Wer auch nur einen Tropfen Rennbenzin im Blut hat und sich auch nur ansatzweise für den Grand Prix-Rennsport begeistert, hat sicherlich einen ganz großen Traum: einmal die sagenhafte Moto Guzzi 500 V8 zu fahren. Mein Traum ist nun quasi geplatzt, denn dank der Großzügigkeit von Sammy Miller ist er Wirklichkeit geworden. Der umtriebige Sammler und Museumsbesitzer hat zwei exotische 500er-Moto Guzzi-Racer aufgetrieben, die viele Jahre abgeschottet in der privaten Sammlung eines Italieners verbracht haben - eine V8 aus der Mitte der 1950er-Jahre und ihre Vorgängerin, eine Bicilindrica-V-Twin. Jene zwei wieder hergestellten legendären Renner hat Sammy dem Besitzer nach 18 Monaten zäher Verhandlungen abgeschwatzt und wieder in fahrbereiten Zustand versetzt.
Moto Guzzi 500 V8 dreht bis 14.000 Touren
Die Moto Guzzi 500 V8 stellte das Nonplusultra der Ingenieurskunst auf zwei Rädern dar, sollte jedoch nur zwei Jahre - 1956 und 1957 - im Renneinsatz sein und nie einen WM-Grand Prix gewinnen. Und doch umgibt diese Maschine eine beinahe mystische Aura, nicht nur angesichts ihrer technischen Daten. Denn ein vor fast 60 Jahren konzipiertes 500-cm³-Motorrad, das bis zu 14.000 Touren drehte, mit 286 km/h auf der Geraden in Spa gemessen wurde, in seiner letzten Version 79 PS bei 12.500/min leistete und von einem kleinen Team aus nur zwölf Leuten geschaffen wurde, bietet wahrlich Stoff für Legenden.
Die Moto Guzzi 500 V8 war vor allem das Produkt des schöpferischen Geistes von Chefingenieur Giulio Cesare Carcano, dessen ultraleichte 250er- und 350er-Singles bereits zahlreiche Weltmeistertitel eingefahren hatten. Sein zunächst gestartetes Vierzylinder-Projekt hatte er Ende 1954 wieder gestoppt. Ein V6 war verworfen worden, aber ein V8? Der hatte das Potenzial, nicht breiter zu bauen als die seinerzeit dominierenden Gilera-Vierzylinder. Doch der V8 würde viel höher drehen als die 10500/min der langhubigen Gileras und so mehr Leistung entwickeln können.
Im Juli 1954 beauftragte Carcano seine Ingenieure Cantoni und Todero mit dem Beginn der Konzeption, und schon im März des folgenden Jahres lief der Motor auf dem Prüfstand. Der Plan war, die Moto Guzzi 500 V8 unangekündigt beim französischen GP in Reims im Mai 1955 antreten zu lassen, wo man sich dank der drei langen Geraden Vorteile gegenüber den langsameren Vierzylindern versprach.
Fergus Anderson zerlegte die erste Moto Guzzi 500 V8
Der erste Prototyp leistete bereits 67 PS bei 11500/min, und als Moto Guzzis australischer Werksfahrer Ken Kavanagh zu Testzwecken die Straße vor dem Werk auf und ab düste, soll der Guzzi-Eigner Enrico Parodi verzückt gerufen haben: „Sie singt so herrlich, wir sollten sie zur Mailänder Scala schicken!“ Tatsächlich stand jedoch der erste Testlauf auf der Rennstrecke in Modena auf dem Programm. Außerplanmäßig kreuzte dort der Ex-350er-Weltmeister, inzwischen zum Team-Manager der Guzzi-Rennsport-abteilung ernannte Fergus Anderson auf. Er wollte die Moto Guzzi 500 V8 als Erster über den Kurs bewegen, anstelle von Kavanagh. Der 46-jährige Brite brachte das Kunststück fertig, die V8 in der allerersten Runde zu crashen und dabei auch den Motor zu zerstören, weil die abgerissene Schwinge das Kurbelgehäuse demolierte. Die daraus resultierenden Verzögerungen verhinderten den geplanten Start in Reims.
Kavanagh hatte Angst vor dem unberechenbaren Handling
Nach weiteren Problemen wurde der Motor für 1956 erst einmal gründlich überarbeitet und die 180-Grad-Kurbelwelle durch eine mit 90 Grad Versatz ersetzt, ebenso musste das Sechsganggetriebe einer Viergangbox weichen, weil der V8 viel elastischer war als gedacht, man so Gewicht und Reibungsverluste einsparen konnte. In dieser Form schaffte die Moto Guzzi 500 V8 nun endlich ihr Renn-Debüt am 25. April 1956 in Imola, wo Kavanagh im strömenden Regen bereits in Runde drei die Führung übernahm. Nach zehn Runden musste der Australier leider an die Box, um seine Brille zu tauschen - er fuhr wieder raus, legte die schnellste Rennrunde hin, um dann wegen eines fälschlicherweise angenommenen Schadens der Wasserpumpe - die Temperaturanzeige hatte gesponnen - das Rennen vorzeitig abzubrechen.
