Mit dieser, noch heute unrestaurierten Vincent Black Lightning, brach Rennfahrer Jack Ehret einst den australischen Geschwindigkeitsrekord. Einige Rennrunden mit ihr und einer perfekten Replika drehen zu dürfen, ist uns eine große Ehre.
Mit dieser, noch heute unrestaurierten Vincent Black Lightning, brach Rennfahrer Jack Ehret einst den australischen Geschwindigkeitsrekord. Einige Rennrunden mit ihr und einer perfekten Replika drehen zu dürfen, ist uns eine große Ehre.
Eingeladen zu sein, das vermutlich letzte zu hundert Prozent originale Exemplar des wohl begehrenswertesten Serienmotorrads aller Zeiten zu fahren, ist sicherlich Ehre und Pflicht zugleich. Die Ehre, ein historisches, unrestauriertes, 66 Jahre altes Bike der Extraklasse überlassen zu bekommen und die Pflicht, es seinem großzügigen Besitzer Nicolas Dourassoff wieder unversehrt zurückzubringen. Denn die 1951er-Vincent Black Lightning, einst im Besitz von Renn- und Rekordfahrer Jack Ehret, ist nichts weniger als lebendige Geschichte auf zwei Rädern.
Ihr bis 300 km/h reichender Tacho von Smiths zeigt gerade mal 8.587 gefahrene Kilometer an, wohl jeder davon im zornigen Angriffsmodus zurückgelegt. Dazu kommen meine etwas verhaltener gedrehten zwei Dutzend Runden auf dem kleinen Rennkurs nahe Paris, wohin Nicolas die kampferprobte Rennmaschine gebracht hat, damit ich an einem sonnigen Nachmittag ein paar Fahreindrücke sammeln kann. Vincent-Spezialist Patrick Godet hat die Vincent Black Lightning in einen fahrbereiten Zustand versetzt und zudem eine absolut authentische Black Lightning-Replika mitgebracht, die er für einen anderen Kunden, den Engländer Peter Fox, neu gebaut hat. Die Vincents waren schon immer für ihre sagenhafte Performance bekannt. Bereits vor über sechs Jahrzehnten, als die Black Shadow sich rühmen durfte, das schnellste käufliche Serienfahrzeug zu sein.
Begonnen hatte die ruhmreiche Firmenhistorie bereits 1928: Der Cambridge-Absolvent Philip Vincent erwarb mit finanzieller Hilfe seines Vaters die erloschene Firma HRD. Nach den frühen Modellen Bantam, ein Liefer-Dreirad mit 293-cm³-Einzylindermotor, und den 500er-Single-Modellen Comet und Meteor ab 1934 schuf der brillante Konstrukteur Phil Irving schon 1936 den ersten 1000er-Motor. Der V2 mit dem ungewöhnlichen Zylinderwinkel von 47,5 Grad leistete 45 PS und kam in den Vincent Rapide Series A-Modellen zum Einsatz. Nur 78 Exemplare entstanden davon vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, doch der für die Nachkriegsära modernisierte und umgestaltete 50-Grad-V2 startete als Series B in der Standard Rapide ab 1946 noch mal durch. Die ultimative Vincent sollte jedoch die Series C Black Lightning werden, ein Serienableger des Bikes, mit dem Rollie Free 1948 auf dem Bonneville-Salzsee in Utah den Geschwindigkeits-Weltrekord aufstellte. Nur mit Badehose bekleidet und lang gestreckt auf dem Bike liegend hatte Free mit 241,905 km/h den neuen Rekordwert markiert. Die spektakulären Bilder dieser waghalsigen Fahrt sorgen noch heute für staunende Gesichter.
Bei der damals gerade wiederbelebten Earls Court Show in London wurde die Series C Black Lightning im November 1948 präsentiert, mit selbst gefertigter „Girdraulic“-Trapezgabel und Cantilever-Stahlschwinge mit einem Vincent-Hydraulikdämpfer und zwei separaten Federn. Die Vincent Black Lightning sorgte für eine Sensation, auch wegen ihres astronomischen Preises von 400 Pfund (plus 108 Pfund Erwerbssteuer). Es gilt allgemein als gesichert, dass nur 33 komplette Kundenversionen – alles Series C-Modelle bis auf ein Series D-Modell – gebaut wurden. Heute stellt sie das vielleicht begehrenswerteste Motorrad dar, das je produziert wurde, und bis auf eines sollen alle Exemplare noch existieren.
