Der Guzzi-Adler hat Nachwuchs. Gelbgrün, luftgekühlt und spartanisch rollt die V7 Café Classic auf glitzernden Drahtspeichenrädern daher.
Der Guzzi-Adler hat Nachwuchs. Gelbgrün, luftgekühlt und spartanisch rollt die V7 Café Classic auf glitzernden Drahtspeichenrädern daher.
Die gelbgrüne Guzzi V7 Sport war Chefsache. Der Chef hieß Werner Hiller, war einer der ersten Moto-Guzzi-Händler in Deutschland, mein Boss und ich sein Mechaniker. Und wenn der Chef am Samstagnachmittag den Schlüssel in der Werkstatttür rumgedreht hatte, zurrte er den Harro-Tankrucksack auf den Tank der V7 Sport und donnerte davon. Lief dem Chef aber die Zeit davon, drückte er mir die Schlüssel in die Hand und einen Zwanziger für den Sprit. Denn der Hiller war einer von den Chefs, die nix für sich, sondern alles für die Sache machten.
Unsere Sache waren Anfang der 70er-Jahre Guzzis: California, Ambassador, V7 Spezial, V7 Sport – einfach alles, was den dicken 90-Grad-V2 zwischen den Rädern hatte. Mit dem kleinen Unterschied, dass die V7 Sport unsere Leidenschaft anheizte wie keine andere. Man fuhr mit ihr die aufkommende Gemeinde japanischer Motorräder in Grund und Boden. Wie hingenagelt bretterte die V7 Sport durchs Landstraßenrevier und bügelte beim sonntäglichen freien Blasen in Hockenheim die Gegner nach Belieben.
Rettet die Retro-Welle am Lago di Como das Guzzi-Werk? Achtunddreißig Jahre später blinzelt mich ein gelbgrüner Tank an, darunter unverkennbar ein Guzzi-V2 und das Ganze auf schicken Drahtspeichenrädern. Dem ersten Blick folgt der zweite und damit die Ernüchterung. Nicht die alte Liebe, sondern ein Retro-Motorrad, made in Italy, steht vor mir. Der Adler schwingt sich über den Tank, die Seitendeckel zeichnen das symmetrische Rahmendreieck der ehrwürdigen V7 Sport nach, und selbst die Lenkerstummel in der Schwanenhals-Optik von 1972 haben die Italiener an die Standrohre geklemmt.
Nach der 2008 vorgestellten V7 Classic im Look der alten V7 Spezial schiebt Guzzi nun die V7 Café Classic auf den Markt der Retro-Bikes. Weil alte Motorräder im Geiste auch die alten Zeiten aufleben lassen, gehören beide Klassiker zu den bestverkauften Guzzi-Modellen der Gegenwart. Diese Tatsache sollte man in Mandello del Lario und in den Chefetagen des Mutterkonzerns Piaggio ernst nehmen. Denn so gut wie alle Versuche, sich mit dem betagten V2-Konzept der großen Guzzi-Motoren der aktuellen Konkurrenz zu stellen, sind gescheitert. Deshalb gilt der Applaus den neuen Retro-Bikes aus Mandello.
Die Technik von gestern für den Klassiker von morgen. Auch wenn die Optik dazu einlädt, ist der Vergleich der Neuen mit der V7 Sport von 1972 irreführend. Denn die Technik der V7 Café Classic stammt direkt von den 1978 eingeführten V35- und V50-Modellen ab.
Die Antriebseinheit aus Motor, Getriebe und Kardan hängt in einem Doppelschleifenrahmen, dessen Unterzüge wie an den großen V2 ab Baujahr 1972 verschraubt sind. Nur so lässt sich der Motor aus- und einbauen. Die relativ lange und reaktionsarme Schwinge besteht wie schon 1978 aus Aluminium-Guss und führt die Kardanwelle auf der rechten Seite. Beim Ur-Modell war die Bremsscheibe noch zwischen Kardan und Rad montiert, nun ist sie wegen der breiteren Nabe auf der linken Seite des Rads verschraubt. Erstaunlich groß fällt der Gewichtsunterschied der neuen V7 Café Classic mit 201 zu 175 Kilogramm im Vergleich zur 31 Jahre alten V50 aus.
Der Lenkkopf steht mit 62,5 Grad ein halbes Grad steiler, der Nachlauf wuchs von ursprünglich 86,5 auf satte 109 Millimeter. Die Gabelstandrohre nahmen von ehemals 31,6 auf 40 Millimeter zu, und der Radstand verlängerte sich von 1410 auf 1445 Millimeter. All diese Maßnahmen kommen der Fahrstabilität zu Gute.
Das Motorgehäuse ist im Gegensatz zu den Tunnelgehäusen der großen Guzzi-Motoren horizontal geteilt. Durch die parallele Anordnung der beiden über nadelgelagerte Kipphebel betätigten Ventile verfügt auch die aktuelle 750er, wie einst die V50, über Heron-Brennräume in den Kolbenböden. Bei der Markteinführung 1978 sorgten die eng zusammenliegenden Kanäle für Ärger durch eingerissene Stege und lose Ventilsitzringe. Auch defekte Kopfdichtungen und Kolben bescherten den V35- und V50-Kunden so manchen Werkstattbesuch. Dieses Thema sollte Moto Guzzi heute überwunden haben.
