Ohne Zweifel ist der Süden Brandenburgs mehr Einöde denn Traumrevier für Motorradfahrer. Bis zum Horizont, der hier wie ein mit dem Lineal gezogener Strich Himmel und Erde voneinander trennt, schweift der Blick über flaches Land, grüne Wiesen und unendliche Kiefernwälder. „Märkische Heide, märkischer Sand“ – nicht ohne Grund stimmt man so zur inoffiziellen Hymne des Bundeslands an, das die Hauptstadt Berlin wie eine Insel umschließt, fahrdynamisch aber eher an die Route 66 erinnert. Schnurgerade Landstraßen und Alleen prägen das Bild. In den wenigen Kurven der Region tummeln sich an schönen Wochenenden Tausende Motorradfahrer (und die gesamte Polizei) wie sonst nur Pilger in Mekka. Gepriesen sei das seltene Gefühl der Querdynamik. Der gemeine Brandenburger – zu denen auch der Autor dieser Zeilen gehört – sucht daher gern nach anderen Möglichkeiten, die Lustzentren im Hirn mit der Gashand zu kitzeln. Etwa auf großer Tour in die Alpen – oder auf der Rennstrecke vor der Haustür.
Ohne Absperrungen und elitäre VIP-Bereiche
Der Spreewaldring, keine Stunde von Berlin entfernt, ist dafür wie gemacht. Was im ersten Moment wie ein synthetischer Micky-Maus-Kurs im Niemandsland aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als absoluter Volltreffer. 2,7 Kilometer, ohne elendig lange Geraden, dafür mit zehn Rechts- und sieben Linkskurven gespickt, machen den Kurs nicht nur für brandenburgische Verhältnisse zum Kurvenparadies. Seit 2015 feiert sich dort einmal im Jahr die Klassik- und Custom-Szene mit einem ganz speziellen Event. Einer Rennveranstaltung, deren Strahlkraft so groß ist, dass mittlerweile auch Gäste aus dem Ausland den Weg an den Rand des Spreewalds finden. Und man mit dem brandenburgischen Asphalt mittlerweile auch volle Schräglage verbindet.
Nach einem intensiven Wochenende wird klar, warum das Interesse am „Built not Bought“ genannten Motorradfestival stetig wächst. Denn das Rezept für „BnB“, wie die Veranstaltung liebevoll genannt wird, ist denkbar einfach, aber mittlerweile selten: Es vereint einen bunten Haufen alter, schneller und schöner Maschinen auf dem Kurven-Karussell in einem ganz und gar unprätentiösen Rahmen. Unter den Fahrern sind absolute Profis, mehr oder weniger erfahrene Hobbyrennfahrer, vor allem aber Bastler und Freunde authentischer Zweiräder, die in ungezwungener Atmosphäre den Geist des einfachen, aber umso faszinierenderen Rennsports in die Neuzeit transportieren. Absperrungen, elitäre VIP-Bereiche oder distanziertes Miteinander? Mitnichten.
Elementares Scheitern und süße Erfolge
Vordergründig geht es bei Built not Bought um Rundenzeiten und Podestplätze. Über 300 Maschinen stehen jedes Jahr am Start, treten in zehn Klassen gegeneinander an. Café Racer, Einzylinder, Zweitakter, Classic Superbikes oder spektakuläre Gespanne bieten den Zuschauern ein wirkliches Fest für die Sinne. Die Trackoiler-Klasse ist dabei sicher ein Highlight – vereint sie doch wilde Vorkriegsmaschinen und undefinierbare Einzelstücke, die äußerst unterhaltsam über den Asphalt kurven. In Schräglage wimmernde Reifen, der Duft von verbranntem Castrol in der Luft, das Trommelfell vom Bass nur zaghaft gedämpfter Auspuffrohre massiert. Die Action auf der übersichtlichen Strecke und der Hörgenuss in und außerhalb der Boxengasse sind für das Sensorische ein Fest.

Doch nicht nur das Offensichtliche spielt bei Built not Bought eine Rolle. Es geht um mehr, um viel mehr. Denn wofür das Festival auch steht, das ist die im populären, modernen Motorsport fast verloren gegangene Kultur von Gemeinschaft und klassenlosem Denken, das weder Standesdünkel noch Markengrenzen kennt. Was nach sehnsüchtiger Romantik eines Ewiggestrigen klingt, ist jedoch Fakt: Die familiäre Atmosphäre zwischen Teams, Zuschauern und Ausstellern und die allgegenwärtige Offenheit ist bei Built not Bought wirklich einzigartig.
Das mag auch am Titel der Veranstaltung liegen. Denn Built not Bought ist kein einfacher Name, sondern auch das inoffizielle Mantra der Motorsport- und Custom-Szene. Die drei Wörter stehen für eine Geisteshaltung, in der jeder Fahrer eines Motorrads auch ein Mechaniker ist. Weg mit dem Delegieren von Verantwortung – her mit dem Dreck unter den Fingernägeln. Die handwerkliche Herausforderung als Teil des Besitzens wird also nicht nur mit Argwohn als lästige Pflicht, sondern als elementarer Bestandteil des großen Ganzen verstanden. Nicht nur kaufen, auch mal selbst etwas bauen – das ist die Devise, die Built not Bought zu einem verbindenden Element macht. Weil der Austausch mit den Brüdern und Schwestern im Geiste, die Lernprozesse, elementares Scheitern und süße Erfolge wie selbstverständlich dazugehören. BnB darf deshalb auch als Chiffre für den selbstbestimmten, mündigen und neugierigen Menschen verstanden werden, der das Material nutzt, statt es in dunklen Garagen der eigentlichen Nutzung zu entziehen. Der sich auf der analogen Spielwiese einer Werkbank noch auskennt – oder an der Erkundung dieser Welt zumindest Gefallen findet.