Eine der insgesamt acht nach Australien verschifften Maschinen setzte Tony McAlpine sehr erfolgreich bei Rennen ein – die schillernde Gestalt der australischen Rennszene fuhr bei zwölf von dreizehn gestarteten Wettbewerben als Sieger durchs Ziel. McAlpine beschloss, in der Saison 1951 im europäischen Rennzirkus mitzumischen und sicherte sich dafür eine 350er-AJS. Zwischen den Rennen arbeitete er jedoch in der Vincent-Fabrik in Stevenage, und mit deren freundlicher Genehmigung baute er sich seine neue Vincent Black Lightning mit der Motornummer F10AB/1C/7305 und der Rahmennummer RC9205 selbst. Am 5. Juni 1951 war die Maschine fertig, im Juli absolvierte sie einen kurzen Testlauf, bei dem sie sich als höllisch schnell erwies. Nach seiner Rückkehr nach Australien und mit anderweitigen Plänen im Kopf beschloss McAlpine, die mitgebrachte, neuwertige Vincent, die noch immer kein Rennen absolviert hatte, zum Verkauf anzubieten – für stolze 500 britische Pfund.
Einer der wenigen, die flüssig genug waren, die Vincent Black Lightning zu kaufen, war der Autohändler Jack Forrest. Der ambitionierte Pilot verlor jedoch im Übermut in einem Rennen die Kontrolle und krachte in einen Zaun. Die Vincent hatte nur leichte oberflächliche Schäden erlitten, doch Forrests Liebe zu ihr schien dadurch erloschen. Er bot die Lightning also zum gleichen Preis von 500 Pfund zum Verkauf an, und nun sollte sie in die Hände von Jack Ehret gelangen, damals Betreiber zweier Motorrad-Shops und bereits Vincent-erfahren. Ehret wusste, wenn er sie nicht kaufte, würde ein Konkurrent zugreifen. Also fand Nr. 7305 bei ihm eine neue Heimat, wo sie nun für die nächsten 47 Jahre bleiben sollte.
Zu jener Zeit war der australische Geschwindigkeitsrekord ständig unter Beschuss, üblicherweise von Vincent-Fahrern, und so wagte auch Ehret im Januar 1953 auf einer abgelegenen Strecke zwischen Gunnedah und Tamworth den Versuch, Les Wartons bestehende Bestmarke von 122,6 mph zu brechen. Trotz ständiger kleiner Probleme, wie einem gebrochenen Schalthebel beim ersten Lauf, bei dem er sagenhafte 149,6 mph in eine Richtung erzielte, konnte Ehret schließlich mit einem offiziell gemessenen Durchschnitt von 141,509 Meilen pro Stunde (226,4 km/h) einen neuen Rekord aufstellen. In den folgenden Jahren entwickelte sich seine Vincent Black Lightning, mit oder ohne Seitenwagen, zu einer festen Größe im australischen Renngeschehen. Doch Jack wandte sich im Laufe der Zeit anderen Geschäften zu und verkaufte das Rennbike schließlich 1999, zwei Jahre bevor er im Alter von 78 Jahren recht unerwartet starb.
Der neue Besitzer der Vincent Black Lightning, Franc Trento, hatte glücklicherweise beschlossen, das Bike nicht zu restaurieren, sondern es im gebrauchten Zustand zu belassen. 2014 verkaufte Trento die Vincent schließlich an den französischen Sammler Nicolas Dourassoff, der sie nach Frankreich mitnahm, wo der Vincent-Spezialist Patrick Godet sie mit Sorgfalt wieder in einen fahr- und rennbereiten Zustand versetzte.
In 66 Jahren hatte die Vincent Black Lightning 8.587 Kilometer zurückgelegt – der „europäische“ Kilometer-Tacho war von Beginn an verbaut. Und laut Dourassoff ist sie noch nicht bereit, ihren Lebensabend im Museum zu fristen. Vielmehr habe nun ich die Gelegenheit und die Ehre, das Bike mit der ruhmreichen Historie zu fahren und den Kilometerstand leicht auf 8682 zu erhöhen. Dank der hervorragenden Arbeit von Godet. „Von außen sieht sie alt und gebraucht aus, doch die Innereien sind fast durchweg neu“, erklärt er. „Die Motorteile waren stark verschlissen, die Kurbelwelle eigenartig repariert. Wir haben die ganzen Teile anhand der Originalzeichnungen nachgefertigt. Zudem haben wir den V2 auf den Betrieb mit Benzin statt Methanol umgerüstet.“ Die sichtbar gebrauchten Kurbelgehäuse blieben dabei original, im Unterschied zu den moderneren Magnesium-Nachbauten an der Replika von Peter Fox.
