Ein unerkannter Trendsetter – das war die Yamaha TDM, als sie 1991 auf den Markt kam. Selbst die MOTORRAD-Redakteure waren sich nicht einig, wie sie das neue Bike einordnen sollten. Crossover würde man heute sagen. Ein Rückblick in die Zukunft.
Ein unerkannter Trendsetter – das war die Yamaha TDM, als sie 1991 auf den Markt kam. Selbst die MOTORRAD-Redakteure waren sich nicht einig, wie sie das neue Bike einordnen sollten. Crossover würde man heute sagen. Ein Rückblick in die Zukunft.
Vergangenheit: Schuld waren die Franzosen. Jedenfalls tendenziell. Die suchten irgendwann in den 80ern den Besten. Den besten Motorradfahrer aller Sportklassen. Dafür schnallten sie Sportreifen in ihre Crosser und schickten die Meute ins Runde: eine asphaltierte Strecke, ergänzt um einen Geländeteil. Supermoto war geboren. Aber das wusste damals noch niemand.
Allerdings sorgte das Spektakel für rauchende Entwickler-Köpfe bei Yamaha. So etwas müsste doch auch auf die Straße zu bringen sein – einen Hauch weniger einzylindrig und sportlich, dafür mit mehr als einer Prise Tourentauglichkeit und Langstreckenkomfort gesegnet. Die Idee stand. Wichtig für das Konzept war ein Motor, der seine Kolben mindestens als Zweizylinder auf die stete Reise zwischen oberem und unterem Totpunkt schickte. Nur so ließ sich eine angemessene Leistung realisieren, die dem einen oder anderen Sportler im Kurvengeläuf ein Runzeln auf die Pilotenstirn zaubern sollte. Dazu ein hochwertiges Fahrwerk, Bremsen auf der Höhe der Zeit und Räder im 17- bis 18-Zoll-Format. Das Ganze dann noch abgerundet durch formidablen Wetterschutz und eine aufrecht-kommode Sitzposition für Fahrer und Hinterbänkler. Unvernünftig vernünftig; spaßig seriös; anmachend sinnlich sportlich, aber auch rationell technokratisch. So wie eine neue, heiße Liebe, die gleich den Bausparvertrag samt Lebensversicherung mit in die Beziehung bringt. Das alles sollte das neue Modell von Yamaha in sich vereinen.
Die Entwürfe flossen aufs Papier, Yamaha Japan nickte ab, und die zweitaktende Yamaha TDR 250 stand da. Der erste Schuss war kein Volltreffer. 1991 wurde es viertaktend mit der TDM 850 besser. Die Geburtsstunde des stückzahlenstarken Crossover-Bikes. Nur gab es diese Kategorie damals gar nicht. Entsprechend schwer tat sich die Zweiradler-Gemeinde mit der Einordnung. Das ging auch MOTORRAD-Tester Axel Westphal so, der als Erster der Yamaha TDM auf den Zahn fühlen durfte. Seine Meinung zum Typ 3VD: „Interessantes Allroundtalent.“ Da schwingt wenig Sexiness mit. Eher kommt der Gedanke an Feinrippunterwäsche auf. Die ist hygienisch wertvoll und wärmt – aber als elektrisierender Lustverstärker ungeeignet. Und die Yamaha TDM sollte doch Lust machen, einen neuen Weg für formidablen Zweiradspaß auftun. Chance vertan?
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Gegenwart: Wir schreiben das Jahr 2015. Die TDM listete Yamaha noch bis 2012 als 900er im Programm, danach war Schluss.
Bis Ende 2014 die Yamaha MT-09 Tracer auftauchte. Ist sie die legitime Nachfolgerin? Eine Runde über die Schwäbische Alb soll das klären. Neben der Tracy knurrt eine TDM, Baujahr 1997 (besten Dank an Wörner & Hirsch Motorrad-Service aus Reutlingen für die Leihgabe). Kenner wissen es: Typenkürzel 4TX, Motor nicht mehr als echter Paralleltwin mit 360 Grad, sondern mit 270 Grad Hubzapfenversatz für einen pulsierenden V2-Touch. Die Yamaha TDM lebte von Triebwerksspenden. Nach dem aufgebohrten Aggregat aus der Super Ténéré durfte die TRX als Zweizylinder-Spender ran. Und deren Motor tat dem Universalmobil richtig gut. Brachte Charakter ins Spiel. Kitzelte auch auf emotionaler Ebene. Also doch keine Chance vertan. Im Bauch kribbeln und sorglos funktionieren – endlich hatte das bei der TDM zusammengefunden. Für diese Anforderung war der 850er der Baujahre 1991 bis 1995 einfach zu gleichmäßig, zu turbinenartig ausgelegt.
