Auf Achse mit der Magni MH2

Auf Achse mit der Magni MH2 Magni cum laude

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Hätte Arturo Magni seine Eigenbauten MH1 und MH2 als Doktorarbeit eingereicht, die Fans sportlicher ­italienischer Motorräder würden der Magni damals wie heute die akademische Note "magna cum laude", also "mit großem Lob" verleihen. Wir genossen eines dieser Meisterwerke einen Tag lang.

Magni cum laude Stefan Wolf
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Ein Hauch von MV Agusta liegt in der Luft, nicht zuletzt ausgelöst durch den Anblick der herrlich geschwungenen schwarzen Endrohre der Vier-in-vier-Anlage des roten Motorrads. Automatisch hat man den rassigen Klang im Ohr, mit dem so ein MV-Vierzylinder in unnachahmlicher Weise die Umgebung erzittern ließ, und man glaubt, jeden ­Moment müsse Giacomo Agostini oder Mike Hailwood ums Eck kommen. Stattdessen, und das ist keineswegs despektierlich zu ver­stehen, kommt ein strahlender Helmut Müller-Neumayr auf uns zu. Ihm gehört die in quasi neuwertigem Glanz erstrahlende Magni MH2 nämlich, und vor seiner ­Garage sind wir ver­abredet. Der Oberbayer mit einem Faible für italienische Klassiker hat seine Sammlung, die unter anderem bereits zwei ­Benellis, eine Moto Guzzi und eine La­verda umfasst, 2013 um dieses seltene ­Exemplar erweitert. 

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Auf Achse mit der Magni MH2 Magni cum laude
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Dass diese rassige, rote Schönheit den Geist der MV-Rennhistorie verströmt, ist keine Einbildung, sondern praktisch unvermeidlich: Es handelt sich schließlich um eine Magni MH2, und Firmengründer und Erbauer Arturo Magni war bekanntlich fast drei Jahrzehnte lang Cheftechniker und Rennleiter bei der legendären italienischen Marke. Diese Erfahrung nahm er mit, als er sich nach dem Rückzug von MV aus dem Rennsport bald darauf selbstständig machte und Rahmen sowie Umbau-Kits für MV Agusta-, später auch für Honda-, BMW- und Moto-Guzzi-Motoren anbot. Magni MH1 oder MH2 hießen die Komplettfahrzeuge mit dem (ursprünglichen) Kürzel für Magni-Hansen, was sich jedoch später leicht auf Magni-Honda übertragen ließ. Beide trugen den Motor der Honda CB 900 Bol d‘Or im aufwendig verstrebten, ultrastabilen Rahmen aus Chrommolybdän-Stahl, dessen rechter Unterzug sich sinnvollerweise zum Ein- und Ausbau des Motors demontieren ließ. Ebenso ließ sich dank eines ­abschraubbaren Rahmenteils im Oberzug der Zylinderkopf bei eingebautem Motor demontieren.

Nummer 39 von 256 gebauten MH1 und MH2

Nur wenige Fahrzeuge fanden den Weg über die Grenze nach Deutschland, und dies auch nur dank eines rührigen Teams, bestehend aus Michael Hansen und Roland Schneider, seinerzeit MV-Agusta-­Importeur, welches diese Aufgabe auch für die Magni-Fahrzeuge übernahm. Die Fahrgestellnummer des vollverkleideten Magni-Exemplars vor uns beginnt mit MH 223..., was klarmacht, dass es sich um eine MH2 handelt, die MH1-Exemplare waren mit MH 222... gekennzeichnet. Die Nummer 39 von insgesamt 256 gebauten MH1 und MH2 ist es, die Helmut vor zwei Jahren erstehen konnte, durch einen glück­lichen Zufall und durch die Tatsache, dass er sich mit seiner Italo-Leidenschaft beim Verkäufer überzeugend als würdiger Neu­besitzer präsentieren konnte.

