Im Studio
Harley-Davidson XR TT 750

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Im Februar 1970 präsentierte Harley-Rennleiter Dick O'Brien die XR TT 750. Sie sollte als neue Wunderwaffe gegen die ausländische Konkurrenz antreten und die veraltete seitengesteuerte KR TT von Harley-Davidson ablösen.

Harley-Davidson XR TT 750
Foto: Katrin Sdun

Bis Mitte der 1960er Jahre beherrschte Harley-Davidson mit seinen seitengesteuerten KR TT 750 die nationale AMA-Rennserie in den USA, wie die Dinosaurier das Erdmittelalter. 1967 und 1968 gelang es Triumph, die Siegesserie zu unterbrechen - eine Blamage für die Marke aus Milwaukee. Zwar holte Werksfahrer Mert Lawwill im Folgejahr den Titel zurück nach Amerika, doch waren die Tage der erfolgsverwöhnten KR-Renner gezählt.

Ab 1970 galten neue Regeln in der Rennserie, und prompt siegte Triumph erneut, 1971 BSA. Ein neues Motorrad musste her, das mit den modernen Modellen der Konkurrenz mithalten konnte. Und zwar schnell. In nur vier Monaten stellte Rennleiter Dick O´Brien die XR TT 750 auf die Räder.

Den ohv-gesteuerten Motor entnahm er der 883er XLR Sportster, die Harley seit 1957 im Programm hatte. Dieser Twin war nicht gerade eine Neuschöpfung. Die wirtschaftliche Situation des gerade vom AMF-Konzern übernommenen Unternehmens ließ jedoch keine teuren Entwicklungen zu. Die Techniker kürzten den Hub der Sportster, überarbeiteten die Nockenwellen und steckten den Motor in einen modifizierten KR TT-Rahmen.

Für den Straßenrenner optimierten sie in Windkanalversuchen die Aerodynamik der Verkleidung für eine Höchstgeschwindigkeit bis 160 Meilen - rund 260 km/h. Weit nach hinten reicht die breite Verkleidung, seitliche Einbuchtungen im Glasfiber-Tank boten Platz für die Arme des Fahrers, damit dieser sich flach auf den Tank legen konnte. Das steile Heck verlängerte stromlinienförmig die Rückenlinie des Fahrers. Nur zehn dieser Rennmaschinen baute das Race Department für die Saison 1970 auf, zunächst mit gusseisernen Zylindern und -Köpfen. Diese fielen im Rennen reihenweise wegen Überhitzung aus, was ihnen den Spitznamen "Waffeleisen" einbrachte.

Garage48 aus Hockenheim stellte uns das Studio-Modell zu Verfügung. Es gelangte 1980 direkt vom Harley-Davidson Race Department in den Besitz des Rennteams Obsolete in New York, allerdings ohne Motor. Einen Renn-Twin ließ Obsolete nach den Werks-Spezifikationen neu aufbauen. Die Motorteile sind selbst heute noch zu bekommen. Dann fuhr das Rennteam in den 1980er Jahren mit diesem Motorrad erfolgreich bei nationalen Veranstaltungen und bei Battle-of-Twin-Rennen mit.

1991 restaurierte Obsolete-Chef Robert Iannucci das Motorrad originalgetreu. So, wie die Rennmaschine abgebildet ist, entspricht sie annähernd dem Zustand von 1972, als Harley-Davidson die hitzegeplagten Motoren mit Alu-Zylindern und -Köpfen ausstattete. Vorne ist sie bereits mit einer Doppelscheibenbremsanlage von Tokico ausgerüstet, die ab 1972 die Doppelduplex-Trommel ersetzte.

Statt einem Doppelvergaser, wie bei den KR-Modellen, füttern zwei einzelne 38er Mikunis die im 45-Grad-Winkel angeordneten Leichtmetall-Zylinder. Doch vermochte auch dieser verbesserte Werksrenner aus Milwaukee gegen die flinken Zweitakter aus Fernost nichts auszurichten. Harleys ruhmreiche Zeiten in der AMA-Rennserie waren abgelaufen, das Sterben der Dinosaurier nicht mehr aufzuhalten.

Unsere Highlights

Als Harley-Davidson 1970 in einer viermonatigen Hauruck-Aktion die XR TT 750 aus dem Boden stampfte, war das Rennen für die Marke schon gelaufen. Lange Jahre fuhren ihre technisch antiquierten KR-Modelle unter einem Harley-freundlichen Regelwerk Sieg um Sieg in der nationalen AMA-Meisterschaft auf Straßenkursen und dem Dirt-Track-Oval ein.

Während sich die seitengesteuerten US-Twins mit 750 cm³ um vordere Plätze balgten, durften Maschinen mit oben-liegenden Ventilen ihre Leistung nur aus 500 cm³ schöpfen. Das galt übrigens seit der Einführung der Amateur-Klasse C im Jahr 1933. Damals spielten Importmodelle noch keine nennenswerte Rolle. Aber schon in der Nachkriegszeit begannen englische Motorräder - vor allem von Norton - trotz dem Hubraumnachteil für ohv-Motoren immer öfter die amerikanischen Rennen zu dominieren.

Archiv
Auch Cal Rayborn konnte auf der XR TT nicht mehr an die KR-Erfolge anknüpfen.

Also führte die AMA in den 1940er Jahren eine maximale Verdichtung für Rennmotoren von 7,5:1 ein. Zum Nachteil für die britischen 500er, die ihre Spitzenleistung erst ab 9:1 oder darüber erreichten. Die Seitenventiler aus Milwaukee verdichteten nur etwa 6:1. Als in den 60er Jahren durch die rasante technische Entwicklung immer mehr ausländische Marken in der US-Serie mitzumischen begannen, musste die amerikanische Motorsport-Föderation reagieren.

1970 hob die AMA die Beschränkungen auf. Fortan zählte ein einheitliches Hubraumlimit von 750 cm³, unabhängig von der Ventilanordnung. Jetzt war der Weg frei für die leistungsstarken zwei- und viertaktenden Multizylinder aus Fernost. Harley blieb der Erfolg mit der XR TT 750 versagt. Selbst dem kurzfristig engagierten GP-Star Renzo Pasolini gelang es im Frühjahr 1973 nicht mehr, die japanische Zweitaktarmada in Schach zu halten. Erst in den 1980er Jahren und mit einem 1000er Motor ausgestattet, ließ die XR noch einmal von sich hören.

Steckbrief

Motor
Luft-/ölgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Motor, 45° Zylinderwinkel, zwei Ventile pro Zylinder, Bohrung 79,4 mm, Hub 75,7 mm, 749,65 cm³, Verdichtung 10:1, ca. 90 PS bei 7600/min, zwei 38er-Mikuni-Rundschiebervergaser, Ölbadkupplung, Vierganggetriebe, Kettenantrieb

Fahrwerk
Stahlrohrrahmen, Ceriani-Gabel vorn, Zweiarmschwinge hinten, Doppelscheibenbremse vorn, Einzelscheibe hinten, Trockengewicht 147 kg, Tankinhalt 23 l

Kontakt
www.garage48.de

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Erscheinungsdatum 01.09.2023