Der Earl of March and Kinrara, Duke of Richmond gab sich die Ehre. Er hatte eingeladen zum Champagner-Cocktail, zur Dinnerparty und – die Hauptsache – zum Rennen fahren beim Goodwood Revival. BMW Classic hatte wiederum mich eingeladen, daran teilzunehmen. Auf einer kostbaren Königswellen-RS 54, als Teil eines Teams von acht Fahrern auf vier Motorrädern. Eine große Ehre, die mir aber das Herz bis zum Hals schlagen lässt. Ein Vorabtest in Hockenheim baut etwas Nervosität ab. Doch das Revival wäre nicht, was es ist, wenn es mit dieser Art der Vorbereitung getan wäre.
Die Dresscodes halten mich auf Trab. Kleidung im Stil der 40er-, 50er- oder 60er-Jahre ist fürs Fahrerlager gefordert, Hemd, Jackett und Krawatte oder ein weißer Mechaniker-Overall. Das Tragen eines Huts oder einer Tweedkappe wird empfohlen. Das kriege ich hin, dagegen scheitert der Versuch, eine von Hand zu bindende Smoking-Schleife für die Dinnerparty zu finden. Dann muss es eben die Hochzeitsfliege von 1992 tun. Ich erkläre sie zu meinem Glücksbringer, denn schließlich bin ich noch immer mit meiner lieben Frau verheiratet.
1948 wurde die Rennstrecke eröffnet
Schon am Donnerstag vor Beginn des Goodwood Revivals vibriert das Gelände um den Motor Circuit geradezu vor Aktivitäten. Autos und Motorräder werden abgeladen, hin- und hergeschoben, gestartet, beschraubt, Hurricanes und Spitfires drehen dröhnend ihre Platzrunden. Im Zweiten Weltkrieg war Goodwood einer der Flugplätze, von denen aus britische Jagdstaffeln anfliegende deutsche Bomberverbände bekämpften. Damit nahm auch der Motorsport in Goodwood seinen Anfang, weil Squadron Leader Tony Gaze die Ringstraße um das Airfield des Öfteren für schnelle Runden in seinem Sportwagen nutzte. Bei seinem Freund Freddie March, dem 9. Duke of Richmond, er selbst ein begeisterter Rennfahrer, rannte er offene Türen ein mit der Idee, die Ringstraße zur Rennstrecke umzubauen.
1948 wurde sie eröffnet. Kleine Episode am Rande: Freddie March beendete im Jahr 1938 eine Probefahrt auf einer BMW R 51, indem er sie nicht zurückgab. Stattdessen schickte er seinen Butler mit der Kaufsumme zum BMW-Händler. Die R 51 ist immer noch im Besitz seines Enkels, dem Earl of March. Das weiß ich, weil „mein“ Mechaniker, John Bostin, vor dem Goodwood Revival das kaputte Rücklicht der R 51 gegen ein „new-old-stock“-Teil tauschte.
Andy Reynolds fährt mit dem Traummotorrad seiner Jugend
Weil die Rennen um die Barry-Sheene-Memorial-Trophy von zwei Fahrern bestritten werden, hat mir BMW als Partner einen gewissen Andy Reynolds zugedacht. Er fährt mit dem Traummotorrad seiner Jugend, einer Norton Manx um die Landsdown-Trophy für historische GP-Motorräder. Ich kannte Andy zuvor nicht, doch als er mir seine Frau Sheala vorstellt und gesteht, dass er es immer noch nicht glauben kann, tatsächlich eine RS fahren zu dürfen, ist er mir sofort sympathisch. Ich bin ebenfalls in ständiger Furcht, dass mich jemand aufweckt.
Auftritt RS 54 am folgenden Tag: Wie alle anwesenden Motorräder brüllt sie schmerzhaft ungedämpft und ungehemmt, klingt aber schöner als die ganzen Einzylinder. Wer behauptet, der Klang eines Boxermotors mit seiner gleichmäßigen Zündfolge sei langweilig, der sollte sie sich einmal anhören. Und dabei auch auf das Mahlen der Stirn- und Kegelräder achten.
Goodwood setzt den Motoren mächtig zu
Leider kennt Andy das Motorrad und ich die Strecke nicht. Keine idealen Voraussetzungen für einen Erfolg gegen Konkurrenten wie Kevin Schwantz, Jeremy McWilliams, James Haydon, Steve Plater oder Steve Parrish, um nur eine Auswahl zu nennen. Sie gehen auf hochgerüsteten Einzylindern ins Rennen, die schneller sind als zu der Zeit, als mit ihnen die Weltmeisterschaft ausgefahren wurde. Es kam, wie es kommen musste: Nach dem ersten Training, das zugleich für die Startaufstellung zählt, sind wir Letzte.
Und trotzdem „lucky boys“. Denn eine der beiden Kaczor-Replika-BMW unseres Teams beendet das Training frühzeitig mit einer durchgebrannten Zylinderkopfdichtung, die andere vollführt zusammen mit ihrem Fahrer eine Hechtrolle ins Kiesbett der „Lavant Corner“. Viele andere Teams haben ebenfalls eine Menge zu schrauben nach dem Training. Goodwood ist eine Hochgeschwindigkeitsstrecke, die den Motoren mächtig zusetzt. Wir müssen uns fürs Erste nur Gedanken über die exquisiten Fahrwerksreaktionen machen, die uns das Schwingenfahrwerk der RS beschert. Bevor 1998 das erste Goodwood Revival stattfand, wurde die Strecke penibel restauriert, so vermeldet die Goodwood-Chronik, und wie es scheint hat man dabei keine der historischen Bodenwellen vergessen. Wir einigen uns auf die Parole „Lenker festhalten“. Mehr können wir nicht tun.
