Fahrbericht Wunderlich-BMW R 100 R Classic
Bezahlbares Customizing

Gewöhnlich unterstreicht Wunderlich den Touringcharakter aktueller BMWs. Mit noch mehr Komfort, Ausstattung und Klimbim. Aber sie können auch anders, wie die Wunderlich-BMW R 100 R Classic zeigt.

Bezahlbares Customizing
Foto: Kohlmey

"Darf ich auch mal mitfahren?" Die hübsche Dame mit den langen Haaren und der Top-Figur hat mich charmant gekidnappt. Kathrin heißt sie. „Ja klar, gern.“ Das passiert dir nicht jeden Tag. Auch wenn Till Kohlmey von der Firma Wunderlich die Fotokurve im Ahrtal bereits verlassen wollte: So viel Zeit muss einfach sein für die wichtigen Dinge im Leben. Helm anpassen, die frischge­backene Sozia (42) einweisen. „In Linkskurven schaust du mir über die linke Schulter, in Rechtskurven über die rechte – dann machst du alles richtig.“ Offenbar hat aber auch BMW-Spezialist Wunderlich alles mustergültig gemacht. Er schaffte das Kunststück, eine anziehend wirkende BMW zu kreieren. Echt bezaubernd.

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Weil diese spezielle BMW R 100 R Classic nicht mehr serienmäßig bieder und barock erscheint, sondern knackig, individuell. Bei geringem Umbauaufwand. Dreh- und Angelpunkt ist der 2,3 Kilogramm leichte Heckrahmen zu 499 Euro (mit TÜV-Gutachten). Er beherbergt einen apart kurzen Kotflügel aus GFK mit knubbeliger Leuchte dar­auf. Fehlende Seitendeckel gewähren freien Blick durch die filigrane Kons­truktion. Obenauf wird die flache, individuell gestaltbare Sitzbank „Pure“ (599 Euro) geschraubt. Schon standardmäßig passt sie prima. Kompakte 50 Zentimeter Sitzfläche ergeben zu zweit ganz automatisch ein kuscheliges Arrangement.

Dumpf und sonor, aber niemals aufdringlich

Reduktion aufs Wesentliche, optische Verdichtung: Vorn sitzt ein schlanker, drah­tiger Kotflügel. Er kostet wie der Kollege im Heck 119 Euro. Faltenbälge an der Gabel, der traditionelle 18-Zentimeter-Rundscheinwerfer und elegante Bullet-Blinker be­dingen klassisch elegante Linien. Eine stimmige Formensprache, die sich intuitiv erschließt. Den schicken Gabelstabilisator zwischen den Tauchrohren und die obere Gabelbrücke lässt Wunderlich eigens fräsen. Perfekt liegt die hohe, 80 Zentimeter breite LSL-Lenkstange der Wunderlich-BMW R 100 R Classic zur Hand. Die Hände greifen wie von selbst zu dicken, braunen Griffen. Ihre geriffelte Kontur zitiert 70er-Jahre-Design und -Griffgefühl.

„Festhalten, Kathrin, kann losgehen!“ Hip ist das ins Motorgehäuse verlegte Zündschloss. Mit wohligem Wummer-Sound erwacht der Boxer. Für eine sportive Note sorgt der hochgelegte Zach-Auspuff. Er hat EG-ABE, klingt kernig. Dumpf und sonor, aber niemals aufdringlich. Er sitzt auf einem leichten Y-Rohr samt Krümmern von BSM. Offene, ovale K & N-Luftfilter an beiden Bing-Vergasern zwitschern vor sich hin.

Der 60-PS-Serienmotor lebt und vibriert fröhlich und gefühlsecht. Mit bedächtigem Ruhepuls. Schön gleichmäßig blubbert sich der Boxer durchs Drehzahlband, läuft schon unter 2000 Umdrehungen richtig rund, kommt schön kräftig von unten. Easy Going. 3000 Umdrehungen reichen vollkommen für gesunden Vortrieb, für ein Lächeln im Gesicht. Jenseits der 5000 flacht das Drehmoment gefühlt schon wieder ab. Für enge Sträßchen passt die Charakteristik der Wunderlich-BMW R 100 R Classic perfekt. Kathrin genießt good Vibrations. Echter, purer, ungefilterter Fahrgenuss ist das, breitschultriges Aufsaugen der Landschaft. Mit Tempo 80 bis maximal 120. Wem gemütliches Tuckern nicht reicht: Wunderlich offeriert noch diverse Motortuning-Kits. Etwa den bewährten 1070-Kubik-Satz mit 80 PS.