Der Hubraumzuwachs resultiert vor allem aus einem um 17 mm längeren Hub. 74 statt 57 mm legen die Kolben nun zurück. Die Bohrung stieg von 74 auf 80 mm an. Außer der Hubraumerhöhung wuchsen vor allem die Durchmesser der Drosselklappen gegenüber den winzigen Gasschiebern der 24er-Dell’Orto-Vergaser der V50 auf 36 mm.
Und, wie fährt sich die neue alte Guzzi V7 Café Classic? Wer jetzt darauf wartet, dass der Einstieg zum Fahrbericht mit akustischen Eindrücken vom grobmechanischen Startprozedere der Guzzi-Motoren beginnt, sieht sich enttäuscht. Wie, Sie wollen das so lesen, weil jede Guzzi-Geschichte damit anfängt? Na dann, bitteschön: „Krachend greift der Elektrostarter in die Verzahnung der Schwungscheibe, der Motor schüttelt sich wie ein nasser Hund, nimmt Drehzahl auf und bollert los.“ Tatsächlich tönt der 750er-V2 bei kühler Witterung erst, wenn der „Choke“ am linken Lenkergriff umgelegt ist. Er betätigt allerdings keine Kaltstartanreicherung, sondern eine mechanische Standgasanhebung der Einspritzung.
Guzzi-typisch lang sind die Schaltwege; dennoch lassen sich die Gänge weich und zügig durchsortieren. Dieses Verhalten ist aber keineswegs neu; bereits beim Doppeltest der Moto Guzzi V35 und V50 in MOTORRAD 4/1978 bestätigte Testredakteur Peter Limmert der Schaltbox „exakte Schaltvorgänge bei gewöhnungsbedürftig langen Schaltwegen“. Die Einscheiben-Trockenkupplung glänzt mit tadelloser Dosierbarkeit und fordert angenehm wenig Handkraft.
Bei allen Zugeständnissen an Abgas- und Geräuschvorschriften ist und bleibt auch das kleine Guzzi-Triebwerk typisch Guzzi. Das Schnorcheln und Bollern des 90-Grad-V2 und das rotzige Sprotzeln aus den beiden verchromten Schalldämpfern beim Schließen der Drosselklappen klingen einfach klasse. Den Begriff „Motorrad“ interpretiert die Guzzi V7 Café Classic im besten Sinne.
Anspruchsvolle Neuzeit-Reiter mögen an den nominell 48 PS verzweifeln, Menschen mit der Muse und der Erfahrung aus vielen Motorradjahren finden sich damit bestens zurecht, weil die Lethargie der alten V50-Motoren beim 750er-Einspritzer weitgehend vergessen ist. Ohne Hängen und Würgen marschiert der Zweiventiler durchs Drehzahlband, reagiert spontan auf Kommandos am Gasgriff und begeistert mit seinem zivilisierten Auftritt. Apropos Gasgriff: Wer je erfahren hat, wie sich zwei Dell’Orto-Vergaser mit Rechteckschiebern gegen das Öffnen sträuben können, freut sich ungemein über den Fortschritt moderner, leichtgängiger Drosselklappen.
Nach wie vor ist der Stoßstangenmotor für rabiate Drehzahlorgien nicht zu haben. Mit sattem Durchzug unten und in der Mitte für den genussvollen Landstraßenritt gerüstet, klemmt der Motor über 7000 Umdrehungen die Leistung ab. Ist aber auch völlig schnurz, weil diese Art von Motorrad mit Sportlichkeit und Hetze nichts am Hut hat. Deswegen steht zügiges Kurvenwedeln noch lange nicht auf der roten Liste. Im Gegenteil, wer sich auf einen schwungvollen Fahrstil einlässt, dem ist das süffisante Grinsen unterm Helm ins Gesicht gemeißelt.
Das liegt vor allem an den Qualitäten des Fahrwerks. Peter Limmert fasste es 1978 in MOTORRAD so zusammen: „Alle Tester waren einer Meinung: Den Motoren kann es niemals gelingen, die Grenzen dieses Fahrwerks aufzuzeigen, geschweige denn zu übertreten.“ Wie die aktuelle Testfahrt mit der Café Classic bestätigt, vermag das selbst der deutlich stärkere 750er-Motor nicht.
Übrig bleibt ein handliches, spurstabiles Motorrad. Zwar sind die Reaktionen des Kardanantriebs spürbar, bringen den Fahrer aber nicht wirklich in Bedrängnis. Selbst das Bremsstempeln des Hinterrads tritt nur dann auf, wenn der Fahrer die Gänge grobmotorisch herunterdrischt und gleichzeitig die hintere Bremse betätigt.