Spreewaldring ist perfekt für Bikes bis 100 PS
Das hat zur Folge, dass das Starterfeld auf dem Spreewaldring, dieser geglückten Kombination enger Kurven und toleranter Geräuschmessung, durch seine Vielfältigkeit besticht. Da stehen fast serienmäßige Japaner neben Kleinserien von UNO, Rickman, Seeley oder Rau, parken elitäre Königswellen neben wummernden Guzzis, stampfen Harleys neben kreischenden Zweitaktsägen und euphorisch brabbelnden Café Racern. BMW-Gespanne lassen Ölwanne und Gliedmaßen der engagierten Schmiermaxe hauchdünn über den Asphalt fliegen, während Baujahr, Budget, Umbaugrad und die Herkunft von Fahrern und Maschinen überhaupt keine Rolle zu spielen scheinen. Hauptsache, das Material ist in Würde gealtert oder intensiv individualisiert. Oder beides.
Die Grenze ziehen Fatma und Michael Fischer, die Gründer und Veranstalter des nicht von kommerziellen Interessen getriebenen Events, bei leistungsstarken Vierventilern jüngerer Bauart. „Alles jenseits des Potenzials einer, sagen wir, Ducati 888 wäre auf dem sehr kurvenreichen, engen Rundkurs fehl am Platz“, wie Michael Fischer klarstellt. „Uns geht es darum, beim BnB echte Fahrmaschinen zu versammeln, an denen noch richtig geschraubt wird. Was wir vermeiden wollen, sind Motorräder, die direkt aus dem Verkaufsraum von Großserienherstellern kommen. Die finden woanders sicher bessere Veranstaltungen. Der Spreewaldring mit seinen vielen Kurven und dem perfekten Asphalt ist eher etwas für Klassiker und Umbauten bis um die 100 PS. Zumal unsere Zuschauer ganz nah dabei sind – im Fahrerlager, der Boxengasse, bei den Siegerehrungen und sogar im Infield zwischen den Strohballen.“ Liebhaber alter Renner, dynamischer Youngtimer oder umgebauter Klassiker sind bei der Fahrveranstaltung also herzlichst willkommen.
Legenden von heute und morgen am Limit
Zugegeben, bei anderen der Tradition verpflichteten Racing-Events finden sich ähnlich illustre Motorräder wie Münch, Starrrahmen-Harley, urwüchsige Rudge, wunderschöne Bimota oder fauchende Honda CBX im Starterfeld. Glücklicherweise arten die Gespräche im Fahrerlager beim Built not Bought aber nicht, wie andernorts, in Diskussionen über die Originalität der sorgfältig im Transporter herangekarrten Hardware aus. Natürlich haben viele der älteren Maschinen das Niveau musealer Ausstellungsstücke mit historischem Vermächtnis. Trotzdem macht sich hier kein Mensch ernsthaft Gedanken über die Wahl korrekter Schrauben, vom Auslieferungszustand abweichende Aufkleber oder wenig authentische, dafür besser haftende Reifen. Das ist erholsam und trägt zum liberalen Geist von BnB bei.
Zumal niemand auf dem Spreewaldring die Haltung vertritt, man solle die bis zu 90-jährigen Motorräder gefälligst schonen. Denn, man ist sich einig, das wäre ein Jammer. Schließlich schlummern in unzähligen Garagen schon genug Highlights als Anlageobjekte vor sich hin, die es verdient hätten, standesgemäß benutzt zu werden. Auch wenn mit dem Nutzen der Verschleiß einhergeht. Zwar mögen ölende Motoren und Kratzer im Lack in den Augen mancher Liebhaber schmerzen. Doch sind diese Spuren doch nur wahre Insignien eines bewegten Lebens.
Built not Bought ist eben auch Built to Race. Die alles andere als normalen, oft alten, manchmal seltenen, im Zweifel sogar teuren Maschinen werden ein ganzes Wochenende lustvoll um den Rundkurs getrieben. Man erlebt so live, was statische Ausstellungen nicht vermitteln können – die Legenden von heute und morgen am Limit! Das fasziniert. Zwischen 80er-Jahre-Boxer und englischem TT-Renner mit glorreicher Vorkriegshistorie wird dabei kaum ein Unterschied gemacht. Wozu auch? Der traumhafte Zustand, von dem in vielen Boxengassen gesprochen wird, bezieht sich eben nicht immer nur auf die Beschaffenheit eines einzigartigen Exponats. Vielmehr sollte der traumhafte Zustand doch im Kopf der Menschen provoziert werden. Und das geht nun mal am besten durch hautnahes Erleben, Erfahren und Erspüren. Auch und vielleicht gerade im sonst so platten Brandenburg.
Infos
Über 300 Straßen- und Rennmotorräder – darunter exklusive Klassiker mit großer Historie und Eigenbauten aus privaten Garagen – werden sich vom 2. bis 3. Juni 2018 ausgiebig auf dem Spreewaldring austoben. Ein alter Doppeldecker-Bus fungiert beim BnB traditionell als Tribüne, während die Box für alle Besucher geöffnet ist. Auf der großen Schraubermeile präsentieren sich außerdem Handwerker – Fräser und Dengler, Lackierer und Pinstriper, Motorengurus und Teilehändler. Anmeldungen für Fahrer oder Infos für Besucher findet man auf: www.racecafe.berlin