Wenn britische Biker das Besondere suchten, wählten sie oft genug eine Sunbeam. Hervorragend verarbeitet, solide konstruiert und im Sport bewährt – das gilt auch für die B24, einen der letzten Vorkriegs-Sonnenstrahlen.
Wenn britische Biker das Besondere suchten, wählten sie oft genug eine Sunbeam. Hervorragend verarbeitet, solide konstruiert und im Sport bewährt – das gilt auch für die B24, einen der letzten Vorkriegs-Sonnenstrahlen.
Vor einiger Zeit brauchte der Holländer Gert Holmersma ein echt begeisterndes Geschenk. Nicht länger nämlich wollte er allein auf einem Uralt-Schnaufer seine geliebten Rundfahrten bestreiten, nein, gesellig, wie unsere Nachbarn nun mal sind, sollte seine Lebensgefährtin daran teilhaben.
Also ließ Gert den Gentleman raus und kaufte seiner Thea ein nicht ganz so altes Motorrad mit nicht ganz so vielen obskuren Hebeln und Griffen: eine Sunbeam B24, schöner als jeder Hochzeitsschmuck. Der rechte Seitendeckel des Motors blitzt wie ein Silbertablett, im tiefschwarzen Lack spiegelt sich der Himmel, alles durch und durch original – so sieht Show condition aus.
Und so entspricht diese 350er dem glänzenden Ruf ihres Herstellers. Mit japanning bezeichnen die Briten eine bis ins 20. Jahrhundert sehr geschätzte Methode, Metallwaren mittels mehrerer Schichten hochglänzenden schwarzen Emaillelacks zu veredeln und gegen Rost zu schützen. John Marston aus Wolverhampton nahe Birmingham zählte zu den wichtigsten Anbietern solcher Waren und besaß bereits eine recht große Fabrik, als er sich 1889 neben Töpfen und Pfannen zusätzlich der Fabrikation von Fahrrädern widmete. Auf Vorschlag seiner Gattin hießen die Zweiräder The Sunbeam, Marstons unternehmerischer Werdegang gebot natürlich, jeden dieser Sonnenstrahlen in höchster Qualität anzubieten.
Ermutigt von seinen Söhnen, produzierte Marston schon früh auch Motorfahrzeuge, allerdings zuerst solche mit vier Rädern. Schlimmer noch: Nachdem sich ein Mitarbeiter 1904 bei Testfahrten tödlich verletzt hatte, verdammte der Chef sämtliche Motorräder. Erst der Blick auf manch erfolgreiche Konstruktion – und die damit verdienten Sümmchen – leiteten acht Jahre später die Umkehr ein.
John Greenwood, der schon für Rover und JAP gearbeitet hatte, wurde engagiert, und als dessen Assistent kam auch noch Harry Stevens auf die Gehaltsliste. Der arbeitete bereits seit 1909 mit seinen drei Brüdern in einer gemeinsam geführten, aber mit den Initialen von Albert John Stevens benannten Motorradfirma, gerade ein paar Straßen weiter, und galt als bester Konstrukteur der Stadt. Er stellte dem reichen Marston eine nette 350er hin, Greenwood verlegte die vorn herausragende Lichtmaschine hinter den Zylinder – fertig war das Modell 2 3/4 HP, das 1912 in Produktion ging. Schon ein Jahr später hievte ein JAP-Motor eine Sunbeam ins obere Hubraumsegment, und vom Start weg sorgten Sporterfolge für Popularität.
Nach dem Krieg nahm die britische Motorradindustrie rasch wieder Fahrt auf, Sunbeam jedoch musste 1918 den plötzlichen Tod des designierten Firmenchefs Roland Marston und das Ableben des greisen Patriarchen John verkraften. Dessen Erbe fiel nun dem ältesten Marston-Sohn zu, aber Charles stand mit seinen Villiers-Werken, berühmt für ihre Zweitaktmotoren, längst auf eigenen Beinen und verkaufte Sunbeam deshalb flugs an einen Unternehmensverbund, der Kriegsgewinne anlegen musste. Dieser Munitionshersteller, bald schon Teil des Nobel-Imperiums, wollte nur Geld sehen – und ließ Thomas Cureton, lange Jahre rechte Hand von John Marston, und dessen Nachfolger Sidney Bowers einfach weiter gewähren. Die von Sunbeam-Jüngern gepriesenen goldenen Jahre begannen.