Nicht mehr original hingegen präsentiert sich das Hinterrad: Das ursprüngliche 20-Zoll-Exemplar wurde durch ein 19-Zoll-Rad ersetzt – schlicht, weil es keine 20-Zoll-Rennreifen mehr gibt. Die ganzen gewichtssparenden Teile aus Aluminium beziehungsweise Magnesium (Teile der Bremsen, Felgen, Schutzbleche etc.) tragen zum deutlich reduzierten Gewicht der Black Lightning bei: Wog die zivilere Black Shadow trocken noch 208 Kilogramm, kommt die Black Lightning mit deren 172 geradezu federleicht daher. Die Racing-Komponenten und zahlreiche Modifikationen sorgen für den Leistungsanstieg von den 55 PS der Black Shadow auf die genannten 70 der Lightning: So kommen Mark II-Nockenwellen mit leistungsfördernden Steuerzeiten zum Einsatz, polierte Schwungscheiben und Specialloid-Kolben, die für die hohe Verdichtung von 13:1 sorgen. Außerdem sind alle strömungsrelevanten Bereiche poliert und die Gemischaufbereitung übernehmen 32er-Amal-Vergaser. Die Abgase werden durch zwei Inch (ca. 50 mm) messende Auspuffrohre abgeleitet.
So weit zur technischen Vorgeschichte. Nun bin ich also auf dem Carole-Rennkurs mit seinem Micky Maus-Infield unterwegs und staune, wie wacker sich die unrestaurierte Vincent Black Lightning hier schlägt. Besonders in den engen Kehren, in denen die meisten Rennbikes den ersten Gang bemühen müssen. Nicht so die Vincent. Dank massig Drehmomentreserven genügt ein kurzer Gasstoß und gefühlvoller Einsatz des leichtgängigen Kupplungshebels, um die Maschine im Zweiten wie von einem Gummiband geschnalzt nach vorn schießen zu lassen. Untermalt vom donnernden Sound aus den beiden durchgehenden Auspuffrohren. Auf diese Weise fliege ich förmlich an den modernen Yamaha R6 und 600er-Hondas vorbei, die mich im Infield abgeledert haben und auch beim Anbremsen vor den Kurven immer wieder demütigen. Während ich gefühlt Meilen vor der nächsten Kehre zu verzögern beginne, scheinen die anderen hier erst in den höchsten Gang zu schalten. Die Bremsen sind ganz zweifellos das Schlechteste an der Vincent Black Lightning. Die doppelten 178-Millimeter-Trommelbremsen vorn und hinten verzögern nicht nur lausig, sie lassen noch dazu in der Wirkung mit jeder Bremsung deutlich nach. Bremsen waren wohl damals kaum ein Thema.
Topspeed auf der Geraden scheint wohl so sehr im Fokus gestanden zu haben, dass sich auch niemand am extrem umständlich zu schaltenden Getriebe gestört hat. Die Auspuffrohre verlaufen so dicht unter der rechten Fußraste, dass es sich äußerst schwierig gestaltet, den rechten Fuß zum Runterschalten unter die Raste zu bekommen.
Dasselbe Problem besteht auch bei der Replika von Peter Fox, die ich direkt im Anschluss zum Vergleich bewegen darf. Dafür bestätigt auch der Replika-Motor den Eindruck der Leistungsentfaltung des Ehret-Bikes: Satter Schub von ganz unten, ein echter Ruck geht ab 3.800/min durch das Bike, ab hier setzt energische, im Rennen nutzbare Leistung ein. In Nullkommanichts hat die Drehzahlmessernadel die 6.000er-Marke erreicht, welche zum sofortigen Schalten mahnt. Bei allem Schub, den die Vincent Black Lightning bietet – angesichts der sagenhaften Fahrleistungen wirkt sie eher schmal und niedrig und nicht so gewaltig, wie man es von einem 240-km/h-Superbike erwarten könnte. Die flache, recht schmale Lenkerstange ermöglicht dabei jedoch eine nach vorn gebeugte, ausreichend komfortable Fahrhaltung, die auch für schnelle, ausgedehnte Etappen taugt. In Sachen Handling in langsamen, engen Kurven erweist sich die Black Lightning als eher schwerfällig, und die Girdraulic-Gabel scheint ständig in die Kurve hineinklappen zu wollen. Das ändert sich mit höherem Tempo – forcierte Fahrweise wird mit zunehmend besserer Lenkpräzision und berechenbarerer Linie belohnt. Für damalige Verhältnisse dürfen die gebotenen Fahrwerksqualitäten als hervorragend gelten, nicht zuletzt dank der bestens funktionierenden Hinterradfederung. Und die noch heute beeindruckende Leistungsabgabe des V2-Motors muss die Piloten dereinst geradezu überwältigt haben. Es gab schließlich in den 50er-Jahren nichts Vergleichbares.
Die Ex-Jack Ehret-Vincent Black Lightning ist also nicht nur ein extrem begehrenswertes Sammlerobjekt, sondern ermöglicht auch einen verlässlichen Eindruck von der außergewöhnlichen Performance, die Philip Vincents Motorräder schon vor über 60 Jahren boten. Wie gut, dass der neue Besitzer dieses Bike fährt und genießt, anstatt es als technisches Kunstwerk in einem Museum wegzusperren.
Vincent Black Lightning