Als die Straßeneinzylinder in den 1980er-Jahren ihre Wiedergeburt feierten, kam die schönste Interpretation aus Italien, die Gilera Saturno 500.
Als die Straßeneinzylinder in den 1980er-Jahren ihre Wiedergeburt feierten, kam die schönste Interpretation aus Italien, die Gilera Saturno 500.
Mailänder Salon 1987. Gleich reihenweise knien die Fans vor dem Gilera-Stand nieder. Versunken beten sie ein schlankes, ungemein edel gemachtes Einzylindermotorrad an, werden aber leider heftig enttäuscht. Nein, leiern die Hohepriester der italienischen Traditionsmarke gebetsmühlenartig, Gilera Saturno 500 mit ihrem aus den bekannten Enduros entlehnten Motor, die sei auf Geheiß des Importhauses Itoh entstanden, und nur dieses werde sie vertreiben. In Japan. Verdammt, antworten die Fans, warum zeigt ihr das Ding dann und macht uns den Mund wässrig? Wir würden doch beinahe jeden Preis zahlen. Da zucken die Hohepriester, ein paar Monate später einigt man sich auf 11.500. Nicht Lire, sondern D-Mark. Das sind zwar rund 5000 mehr als für eine Honda XBR 500 oder Yamaha SRX 600, die braven Vortänzerinnen dieses neuen, sportiven Single-Clubs. Trotzdem jubeln die Fans.
Schon damals gehörte die 1909 gegründete Marke Gilera zum Roller-Giganten Piaggio. Einer Laune der Firmenleitung folgend, trat man ab Mitte der 1980er-Jahre mit Enduros wieder ins Motorradgeschäft ein. Bis Dakar ließ Gilera seinen selbstkonstruierten und hochmodernen 600er stürmen, die Kunde davon muss bis nach Japan gedrungen sein. Dort allerdings sind Enduro-Terrains eher selten, traditionsbewusste, wohlhabende Liebhaber europäischen Kulturguts dagegen häufig. Die wussten noch, dass eine Gilera gleichen Namens nach dem Krieg zu den geilsten Einzylinder-Sportlern zählte und dass die Marke mit den beiden Kreisen dank sagenhafter Vierzylinder einst die 500er-WM beherrscht hatte.
Also wurde der Italo-Single auf klassisches Maß gestutzt, seine Weichei-Ausgleichswelle flog auf den Müll, der Registervergaser wurde durch einen einzigen Dell’Orto mit 40er-Schlund ersetzt. Wasserkühlung, zwei obenliegende Nockenwellen und deren Zahnriemenantrieb durften bleiben. Das Triebwerk hängt mittragend in einem herrlich luftigen, nur sechs Kilo schweren Gitterrohrrahmen, Schwinge und Hinterradfederung werden von zwei geschmiedeten Alu-Platten gehalten. Eine knapp geschnittene Halbschale verbirgt den Wasserkühler, die lackierten und fett bereiften Dreispeichenfelgen von Marvic unterstreichen den ambitionierten Auftritt ebenso wie die vordere Brembo-Vierkolben-Bremszange mit ihrer schwimmend gelagerten, 300 Millimeter mächtigen Scheibe.
Sportlich gebeugte Sitzposition, vorgegeben durch Einmann-Höcker und tief montierte Lenkerhälften, hoch angebrachte Alu-Rasten, noch höher installierter Schalldämpfer – dieser Single ist nicht zum Brötchenholen auf die Welt gekommen. Nein, der flitzt leichtfüßig durchs Kurvenparadies, betört mit dumpfem Sound und knackigem Fahrwerk. Unter 3000/min reagiert der Vierventiler empört, ganz besonders schätzt er Drehzahlen über 5000/min, dann bleiben ihm noch gut 2000 Touren bis zur Nenndrehzahl. Bedeutet: Wer schnell sein will, muss viel im guten Getriebe rühren, wie bei allen modernen Singles. Und darf sich trotzdem nicht wundern, wenn eine schnöde XBR dranbleibt: Aus demselben Hubraum holt die Honda gemessene 44 PS. Die Gilera Saturno 500 nur 38 PS. Ihre Ventile sind etwas klein geraten, deren Erhebungskurven zu flach. Na und, sagen die Fans, aber sie ist schöner. Stimmt.
Wassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, 491 cm³, 28 kW (38 PS) bei 7200/min, 37 Nm bei 5750/min, Fünfganggetriebe, Gitterrohr-Brückenrahmen aus Stahl, Gewicht vollgetankt 167 kg, Reifen vorn 110/70 x 17, hinten 140/70 x 17, Tankinhalt 20 Liter, Höchstgeschwindigkeit 173 km/h, 0–100 km/h in 6,2 sek.
Die Zeiten, da edle Saturnos in aufreibenden Sound-of-Singles-Rennen zerspant wurden, sind längst vorbei. Heute umhegen Enthusiasten die raren, zwischen 1988 und 1991 gebauten Italo-Renner und rufen entsprechende Preise auf, wenn sie doch mal einen hergeben: 4000 bis 5000 Euro gelten bei originalen Maschinen mit Laufleistungen unter 50.000 km fast schon als Schnäppchen. An so einem Teil sollte dann alles dran sein, denn aufgrund der geringen Gesamtstückzahl bröckelt es allmählich an der Ersatzteilfront. Ordentliche Exemplare wurden vom Vorbesitzer in italienischen Zustand versetzt: Mit anderem Dämpfer sowie Änderungen an Luftfilter und Vergaser drückt die Gilera Saturno 500 44 PS.
Das englischsprachige Werk „Gilera. The Complete Story“ von Mick Walker gibt es leider nur noch antiquarisch. Viele Einträge zum Thema verzeichnet www.gileraclub.de. Einer der seltenen Spezialisten ist Volker Heim (www.heimracing.eu).