Kultbike Aprilia RSV Mille
Aprilia RSV mille

Wir wollen bei den Superbikes mitspielen, verkündete Aprilia Mitte der 90er-Jahre. Ja, ja, lächelten alle nachsichtig. 1998 kam die Aprilia RSV Mille zu uns. Niemand lächelte mehr.

Aprilia RSV mille
Foto: Archiv

Längst hat man sich ja an hochgerüstete Riesen­enduros oder Luxustourer gewöhnt und muss anerkennen, dass in diesen Schiffen jede Menge Ingenieurskunst steckt. Vor rund 20 Jahren hieß die Königsdisziplin des Motorradbaus ganz eindeutig: Superbike, also Sportler ab 750 cm³. In diesem Segment gab’s nur große Namen – Fireblade, R1, GSX-R 750 und ZX 9 sowie – als Exot – Ducatis epochale 916.

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Gestützt auf nennenswerte Verkaufserfolge mit 50ern und 125ern, zaghafte ­Versuche mit einer Einzylinder-Enduro sowie immerhin etliche WM-Titel in der Achtel- und Viertelliterklasse nahm Aprilia sich ein Herz und begehrte Einlass in diesen erlauchten Kreis. Das war sehr, sehr mutig. Und sehr, sehr berechtigt: Auf der Mailänder Messe 1997 zeigten die Norditaliener ihre mit Millionenaufwand geschaffene Aprilia RSV Mille.

Zylinder nur um 60 Grad gespreizt

Die 916 hatte zuvor schon bewiesen, dass zwei Zylinder selbst in dieser Klasse für standesgemäße Leistung genügen, und genau wie etwa Suzuki mit der TL 1000 R verfolgte nun auch Aprilia diese ­Linie. Bereits bei der Enduro Pegaso und vielen kleineren Modellen hatte sich eine sehr spezielle Zusammenarbeit mit dem österreichischen Motorenbauer Rotax bewährt: Nach Vorgaben aus Noale wurden in Gunskirchen die Triebwerke durchkonstruiert und auch gebaut. Gemeinsam hatte man sich auf einen recht kompakten V2 geeinigt – und deshalb die Zylinder nur um 60 Grad gespreizt.

In den V-Ausschnitt passen gerade noch die Drosselklappenkörper der Einspritzanlage des japanischen Top-Spezialisten Nippon Denso, um allfällige Vibrationen kümmern sich gleich zwei Ausgleichswellen. Auch die arttypisch mit vier Ventilen und zwei Nockenwellen bestückten Zylinderköpfe konnten die Rotax-Leute ziemlich flach halten, dank Trockensumpfschmierung bleibt das Triebwerk der Aprilia RSV Mille sogar untenrum hübsch schlank. Es verschwindet fast in dem massigen Alu-Brückenrahmen, der sich in kühnem Schwung vom steifen Lenkkopf bis zur Aufnahme der ebenfalls mächtigen, beinahe skulptural geformten Schwinge zieht. Ebenso sehr schmeicheln leckere Schweißnähte, einstellbare Fußhebel oder geschmiedete Kettenspanner dem Auge des Kunden.

Designphilosophie folgte japanischen Vorbildern

Anders als Ducati folgte Aprilia in der Designphilosophie eher japanischen Vorbildern, einzig der dreieckige Scheinwerfer bleibt als Charakteristikum in Erinnerung. Wie sehr so was zählt, zeigt die Lebensgeschichte der Aprilia RSV Mille. Sie überzeugte aus dem Stand bei allen möglichen Tests, lederte namentlich die Ducati nach Strich und Faden ab. Ein unglaublich reifes Gesamtpaket, dem die Techniker nicht nur jede Menge Alltagstauglichkeit, sondern auch Rennspirit, Temperament und Sicherheit beigelegt hatten.

Der Motor begeistert mit gleichermaßen harmonischer wie kraftvoller Leistungsentfaltung, erst kurz vor 10.000/min geht ihm allmählich das Temperament aus. Unerschütterlich spielt das Fahrwerk mit, glänzt dabei mit glasklarer Rückmeldung und beinahe digitaler Lenkpräzision. Alles in allem ein Volltreffer, und das mit dem ersten Versuch. Später zeigte sich noch, dass die Verarbeitungsqualität an der Aprilia RSV Mille weit über italienischem, ja europäischem Durchschnitt liegt, aber was nutzt es? Das schönere Motorrad verkaufte sich besser, und auch in Museen werden wir dereinst viele 916 sehen und wenige Mille. Undank ist der Welten Lohn.

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