Kultbike Honda CB 72 Supersport
Referenz in der damaligen Mittelklasse

Vor gut 50 Jahren machte Honda mit der CB 72 Supersport den zaghaften europäischen Herstellern mächtig Beine. Satte 25 PS aus einem 250er-Zweizylindermotor – der reinste Wahnsinn.

Referenz in der damaligen Mittelklasse
Foto: jkuenstle.de

Ernst „Klacks“ Leverkus, seines Zeichens Cheftester von „Das MOTORRAD“ in den 1960er- und 1970er-Jahren, war aus dem Häuschen. Und das wollte bei dem akribischen Pfennigfuchser was heißen. In seinem ausführlichen Nürburgring-Test, der im Herbst 1962 gefahren wurde, aber erst in Heft 6/1963 erschien – so viel zum Thema hochaktuelle Berichterstattung vor 50 Jahren – brachte er es in einem klaren Satz auf den Punkt: „Da ist kein Gammel zu finden“, attestierte er der schnellen und über die Jahre ausgereiften Honda CB 72 nur beste Eigenschaften. Egal ob Fahrwerk, Trommelbremsen, Sitzposition oder die raffinierten Doppelinstrumente, für „Klacks“ war die Honda CB 72 Supersport die Referenz in der damaligen Mittelklasse.

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Bereits 1959 startete Honda mit der C 72 durch, stellte für die CB 72 den Motor von Parallel-Twin auf 180-Grad-Versatz um, verbaute zwei anstatt nur eines Keihin-Vergasers mit 22er-Saugrohrdurchmesser und ersetzte die barocken Chromschutzbleche durch schmale, schnittige Sportkotflügel. Über 5000 Testkilometer spulten die MOTORRAD-Redakteure 1962 mit der Honda CB 72 Supersport ab, allein 2000 davon wurden als „Einfahrkilometer“ verbucht, bevor man dem Viertakt-Twin die Sporen gab. Mit gemessenen 25 PS bei 8600/min stand der Motor bestens im Futter und degradierte die vergleichbare BMW R 27-Einzylinder mit mickrigen 18 PS und dem biederen Aussehen zur schlappen, grauen Maus.

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Von den Schauermärchen über wild schlingernde japanische Fahrwerke oder taube Bremsanlagen blieb bei der Honda CB 72 Supersport nichts übrig. Im Gegenteil: Der optisch sehr luftige, unten offene Einrohr-Brückenrahmen hielt die Räder sauber in der Spur und konnte ohne viel Bastelei sogar im Rennsport vorne mithalten. Weshalb Honda für die CB 72 und die fast baugleiche CB 77 mit 305 Kubikzentimeter Hubraum einen Sport-Kit im Angebot hatte. Zwei schlanke Megaphon-„Schalldämpfer“, offene Ansaugtrichter samt passender Düsen und eine Höckersitzbank – fertig war der Production Racer für den Hobbyrennfahrer, der damit zumindest im OMK-Pokal ganz vorn mitfahren konnte.

Der feinverrippte OHC-Viertaktmotor, der in seiner Optik und der Grundkonstruktion später von Laverda für die SF und SFC 750 kopiert wurde, machte dank der strammen Motorleistung und 162 Kilogramm Gewicht auch gegen die aufkommenden 250er-Zweitakter eine durchaus gute Figur. Auch genügte bei der Honda CB 72 Supersport ein Druck aufs Knöpfchen, um per E-Starter die Arbeit aufzunehmen. Zudem, und das sprach sich in der damals kleinen Motorradszene schnell herum, war der Motor trotz der Höchstdrehzahl bei knapp 10.000/min überraschend robust, zuverlässig und sparsam. Selbst bei flotter Gangart entflammten die zwölf Millimeter kleinen Zündkerzen nur vier bis fünf Liter Superbenzin auf 100 Kilometer, während so manche Zweitakter bei ähnlicher Spitzenleistung zum Teil das Doppelte durch den Brennraum jagten. Kein Wunder, dass „Klacks“ den Test mit dem Satz beendete: „Man müsste Geld haben – denn dieses Motorrad passt genau in meine Sammlung.“

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Beim CB 72-Motor war selbst das Nocken­wellengehäuse verrippt. Die verschraubten Alu-Kappen dienten zur Ventilspielkontrolle. Mit dem E-Starter vor dem Kurbelgehäuse waren die Honda CB-Modelle der Zeit voraus.

Daten: Motor: luftgekühlter Zweizylinder-Viertaktmotor, Hubraum 247 cm³, Leistung 24 PS bei 9000/min, zwei 22er- Keihin-Rundschieber-Vergaser, eine kettengetriebene, oben­liegende Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, Mehr­scheiben-Ölbadkupplung, Vierganggetriebe. Chassis: Brückenrahmen aus Stahlrohren, Gewicht vollgetankt 162 Kilogramm, Bereifung vorn 2.75-18, hinten 3.00-18, Höchstgeschwindigkeit 155 km/h. Preis 1963: 2750 Mark.

Literatur: Spezifische Bücher zur Honda CB 72/77-Baureihe sind nicht auf dem Markt, da die verkauften Stückzahlen keine lohnenswerte Nachfrage erwarten lassen.

Spezialisten: Alteingesessene Honda-Händler mit entsprechender Erfahrung können bei der CB 72 am ehesten weiterhelfen. Ersatzteile können, wenn verfügbar, über jeden Honda-Vertragshändler bezogen werden, oder man versucht es beim Klassikspezialisten Auchter im schwäbischen Heroldstatt unter www.auchter-honda.de.

Marktsituation: Honda CB 72- und CB 77-Modelle sind äußerst rar. Und dazu meist in den Händen echter Liebhaber, die sie, wenn überhaupt, nur für gutes Geld abgeben. Fahr­bereite Maschinen sind nicht unter 3000 Euro zu haben, für gepflegte Originalmaschinen werden oft 6000 Euro und mehr aufgerufen. Defekte Fahrzeuge dienen meist als Teilelager und stehen selten zum Verkauf, da sich die Ersatzteilsituation für die fast 50 Jahre alten Maschinen zuspitzt. Umbau­ten gibt’s ab rund 1500 Euro.

Vergleich mit BMW R 27 in Heft 1/2010 (MOTORRAD-Classic), CB 72 Chrome Plate Edition in Heft 2/2010.

Heft-Nachbestellung unter 07 11/32 06 88 99.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023