Die ebenso lang erwartete wie ersehnte Yamaha Ténéré 700 ist endlich da. Um zu checken, ob auch tatsächlich gut ist, was so lange währt, baten wir den Twin umgehend zum Tanz um die Top-Test-Pylonen. Hossa!
Die ebenso lang erwartete wie ersehnte Yamaha Ténéré 700 ist endlich da. Um zu checken, ob auch tatsächlich gut ist, was so lange währt, baten wir den Twin umgehend zum Tanz um die Top-Test-Pylonen. Hossa!
Old legends never die" ("Alte Legenden sterben nie") ist zwar einerseits eine Binsenweisheit. Andererseits wird der Wahrheitsgehalt ebendieser Binse derzeit ja schön belegt, wie man an der Erregung der Zweiradszene angesichts der Einführung der aktuellen Yamaha Ténéré 700 unschwer ablesen kann. Schließlich hat der Name, der in der Sprache der Tuareg "Land da draußen" bedeutet und eine Sandwüste im Norden Nigers benennt, in der Szene der Fern-, Wüsten- oder sonstwie Abenteuerreisenden einen Ruf wie Donnerhall.
Begründet wurde dieser ab 1983 mit der XT 600 Ténéré, Modellcode 34L. Sie sah den offiziellen Wüstenrennern mit ihrem großen 28-Liter-Tank und den ellenlangen Federwegen (v/h 255/235 mm) sehr ähnlich und galt mit 168 Kilogramm als relativ leicht. Aufgrund ihrer außerordentlichen Zuverlässigkeit entwickelte sie sich schnell zum Quasistandardfahrzeug der Szene. Im Lauf der Jahre wurde die 600er immer weiter domestiziert, was zwar im Alltag Vorteile brachte, ihre Offroad-Qualitäten aber zunehmend einschränkte.
Die 1991 vorgestellte wassergekühlte XTZ 660 trug zwar noch den Wüstennamen, war aber das, was man heute als Softenduro bezeichnen würde. Noch ärger war es mit der 1989 vorgestellten zweizylindrigen XTZ 750 Super Ténéré, die zwar optisch an die Werksrenner angelehnt war, mit Gelände aber nie wirklich etwas am Hut hatte. Yamaha schien das Interesse an diesem Segment verloren zu haben, was auch dadurch belegt wird, dass auf einer offiziellen Tabelle zur Modellhistorie zwischen 1996 und 2008 überhaupt keine Ténérés zu finden sind. Der Ruf aber, der blieb.
Erst 2008 betrat Yamaha mit der XT 660 Z Ténéré wieder die Bühne der Reiseenduros, und alles hätte gut werden können. Doch das Umfeld hatte sich verändert. So galt die 660er zwar als günstig, aber auch als zu schwach, zu schwer und vor allem als zu einzylindrig. So führte sie zumindest hierzulande ein weitgehend unbeachtetes Dasein. Zu der seit 2010 angebotenen XT 1200 Z Super Ténéré sei an dieser Stelle nur Folgendes gesagt: Gewicht vollgetankt 269 Kilogramm! Sie ist freilich ein komfortables und zuverlässiges Reisemotorrad, auch mit Schlechtwegqualitäten, eines ist sie definitiv nicht: eine Enduro. Der Ruf aber, der blieb.
Es ist unklar, ob sie bei Yamaha die ganz alten Dakar-Filme geschaut und dann gesagt haben, so ein Bike brauchen wir wieder, oder ob sie den anderen Ruf gehört haben. Den Ruf derer nämlich, die von ihren Motorrädern nicht gefahren werden wollen, sondern selbst die Zügel in der Hand halten. Die sich fragen, was sie mit dreistelligen PS-Zahlen sollen, wenn der Grip und mitunter auch die eigenen Fähigkeiten unter entsprechenden Bedingungen schon bei der Hälfte leicht an die Grenzen kommen. Wie man denn weiterkommen soll, wenn irgendwo im Nirgendwo ein Sensor Schluckauf hat und das nächste OBD-Auslesegerät mehrere Tagesetappen entfernt ist? Und, auch nicht ganz unwichtig, deren Budget Preise tief im fünfstelligen Bereich einfach nicht zulässt.