Auch wenn die vordere Bremsscheibe nicht mit grimmigem Biss aufwartet, ist sie dem Gewicht und den Fahrleistungen der V7 Café Classic gewachsen. Das trifft auch auf die Metzeler-Bereifung im Format 110/90-18 und 130/80-17 zu, die mit ordentlicher Haftung und Rückmeldung ihre Arbeit verrichtet. Lediglich bei kurz aufeinander folgenden Bodenwellen oder Frostaufbrüchen poltert die Gabel ungestüm über den Asphalt. Die zu harte Reifenkarkasse des Metzeler Lasertec kann solche Unebenheiten nicht gut genug herausfiltern.
Etwas zwiespältig geriet die Sitzposition, weil die Lenkerstummel im Gegensatz zu der sonst eher entspannten Haltung eine Handbreit zu tief angeschellt sind. Warum aber hat man die clevere Idee der Schwanenhals-Konstruktion von 1972 so ausgelegt, dass sich die Stahlstummel nicht weiter nach oben verschieben lassen? Platz wäre genügend, und die Länge der Züge, Leitungen und Kabel ließe sich entsprechend einrichten. Dafür passen Kniewinkel, Rastenposition und Sitzhöhe wie maßgeschneidert auch auf längeren Touren oder klein geduckt auf der Autobahn.
Eine angenehme Überraschung gibt es an der Tankstelle. Dank des geringen Landstraßenverbrauchs von 4,1 Litern und dem Fassungsvermögen des Tanks von 17 Litern bekommt man sie nur selten zu Gesicht. Die Reichweite ist für Motorräder heutzutage geradezu paradiesisch.
Auch die Leistungscharakteristik des neuen Antriebs wird den Erwartungen an einen konventionellen Zweiventiler gerecht. Einfache Umgangsformen gepaart mit klassischer Optik machen die Guzzi zu einem angenehmen Begleiter. Allein im Design wäre an manchen Stellen etwas weniger mehr gewesen. So mag der sportliche Sitzhöcker sogar eleganter aussehen als die Zweimannbank des Originals. Die schwarzen Kotflügel, die Stahlfelgen und die überflüssigen Blenden an den Schalldämpfern können mit den rassigen Teilen der V7 Sport und ihrer klassischen Gesamterscheinung aber nicht konkurrieren.
Moto Guzzi V7 Café Classic
MOTOR
Bauart: Luftgekühlter Zweizylinder-90-Grad-V-Motor, eine zentrale Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, über Stoßstangen und Kipphebel betätigt
Bohrung: 80 mm
Hub: 74 mm
Hubraum: 744 cm³
Verdichtung: 9,6 : 1
Leistung: 48 PS bei 6800/min
Drehmoment: 55 Nm bei 3600/min
Gemischaufbereitung: Saugrohr-Einspritzung, Ø 36 mm
ELEKTRISCHE ANLAGE
Starter: E-Starter
Batterie: 12 V/14 Ah
Zündung: elektronische Zündung, Motormanagement
Lichtmaschine: Drehstrom 330 W
KRAFTÜBERTRAGUNG
Kupplung: Einscheiben-Trockenkupplung
Getriebe: Fünfgang, klauengeschaltet
Sekundärantrieb: Kardan
FAHRWERK
Rahmenbauart: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr mit geschraubten Unterzügen
Radführung vorn: Telegabel, Ø 40 mm
Radführung hinten: Zweiarmschwinge aus Aluguss, zwei Federbeine
Federweg vorn/hinten: 130/118 mm
Räder: Drahtspeichenräder, Stahlfelgen
Reifen vorn: 110/90 – 18
Reifen hinten: 130/80 – 17
Bremse vorn: Einscheibenbremse, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsattel
Bremse hinten: Scheibenbremse, Ø 260 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel
MASSE UND GEWICHTE
Radstand: 1445 mm
Nachlauf: 109 mm
Sitzhöhe: 810 mm
Gewicht vollgetankt: 201 kg
Tankinhalt/Reserve: 17/2,5 Liter
FAHRLEISTUNGEN
Höchstgeschwindigkeit 170 km/h
PREIS/NEBENKOSTEN
8245/255 Euro
HERSTELLER
Moto Guzzi S.p.A., Mandello del Lario, Italien
Klassiker zum Fahren
Diese Guzzi ist ein Motorrad, das seinen eigenwilligen Charakter nicht kaschiert, aber in Sachen Fahrbarkeit selbst weniger geübten Motorradfahrern freundlich gesonnen ist. Wer den Genuss ohne Reue sucht, wird bei der V7 Café Classic fündig. Auch die Verfechter der reinen Lehre vom klassischen Motorrad können schwach werden. Weil Motorradfahren ohne Schrauberei auf einem hübschen Retro-Bike mit klassischer Ausstrahlung unverschämt viel Spaß macht. Und das, ohne den Tankrucksack mit Werkzeug und den obligatorischen Ersatzteilen zu füllen. Allein die Liebe zum Detail lässt die Café Classic in einigen Punkten vermissen.