ich ihm für die restlichen 90 Kilometer der Etappe als Tourguide, weil seine Navigationsinstrumente hinüber sind.

Immer besser schieße ich mich auf die XT ein. Der abendliche Service reduziert sich auf Filterwechsel und die Kontrolle der wichtigsten Bauteile und Schraubverbindungen. Beinahe scheint es mir, als würde ich auch das Ankicken in den Griff kriegen. Als einziger finde ich während der 560 Kilometer langen Marathonetappe die fahrbare Linie durch eine Furt, nur um die Maschine wenige Meter weiter wie einen Stein in die nächste Wasserdurchfahrt zu werfen.

Es dauert eine gute Stunde bis sie wieder läuft. Dann versagen die Instrumente und jetzt bin ich es, der durch eine gigantische Staubwolke im Gegenlicht der tiefstehenden Abendsonne den anderen hinterherfahren muss, um noch vor Dunkelheit ins Ziel zu kommen.

Das Thema Wasserdurchfahrt stellt sich bis zum Ende. Auf den letzten 50 Metern der 1800 Kilometer langen Strecke legt sich uns ein Fluß in den Weg. Der Großteil der Kollegen steht schon bis zur Hüfte im Wasser und versucht, mir den richtigen Weg zu weisen. Gemeinsam kämpfen wir uns durch und danach nehmen wir ein kollektives Entspannungsbad. Dieses Mal freiwillig.

Technische Daten

Nennewitz
Der Einsatzmotor steht unbeschichtet in der Mitte; er stammt aus der SR 500 und erhält wegen des größeren Einlassventils und des 12-Volt-Generators den Vorzug vor den echten XT-Motoren.

Motor:
Luftgekühlter Einzylinder-Viertakt-Motor, zwei Ventile, von einer Nockenwelle über Kipphebel betätigt, Bohrung x Hub 90 x 84 Millimeter, 540 cm3, ca. 27 kW (37 PS) bei 5700/min, Mikuni-Rundschiebervergaser, Durchlass 36 mm, Ölkühler, Kickstarter, Ölbadkupplung, Primärantrieb über Zahnräder, Fünfganggetriebe, Kettenantrieb.

Fahrwerk:
Einschleifen-Rohrrahmen mit doppelten Unterzügen aus Stahl, vorn Telegabel, hinten Zweiarmschwinge mit zwei Federbeinen, Einscheibenbremse mit Doppelkolben-Schwimmsattel vorn, Einscheibenbremse mit Einkolben-Schwimmsattel hinten, 21"-Drahtspeichenrad vorn/18"-Drahtspeichenrad hinten.

Maße und Gewicht:
Gewicht (trocken) ca. 145 kg, Tankinhalt 29 Liter.

Preis:
Standard-XT 500 5508 Mark (1982), Rallye-XT 540 über 20000 Euro (Material und Arbeitszeit)

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023