Es drückt Respekt und Verwunderung für die kleine Maschine aus, dieses anerkennende „Oha“ der Umstehenden. Oha - ein Knopfdruck, und der Twin läuft. Das war 1959 wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Und es geht weiter mit der lautmalerischen Versprachlichung der Honda C 92 Benly. Oha - die hört sich aber gar nicht nach Hundertfünfundzwanziger an. Oha - ganz schön zierlich, die Japanerin! Oha - jetzt fällt auch bei mir der Groschen: Meine Einsfünfundsiebzig verdecken nicht zu viel vom Motorrad, deshalb darf ich heute die Benly fahren.
Honda C 92 für damals 1.800 Mark
Tja, liebe Kollegen, wenn ihr wüsstet, was euch da für ein Heidenspaß entgangen ist! Während ihr aus dem Bürofenster auf das schöne Wetter schaut, schadenfreue ich mich hier ein bisschen über kurvige Nebenstrecken, lasse mich von der Federung geschmeidig über Wellen tragen und erhasche dabei immer wieder einen herrlichen Blick auf den Rhein. Kurze Pause. Zeit, um mit Alfred Schneider, dem Eigner dieses Spaßmobils, ein wenig zu reden. Der Badener ist durch die klassische Ansteckung mit dem Oldtimerbazillus infiziert worden: Über einen Freund kam er an eine Moto Guzzi Airone, die er dann restauriert hat. Die Suche nach Teilen füllte die Garage jedoch mit weiteren Krädern, der Ducati Cucciolo folgte eine Triumph, und der wiederum die kleine Honda C 92 Benly. Die hat sich Alfred Schneider vor vielen Jahren mal zum Geburtstag geschenkt. Kaufpreis damals: 1.800 Mark, ohne Papiere, in miesem Zustand.
Ein stolzer Betrag, aber die Maschine hat ja auch eine spezielle Geschichte: Die auf diesen Seiten abgebildete Honda C 92 Benly aus dem frühen Modelljahr 1960 ist vermutlich eine der ältesten erhaltenen Hondas in Europa. Indizien sind neben der Rahmennummer diverse Ausstattungsdetails, die es so nur beim Urmodell von 1959 und Anfang 1960 gab. Doch wie kam die 125er damals zu uns? Hondas Deutschland-Abteilung wurde ja erst 1961 gegründet.
Findigen Importeuren war es zu verdanken, dass bereits 1960 einige Container mit Honda-Maschinen via Belgien nach Europa kamen. Von dort ging es weiter bis nach Hamburg, wo sich zunächst Karl-Heinz Meller um den Vertrieb der Motorräder kümmerte. Honda hatte ein Jahr zuvor die erste Auslandsniederlassung in den USA eröffnet, in Europa machte dann die bereits erwähnte deutsche Niederlassung den Anfang, mit Sitz in der Hansestadt. Zeitgleich mit der Benly fand auch die verschärfte Sportfeile CB 92 den Weg zu uns, löste eine Menge Verwunderung ob ihrer straßentauglichen Renntechnik aus und stahl dem zivileren Alltagsmodell damit die Schau. Schade, denn auch die Honda C 92 Benly ist eine typische Honda: draufsetzen, passt. Dazu noch die vielen liebevollen Details, wie beispielsweise der völlig aufgeräumte Lenker mit den Blinkern an Brems- und Kupplungshebel. Oder die filigranen HM-Schriftzüge und -Prägungen überall am Motorrad.
Über 1.000 Arbeitsstunden stecken in dieser Honda C 92 Benly
Faszinierend - wenn man sie nicht restaurieren muss. Faszinierend aber auch für Alfred Schneider und seinen Sohn, die eine Restaurierung stets als Herausforderung betrachten. Und das war sie tatsächlich: In unserem Fotomodell stecken über 1.000 Arbeitsstunden. Beispiel gefällig? Nehmen wir den Tacho. Nachfertigungen gibt es mittlerweile im Internet für 20 Dollar, kein Problem. Aus Taiwan, und sie passen sogar. Aber da fehlen die originalen Schriftzüge des damaligen Herstellers - geht gar nicht, denn Herr Schneider mag es original. Und das sieht man dem ganzen Motorrad an, bis ins letzte Detail. Mit einer Ausnahme: Das Honda-Schild auf dem Lenkkopf müsste statt Honda- einen Benly-Schriftzug haben. Eine originale Plakette war jedoch selbst nach Jahren hartnäckiger Suche nicht aufzutreiben.
