Die Moto Guzzi 500 Bicilindrica hat während ihrer fast zwei Jahrzehnte dauernden Karriere Rennsportgeschichte geschrieben. Mit ihrem 120-Grad-V2 nahm sie das später so erfolgreiche Grundkonzept von Ducatis 90-Grad-V2 lange vorweg.
Die Moto Guzzi 500 Bicilindrica hat während ihrer fast zwei Jahrzehnte dauernden Karriere Rennsportgeschichte geschrieben. Mit ihrem 120-Grad-V2 nahm sie das später so erfolgreiche Grundkonzept von Ducatis 90-Grad-V2 lange vorweg.
Verpassten Chancen soll man nicht nachtrauern. Und doch kommt einem der Gedanke in den Sinn, was alles aus der Moto Guzzi 500 Bicilindrica hätte werden können, wenn man das Konzept der Rennmaschine für den Einsatz in Serienmotorrädern weiterentwickelt hätte. So blieb es bei nur etwa einem Dutzend gebauten Exemplaren, welche die Rennszene in den 1930er- und 1940er-Jahren aufmischten. Selbst gegen später viel stärker motorisierte Gegner.
Heute ist es nahezu unmöglich geworden, die italienische Rennlegende überhaupt zu Gesicht zu bekommen, geschweige denn zu hören oder gar in Aktion zu erleben. Das etwa 1947 entstandene 500er-Exemplar im Werksmuseum in Mandello del Lario läuft leider nie. Umso glücklicher darf ich mich schätzen, eines der raren fahrbereiten Bikes bewegen zu dürfen, welches Sammy Miller kürzlich für sein legendäres Museum ergattert hat. Quasi im Doppelpack zusammen mit der ebenso legendären Moto Guzzi V8-Rennmaschine.
Aufgetrieben hat Sammy die beiden Schätze bei einem privaten Sammler, wo sie über viele Jahre quasi im Verborgenen schlummerten. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, schließlich hatten die Firmen-Oberen 1957 beim offiziellen Ausstieg aus dem Rennsport angeordnet, dass sämtliche Werksrenner zerstört werden. Bis auf ein Exemplar von jedem Typ, das im Museum landen sollte. Aber wie Italiener nun mal so sind, sagt Sammy, wurden die Renn-Bikes nicht zerstört, sondern eben nur zerlegt. Die Einzelteile verschwanden danach in alle Himmelsrichtungen und fanden erst nach und nach wieder zusammen, von emsigen Bastlern und Sammlern erbeutet, die die Werksrenner wieder zusammenschraubten. Von solch einem Sammler in der Nähe des Moto Guzzi-Werks in Lecco also hatte Sammy nach zähen, 18 Monate dauernden Verhandlungen diese beiden Guzzis erworben.
Wie kam es überhaupt zur Entstehung dieser legendären Maschine? Ein kurzer Rückblick: Anfang der 30er-Jahre tat sich Moto Guzzi schwer in der 500er-Klasse. Der veraltete Vierventiler (von 1924) und auch der in Folge entwickelte aufgeladene Reihenvierzylinder konnten sich im Kampf gegen die Einzylinder-Nortons (ohne Aufladung) nicht durchsetzen – ein neues Konzept musste her. Zum richtigen Zeitpunkt hatte Carlo Guzzi eine seiner zündenden Ideen: In der 250er-Klasse dominierte man seit Jahren ungefährdet das Geschehen mit der TT 250. Warum also nicht zwei dieser hervorragenden Motoren koppeln und zu einem 500er-Triebwerk zusammensetzen? Den liegenden vorderen Zylinder behielt man so bei, den hinteren dockte man im ungewöhnlichen Winkel von 120 Grad an und schuf so einen V2, dessen Zylinder beide gut zu kühlen waren und der zudem half, die geringe Bauhöhe des Motorrads zu bewahren.
Anfangs bestanden Köpfe und Zylinder noch aus Grauguss, Kurbel- und Getriebegehäuse hingegen aus Leichtmetall. Schon bald jedoch fertigte man auch Erstere aus Leichtmetall und entschied sich beim Gehäuse für das noch leichtere Elektron. Die beiden Ventile pro Zylinder hatten doppelte Haarnadelfedern, die unverkleidet ihre Arbeit verrichteten, fürs richtige Gemisch sorgten zwei 35-Millimeter-Vergaser von Dell’Orto. So erblickte also 1933 der erste Zweizylinder von Moto Guzzi das Licht der Welt, der bis 1951 erfolgreich in der 500er-Klasse mitwirken sollte. Und dies, obwohl sie etwas weniger flink als die britischen Einzylinder-Bikes und weniger stark als die Kompressor-geladenen deutschen und italienischen Konkurrentinnen war. Wie Racing-tauglich gibt sich die Moto Guzzi 500 Bicilindrica heute? Nach dem nun bevorstehenden, ersten Funktionstest auf dem ehemaligen Militärflugplatz, der mittlerweile regelmäßig als Teststrecke des Miller-Museums dient, werde ich die große Ehre haben, die Bicilindrica bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt im Rahmen des Goodwood-Festivals vor 140000 Zuschauern fahren zu dürfen.