Bislang war Kavanagh noch immer neben Anderson, der die Firma inzwischen verlassen hatte, der einzige Fahrer, der die V8 bewegt hatte. Das sollte sich für den GP in Spa ändern, denn dort wurde ein zweites Bike mit Bill Lomas an den Start geschickt. Dieser demonstrierte die eindrucksvolle Schnelligkeit der Moto Guzzi 500 V8, indem er Rang drei ergatterte, dann jedoch mit defekter Zündung ausschied. Kavanagh hingegen fand das unberechenbare Handling der V8 in den ultraschnellen Kurven von Spa zu beängstigend und fuhr an die Box, um das Rennen mit der Begründung, ein Federbein sei gebrochen, zu beenden. Ein Verhalten, dass Carcano gründlich missfiel und wohl letztlich zum Weggang Kavanaghs führte.
Lomas übernahm, und nach einem Test in Monza mit geänderter Lenkgeometrie, welche die Hochgeschwindigkeits-Stabilität steigern sollte, trat er beim deutschen GP auf der Solitude-Rennstrecke an. Dort demonstrierte er vor 160000 Zuschauern das wahre Potenzial der Achtzylinder-Guzzi und lieferte sich ein gigantisches Duell mit Gileras dreifachem Weltmeister Geoff Duke. Während eines 25-minütigen Gefechts mit ständigen Führungswechseln hielten sie die Massen in Atem und fielen letztlich doch beide aus - die Moto Guzzi 500 V8 wegen eines geplatzten Kühlerschlauchs, nachdem sie zuvor mit 153,5 km/h noch einen neuen Rundenrekord aufgestellt hatte.
1957 in Siracusa der erste Rennsieg
Ein anderer Australier, Keith Campbell, erweiterte das Team und startete sein erstes Rennen in Monza, nachdem er bereits diverse Tests mit längerer Schwinge absolviert hatte, welche die Highspeed-Stabilität verbessern sollte, indem sie mehr Gewicht auf die Front verlagerte. Um der zweifellos starken, schnellen Moto Guzzi 500 V8 auch die nötige Zuverlässigkeit zu verleihen, hatte Carcano mittlerweile beschlossen, eine neue, verschraubte 90-Grad-Kurbelwelle von Hirth zu verbauen, welche die Vibrationen eliminieren sollte. Bei ihrem ersten Renneinsatz 1957 in Siracusa im Rahmen der italienischen Meis terschaft konnte die überarbeitete V8 dann schließlich ihren ersten Rennsieg überhaupt verbuchen, mit Giuseppe Colnago im Sattel.
Fünf Wochen später konnte auch Dicky Dale einen beeindruckend erkämpften Sieg in Imola feiern. Beim Rennen in Assen Ende Juni stürzte Dale im 350er-Lauf und brach sich beide Fußgelenke, fiel also für den 500er-Lauf aus, worauf sich Campbell, der noch immer Probleme mit dem Schiebestart hatte, als einziger Guzzi-Fahrer wiederfand. Eine Woche später beim GP in Spa am 7. Juli war Campbell erneut der einzige Guzzi V8-Starter. Beim letzten Renneinsatz des Multizylinders (wie sich im Nachhinein herausstellte) fiel er am Ende zwar mit defektem Batteriekabel aus, lieferte zuvor aber noch zwei eindrucksvolle Werte ab: Mit 190,13 km/h Durchschnitt brach die Moto Guzzi 500 V8 den alten Gilera-Rundenrekord und schoss mit sagenhaften 286 km/h die lange Masta-Gerade entlang.
Moto Guzzis Rückzug - eine Schande!
Am 15. September 1957 verkündete Moto Guzzi die Nachricht vom Rückzug aus dem Rennsport. Das wohl exotischste Grand Prix-Bike aller Zeiten würde nie wieder Rennen fahren, gerade als es sich anschickte, zuverlässig und wettbewerbsfähig zu werden - welch eine Schande. Umso mehr ist es eine Ehre und Genugtuung, diese Renn-Ikone, die Moto Guzzi 500 V8, nun selbst bewegen zu dürfen.
