Im Sperrmüll habe ich sie entdeckt. In jener Zeitung für kostenlose Kleinanzeigen mit dem skurrilen, irreführenden Namen war die Z 750 Turbo annonciert. Schon beim Lesen löste das magische Wort Turbo spontan mentalen Speichelfluss aus und weckte eine Menge Assoziationen: kaum beherrschbare Leistung, ein Mörder-Tritt ins Kreuz bei vollem Ladedruck, Stichflammen aus dem Auspuff, bei Nacht spektakulär rot-glühender Lader. An Stammtischen wurde das Kürzel mit Ehrfurcht ausgesprochen, und insgeheim galten jene, die ein Fahrzeug mit Turbo-Aufladung zu bändigen wussten, als echte Kerle. Der Verstand wagte einen zaghaften Versuch, sich gegen den heftig aufkeimenden, übermächtigen Kaufwillen zu wehren, aber der Kampf war aussichtslos. Das Wörtchen "defekt" hinter dem Begriff Turbolader war schließlich ganz leicht auszublenden.
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Finale: Kawasaki Z 750 Turbo
MOTORRAD berichtet über die Kawasaki Z 750 Turbo
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Schon 1983, als die Kawa präsentiert wurde, hatte ich sämtliche Testberichte zum Thema verschlungen und war vom Bazillus Turbo befallen. Okay, die anderen Turbo-Bikes machten mich weniger an. 1981 hatte Honda sein Glück mit der 82 PS starken CX 500 Turbo versucht. Doch der Ruf der CX als braver Alltags-Muli und der Spitzname Güllepumpe hafteten zu sehr an ihr: Minirock und High-Heels alleine machen aus einem Bauerntrampel eben noch kein rassiges Topmodel. Das gilt auch für den zweiten Versuch 1983 mit der CX 650 Turbo, die es auf immerhin 100 PS brachte. Die Yamaha XJ 650 Turbo (ab 1982) fand ich zu hässlich - kein Thema. Aber die Kawa, die hatte schon damals eine magische Anziehung auf mich ausgeübt.
Und nun war sie greifbar nah: Baujahr 1985, also erst fünf Jahre alt, 26000 Kilometer auf der Uhr und angeblich sturzfrei. Für 3000 Mark - ein Schnäppchen. Die telefonisch eingeholte Info vom Kawa-Händler, dass ein neuer Turbolader 3200 Mark kosten sollte, schockierte mich kurz, konnte mich jedoch nicht aufhalten. Irgendwoher einen gebrauchten Lader auftreiben, den defekten überholen lassen, notfalls erst mal mit kastriertem Motor, also als Saugmotor ohne Aufladung fahren - irgendwie würde das schon gehen. Bereits am Nachmittag stand ich auf der Matte und die leicht eingestaubte Kawa vor mir, einsam in einer riesigen Scheune, abgemeldet, aber bereit für eine Probefahrt auf den nahen Feldwegen. "Wir sind hier auf dem Land, das fehlende Nummernschild interessiert hier keinen." Ein Druck aufs Knöpfchen, der Einspritzmotor erwachte sofort zum Leben. Das bereits bewährte und ausgereifte DFI-System (Digital Fuel Injektion) hatte Kawasaki aus der GPZ 1100 entliehen und auf den 750er-Motor abgestimmt.
Der luftgekühlte Vierzylinder stammte in seinen Grundzügen zwar aus der halbverkleideten GPZ 750 Uni Track, doch hatte man ihn modifiziert und für die höhere Belastung gerüstet: Der Zylinderkopf der Z 650 besaß engere Kanäle, zahmere Steuerzeiten und sorgte für bessere Wärmeabfuhr als der originale Kopf, die verstärkten Kolben und die von 9,5 auf 7,8:1 reduzierte Verdichtung sollten helfen, dem Ladedruck von maximal 0,73 bar dauerhaft standzuhalten. 112 PS leistete der Zweiventiler in der offenen Auslandsversion, in Deutschland offiziell nur 100 PS. Spielverderber war ein anderer Chip im Einspritz-Steuergerät. Und wie viele blieben wohl ohne Lader-Unterstützung von den 100 Pferdchen übrig? Die ersten Kilometer bis nach Hause absolvierte ich noch mit einer gewissen Zurückhaltung. Schließlich erwiesen sich die ersten kurvigen Landstraßen-Kilometer angesichts der langgestreckten, über die schmalen, stark gekröpften Lenkerstummel gebeugten Sitzhaltung und des kopflastigen, störrischen Fahrverhaltens als recht ungewohnt. Besonders leicht und handlich war die Gute mit ihren 254 Kilogramm, flacher stehender Gabel und noch mehr Nachlauf als bei der GPZ 1100 gewiss nicht. Aber spürbar stärker als meine bis dahin gefahrene Yamaha XJ 550 mit ihren 50 PS. Mit den montierten Zubehör-Brüllrohren allerdings auch deutlich lauter. Zum Glück gab es die Original-Endtöpfe mit dazu. Gültigen TÜV und zulässige Reifen in den lächerlich schmalen Originalgrößen hatte die Kawa leider nicht zu bieten, was mir noch Diskussionen beim TÜV bescheren sollte ("den 150er hinten kriegen Sie von mir nicht eingetragen").