Auf all diese Fragen hat Yamaha eine schlanke, aber hoch aufragende Antwort gefunden. Das finale Ausformulieren dieser Antwort hat sich zum Schluss etwas gezogen, denn von dem Prototyp, den MOTORRAD bereits 2017 kurz fahren durfte, unterscheidet sich das Serienbike nicht nur optisch doch stark. Doch das Konzept blieb weitgehend: schlank, drahtig, keine Spielereien und nicht zu viele Kompromisse. So geht die Sitzhöhe von 880 Millimetern schon schwer in die Richtung Zwergentod, aber deshalb etwas Federweg (v/h 210/200 Millimeter) opfern? No way. Immerhin gibt es im Zubehör eine niedrigere Sitzbank sowie einen Tieferlegungssatz. Eine höhere Bank gibt es übrigens auch, wohl damit man beim Aufstehen nicht so lange Wege hat. Hat man den harten und schmalen Sitz erklommen und den Twin vom edel wirkenden Aluminium-Seitenständer in die Senkrechte bugsiert, fällt der Blick auf das an eine alte Spielekonsole erinnernde monochrome LCD-Cockpit. Neben der allenfalls mäßigen Ablesbarkeit fällt vor allem auf, dass sich Leucht- oder Reflexstreifen auf der Brust der Schutzkleidung gern im Cockpit spiegeln.
MOTORRAD-Podcast – Kurvendiskussion
Neben Tempo, Drehzahl, der Außen- und Motortemperatur zeigt es den momentanen und den Durchschnittsverbrauch an. Es bietet zwei Tripcounter sowie ein Trip CD genanntes Zählwerk, das von einer frei einzugebenden, maximal dreistelligen Zahl auf null herunterzählt. Wofür auch immer man dieses Feature gebrauchen kann. Was man allerdings gebrauchen könnte, wäre eine sinnvoll anzeigende Tankuhr. Zumindest beim Testmotorrad passiert auf den ersten 100 Kilometern nach dem Volltanken nichts, auf den folgenden 150 Kilometern verschwinden die Klötzchen in rascher Folge, und das letzte blinkt auf. Ziemlich unauffällig, sodass man es leicht übersehen kann – zumal bei Tageslicht. Tankt man dann unmittelbar, gehen gerade zwölf von angegebenen 16 Litern hinein. Also geht man der Sache auf den Grund. Ausgerüstet mit einer Notration Sprit im Rucksack, heißt es Tank trocken fahren. Doch nach 80 (!) Kilometer Dauerblinken – ein weiterer Zähler zeigt die auf Reserve gefahrene Strecke an – lassen die äußeren Umstände, Stichwort: Autobahnbaustelle ohne Standstreifen, eine Tankung äußerst ratsam erscheinen. 1,7 Liter waren noch drin, die hätten noch mal für rund 50 Kilometer gereicht. Denn geruhsam bewegt, reichen dem Twin 3,7 Liter für die Standarddistanz. Rund ein Drittel der Reichweite als Reserve auszuweisen erscheint dem Autor dann doch etwas übervorsichtig, doch vielleicht handelt es sich hierbei um einen Einzelfall. Ein letztes Wort noch zum Thema Cockpit: Der Tacho eilt stark voraus, über Tempo 100 sind es 10 km/h und mehr, will heißen, Tacho 130 entspricht lediglich echten 120 km/h. Bei der realen Vmax von 186 km/h lässt sich das Gerät sogar zu einer Zwei auf dem Display hinreißen.