"Das Customizing soll bezahlbar bleiben"

Warum die Klassiker von BMW voll im Trend liegen und Wunderlich jetzt auf breiter Front Gas gibt, erläutert der liebevoll ­gestaltete, 186 Seiten dicke Katalog „Wunderlich Classic“: „Weil wir diese Motorräder mit ihren klaren Strukturen lieben. Weil uns die einfache, überschaubare Technik begeistert. Weil das Baukastensystem eine große Vielzahl an Umbaumöglichkeiten ­zulässt: Vom Bobber bis zum Scrambler ist alles machbar. Weil Leistung nicht der Nabel der Zweiradwelt ist. Weil sie einfach cool aussehen. Und weil sie sich so schön einfach fahren lassen.“

Stimmt. Es braucht nur wenige Kilometer, um zu spüren, weshalb Zweiventiler so angesagt sind. Weil sie eine eigene Ästhetik haben. Formen, die aus begreifbarer Funk­tion folgen. Sie sind gutmütige, ehrliche Charaktere. Keine Heißsporne, sondern echte Kumpel. Sanft trägt die Wunderlich-BMW R 100 R Classic Kathrin und mich durch die steilen Weinberge. „Das Customizing soll gar nicht zu perfekt, zu verrückt sein, sondern bezahlbar bleiben“, erläuterte Till Kohlmey die Grundidee. „Im Prinzip kann das jeder leicht in der eigenen Garage montieren.“ Mit aufeinander ab­gestimmten Umbauteilen. „Wir haben zunächst einmal ganz bewusst keine /5, /6, oder /7 genommen, denn die sind schon zu teuer.“

BMW R 100 R Classic für 3500 Euro

Also zeigt diese sahara-farbene BMW R 100 R Classic das Potenzial auf. Sie basiert auf ­einem noch erschwinglichen Modell mit ­Pa­ralever-Einarmschwinge von 1992: „Die sind noch nicht so gefragt und gleichzeitig mit 41er-Gabel und Zweigelenkschwinge eine technisch bessere Basis, da stimmt der Fahrkomfort schon ab Werk.“

Für Till Kohlmey geht es bei der BMW R 100 R Classic um den günstigen Einstieg ins Tuning: „Dies ist der einfachste Umbau, den man ­realisieren kann. Ein solches Motorrad der Baujahre 1991 bis 1994 bekommt man für ungefähr 3500 Euro – mit rund 60.000 ­Kilometern Laufleistung. Dann braucht man bloß noch eine kleine Inspektion und für rund 3000 Euro Teile sowie eine neue Lackierung spendieren, fertig.“

Gefühlte Leichtigkeit bei nur rund 200 Kg

Streng genommen ist die Paralever-BMW schon keine echte Gummi-Kuh mehr, dafür fällt das Aufstellmoment der Kardan-Einarmschwinge zu gering aus. Trotzdem hilft es, so zu fahren wie früher: Schalten und Bremsen besser vor der Kurve abschließen, um keine Lastwechselreaktion zu provozieren. Dann schön rund unter gleichmäßig Zug durch die Kurve, schon stimmt’s mit dem Radius. Und wenn nicht: Kurskorrekturen gehen spielerisch vonstatten. Schön handlich, diese beige-braune Boxer-BMW. Macht Spaß, wie leicht sie abklappt, wie ­easy sie sich dirigieren lässt, wie neutral sie die Spur hält. Wenden auf Schotter, Rangieren auf einem matschig-durchgeweichten Parkplatz? Alles einfache Übungen ohne Krampf. Gefühlte Leichtigkeit bei nur rund 200 Kilogramm Gewicht.

Das schafft Vertrauen. Auch von der Sozia zum Fahrer. Wer Fahrrad fahren kann, hat mit der Wunderlich R 100 R Classic keine Probleme. Trotzdem biegt die BMW bei Bedarf durchaus verwegen ums Eck. Wobei die dünnen Reifen selbst bei zügigem Tempo bloß wenig Schräglage erfordern. Etwas hölzern rollen Conti-Diagonalreifen „Go“ ab, geringe Eigendämpfung lässt sie ein wenig stuckrig wirken. Immerhin haften sie recht ordentlich. Progressive Wilbers-Federn lassen die Gabel schön smooth ansprechen. Linear waren dagegen die Serienteile, hatten Distanzhülsen. Bald soll ein maßgeschneidertes Wilbers-Federbein folgen. Wunderlich ging es nicht um ein Showbike, sondern ums Fahren.