In Vorfreude auf das Ereignis schwinge ich das Bein über das flache Bike und nehme die äußerst ungewöhnliche, dennoch recht komfortable Sitzposition ein. Man kauert dank des nach hinten geneigten, Bauhöhe sparenden zweiten Zylinders recht tief auf der fast schon plüschig gepolsterten Sitzbank, deutlich nach vorn zum flachen Lenker hin gebückt. Das Abtauchen hinter den kleinen Windschild der Moto Guzzi 500 Bicilindrica gelingt so fast automatisch, Ellenbogen und Knie finden wie von selbst Platz in den Einbuchtungen des 20-Liter-Tanks, was zu einer aerodynamisch günstigen Fahrerhaltung führt. Obwohl man sich automatisch als Einheit mit dem Bike fühlt, mutet das direkte Lenkgefühl etwas widersprüchlich an, weil die Drehung der oberen Gabelbrücke nicht sichtbar ist, der flache, schmale Ace-Style-Lenker scheint förmlich aus der voluminösen Tankverkleidung herauszusprießen. Die direkte Lenkung der weich gefederten, geschobenen Kurzschwinge vorn verblüfft daher umso mehr.
Trotz des 19-Zoll-Vorderrads scheint die Moto Guzzi 500 Bicilindrica auch weniger Hebelkraft zu verlangen als etwa die späte Konkurrentin Norton Manx. Bei aller Sensibilität und Präzision bleibt die Italienerin aber auch in langen, schnellen Kurven sehr stabil. Selbst der eigentümliche Reibungsdämpfer hinten lässt die Guzzi nicht so steif und unwillig federn wie befürchtet. Nur auf groben Querfugen trampelt sie ein wenig unwirsch.
Mit dem Vorurteil, alle V-Twins mit einem Zylinderwinkel von 90 Grad oder mehr seien hartnäckige Untersteuerer, räumt die Moto Guzzi 500 Bicilindrica ordentlich auf. Die Guzzi wedelt mit ihrem Radstand von 1400 Millimetern gewandt auch durch enge Schikanen, wobei der Fahrer sich penetrantes Hanging-off, um das Aufsetzen zu vermeiden, sparen kann – die 500er bevorzugt den klassischen, aufrechten Fahrstil. Einzig auf die linke Fußspitze sollte der Fahrer achten, um nicht mit dem exponierten Schwungrad in Kontakt zu geraten. Auf der rechten Seite sitzt die Ölpumpe den Zehenspitzen beim Gangwechsel im Weg – Runterschalten erfordert (wegen des umgedrehten Schaltschemas) also einen kräftigen Tritt mit der Ferse auf den hinteren Ausleger der Schaltwippe. Schalten ohne zu kuppeln geht übrigens gar nicht.
Verschalten sollte der Fahrer sich natürlich generell und im Speziellen bei der Moto Guzzi 500 Bicilindrica nicht – der hintere Zylinder scheint gefühlt direkt unterhalb der, sagen wir, privatesten Teile des Fahrers auf und ab zu pumpen – einen hochgehenden Motor mag man sich nicht vorstellen. Vielleicht haben die Italiener deshalb das Rohr des Rückgratrahmens so massiv ausgelegt...
Dabei offenbart der weitwinklige V2 so gar nichts Brutales oder Brachiales, nach all den Jahren auf diversen Ducati-Rennern verblüfft der sanfte, kultivierte Lauf dieses Guzzi-V2 umso mehr. Der unrhythmisch aus den Endtöpfen bollernde Motor lässt einen völlig anderes erwarten, doch der geschmeidige Lauf des V-Twins degradiert selbst moderne Ducati-V2 zur groben Rüttelmaschine. Mit nur 500/min läuft der Motor der Moto Guzzi 500 Bicilindrica im Standgas rund, abzulesen auf dem halb verdeckten Smiths-Drehzahlmesser, der vorn aus der Tankverkleidung lugt.
Der saubere Lauf ist auch Sammy Millers Umbau auf 28er-Bing-Vergaser zu verdanken. „Die 250er trug 30-Millimeter-Vergaser, doch mit der Koppelung zweier Singles zum V2 montierten sie 35er,“ sagt Sammy. „Das bedeutet, dass die Moto Guzzi 500 Bicilindrica eigentlich überausgestattet war für ihre Zylinderkopfgestaltung, und es quasi unmöglich war, die Gasströme in den Griff zu kriegen und eine saubere Abstimmung hinzubekommen.“ Ich weiß diese Optimierung zu schätzen – so lassen sich die 47 PS bei 8000/min der ultimativen Ausbaustufe artgerecht abrufen. Okay, über 5000 Touren sollten schon anliegen, um brauchbare Leistung zu finden, bei rund 3000/min sprotzt sie noch ein wenig aus den Megaphone-Töpfen.