Wohl sind Autobahnjagden nicht eben das, wofür die 700er entwickelt wurde, sie macht das aber klaglos mit. Der Geradeauslauf ist stabil, selbst bewusst eingeleitete Störimpulse klingen schnell wieder ab. Hinter der hohen, aber schmalen und nicht verstellbaren Scheibe wird es dann zwar ordentlich laut, sie bietet aber so viel Windschutz, dass auch bei hohen Tempi mit zumindest halb geöffnetem Visier gefahren werden kann. Bei Hitze eine Wohltat. Hohes Tempo liebt auch das Fahrwerk. Der Rallye-Optik entsprechend wartet vor allem das voll einstellbare Federbein mit straffer Dämpfung auf. Anfangs war das Ansprechverhalten bei moderatem Tempo etwas ruppig, doch jeweils zwei Klicks an der Dämpfung herausgenommen, erhöhte sich der Komfort spürbar. Leider ist die Schraube für die Druckstufenverstellung nicht wirklich gut erreichbar. Im Gegensatz zur Verstellung der Federbasis, die einfach per Handrad zu bewerkstelligen ist. Die 43er-Kayaba-Upside-down-Gabel gibt sich etwas verbindlicher. Sie spricht hervorragend an und bügelt sämtliche Unebenheiten weg, ohne deswegen labbrig zu erscheinen.
So, jetzt aber runter von der Bahn und über Landstraßen verschiedenster Qualitäten hin zum Testgelände, wo, das sei an dieser Stelle schon verraten, der erste Fahreindruck bestätigt werden wird. Eines noch vorweg: Die Yamaha steht auf Pirelli-Scorpion-Rally-STR-Reifen, vorne mit Sonderkennung "A" in der weitverbreiteten 21/18-Zoll-Kombination. Wie es sich für eine Enduro gehört, sind diese relativ grobstollig. Und wer grobstollige Reifen kennt, weiß, dass diese auf der Straße nicht immer den besten Eindruck hinterlassen. So hat man sich einen nicht allzu hohen Erwartungshorizont festgelegt und sieht sich nach wenigen Kurven aufs Angenehmste enttäuscht. Schon ihre Schwester, die MT-07, ist ein wieselflinker Kurvenräuber, doch die Ténéré lenkt nochmals leichtfüßiger ein, bleibt aber dennoch in Schräglage stabiler. Hier kommen einerseits die schmale Reifenbreite vorn und andererseits der große Felgendurchmesser zum Tragen. Es dauert jedoch eine ganze Weile, bis man den Enduro-Look der Reifen aus dem Kopf bekommt und richtig in die Haftung vertraut. Doch nicht übertreiben, der Grenzbereich liegt, wie die Zeiten auf dem Parcours beweisen, hoch, ist aber schmal. Wird es den Gummis zu viel, schiebt das Bike über beide Räder in Richtung Rabatten. Zaubern können auch die Pirellis nicht, wie die nur mäßigen Verzögerungswerte belegen. Der hohe Negativanteil des Profils sowie die walkenden Blöcke setzen hier einfach physikalische Grenzen. Wer ausschließlich auf Asphalt unterwegs ist und auf den Dreitagebart-Look verzichten kann, spannt sich einfach andere Gummis auf die Felgen. Die übrigens mit Schläuchen bestückt sind, was die Montage fernab von entsprechenden Maschinen deutlich erleichtert.
Da Kollege Rolf Henniges und all die anderen Kollegen, die der Präsentation des Twins beiwohnen durften, in den höchsten Tönen von den ausgiebig genossenen Offroad-Eigenschaften schwärmten, war eine Überprüfung dieser Aussagen unumgänglich. Da der Besuch einer adäquaten Wüste, schon gar nicht der namensgebenden, weder in den Zeit- noch in den Budgetrahmen zu integrieren war, ersuchten wir kurzerhand Asyl beim freien Training auf einer kleinen, aber feinen privaten Motocross-Strecke in der Nähe des Testgeländes. Unter den kundigen Händen von Ex-WM-Crosser Peter Mayer stand die Yamaha den ganzen EXCs und Co. gar nicht so sehr im Weg herum, und bereits nach wenigen Runden ging der etwa 15 Meter lange Table problemlos voll. Während das hintere Federbein diese Belastung ungerührt wegsteckte, kam die Gabel bei der Landung an ihre Grenzen, doch mit ein paar Klicks mehr Druckstufendämpfung meisterte auch sie dann die Prüfung zur Zufriedenheit aller.