Ein Glück auch für die Magni MH2, denn nach der aufwendigen und nicht ganz billigen Restaurierung im Jahr 2006, man könnte gar fast von einem Neuaufbau sprechen, stand die Italienerin lange Zeit nahezu unbewegt in der Garage. Nun ist es an Helmut, den revidierten Motor mit den neuen Kolben (Aufbohrsatz von Wiseco auf nun 985 cm³) sorgsam einzufahren. 

Natürlich hat der 58-Jährige nach dem Kauf zunächst ein paar Standschäden, die bereits eingetreten waren, beseitigt und einige Verschleißteile erneuert, bevor er die ersten Kilometer im Sattel der Magni MH2 auf den kurvigen Straßen des Alpenvorlands genoss. Bevor auch ich mich auf das knappe Sitzbänkchen zwischen Höcker und mächtigem 26-Liter-Tank quetsche, bleibt noch kurz Zeit, einen Blick auf die Liste der Arbeiten zu werfen, die der Vorbesitzer für stattliche Summen hat durchführen lassen. Neben der Überholung des Motors inklusive neuer Lager und Aufbohren auf 985 cm³ umfasst die Liste auch die Umrüstung auf 36er-Mikuni-Vergaser, eine Dyna-Zündanlage, offene Ansaugtrichter, den Einbau von Wilbers-Federbeinen und einer Bremse vorn mit großen 320-Millimeter-Scheiben und Brembo-Vier­kolbensätteln. Die Gabel wurde poliert und überholt, der Rahmen neu lackiert und die Felgen neu beschichtet. Außerdem ruhen die Füße des Fahrers nun auf einer UT Racing-Fußrasten­anlage, und der Motor atmet über eigens angefertigte Edelstahlkrümmer nebst ­angedockter MV-Vier-in-vier-Anlage aus.

Japan-Motor im Italo-Fahrwerk

Den einstigen Magura-Stummellenker hat Helmut gegen etwas höher montierte und weniger stark gekröpfte Telefix-Stummel ausgetauscht, die ihm angenehmer erschienen. Die Schalter und Lenkerarmaturen sind neben dem Motor fast die ­einzigen Honda-Teile, die hier noch zum Einsatz kommen. 

Ganz klar also, dass schon beim Aufsitzen kein japanisches, sondern klares italienisches Fahrgefühl aufkommt, und zwar mit deutlicher Tendenz in Richtung Rennsport à la MV Agusta. Die Sitzposition nötigt den Fahrer, sich über den langen Tank zu den Lenkerstummeln zu strecken, die Beine müssen Klappmesser-artig angezogen werden, sollen die Stiefel auf den hoch und weit hinten angeordneten Rasten Platz finden. Bequem ist anders, aber zum Tourenfahren ist die Magni MH2 nicht ­gedacht, und dafür wird sie auch nicht genutzt, gesteht Helmut lachend. Jetzt der Start – der Honda-Chokehebel am Lenker hat keine Funktion mehr, die MH2 will per Choke-Knopf direkt an den Mikunis zum Kaltstart motiviert werden.

Die Magni MH2 ist keine zickige Renn-Diva

Willig startet der Japan-Vierer, und was da aus den vier Endrohren an Sound in die friedliche bayerische Welt hinaus­posaunt wird, würde jeder Boxengasse dieser Welt zur Ehre gereichen und treibt jedem Motorsportfan die Tränen in die Augen. Jene müssen wohl auch die Homologations-­Ingenieure in den Augen gehabt haben, als sie mit getrübtem Blick die Homologations-Papiere unterschrieben haben. ­Diese Anlage ist vom TÜV eingetragen? Großartig. Wir genießen einfach den bassig-rotzigen Vierzylinder-Sound und machen uns auf den Weg. 