Vorn rotieren schwimmend gelagerte 260-Millimeter-Bremsscheiben von EBC. Sie haben ABE, werden von angepassten Belegen via Stahlflexleitungen gezwickt. Trotz des Tunings sind die Stopper für die Unterstützung der hinteren Trommel dankbar. Immerhin, für Stand 1992 gehen Bremsleistung wie -dosierung okay. Dieses Motorrad passt in die Landschaft, zum Grün der Hügel, zur kurvigen Eifel. Vor allem aber in die Zeit. Und ins Wunderlich-Portfolio: Hier kann man alles kombinieren, wie man will. Lego für Große, weil alle BMW-Boxer von 1969 bis 1995 eine ähnliche technische ­Basis bieten, fast 250000-mal gebaut wurden.

Programm war eigentlich für Selbstschrauber gedacht

„Es gibt noch sagenhaft viele Teile,“ freut sich Till Kohlmey. „Selbst wenn BMW ausnahmsweise mal nicht mehr liefern kann, hat garantiert irgendein Spezialist Ersatz- und Austauschteile im Angebot.“ Eigentlich war das gesamte Programm von Wunderlich Classic nur für Selbstschrauber gedacht. Kunden sollten sich peu à peu neue Teile besorgen: abschrauben, anschrauben, fertig. Tatsächlich läuft die Nachfrage aus dem Stand „unerwartet gut“, für erste Bauteile gibt es schon Wartezeiten. Doch „erstaunlich viele Kunden wollten den Umbau lieber von uns machen lassen“. Übrigens auch zu einer BMW R 100 R Sport als Interpretation eines Café Racers oder einer klassisch sinnlichen R 60 „Strich sechs“.

Wunderlich reagierte und bietet nun ­neben großem Teile-Fundus auch Umbau-Service an: getunte Zweiventiler, fertig ab Werkshalle Sinzig. „Wenn jemand sich nicht traut, helfen wir gerne.“ Letztlich geht es hier um Fahrgefühl, um Besitzerstolz, um Technik zum Anfassen. Wer jemals vergessen hat, war­um man vor Urzeiten mal anfing, Motorrad zu fahren: Die Wunderlich-BMW R 100 R Classic zeigt es dir nach wenigen Kilometern wieder. War toll, Kathrin, nicht wahr? Adieu, und Danke für diese tolle Erfahrung.

Infos

Kohlmey
Der "Wunderlich Classic Katalog".

Eine echte Empfehlung wert ist der schön gestaltete „Wunderlich Classic Katalog“: Die BMW-Spezialisten aus Sinzig am Rhein haben ein Riesenprogramm für die Zweiventil-Boxer aus den Modelljahren 1969 bis 1996 geschnürt. Das umfangreiche Angebot füllt über 180 durchweg farbige Seiten im handlichen B5-Format. Es umfasst unter anderem Design-Elemente, bewährte Zylinder- und Kolbenkits, diverse Tuningparts („Power-Kits“, „Big Bore-Kits“), hochwertige Fahrwerkskomponenten so­wie alle Standard- und Verschleißteile, die zum Alltagsbetrieb notwendig sind.

Alle Bauteile sind aufeinander abgestimmt und lassen sich oft per Plug & Play montieren, damit auch weniger versierte Schrauber ihren Zweiventil-Boxertraum selbst gestalten können. Darüber hinaus dient der Katalog aber auch als Ratgeber. Er gibt Praxis-Tipps zu Wartung und Pflege der Zweiventiler, kennt Tipps zum Gebrauchtkauf und zeigt in einer Modellhistorie auf, welche Boxer zu welcher Zeit in Berlin vom Fließband gelaufen sind. Es gibt ihn gratis als gedruckte Ausgabe (Adresse unten) sowie elektronisch zum Durchblättern unter www.wunderlich.de. Viel Vergnügen!

Kontakt: Wunderlich GmbH, Kranzweiherweg 12, 53489 Sinzig, Telefon 0 26 42/9 79 80, Fax: 02642/ 979833, E-Mail: info@wunderlich.de, Internet: www.wunderlich.de

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023