Nach dem kurzen, aber heftigen Intermezzo meinte Peter, er könne einen Offroad-Vergleich mit der KTM 790 Adventure R, und das R ist wichtig an dieser Stelle, kaum erwarten. Denn das Ergebnis sei keineswegs sicher. Wieder zurück auf der Straße, verschwindet die Sonne langsam hinter dem Horizont, und die Nacht bricht herein. Jetzt können die vier martialisch dreinschauenden LED-Lampen zeigen, was sie draufhaben. Bei Dunkelheit schiebt die Yamaha einen an eine randvoll mit Quark gefüllte Salatschüssel erinnernden Lichtkegel vor sich her. Dieser ist zwar sehr hell und gleichmäßig ausgeleuchtet, hat aber eine harte Hell Dunkel-Grenze. Da die Verkleidung rahmenfest montiert ist, leuchten die Lampen immer stur geradeaus. Solange es einigermaßen in diese Richtung geht, ist alles so weit in Ordnung. Sobald aber der Straßenverlauf kurviger wird, ändert sich das Bild. Denn je mehr Schräglage das Motorrad fährt, desto mehr wandert der auf der Kurveninnenseite liegende Rand des Lichtkegels in Richtung Vorderrad. Das klingt erst einmal gut, ist es aber nicht, denn so wandert auch der dunkle Teil in Richtung Motorrad. Es ist quasi das Gegenteil von Kurvenlicht. Das Fernlicht wiederum, das dem Abblendlicht zugeschaltet wird, addiert der Salatschüssel noch einen weit nach vorne scheinenden Lichtstrahl hinzu.
Bislang haben wir noch nicht allzu viele Worte über den Antrieb verloren. Er ist baugleich mit dem der MT-07 und hier wie dort ein echter Freudenspender. Durch die im Vergleich zur MT geänderten Ver- und Entsorgungswege soll der Twin mit seiner 270-Grad-Kurbelwelle im mittleren Drehzahlbereich etwas Dampf gewonnen haben. Auf dem Prüfstand bestätigt sich dies aber nicht. Macht aber auch nix. Denn auch er spricht fein an, hat eine lineare Leistungsentfaltung und ist schön drehfreudig. Zudem ist er so elastisch, dass man problemlos im vierten Gang anfahren kann. Was gelegentlich nötig ist, denn wenn man beim Anhalten zu spät anfängt, herunterzuschalten, verheddern sich gerne mal die Gänge. Und Schalten im Stand mag dieses Getriebe nicht.
Aufwärts funktioniert die Schaltbox problemlos. Die seilzugbetätigte Kupplung mit nicht einstellbarem Handhebel lässt sich locker mit zwei Fingern bedienen, fein dosieren und neigt lediglich nach dem morgendlichen Kaltstart ein klein wenig zum Rupfen. Die Sekundärübersetzung wurde dem 18-Zoll-Hinterrad angepasst, ist dennoch einen Tick länger als bei der MT-07. Wobei bei dieser im Gegensatz zur Ténéré der siebte Gang auf der Autobahn nie vermisst wurde. Warum auch immer. Zeit für ein kleines Resümee: 36 Jahre nach der ersten Ténéré darf der Kreis als geschlossen betrachtet werden, wenngleich die neue, abgesehen von der Silhouette vielleicht, nichts mehr mit einem Dakar-Renner zu tun hat. Dort fährt man seit einigen Jahren mit 450er-Einzylindern. Dennoch trifft die neue Ténéré ziemlich exakt den Geist der alten. Auch wenn es sehr lange gedauert hat: Der Ruf wurde erhört. Die Legende kann weitergehen.
Yamaha hat seit einigen Jahren ein richtig gutes Gespür für den Markt, siehe MT-07 und MT-09. Auch die Nachfrage nach der Ténéré zeigt, dass es einen Markt für Fahrzeuge gibt, die sich auf das Wesentliche konzentrieren und so ziemlich alles, was nicht dem eigentlichen Zweck, dem Fahren, gerne auch offroad, dient, schlicht und ergreifend weglassen. Sie ist noch nicht perfekt, aber dennoch ein ganz großer Wurf. Chapeau!