Tatsächlich eroberte sich die eher konservativ ausgerichtete Firma in dieser Zeit eine Stellung, wie sie zehn Jahre später BMW in Deutschland besaß: Der Kunde zahlte gerne und gut für gehobene Qualität, jeden Sonntag bestätigten ihn sportliche Erfolge seiner Marke in dieser Kaufentscheidung. 1920 fuhr Tommy de la Hay den ersten Senior-TT-Sieg für Sunbeam ein, 1922 lieferte Alec Bennett den zweiten. 1928 und 1929 gab‘s Siege in Serie, aber was nutzten die in der Wirtschaftskrise? Nobel war mittlerweile in der Imperial Chemical Industries aufgegangen, dort fand man Sunbeam als Autohersteller und Zulieferer ganz drollig, aber Motorräder? 1937 gingen die Markenrechte für alle Zweiräder an Associated Motor Cycles in Plumstead/London.
Dort residierten die Collier-Brüder und bauten Matchless, hatten aber bereits 1931 AJS übernommen und beide Marken mehr oder weniger eigenständig unter dem Dach von AMC vereint. Auch Sun-beam sollte ein markantes Profil behalten, und so begann Bert Collier unverzüglich, eine neue Motorenfamilie zu konstruieren. Wie üblich musste sie einen großen Hubraumbereich abdecken, und so entstanden fürs Modelljahr 1939 die 250er B23, die 350er B24, darüber dann die B25 mit 500 und – vorzugsweise als Gespannmaschine – die B28 mit 600 cm³. Bereits 1934 hatte Sunbeam einen Motor mit hochgelegter Nockenwelle vorgestellt, diese Idee setzte Collier erneut um, und sie verlieh der ganzen Reihe ihren Namen: High Camshaft Sunbeam.
Die Nockenwelle rotiert also ein ganzes Stück oberhalb der Kurbelwelle, weshalb kurze Stoßstangen genügen, um mittels Kipphebeln die im Kopf hängenden Ventile zu öffnen. Diese werden von Haarnadelfedern wieder in ihre Sitze gedrückt. Den schön gezeichneten und wie der Zylinder auffällig stark verrippten und voll gekapselten Kopf fixieren vier direkt ins Motorgehäuse reichende Anker. Die Laufbahn ragt weit ins Kurbelgehäuse hinein, so konnte Bauhöhe gespart werden.
Alle Motoren legte Collier langhubig aus, mit 69 mm Bohrung zu 93 mm Hub fällt das Verhältnis beim 350er am extremsten aus. Eine Primärkette leitet die Kraft an das über kurze Wege anständig schaltbare Burman-Vierganggetriebe weiter. Auf der anderen Motorseite prangt der markante polierte Seitendeckel, hinter dem eine lange, von der Kurbelwelle angetriebene und von einer federbelasteten Schiene gespannte Kette nicht nur die Nockenwelle, sondern auch den Zündmagneten in Schwung bringt. Unterhalb des Triebwerks verläuft die nach Sunbeam-Tradition sehr gut dämpfende Auspuffanlage.