Ein Turbo-Motorrad, aber mit kaputtem Turbolader? Die Mitbewohner meiner Studenten-WG sparten nicht mit blöden Kommentaren. Aber sie sollten bald verstummen, die Spötter und Mies-macher. Das Glück des Mutigen war mir hold: Kaum zwei Wochen später, nach dem Durchforsten Tausender Kleinanzeigen, entdeckte ich tatsächlich die Nadel im Heuhaufen: eine zum Ausschlachten freigegebene Unfallmaschine. "Turbolader? Ja, ist noch da, glaub ich. Die Kiste gehört meinem Bruder, der ist in Urlaub." Ich musste schnell reagieren. Und cool bleiben. In einer Garage, an die Wand gelehnt, stand das Gerippe der verunfallten Turbo. Die kurze Sichtprüfung offenbarte keine Schäden am Lader. Der Preis? "Was würdest du denn zahlen?" Verdammt, jetzt nicht zu hoch pokern. Wenn ich unverschämt wenig biete, jagt er mich vom Hof. Ich riskiere es trotzdem. "Hmm, ist ja nicht mehr ganz taufrisch. 150 Mark?" "Gebongt." Glückselig taumelte ich zurück zu meinem Auto.
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Der Lader der Kawasaki Z 750 Tubro liegt im kühlenden Fahrtwind, gut geschützt hinterm Verkleidungskiel mit Aluspoiler.
Eine Stunde später entblätterte ich mein kränkelndes Turbo-Schätzchen, um ihr den rettenden Lader einzupflanzen und wieder neues Leben einzuhauchen. Aber was war das? Ich rieb mir die Augen: Die Verbindung zwischen Lader und Ansaugtrakt war unterbrochen. Eine Schelle hatte sich gelockert, die Anschlüsse waren verrutscht und der Turbo blies ins Leere. Sollte das der ganze Witz sein? Zusammenstecken, Schelle festziehen, auf zur Probefahrt um den Block. Es war wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag an einem Tag: Die Anzeige im Cockpit signalisierte Ladedruck, das Popometer bislang ungekannten Schub ab mittleren Drehzahlen - der Turbolader meldete sich zurück zum Dienst. Das 47 Millimeter messende Verdichterrad des Hitachi-Laders sollte fortan nicht mehr umsonst mit 200000/min rotieren, der leistungsfördernde Druck, der sich ab rund 5000/min Motordrehzahl aufbaut, nicht mehr ungenutzt ins Freie strömen, sondern erst planmäßig nach Erreichen des Maximaldrucks von 0,73 bar per Wastegate (Überdruckventil) ins Leere zischeln.
Ein sonniger Junitag, volle Leistung an Bord, fast freie Autobahn - jetzt galt es. Mann oder Memme? Sorgsam warm fahren, auf der rechten Spur mit 120 dahin bummeln, das Ende der 100-km/h-Begrenzung in Sichtweite. Von hinten schießt auf der linken Spur eine S-Klasse heran, vor mir parkt ein LKW mit 80 Sachen, na denn: runter schalten, durchladen, ausscheren und Vollgas. Die Turbine presst mit Macht Luft in den Vierzylinder, der Dreiviertelliter-Kessel scheint fast zu platzen, wütend zerrt die Turbo mir die Arme lang. Blitzschnell dreht der Motor hoch. Schalten, Kopf runter, abtauchen und das Gas stehen lassen. Der Benz ist längst aus dem Rückspiegel verschwunden. Ein bis dahin nicht gekannter Rausch befällt mich - was für ein Schub! Stehen lassen, Tacho 245 - Mist, ein Links-Trödler holt mich auf den Boden zurück. Da wäre sicher noch mehr gegangen.
Mag ja sein, dass die Erinnerung verklärt. Aus heutiger Sicht ist die Turbo wohl einfach ein starkes Bike. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Der einsetzende Schub ist geil, aber nicht martialisch oder unbeherrschbar. Horrende Verbräuche gehören ebenfalls ins Reich der Märchen und Legenden. Mit sechs Litern/100 km ist die Kawa durch-aus normal zu fahren, nur bei Vollgas-Bolzerei sind es auch mal bis zu neun Liter. Wir tanzten nur einen Sommer, die Turbo und ich. Dann trieb es mich zu neuen Ufern. Andere Hersteller haben auch schöne Töchter. Aber von allen Verflossenen trauere ich der rot-schwarzen Lady mit am meisten nach. Ich werd wohl mal, nur so zum Spaß, die Kleinanzeigen durchforsten.
Technische Daten
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Der Hitachi-Turbolader der Kawaski Z 750 ist klein und kompakt, liefert mit 200000/min und horrendem Ersatzteil-Preis aber echte Superlative.
Motor:
Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor,zwei Ventile pro Brennraum, über Tassenstößel gesteuert, Bohrung x Hub 66 x 54Millimeter, 738 cm3, 74 kW (100 PS) bei 9000/min, 99 Nm bei 6500/min, Einspritzung,E-Starter, Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe,Kettenantrieb.
Fahrwerk:
Doppelschleifen-Rohrrahmen,Telegabel vorn, Alu-Zweiarmschwinge hinten,luftunterstütztes Zentralfederbein, Doppelscheibenbremse vorn mit Schwimmsattel,Ø 280 mm, hinten Scheibenbremse mitSchwimmsattel, Ø 270 mm, Gussräder,Bereifung 110/90 V 18 und 130/80 V 18.
Maße und Gewicht:
Radstand 1490 mm,Nachlauf 117 mm, Sitzhöhe 770 mm, Gewicht vollgetankt 254 kg, Tankinhalt 18 Liter,Höchstgeschwindigkeit 225 km/h.Preis 11190 Mark (1983)