30 Jahre Yamaha TR 1

Auf Achse mit der Yamaha TR 1 30 Jahre Yamaha TR 1

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Das Leistungsversprechen von Yamaha hat die TR1 nie eingelöst. Dafür hat sie sich mit Laufkultur, Zuverlässigkeit und kleinen Marotten für immer in die Herzen ihrer Besitzer geschlichen

30 Jahre Yamaha TR 1 JKuenstle.de
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Ein trockener Schlag, Zahnflanken klatschen ineinander, ein Elektromotor winselt, dann zündet der V2 und bollert weich vor sich hin. Das Starten der Yamaha TR1 ist eine Art Einweihungserlebnis, das den Fans jedes Mal aufgestellte Nackenhaare und Glückshormone beschert.

Weil der Anlasser sich akustisch so anstrengen muss, fürchtet man jedes Mal, er könne es nicht rechtzeitig schaffen. Meistens aber schafft er es. Wenn dann der 1000er die Arbeit aufnimmt und in seinen gediegenen Ruhepuls verfällt, strahlt die Welt in neuem Glanz. Dieses satte, bassige Mahlen, mit der die dicken 500er Kolben ihre kurzen Wege zurücklegen, hat uns süchtig gemacht.


Fortan lasen wir alles, was wir finden konnten über dieses charismatische Motorrad, das voller ausgefallener technischer Lösungen steckte. Vertikal geteilter Pressblechrahmen, mittragender Motor, Cantilever-Schwinge, Fettkettenkasten und vor allem Kraft aus niedrigsten Drehzahlen. Endlich nicht mehr orgeln, um den Horizont heranzuzoomen, ein verhaltenes Zucken des rechten Handgelenks und unsere Träume würden wahr werden. Das gewaltige Drehmoment könne das Heck am Kurvenausgang ausbrechen lassen, schrieb ein Tester der Zeitschrift "Hobby".

Mein Freund Paul war der erste, der sich diese sagenumwobene Yamaha zulegte. Als er sie mir für eine kurze Spritztour überließ, wusste ich, wofür ich arbeiten wollte. Das Motorrad war sinnlich, es übte auf seine Jünger eine lässige Erotik aus, massenkompatibel war es zum Leidwesen von Yamaha nicht. Wir ergötzten uns an der Akustik des V2, verstiegen uns sogar dazu, die konstruktiven Bemühungen zur Reduktion mechanischer Geräusche herauszuhören.

Bewunderten Yamahas Motorenentwickler Kunihiko Morinaga und Hajime Ueno für ihre Kunstgriffe: Nockenwellensteuerung über gerade verzahnte Zwischenräder mit Torsionsdämpfern und leise laufende Zahnketten, Ansaugluft, die flüsternd durch den Rahmen strich, keine Nikasilbeschichtung der Zylinderbohrungen, statt dessen Schleudergussbüchsen, die Kolbengeräusche besser dämpften.

Yamaha produziert nicht umsonst Musikins-trumente, und die TR1 war der Beweis, dass ein Verbrennungs-Motor nicht laut sein musste, um einen Klang zu komponieren, der das Zeug hatte, den Fahrer zu berauschen. Als ich endlich einem leidgeplagten Besitzer seine 81er TR1 in Dunkelgrün abschwatzen konnte, begann eine neue Ära in meiner Motorrad-Laufbahn. Sechs Jahre währte die Beziehung, dann fand sie ein gewaltsames Ende.

Jörg Künstle
TR1: eine die Ordnung schafft auf der Landstraße.

Fahrer wie Maschine waren äußerlich ruhige Naturelle, doch unter der Oberfläche brodelte es. Abgebrochene Schaltwelle, verschlissener Anlasserfreilauf, undichter Kettenkasten, abgeplatzte Vergaser und diverse Kleinigkeiten (die Kopfdichtung war schon vom Vorbesitzer gemacht worden) würzten die Zeit genauso wie kontemplative, drehzahltiefe Touren mit Paul und seiner inzwischen "Lola" getauften TR1.

Für mich waren die Reisen mit Paul diejenigen, die dem Wesen der TR1 am besten gerecht wurden. Genussvolles Gleiten auf der Drehmomentwelle bei 2800 Touren und 80 Sachen auf schmalen französischen Landsträßchen, Düfte einatmen und satte Straßenlage genießen. Nicht die Beschleunigungsduelle und Privatrennen gegen die Hobel meiner Ruhrgebietskumpel. Das war weit unter TRs Würde, trotzdem musste sie da durch.

Hauptgegner waren Yamahas kleinere XJ-Modelle vom Schlage einer 550er. Meine Gegner zogen mich immer damit auf, dass ich ihnen auf der Autobahn "mit 1000 Kubik" nicht davon fahren konnte und dass meine Maschine die gleichen schmalen "Pellen" auf den Felgen trug wie ihre Mittelklasse-Feilen. Dabei drehte die TR1 willig, kultiviert und klaglos sogar über 7000/min, verlor nie die Contenance, außer wenn sie beim Anlassen mal eine Fehlzündung rausrülpste und einen ihrer Vergaser absprengte.