Der Ritt mit der Moto Guzzi 500 V8 stellt in jeder Hinsicht eine Herausforderung dar. Nicht nur, weil jederzeit der Gedanke an den enormen Wert dieses unersetzlichen Bikes mitfährt. Die Herausforderung liegt auch in der extrem eigenwilligen Sitzposition, denn die beiden seitlich unterm Sitz montierten Batterien zwingen den Fahrer, seine Beine quasi drum herum zu schlingen. Nach vorn gilt es, den Oberkörper über den langen, unlackierten Alutank zu strecken, zu den flachen, kaum gekröpften Lenkerstummeln. Der Lenkeinschlag ist äußerst bescheiden, was enge Kurven, vor allem bei montierter Verkleidung, zu einer kniffligen Übung macht. Dankbar nimmt man die angenehm geformten, leichtgängigen Kupplungs- und Bremshebel zur Kenntnis, vor allem angesichts der Kraft, welche die mächtige Trockenkupplung zu übertragen hat. Der weiße Veglia-Drehzahlmesser reicht bis 15000/min, mit rotem Bereich ab 12500/min, den man tunlichst beachten sollte. Flankiert wird der Tourenzähler von einer kleinen Wassertemperaturanzeige, mit grüner Markierung bei 60 und roter bei 90 Grad. Erst bei 70 Grad sollte man den Motor hart rannehmen.
Ab 7000er-Marke spannt der V8 die Muskeln an
Sanft und leise schnurrt der V8 Millers Mechaniker-Guru John Ring spritzt Benzin aus einem Messglas in jeden der acht Ansaugtrichter - einen Choke gibt es nicht. Platz nehmen, Zündung an, erster Gang des rechtsgeschalteten Getriebes rein - es braucht nur ein paar Meter Schiebehilfe, und problemlos erwacht der V8 nach dem Einkuppeln mit seidigem Schnurren zum Leben. Man muss den Motor bei rund 7000/min anwärmen, und es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis die gewünschten 70 Grad erreicht sind. 20 Minuten, um genau zu sein.
Nun denn - Showtime. Den Motor auf ordentlich Drehzahl halten, sanft Einkuppeln. Der V8 braucht ein wenig, bis er in die Gänge kommt und Kraft entwickelt. Hat die Nadel aber die 7000er-Marke passiert, spannt der V8 die Muskeln an und stürmt vorwärts. Nach jedem sorgfältig und langsam zu absolvierenden Schaltvorgang sinkt die Drehzahl um etwa 2000 Touren, wonach der Guzzi-500er erneut energisch voran zerrt. Solchermaßen versöhnt stellt sich die geschmeidig laufende Moto Guzzi 500 V8 trotz ihrer äußerst eigentümlichen Sitzhaltung als ein Rennbike heraus, dass sich recht entspannt in zügigem Tempo über den Kurs scheuchen lässt, wenn man sich erst einmal eingegroovt hat. Es ist kein gierig einlenkendes, superhandliches Bike, doch dank des sensationell kurzen Nachlaufs von nur 56 Millimetern, des relativ kurzen Radstands (1396 mm) und der mit 66,5 Grad recht steil stehenden Gabel wetzt die V8 recht agil durch Kurven.
Schräglagenwechsel gehen leicht von der Hand
Die Masse des V8-Motors ballt sich recht zentral im Rahmen, so dass Schräglagenwechsel leicht von der Hand gehen. Dass auf der Teststrecke auch bei hohem Tempo keinerlei Wedeln der Fuhre festzustellen war, mag daran liegen, dass die meisten Fahrten ohne Verkleidung stattfanden. Ken Kavanagh jedenfalls war überzeugt, dass jene für den Auftrieb verantwortlich war, der zu starkem Rühren führte, welches den Fahrer oft zwang, das Gas zuzudrehen. Vielleicht auch der Grund, warum die hintere Trommelbremse am Miller-Bike viel wirksamer agiert als die beiden Trommeln vorn, um nämlich das Blockieren beim Bremsen aus hohem Tempo zu verhindern.
Die beiden Girling-Federbeine hinten bieten eine für damalige Verhältnisse brauchbare Leistung und zeigen sich nicht ganz so hart wie befürchtet, schlucken die gröbsten Wellen und Flicken, rumpeln jedoch letztlich etwas hilflos über die schlimmsten Querfugen der Piste. Die Vorderradgabel funktioniert okay, doch es braucht Zeit, sich an das geringe Eintauchen beim Bremsen zu gewöhnen, was zu einem recht stumpfen Feeling für die Front führt. Am Ende des Tages überwiegt das Gefühl, dass ein Traum Wirklichkeit geworden ist. Der Traum von der Fahrt mit dem ultimativen Renner, ein großartiges Erlebnis.
Eine Erkenntnis bleibt jedoch bestehen: Eine Marke, die solch bravouröse Werke wie die Moto Guzzi 500 V8, die 120-Grad-V-Twins, die lange Zeit unschlagbaren 350er-Singles und viele andere schuf, sollte nicht als italienische Antwort auf Harley-Davidson und Hersteller von Stoßstangen-V2-Motoren enden. Nicht zuletzt daran sollte und wird die fantastische Moto Guzzi 500 V8 immer erinnern.