Andere Teile dagegen schon: die Luftpumpe zum Beispiel. Die wird unter Sammlern früher Hondas heute freilich zu Preisen zwischen 300 und 600 Dollar gehandelt! „Restaurierte C 92 sind daher extrem selten, denn die Kosten stehen in keinem Verhältnis zum Fahrzeugwert“, bestätigt der Benly-Besitzer. „Wie bei jeder anderen kompletten Motorradrestaurierung kommen leicht über 5000 Euro für Teile, Lackierung und Verchromen zusammen. Das Geld sieht man aber bei einem kleinen Motorrad ohne den Legendenstatus einer CB 92 nicht wieder.“
"Originalteile werden mit Gold aufgewogen"
Warum dann ausgerechnet dieses Modell? „Weil Honda damals technisch so fortschrittlich war, außerdem hat mich der Sound des hoch drehenden Twins fasziniert.“ Dazu kam die Herausforderung, ein wirklich seltenes Stück Motorradgeschichte auf die Räder zu stellen - nicht alle Schrauberkollegen trauten ihm das zu. „Einer meinte, als Honda-Neuling bekommt man das nie original hin. Da dachte ich mir: jetzt erst recht“, lacht der stolze Besitzer. So ging Schneider 2001 mit Unterstützung seines Sohnes ans Werk.
Dem Diplom-Ingenieur-Duo war klar, dass es sich, gemessen an der Größe des Motorrads, auf keine Kleinigkeit einließ. Statt Teilesuche übers Internet waren damals noch Telefon und persönliche Beziehungen gefragt. Wie die zu Teilehändler Stefan Hauch, dem Gründer der Nippon-Classics-IG. „So eine Restaurierung muss man als Hobby, als Liebhaberei sehen“, meint Schneider senior und schiebt noch ein Beispiel nach: Die originalen Benly-Tankplaketten hätten in gutem Zustand 450 Euro das Paar gekostet. Zum Glück konnte ein Bekannter die filigranen Teile aufarbeiten. „In den USA bekommt man noch Originalteile, die werden allerdings wie hier bei uns mit Gold aufgewogen“, weiß der Honda-Fan. Dazu kommen hohe Versandkosten und Einfuhrzoll, so dass die Nebenkosten fast so teuer werden wie kleinere Ersatzteile. Heute gibt es zwar halbwegs ordentliche Nachfertigungen aus Taiwan, die passen aber nicht zum selbst gewählten Originalitäts-Anspruch.
Original bis ins Detail
Im Gespräch wird rasch deutlich, dass der Restaurierer ähnlich detailverliebt ist wie einst das Werk selbst. Die erste Serie unterscheiden neben der Benly-Lenker-plakette nämlich noch diverse andere Merkmale von der viel häufiger vorkommenden zweiten. So die Speichen, die „verkehrt herum“ gepunzt sind, nämlich von innen. Weiterhin prangt auf dem Sitz neben dem Honda-Schriftzug ein stolzes „MFD in Japan“ - Hergestellt in Japan. Der Motor muss einen Entlüftungsdom haben, der in eingebautem Zustand nicht zu sehen ist, und die Kurbelwelle besitzt nur zwei Lager. Das sorgt für kernige Vibrationen ab 80 Sachen, ist zudem der Haltbarkeit nicht eben förderlich. In der zweiten Serie wurde daher auf dreifache Lagerung umgestellt. Ach ja, das Aussehen kommt ihnen irgendwie bekannt vor? Kein Wunder: Herr Honda hat Mitte der 50er-Jahre Europa besucht, auch das deutsche NSU-Werk empfing den Gast aus Fernost. Das muss einen bleibenden Eindruck bei Soichiro Honda hinterlassen haben, der sich in der Formensprache der C 92 ebenso wiederfindet wie bei anderen damaligen Honda-Modellen - Stichwort Frontkotflügel. Wer genauer hinschaut, entdeckt jedoch eine eigene Linie. Mit Ausnahme der Räder finden sich am Motorrad kaum Rundungen, selbst Frontscheinwerfer und Stoßdämpfer haben Ecken und Kanten.