Sound und Sitzposition mögen direkt von der Rennstrecke stammen, die Manieren von Getriebe und Motor erinnern eindeutig an den Honda-Großserienstandard. Leichtgängige, fein dosierbare Kupplung, geschmeidig ans Gas gehender Motor, saubere Gasannahme und satter Durchzug ab 1500 Touren – hier ist keine zickige Renn-Diva, sondern eine echte Lady im hautengen Renn-Dress am Werk. Sehnig und durchtrainiert wirkt alles an der Magni MH2, hier ist kein Platz für schwammige Federelemente oder etwaige Komfortansprüche. Wie schon bei Besitzer Helmut beobachtet, bekomme auch ich meine Knie nicht hinter die Verkleidung sortiert, sondern rutsche automatisch mit gespreizten Beinen nahe an den Tank, wobei der Oberkörper dann einigermaßen aufrecht bleibt, die Arme recht ­locker auf die angenehm gekröpften Telefix-Stummel gestützt.

Innerorts zu überfahrende Kanaldeckel oder enge Kreisverkehre sind zweifellos nicht die Domäne der Magni MH2 – die Gabel spricht zwar einigermaßen sensibel an, ist aber mehr als straff gedämpft und gibt rumpeligen Straßen­belag recht ungeniert weiter. Schon bei geringem Tempo gibt sich die Magni MH2 steif, fast störrisch beim Einlenken in enge Kehren, das Abwinkeln in schnellen, langgezogenen Kurven gelingt jedoch spielerisch leicht. Gemacht für flottes Tempo, am besten auf der Rennstrecke, so scheint es aus jeder Pore der Magni zu tönen, und am Ortsende kommt sie deshalb erst richtig in Fahrt. Sauber zieht der Vierzylinder von unten raus, grollt herrlich bei mittleren Drehzahlen und lässt die an­gegebenen 112 PS glaubhaft erscheinen, auch wenn ich wegen der noch andauernden Einfahr-Phase kaum über 7000/min drehe. Der Unterschied zum Serienmotor ist stets deut­lich spürbar. Also auf freier Landstraße mal kurz aufziehen, zweiter, dritter Gang, herrlich, wie die Magni MH2 mir unter anschwellendem Röhren die Arme lang zieht, während der Motorsound allmählich im Dröhnen des Fahrtwinds untergeht. 

Völlig unglaubhafte 80 km/h auf dem Tacho

Die harmlosen, lang gezogenen Landstraßenkurven lassen sich messerscharf anpeilen und wie auf den sprichwört­lichen Schienen zieht die Magni MH2 ihre Bahn. Selbst mutwillig eingeleitete Wackelversuche lassen das Fahrwerk kalt – nichts wackelt oder schaukelt. Auch ein Verdienst der ebenfalls aus Chrom­molybdän gefertigten Kastenschwinge, die für enorme Steifigkeit bürgt. Hinzukommt der Exzenter-Kettenspanner, der stets korrekte Radflucht garantiert. Lenkkorrekturen für kurze Ausweichmanöver gehen zunehmend schwerer von der Hand, die Kreiselkräfte des 19-Zöllers vorn lassen grüßen. 

Das wahre Tempo beim Kurvencruisen lässt sich per Blick auf den Tacho kaum bestimmen: Er zeigt völlig unglaubhafte 80 km/h, mein inneres GPS sagt mir eher Tempo 110 bis 120 an. Der Tacho der Magni MH2 eilt stark nach, gibt Helmut zu, hat dies auch mal gecheckt. Schludrige Tacho-Eichung oder wahres Understatement? Ihrem Namen alle Ehre macht wiederum die Brembo-Bremse vorn, die nicht allzu viel Handkraft erfordert und knackig, aber nicht übertrieben bissig zupackt. Also alles „cum laude“? Ja, mindestens. In Sachen Fahrerlebnis sogar „summa cum laude“, also „mit Auszeichnung“. Angesichts solch edler Straßenrenner hätte man dem kürzlich 90 Jahre alt gewordenen Arturo Magni eigentlich längst einen Ehrendoktor-­Titel verleihen müssen.