Zündaussetzer auf der Aufwärmrunde
Am Samstag dann das erste Rennen bei schönstem Wetter. Dass es für Maria Costello, die schnelle Road-Racing-Dame und ihren Co-Fahrer Sebstian Gutsch überhaupt stattfinden kann, grenzt an ein Wunder. Statt nur einer durchgebrannten Kopfdichtung brachte die Demontage ihres R 50-Motors zwei gerissene Kolben ans Tageslicht, inklusive eines angesaugten Ohrenzwickers, der kurioserweise nicht verbrannt ist, sondern an einer Quetschkante sein Leben ließ. Den Freitagnachmittag verbringt John, der alle kennt, die in Großbritannien mit Rennsport zu tun haben, mit telefonieren. Er aktiviert schließlich den Besitzer einer Werkstatt mit einem Hightech-Aluschweißgerät. Dort schweißt Norbert Leis die beiden Kolben, verstärkt die zu dünn gefrästen Kolbenböden mit aufgeschmolzenen Aluknubbeln und gleicht die Kolbengewichte an. Frühmorgens läuft der Motor wieder.
Die zweite Kaczor-Replika, zwischenzeitlich als Kiestransporter missbraucht, trägt ehrenvolle Kampfspuren, ist aber wieder gerade und geht wie die Hölle. Ihr Besitzer Lothar Singer wird mich später überrunden, und es ist ein Genuss, ihm zuzusehen. Wir sind zwei bis drei Sekunden schneller als am Vortag, haben aber ab der Aufwärmrunde mit Zündaussetzern zu kämpfen. Der RS-Motor spuckt und knallt mitunter so erbärmlich, dass ich aufgeben will. Doch mechanisch klingt er tadellos, deshalb machen wir weiter. Andy treibt nach dem Fahrerwechsel tapfer den Rest des Feldes vor sich her. Neun Teams können das Rennen nicht beenden, und man prophezeit uns eine Gesamtplatzierung im Mittelfeld, wenn wir auch den zweiten Lauf durchhalten. Richtig tröstlich ist das nicht.

Sebastian Gutsch ist gar nicht zum Fahren gekommen. Dieses Mal platzte eine Fußdichtung, wahrscheinlich wurde sie eingeklemmt, als man mit kleinen müden Augen den Zylinder aufgesteckt hat. Wolfgang Meier, der Neffe des großen Schorsch, zeigt, was eine Königswellen-BMW in Goodwood kann. Mit der penibel aufgebauten Kurzhub-RS von Jürgen Schwarzmann fährt er Zeiten unter 1.40 min. Sehr unspektakulär im Fahrstil, aber mit mächtig Zug am Rad.
Unser zickiger Magnetzünder ist frisch überholt und neu aufmagnetisiert, deshalb haben wir keinen Ersatz dabei. Es würde ohnehin fünf Stunden brauchen, ihn zu wechseln und zu justieren. Wenn man in Ruhe auf einer sauberen Werkbank arbeiten könnte. Nicht im Trubel und unterm Blechdach, halb im Freien. John kann also nur alle anderen möglichen Ursachen der Zündaussetzer ausschließen, wechselt Kerzenstecker, justiert Schwimmerstände und lässt den Motor mit „heißen“ 8er-Kerzen warm laufen, damit die 10er-Rennkerzen auf keinen Fall verölen. Ganz wie früher.
Harter Zweikampf an der Spitze
Es hilft nichts. Im zweiten Rennen dreht die RS nur noch bis 7000 statt der erlaubten 8000/min, und weil ihr Motor bis 6000/min an Megaphonitis leidet, wird der nutzbare Bereich doch arg eng. Wir halten den Lenker fest und lassen es laufen so gut es eben geht. Unser Fahrerwechsel gelingt nahezu optimal, daran soll es nicht scheitern. Maria und Sebastian können endlich aufzünden, wie es sich gehört. Die geschweißten Kolben halten, die Dichtungen ebenfalls, und mit Speed und Nervenstärke gewinnt Sebastian einen beinharten Dreikampf. Einer der drei Kontrahenten setzt vor „St. Mary‘s“, der einzigen Linkskurve des Kurses, zu einem Manöver an, das nicht gutgehen kann. Sebastian hat es geahnt und sieht von der sicheren Innenlinie aus, wie der eine in die Wiese muss und den anderen mit abräumt.
Fast noch härter gestaltet sich der Zweikampf an der Spitze. Mike Edwards und James Haydon auf einer Matchless G 50 beharken sich 17 Runden lang mit Duncan Fitchett und Jeremy McWilliams auf einer Norton Manx. Sie fahren gemeinsam zum Fahrerwechsel und verlassen die Boxengasse mit dem gleichen Zehntelsekunden-Abstand, mit dem ihre Partner eingefahren sind. Draußen liefern sie sich Windschatten- und Ausbremsduelle, taktieren mit überrundeten Fahrern als Hindernisse und gehen am Ende mit einem Abstand von nur 101 Hundertstelsekunden über die Linie. Edwards/Haydon gewinnen den zweiten Lauf, doch der Gesamtsieg geht an Fitchett/McWilliams. Wir werden 17. Nicht schlecht, sagen Goodwood-Kenner. Mag sein. Das Beste aber war das Publikum. Tausende enthusiastische Zuschauer verfolgten die Rennen und Zehntausende von Besuchern feierten einen gigantischen Rennsport-, Luftschlacht-um-England- und British-Empire-Karneval. Und wir waren mittendrin, statt nur dabei.