Moto Guzzi nahm ein schmaleres Drehzahlband zugunsten höherer Spitzenleistung in Kauf, um die Moto Guzzi 500 Bicilindrica gegen Ende ihrer Karriere noch siegtauglich zu machen. Angesichts des Drehzahlsprungs von 2300 Touren zwischen zweitem und drittem Gang ist es unumgänglich, den V2 bis an die 8000er-Marke auszupressen, um nach dem Gangwechsel nicht in ein Leistungsloch zu fallen. Mit dem Sprung von nur 700 Umdrehungen zwischen drittem und letztem Gang ist das Vierganggetriebe mehr für Hochgeschwindigkeitspisten wie Monza übersetzt, so dass man sich auf kleineren, engeren Kursen fast ausschließlich in den beiden mittleren Stufen bewegt.
Übrigens: Trotz der verwendeten Haarnadelfedern, die bei einer Norton Manx regelmäßig für komplett mit Schmierstoff eingesaute Fahrerbeine sorgen, bleibt der Guzzi-Treiber stets sauber. Warum bekamen die Italiener dies hin, die Engländer nicht? Eigenartigerweise animierte nicht einmal Stanley Woods‘ legendärer Sieg bei der TT 1935 zu einer verbreiteten Nachahmung der fortschrittlichen Guzzi-Lösungen durch die britischen Konkurrenten. Stolz, Überheblichkeit und falscher Glaube an traditionelle Werte spielten wohl eine Rolle bei dieser Reaktion auf den italienischen Erfolg.
Vielmehr artete der Wettkampf in der zweiten Hälfte der 1930er daraufhin in übertriebenes Streben nach immer mehr Leistung aus, anstatt die Handlingqualitäten zu verbessern. Immer mehr aufgeladene Bikes tauchten in der Rennszene auf – gegen die über 80 PS starken Boliden von BMW und Gilera konnte die Moto Guzzi 500 Bicilindrica mit ihren (über eine Erhöhung der Nenndrehzahl) hart erkämpften 47 PS schon 1935 kaum noch bestehen. Nur auf verwinkelten Kursen, wo die leichteren, handlicheren Guzzis Vorteile hatten, konnten die Italiener bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs noch Siege einfahren.
Dennoch reichte es 1936 noch zu einem Doppelsieg in Monza, und Ende 1937 hatte das Werk sogar einen aufgeladenen, wassergekühlten Bicilindrica-Prototypen auf die Räder gestellt, der jedoch nie im Rennen zum Einsatz kam. Bis 1951 mischte die Moto Guzzi 500 Bicilindrica noch im Rennsport mit, dann war Schluss. Fortan setzte man auf einen Reihenvierzylinder, schließlich gar auf das legendäre Achtzylinder-Bike. Auch Letzteres kann Sammy Miller sein Eigen nennen. Doch dies ist eine andere Geschichte, die schon bald zu erzählen sein wird.
Motor: Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-120-Grad-V-Motor, je eine obenliegende, per Königswelle angetriebene Nockenwelle pro Zylinder, je zwei Ventile, Bohrung x Hub 68 x 68 mm, 494 cm³, Verdichtung 9,5 : 1, 47 PS bei 8000/min, zwei 28-Millimeter-Bing-Vergaser (Testversion), Magneti Marelli-Magnetzündung, Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Vierganggetriebe, Kette
Fahrwerk: Rückgratrahmen aus Stahlrohr mit Unterzügen, geschobene Kurzschwinge vorn, hinten Zweiarmschwinge mit einstellbaren Reibungsdämpfern, Drahtspeichenräder, Reifen 3.25 x 19 vorn, 3.50 x 19 hinten, Doppel-Simplex-Trommelbremse vorn, Ø 220 mm, Simplex-Trommelbremse hinten, Ø 220 mm
Maße und Gewicht: Radstand 1400 mm, Gewicht 145 kg (ohne Benzin)
Fahrleistung: Vmax zirka 210 km/h
Sammy Miller Motorcycle Museum
Bashley, New Milton
Hampshire B25 5SZ
Telefon: 0044/14 25-62 07 77 oder 61 66 44
www.sammymiller.co.uk
Im Sammy Miller-Museum wimmelt es von interessanten Maschinen, wie der gezeigten Moto Guzzi Bicilindrica, der erwähnten V8-Rennmaschine, zahlreichen Exponaten von Norton, AJS, Excelsior, Velocette und vielen Marken mehr. Kinder können sich auf dem neuen Spielplatz tummeln, fürs leibliche Wohl ist in den „tea rooms“ gesorgt.
Das Museum ist nun täglich ab 10 Uhr geöffnet. Eintritt: 6,90 Pfund (ca. 8,60 Euro)