Das konventionell aufgebaute Fahrwerk verzichtete zunächst auf eine Hinterradfederung, die Führungsaufgabe übernimmt eine sensibel ansprechende und mit Reibungsdämpfer versehene Parallelogrammgabel. Auf Wunsch gab es dann doch zumindest für die hubraumstarken Modelle eine Hinterradfederung, ebenso technisch leicht veränderte Sportversionen. Leider blieb nicht mehr viel Zeit für Wünsche: Schon während der Internationalen Sechstagefahrt in Salzburg 1939 rasselten die Säbel, Sunbeam-Werksfahrer Geoff Godber-Ford, der auf einer B25 bereits beachtliche Erfolge errungen hatte, musste sich mit seinen Kameraden unter wilden Umständen nach Hause durchschlagen. Kurz darauf erklärte England Nazi-Deutschland den Krieg und stellte auf Rüstungswirtschaft um. Fünf Jahre lang produzierte AMC fast ausschließlich Matchless G3 fürs Militär. Die waren altmodisch, aber bewährt, von der schönen Sunbeam B-Reihe dagegen sind insgesamt nur wenige Hundert Exemplare entstanden.
Es spricht für deren Substanz, wenn in England noch etliche B-Modelle existieren. Auf dem Festland dagegen gelten sie als Raritäten. Auch die Sunbeam B24 von Gert Holmersma kam erst 2008 über den Kanal, er ist relativ sicher, die einzige 350er der Niederlande zu besitzen. Und er ist von ihr so begeistert, dass er nicht versteht, warum manche Markenfans die AMC-Modelle am liebsten ausgrenzen. Die B24 wurde in Plumstead und nicht in Wolverhampton gebaut, das schon, aber sie atmet durch und durch den Geist von Sunbeam: vom selbstständig einklappenden Heckständer über die Qualität aller Teile bis zur wunderbar dosierbaren Vorderradbremse erhebt sie sich um das gewisse Etwas über den Standard ihrer Zeit.
Ihre geschlossene Linie jedoch und das kompakte Arrangement von Motor, Getriebe und Öltank verweisen auf eine Ära, die kriegsbedingt erst in den 50er-Jahren beginnen durfte. Auch Fahrleistungen und Handling gehören bereits in die Moderne: Der Motor hängt schön am Gas, dreht recht munter hoch, kann aber dennoch schaltfaul gefahren werden. Die angegebenen 16 PS nimmt man ihm ohne Widerworte ab, subjektiv wirkt er gar deutlich kräftiger als etwa eine 250er-BMW mit ähnlicher Nennleistung. Bei betörender Klanguntermalung schnurrt er fröhlich über die Landstraßen, gutmütig im Charakter, aber nie langweilig und stets ohne lästige Vibrationen.
Dazu passt das nicht umwerfend handliche, aber immer noch agile Fahrwerk. Schön berechenbar, schön stabil. Dank guter Sitzfedern durchaus komfortabel, dank erstaunlicher vorderer Halbnabenbremse auch sicher – nicht viele Vorkriegsmotorräder machen sich heute noch derart gut.
Wie die Speed Twin T5 von Triumph, wie die R 5/R 51 von BMW hätte die High Camshaft-Reihe von Sunbeam ganz sicher Spuren hinterlassen, wenn sie eine Chance erhalten hätte. Aber nach dem tragischen Start verlor AMC jede Lust und verkaufte schon 1943 die Markenrechte weiter an BSA. In Birmingham hatten sie selber ordentliche Singles, also klebte man das verkaufsträchtige Sunbeam-Logo für ein paar Jahre auf einen trägen Kardantourer mit längs eingebautem, schüttelndem ohc-Paralleltwin. Das traurige Ende einer Marke, die immer für ihre tapferen Singles berühmt bleiben wird.
Motor: Luftgekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, Bohrung x Hub 69 x 93 mm, Hubraum 347 cm³, zirka 16 PS, Verdichtung 6,2:1, Amal-Vergaser, Primärtrieb per Kette, Mehrscheibenkupplung, fußgeschaltetes Vierganggetriebe, Sekundärtrieb per Kette.
Fahrwerk: Einschleifenrohrrahmen mit gegabeltem Unterzug, Parallelogramm-gabel mit Reibungsdämpfer vorn, Hinterrad ungefedert, Reifen 3.25 x 19 vorn und hinten, Simplex-Halbnabenbremse vorn und hinten.