Uli Holzwarth über das krampfhafte Bemühen von Yamaha, eine MT-07 zur XS 650-Erbin umzustricken, damit sie auf der aktuellen Retro-Welle mitsurfen kann.
Uli Holzwarth über das krampfhafte Bemühen von Yamaha, eine MT-07 zur XS 650-Erbin umzustricken, damit sie auf der aktuellen Retro-Welle mitsurfen kann.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe nichts gegen Retro-Motorräder. Im Gegenteil, ich freue mich, dass nach vielen Jahren Design-Einheitsbrei im Manga-Comic-Stil endlich auch wieder Motorräder bei den Händlern stehen, die sogar Klassik-Liebhabern das Herz erwärmen. Immer mehr Hersteller haben die Zeichen der Zeit erkannt und versuchen, auf der Retro-Welle mitzuschwimmen.
Allen voran die BMW R nineT und die Guzzi V7-Modelle, die ja konzeptionell tief in der Vergangenheit verwurzelt sind. Weshalb sich diese klassisch angehauchten Kräder trotz zeitgemäßer Technik wie Einspritzung oder ABS aus jedem Blickwinkel sehen lassen können.
Genau daran hapert es jedoch bei der Yamaha XSR 700. Weil man der „Klassik“-Variante schon auf den ersten Blick ansieht, welch gewaltiger Klimmzüge es bedurfte, die sehr gut gelungene und – für heutige Verhältnisse – stilistisch durchaus ansehnliche Yamaha MT-07 irgendwie auf klassisch zu trimmen. Kein Wunder, dass ausgerechnet die vermeintlich traditionellen Zutaten wie der überdimensionierte Lampentopf des Rundscheinwerfers und das ebenfalls zu große LED-Rücklicht an diesem bemühten Gebilde eher wie Fremdkörper wirken. Das gilt ebenso für die aufgrund des MT-07-Rahmens hoch aufragenden Alu-Abdeckungen des Tanks, die der XSR 700 ein merkwürdig buckliges Profil verleihen. Nein, für mich zeigt die Yamaha XSR 700 keinerlei klassische Ansätze, sondern einfach nur die Grenzen des Baukastensystems auf!
Und weil das vielleicht sogar der eine oder andere bei Yamaha ebenso gesehen hat, wurde der XSR 700 flugs eine neue Philosophie mit der Bezeichnung „Faster Sons“ mit auf den Weg gegeben. Darunter seien im schönsten Marketing-Sprech nämlich „Motorräder zu verstehen, die von der Vergangenheit beeinflusst, aber für die Zukunft konzipiert sind“. Aha.
Im konkreten Fall soll die Yamaha XSR 700 speziell der Yamaha XS 650 Respekt zollen und deren Tradition fortsetzen. Was jedoch nur dann nahe liegend sein kann, wenn man, wie diese Kreativen in ihrer Philosophie, zwei Räder, einen Motor und den Rahmen als verbindende genetische Elemente zwischen Alt und Neu für ausreichend erachtet. Liebe Leute, nur mal zur Erinnerung: So sehen seit über 100 Jahren ungefähr 99,8 Prozent aller motorisierten Zweiräder aus!
Weshalb die immer noch sehr rege XS-Gemeinde mit einiger Verwunderung auf dieses krampfhafte Herleiten traditioneller Werte reagiert. Ulli Lötzsch, seit über 40 Jahren ein Urgestein der XS-Szene mit mehreren dieser 650er-Twins in der Garage, liebt die Yamaha XS 650, „weil sie so wohl proportioniert ist, akustisch mit ihrem wunderschönen Klang verwöhnt, eine entspannte Haltung bietet und zunehmend bewundernde Blicke bei Jung und Alt erntet“. Für den 73-Jährigen fehlt es der Yamaha XSR 700 an diesen Eigenschaften: „Sie besteht aus einer wirren Anhäufung möglichst dunkler Metall- und Plastikelemente, weil das momentan sehr cool ist. Wer das leiden mag, soll damit glücklich werden – funktionieren wird das wohl. Mir wäre die Funktionstüchtigkeit als alleiniges Kaufargument jedoch zu wenig. Eine Verwandtschaft zur Yamaha XS 650 kann ich nicht finden.“
Ähnlich sieht es auch XS 650-Forumsmitglied Manfred Schopf: „Die Faszination moderner Motorräder hinsichtlich Leistung, Verbrauch, Fahrwerk oder ABS in allen Ehren, aber sie sehen einfach nicht mehr aus wie ‚unsere‘ Motorräder. Wenn diverse Hersteller auf den aktuellen Zug aufspringen wollen – herzlich gerne. Mit dem ‚besten Design aus der Yamaha-Vergangenheit‘ hat die Yamaha XSR 700 aber nichts zu tun.“ Punkt.
Ob ein Motorrad gut aussieht, ist natürlich immer eine Frage des persönlichen Geschmacks. Gutes Design erschließt sich für mich jedoch auf den ersten Blick, es braucht keine Erklärungen. Und schon gar keine krude Philosophie wie bei der XSR 700. Ich würde mir daher wünschen, dass die „schnellen Söhne“ noch einmal zusammen mit ihren Vätern in den Rückspiegel schauen. Die könnten den Lenkern von heute bestimmt auch noch erklären, wofür Yamaha einst stand. Und damit vielleicht verhindern, dass Motorräder wie die Yamaha XSR 700 von der Retro-Welle genau auf jene unerbittlichen Klippen des Kunden-Geschmacks geschleudert werden, an denen schon so viele unausgegorene Konzepte – beileibe nicht nur von Yamaha – zerschellt sind.
Uli Holzwarth: Die Yamaha MT-07 ist ein tolles Motorrad und sicher eine gute Basis für weitere Modellvarianten, mit denen sich Entwicklungskosten günstig refinanzieren lassen. Als Ausgangsprodukt für einen Retro-Verschnitt, der sich auf die Gene der Yamaha XS 650 beruft, ist der modern gestylte Twin für mich jedoch eine klassische Fehlbesetzung. Und das „Faster Sons“-Marketing-Geschwurbel deshalb einfach nur peinlich.