Ungewohnt auch das Getriebe: Tritt nach unten aus dem Leerlauf - erster Gang. Kennt man ja. Für den zweiten braucht es aber ebenfalls einen Step nach unten, genauso für den dritten und vierten Gang. Dabei sollte man tunlichst mitgezählt haben. Denn nach dem Vierten kommt wieder der Erste. Ein kleiner, unbedachter Tritt bei 70 Sachen, und das filigrane Getriebe ist hinüber. In welchem Gang bin ich jetzt? Einen Drehzahlmesser gibt es nicht. Also Kupplung langsam kommen lassen, hören, ob die Drehzahl plötzlich einen Sprung macht, etwas runterbremsen, und... Alles gut: Schaltet man vorsichtig, landet man zuerst im Leerlauf, erkennbar am Aufleuchten der roten Kontrollleuchte am Scheinwerfergehäuse. Dieses Lämpchen hat damals bestimmt so manches Getriebe gerettet. Entspannt geht es weiter, die butterweiche Federung verschont mich vor den Stößen des aufgebrochenen Asphalts. Beschwingt geht es über kleine, winklige Wege, wobei die geschobene, recht schwere Kurzschwinge mit dem ausladenden Kotflügel überraschend kräftige Lenkimpulse erfordert.
Jeden Tag bequem und günstig zur Arbeit
Aber die Honda C 92 Benly ist ja auch keine Rennfeile, trotz des drehzahlgierigen Motors. Jeden Tag bequem und günstig zur Arbeit, das war Hondas Philosophie. Haupt- und Seitenständer setzen früh auf, dafür ist die Sitzbank groß und bequem, und die sauber gekapselte Kette braucht wenig Zuwendung. Ein Rundumsorglos-Motorrad also. Vor allem, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass Motorradfahren damals noch nicht Freizeitvergnügen, sondern vor allem günstige Mobilität bedeutete. Dennoch kommt der Spaß auf der Benly keineswegs zu kurz. Anfang der 1960er-Jahre war Hondas 8,3:1 verdichteter Viertakt-Achtelliter-Twin eine kleine Sensation. Mit Elektrostarter und einer obenliegenden, über Kette angetriebenen Nockenwelle gab es nichts Vergleichbares auf dem Markt. Schon gar nicht mit serienmäßigen 11,5 PS bei 9500 Touren. Nur mal zur Erinnerung: Mit dieser Leistung deklassierte die brave Honda sogar viele 125er-Wettbewerbsmaschinen der etablierten Konkurrenz. Mehr hatte in dieser Klasse tatsächlich nur die Supersport-Schwester CB 92 zu bieten, nämlich sagenhafte 15 PS bei 10500/min!
Doch schon die zivile Honda C 92 Benly schaffte 115 Sachen, wenngleich sich Motor und Fahrer bei Tempo 70 am wohlsten fühlen, wie mir diese ganz frühe Benly zeigt. Darüber kribbelt es einfach zu heftig in Lenker und Fußrasten - die nur zweifach gelagerte Kurbelwelle lässt grüßen. Viel angenehmer dagegen die gute Elastizität des kleinen Motörchens: Im Vierten zieht der Zweiventiler schon ab 50 km/h ruckfrei und unangestrengt voran. Ein echtes Prachtstück, dieser aufwendige Zweizylinder, der mit seinem mitreißenden Wesen vor über 50 Jahren zumindest bei den 125ern erstmals aufgezeigt hat, dass es auf dem Weg von A nach B so etwas wie Fahrspaß geben kann.
Mit diesen außergewöhnlichen Charaktereigenschaften hat die Honda C 92 Benly die Tür für Honda (nicht nur) auf dem europäischen Kontinent weit aufgestoßen. Und somit maßgeblichen Anteil am Aufstieg des japanischen Motorradherstellers zur weltweiten Nummer eins. So, wie diese Honda sind Motorräder nämlich bis heute aufgebaut. Oha - mit Ausnahme des Getriebes gibt es tatsächlich nichts, was überrascht, wenn man von einer modernen Maschine auf die C 92 umsteigt!