Eine Unart, die ich ihr kurz vor ihrem Tod mit den Blechflanschen aus den XV-Chopper-Modellen abgewöhnte. 20 Jahre später, die Wunden sind immer noch nicht verheilt, Pauls Lola steht noch in seiner Garage und wartet auf den diesjährigen Erweckungskuss ihres treuen Prinzen. Hier ist jetzt Sommer, ich stehe auf dem Parkplatz von Motorcorner, Göppingen und traue meinen Augen nicht. Zum 30. Geburtstag des Modells Yamaha TR1 steht "mein" Motorrad wieder vor mir.

3700 Kilometer auf dem Tacho, Lack und Chrom fast wie aus dem Laden, dunkelgrün und einfach nur schön. Aus dem Fundus von Motorcorner-Urgestein Manuel Wahl. Mein Herz schlägt so laut wie der Anlasser. Die Prozedur verläuft auf den Punkt genau wie damals, ein Motorrad, das aus der Zeit gefallen ist und mich jetzt einlädt, einen Tag mit ihm zu verbringen. Mein Gott, wie tief und weit hinten man sitzt. Sanft schiebt die junggebliebene Grüne von der Kupplung, der zweite Gang braucht etwas Nachdruck.

Weich und zügig durchschalten bis in den Fünften, der dann auch für Ortsdurchfahrten drin bleiben kann. Trotz ultrakurzhubiger Auslegung nimmt der vibrationsarme V2 noch unterhalb von 2000/min behutsam Gas an, nachdrücklich schnalzt er die vollgetankt 248 Kilogramm schwere Maschine voran. Immer noch ergötze ich mich am Klang, der den beiden verchromten Megaphontüten entweicht, so satt, sämig und voller gutgeölter metallischer Präzision.

Ein göttlicher V2, doch bescheiden und schüchtern verglichen mit seinem Enkel aus der aktuellen Yamaha MT-01. Anfang der Achtziger war die TR1 ein Dampfhammer, viel mehr als nur zwei zusammengekoppelte XT 500-Zylinder, heute ist sie ein Bekenntnis zum Understatement für stille Genießer. Und für mich eines der charakterstärksten japanischen Zweizylinder-Motorräder, die je gebaut wurden. Wir gleiten durch die Landschaft, fallen leicht in Kurven, nicht zu forsch, die Reifen sind betagt, das Motorrad will leben. Doch ich spüre noch die Verwindungssteifheit des Rahmen-Motorkonzepts, den Arbeitswillen des De Carbon-Dämpfers, dessen Charakteristik durch ein Handrad  verstellt werden kann, während die Federkennlinie durch Luftunterstützung variabel ist.

Das verhinderte früher bei vollbeladener Fuhre zwar nicht ganz gelegentliches Durchschlagen, aber heute wird Wiedersehen gefeiert und die Lady nicht durch Schlaglöcher gedroschen. Auch die Gabel ist luftunterstützt und kann durch Änderung des Drucks abgestimmt werden. Während ich sinniere, plötzlich ein Zucken im Vortrieb.

Ich muss auf Reserve schalten, erinnere mich an die beiden Benzinhähne, auf jeder Tankunterseite einer. Dann ist alles gut, glucksend pflügt die Antriebskette durch ihr Lithium-Bett, satt liegt die TR1 auf der Straße, willig und mit handlicher Note folgt sie den Befehlen. War der Lenker wirklich so schmal? Hatte die Doppelscheibenbremse vorne schon immer so wenig Ehrgeiz? Manuel will seinen Schatz auf keinen Fall verkaufen. Ach, hätte ich doch meine alte Grüne noch. Auch sie wurde gepflegt, roch genau wie seine, die mir heute den Tag versüßt, immer ein wenig nach Sprit, nach Gummi und nach erhitzter Chrompolitur. Hatte sogar das gleiche Aroma im Abgas, ich kann mich nicht beherrschen, es in einem unbeobachteten Moment aufzuschnüffeln. Warum hat sie nur dieses unwürdige Ende gefunden?

Es war auf einem Parkplatz in der Schweiz, denn irgendwie scheint mein Schicksal mit der Schweiz verknüpft. Nicht nur das Paul und seine Lola echte Schweizer sind, nein, ich habe während der Semesterferien dort immer gearbeitet, um mir Studium und TR1 zu leisten. Doch manche Schweizer mögen partout keine deutschen Nummernschilder. Eines Abends fuhr ein Bauer mit seinem übertrieben riesigen Fourwheel-Drive-Traktor durch den Ort, da tauchte in seinem biertrüben Blick das Kuchenblech am Heck eines schlanken, dunkelgrünen Motorrads auf.