Arturo Magni

Stefan Wolf
Arturo Magni bot unter anderem komplette Ein- oder Zweisitzer-Umbau-Kits an.
Stefan Wolf
Der Altmeister des Fahrwerkbaus: Arturo Magni

Arturo Magni zählt sicher zu den bekanntesten und bedeutendsten Personen im Motorrad-Rennsport. Der kürzlich 90 Jahre alt gewordene, legendäre Italiener begann 1947 als Techniker bei Gilera und arbeitete dort mit an der Entwicklung des grandiosen Vierzylindermotors, mit dessen Hilfe zahlreiche Rennerfolge erzielt wurden.

1950 wechselte Magni zu MV Agusta und zeichnete in Folge über fast drei Jahrzehnte als Cheftechniker und Rennleiter verantwortlich für zahlreiche Weltmeistertitel solch berühmter Fahrer wie Giacomo Agostini, Mike Hailwood oder Phil Read.

1976 zog sich MV Agusta aus dem Rennsport zurück, auch die Serienproduktion wurde in den Jahren darauf eingestellt, 1980 die letzten Motorräder verkauft. Arturo Magni baute stattdessen in Eigenregie weiter Fahrwerke für MVs, kümmerte sich um die Technik.

Ab 1980 fertigte er dann in der zusammen mit seinen Söhnen Carlo und Giovanni neu gegründeten Firma Fahrwerke, bot Fahrwerk-Kits oder ganze Motorräder an. Zunächst mit Honda-Motoren (Magni MH1 und Magni MH2), ab 1982 auch mit BMW-/7er-Motoren (MB1 und MB2).

1985 erfolgte die Rückbesinnung auf Italien – zahlreiche Moto Guzzi- Modelle entstanden und die Magni 1200 S mit Suzuki-Motor. Grundlage des Erfolgs waren stets stabile Rahmen- und Schwingen-Konstruktionen, ein Schmankerl stellte auch die bei den Guzzis eingesetzte Parallelogramm-Schwinge dar, die das Kardan-­typische Aufstellmoment unterbinden sollte. In­zwischen leitet Sohn Giovanni das Unternehmen.

Daten und Meinung

Stefan Wolf
Die Magni MH2 betört bereits im Stand mit Renndesign und die vier Endrohre klingen so, wie sie aussehen.

Technische Daten Magni MH2

Stefan Wolf
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Motor
Luftgekühlter Reihenvierzylinder-Viertaktmotor, zwei obenliegende Nockenwellen, je vier per Tassenstößel betätigte Ventile pro Brennraum, Bohrung x Hub 67,5 x 69 mm, Hubraum 985 cm³, Verdichtung 10,25:1, Leistung ca. 112 PS 

Kraftübertragung
Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, Kettenantrieb 

Fahrwerk
Doppelschleifen-Rohrrahmen aus Chrommolybdänstahl, Ceriani-Telegabel mit siebenfacher Dämpfereinstellung, Ø 38 mm, Zweiarm-Kastenschwinge aus Chrommolybdänstahl, Reifen vorn 100/90-19, hinten 130/80-18, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, mit Brembo-Vierkolbensätteln, Scheibenbremse hinten, Ø 300 mm 

Maße und Gewichte
Radstand 1450 mm, Gewicht ca. 250 kg, Tankinhalt 26 l

Fahrleistung
Höchstgeschwindigkeit ca. 240 km/h

Meinung von Helmut Müller-Neumayr

Stefan Wolf
Helmut Müller-Neumayr, Besitzer der Magni MH2.

An der Magni MH2 gefällt mir besonders das italienische Design mit den stimmigen Proportionen. Die Symbiose aus Italo-Eleganz und japanischer Zuverlässigkeit ist für mich die ideale Kombi­nation. Power und Fahrwerk sind jeder Situation gewachsen. Was will man mehr! Für den Alltagsgebrauch ist sie nicht gemacht und auch zu schade – dafür habe ich ja noch andere Italo-Klassiker und für lange Touren, ich gebe es zu, eine BMW GS. Eins ist allerdings völlig klar: Auch wenn man mir schon respektable Summen geboten hat – die Magni gebe ich nie wieder her. 

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