Es war so nicht damit zu rechnen, Anfang September. Aber auszuschließen ist es in Hamburg ja nie. Schietwetter. Echtes. Im Fahrerlager kreisten samstags die Wärmewert-Diskussionen weniger um Zündkerzen als um Pullover, und wer nicht aufpasste, dem flog glatt das Partyzelt davon. Deshalb durfte nicht wundern, dass sich auch die potenziellen Zuschauer lieber hinterm Ofen verkrochen. Nein, es macht keine Freude, von einem stürmischen, verregneten Stadtpark-Revival zu berichten. Bei dem die Piloten sich arg um ihre Schätzchen sorgten, die Mischung aus Ölbindemittel und Wasser auf der Strecke fürchteten, hinten in der Spitzkehre vor allem, wo die Autos immer nicht an sich halten können.
Und genau deshalb ist diese einzigartige Motorsportrevue auf zwei Tage angesetzt. Am Stück regnet es nämlich hinterm Deich selten mal länger als fünf, sechs Stunden. Schon gar nicht am Wochenende. Also wieder hin: Wo sonntags um diese Jahreszeit sonst Jogger und junge Familien parkwärts strömen, breiten sich zwei große Fahrerlager aus. Eins für Autos, eins – das schönere natürlich, von Laubbäumen überwölbt – für Motorräder. Diese Hierarchie hat wahrscheinlich damit zu tun, dass 1934, ganz am Anfang, ausschließlich Motorräder und Gespanne starteten. Erst bei der 38er-Auflage durften Vierräder mitspielen. Von Karl Gall (BMW) über Walfried Winkler bis zum großen Ewald Kluge (beide DKW) reicht die Liste der Vorkriegs-Sieger. Schon 1948 wurde – auf nur noch 4,1 statt 6,5 Kilometer langer Strecke – wieder gestartet, und jetzt kam auch Schorsch Meier (BMW), neben Kluge bis dahin einziger deutscher TT-Sieger, zum Zuge. Mit fünf Triumphen ist der Bayer Hamburgs Rekordsieger. 1952 war Schluss, nach einem schrecklichen Unfall, der Tote unter den Zuschauern gefordert hatte.
1999 stieg das erste Revival
Richtige Rennen fahren will heute niemand mehr im Stadtpark, aber Traditionen bewahren, darauf stehen die Hanseaten: 1999 stieg das erste Revival. Etwas länger als eine Land- und nur wenig kürzer als die Seemeile ist der 1,7 Kilometer lange Kurs, eben gerade ist Dieter Braun mit seiner 350er-TZ-Yamaha durch die Fahrerlagerkurve gerauscht, schon taucht er wieder auf. Was aber auch daran liegen könnte, dass er‘s einfach nicht lassen will, der Lange. Ein buntes und höchst interessantes Feld vereint diese Sonderklasse der klassischen Rennmotorräder, und so wie 1968 im einen oder anderen 125er-WM-Lauf zischt Braun mit dem MZ-Kämpen Heinz Rosner auf die raren Kurven zu. Schon am Vorstart hat man miteinander gegen das Gelärm nervöser Zwei- und blaffender Viertakter angeplaudert. Eine wunderschöne wassergekühlte Adler RS darunter, Mitte der 50er gut für eine Deutsche Meisterschaft. Oder eine MV Agusta 175 Squalo, berühmt für ihre Zähigkeit bei italienischen Landeswettkämpfen. Mindestens genauso selten die originalen und nicht ganz so originalen Sportmäxe, denen mittels Sonderläufen sogar noch zum 60. Geburtstag gratuliert wird.
Jenseits der vielen Strohballen – echten und unverpackten selbstredend, weil der Hanseat auf Traditionen steht – macht sich allmählich Ausflugsstimmung breit. Man schlendert in Viererreihen durchs Fahrerlager, schaut hier einer Ducati Mark 3 SS unter die eng anliegende Verkleidung oder einer BSA B 40 in den offenen Amal-Vergaser, fragt diesen nach dem Baujahr seiner hübschen IFA RE (1952) und jenen nach der Leistung seiner Van-Veen-Kreidler (18 PS). Weiter vorn muss man aufpassen, nicht über die abgenommene Verkleidung eines BMW-Kneeler-Gespanns zu stolpern, ein paar Meter daneben ersetzen zwei Bierkästen die Hebebühne. Höchst entspannt das alles, zumal von Klohäuschen bis Kaffeebude auch die Logistik stimmt.
Das ist doch ein Renn-Revival!
In köstlich-hamburgischem Slang quäkt es alle paar Minuten: Achdung Foahrerloager... Dann setzen ein paar Recken entschlossene Miene nebst Helm auf und rollen zum Vorstart. Mit einer Harley Duo Glide, einer BMW R 27, einem grünen Elefanten von Zündapp. Moment. Die sind doch falsch hier, oder? Das ist doch ein Renn-Revival! Reg dich bloß nicht auf, meint der Wachstuchträger vom Strohballen nebenan, wo siehst du diese Dinger denn sonst noch? Recht hat er, ganz ruhig bleiben, genießen. In Gruppe 2 der Straßenmotorräder kommen dann noch zwei Münch, und tatsächlich: Der weniger rennlastige Teil des Publikums staunt Bauklötze.
Vielleicht gerade deshalb, weil die Piloten sich einer eher gemächlichen Gleichmäßigkeitsprüfung unterziehen: Da bleibt Zeit genug, dem Mammut nachzuschauen, der zierlichen Motobi 125 Supersport hinterher zu träumen oder die emsig schnurrende Honda CB 125 ins Herz zu schließen.

Überhaupt ist das Geschehen auf der Strecke mit stilsicherem Spazierenfahren noch am besten charakterisiert. Was längst nicht bedeutet, dem Tempo in den Rennklassen könne nun jeder folgen. Und was auch nicht heißen soll, es gebe nichts mehr zu hören. Wobei: Das Geräuschproblem brennt immer mehr unter den Nägeln, es scheint einige Hamburger zu geben, die eher unhanseatische Vorstellungen von Toleranz haben und wegen eines einzigen Wochenendes Alarm machen.
Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, jetzt kommt wieder eine Rennklasse, und danach sind die Publikumslieblinge dran. Die Gespanne nämlich. Seit deren Rennen endgültig aus allen Sportsendungen dieser Welt verbannt wurden, gerät der Normalbürger natürlich in Verzückung, wenn schlanke Damen und drahtige Herren sich lässig aus dem Boot lehnen und im Tiefflug über den Asphalt zischen. Oder ihrem Fahrer zu Leibe rücken. Genau: Wo siehst du so was noch? Ein archaisches und irgendwie unfahrbar anmutendes Ariel Red Hunter-Dreirad schießt hier den Vogel ab, aber als die Show unter heftigem gegenseitigem Zuwinken endet, haben alle gewonnen. Diesseits wie jenseits der Strohballen.