Er hielt auf den Parkplatz des Gasthofes zu und fuhr einfach darüber. Ein hässliches Knirschen und Brechen der Blechwirbelsäule, das Aufschnauben des dicken Diesels und dann nur noch Kuhglockengebimmel. Zurück blieb eine Skulptur aus Metall, deren mechanische Seele Eingang in mein Inneres fand. Der dreiste Typ wurde zwar gefasst, meinte aber nur, er könne Deutsche halt nicht leiden und man würde ihm nichts anhaben, denn sein Vater sei eng mit dem Polizeichef des Kantons befreundet.

Ich kämpfte so lange, bis ich 5000 Franken von seiner Versicherung bekam, doch das war kein Ersatz und es gab eine solche TR1 auch nicht noch mal. Manuel, du musst einfach verkaufen, ich werde sie "Leila" nennen und dann geht es zusammen mit Paul und Lola fernab von Leistungswahn und Beschleunigungsdruck über kleine französische Landstraßen.

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Moderne Technik 1981: ohc-Köpfe, mittragender V2, Pressblech-Monocoque, Cantilever-Schwinge, Fettkettenkasten.

Ende der 70er Jahre stiegen die Kosten für Kraftstoffe, Stahl und Plastik. Nach einem Jahrzehnt der Euphorie sahen die Kunden den Vierzylinder kritischer, es begann eine leise Sehnsucht nach den kernigen Originalen von Harley und Vincent mit V2 und lebendigem Pulsschlag. Dieses Szenario begleitete die Entwicklung der Yamaha TR1.

Die Idee, mit dem großvolumigen V2 in den Straßenrennsport einzusteigen, befeuerte das Projekt. Der Zweizylinder versprach niedrige Entwicklungskosten, höheres Drehmoment bei niedrigeren Drehzahlen, gerin- gere Reibung und Baubreite als ein Vierzylinder.

Yamaha konstruierte einen kurzhubigen Motor mit einem vertikal geteilten Kurbelgehäuse auf dem um 180 Grad gegeneinander verdrehte, identisch aufgebaute Leichtmetallzylinder in einem Winkel von 75 Grad hintereinander stehen. Damit wurden Breite wie Länge des Motors minimiert und mit der "Gleichteilestrategie" die spätere Ersatzteilversorgung vereinfacht. Allen konstruktiven Bemühungen zur effizienten Kühlung des hinteren Zylinders zum Trotz litt dieser nach Markteinführung an thermischen Problemen.

Jörg Künstle
Änderungen 1982: Bremsen, Kopfdichtung, Sitzbank, Heck und Wartungsvorgaben. Der V2 überlebte letztlich in Virago und Bulldog bis 2007.

Erst die zweite Serie von 1982 konnte mit modifizierten Dichtungen Abhilfe schaffen. Das Hauptproblem der TR1 bestand indessen darin, dass Yamaha sein Rennsportprojekt aufgab und schnellentschlossen den neuen Serien-1000er als Sportmotorrad positionierte. Eine fatale Entscheidung, denn der V2 konnte nicht mehr als knapp 70 PS liefern, und die Kundschaft erwartete mehr Leistung, weniger Gewicht sowie ein strafferes Fahrwerk.

Zudem nervte die erste Serie mit Kinderkrankheiten, Yamahas Preispolitik geriet chaotisch, und die Eignung als brillante Tourenmaschine wurde zu spät entdeckt. Die Absatzzahlen waren so enttäuschend, dass die Produktion 1983 eingestellt wurde, nachdem auch die verbesserte Version keinen Erfolg brachte. Das Motorenlayout hat Vorteile in Sachen Raumausnutzung und Vibrationsarmut, kann aber letztlich auch aus thermischen Gründen keine hohe Leistung bringen.

Liegend schafft die TR1 immerhin 190 km/h, sitzend gute 170. Ihre Langstreckentauglichkeit und Zuverlässigkeit, wenn man ein paar Verbesserungen vorgenommen hat, erfreuen mittlerweile viele Fans nachhaltig.

Jörg Künstle
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Motor
Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-V-Motor, längs eingebaut, je zwei Ventile, über je eine obenliegende Nockenwelle, Zahnkette und Kipphebel betätigt, Bohrung x Hub 95 x 69,2 mm, 981 cm³, Leistung 69 PS bei 6500/min, maximales Drehmoment 80 Nm bei 5500/min

Kraftübertragung

Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, gekapselte Rollenkette
Fahrwerk: Monocoque aus Pressblechprofilen, Telegabel vorn, Ø 36 mm, Zweiarmschwinge aus Stahl, Zentralfederbein, Federwege v/h 150/105 mm, Alugussräder, Reifen, 3.25 H 19 vorn, 120/90 H 18 hinten, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 270 mm, Trommelbremse hinten

Maße und Gewichte

Radstand/Nachlauf 1540/126 mm, Gewicht vollgetankt 248 kg

Fahrleistungen

Höchstgeschwindigkeit 190 km/h, 0-100 km/h 5,3 sek., 80-130 km/h 8,5 sek.

Hersteller
Yamaha Motor Co Ltd, Iwata/Japan

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