Mit zwei Zylindern ist es bei der Yamaha MT-09 Tracer vorbei. Was blieb, war der Rückgriff aufs Baukastensystem. Schließlich wanderte nicht nur der MT-09-Drilling in den Rahmen, sondern auch große Teile des Fahrwerks. Auf dieser Basis wird aus der MT-09 ein neues Motorrad. Frei von überhandlicher Nervosität, jetzt mit vertrauenerweckender Stabilität und knackiger Lenkpräzision. Könnte die TDM sprechen, würde sie sofort Einhalt gebieten: „Was ist daran neu? Das zählte doch schon vor mehr als 20 Jahren zu meinen Tugenden.“ Gut, sorry, lass uns losfahren.
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Was sofort auffällt: Ergonomisch passt alles. Bei der Alten und der Neuen. Okay, der Sonder-Hochlenker aus dem Magura-Programm an der Yamaha TDM ist keine große Hilfe, wenn es ums Gefühl fürs Vorderrad geht. Aber sonst? Schon die 850er bettet den Piloten entspannt auf der Sitzbank. Wie von selbst fallen die Füße auf die Rasten. Gut gemacht, schon damals. Dieses Erbe setzt die Yamaha MT-09 Tracer nahtlos fort. Sie bietet dazu noch eine Spur mehr Sportlichkeit, wirkt filigraner, direkter. Die TDM fühlt sich ausladender, wuchtiger an. Die Moderne macht sich auch auf der Waage bemerkbar. Erst bei der 234-Kilo-Markierung stoppt der Zeiger beim Zweizylinder 4TX. Bei der Tracer sind’s über 20 Kilo weniger. Das merkt man. Und obwohl die Yamaha TDM auf für heutige Verhältnisse schmalen Puschen rollt (110/80 ZR18/ 150/70 ZR18), wischt sie nicht so leicht und vor allem nicht mit dem gleichen Feedback wie die Yamaha MT-09 Tracer durch die Kurven. Wer auf eine lange Zweiradkarriere zurückblickt, kennt den Michelin Macadam. Der brauchte schon damals ordentlich Temperatur und war kein Regengott. Dass er nun bereits seit fast 15 Jahren mit der TDM durch die Lande fährt, macht die Performance nicht besser.
Für uns bedeutet das: weniger Sport, mehr Tour. Dabei schweifen die Gedanken. Preisfrage: Wann bekam die Yamaha TDM eigentlich das erste Modell der Mitbewerber zur Seite gestellt? Die Wolken wirbeln vorbei, die jahreszeitbedingt eher grauen als grünen Bäume am Straßenrand tun es ihnen gleich – doch das Hirn streikt. Wir mussten lange grübeln. Doch zurück ins Hier und Jetzt.
Die Yamaha MT-09 Tracer gibt das Tempo vor. Fährt sich leichtfüßig durch Radien aller Art. Spendet schnell Vertrauen. Die kann was. Dabei machen sie vor allem Tugenden stark, die auch schon die Yamaha TDM kannte. Das Fahrwerk spricht sensibel an. Es reagiert vielleicht nicht immer perfekt auf jede Kante, verwöhnt aber mit viel Komfort. Wer nicht im Heißsporn-Modus unterwegs ist, dem gefällt das Arrangement. „Sag ich doch“, wirft die TDM ein. Stimmt. War schon in den 90ern so. An anderer Stelle ist der Fortschritt mehr spürbar. Die Tracer informiert übers digitale Display, bei der TDM reichen klassische Runduhren. Dank der Elektronik kann die Tracer mehr: mehr anzeigen, Fahrmodi zur Wahl stellen und umweltfreundlicher agieren. So verbrauchte die 4TX zwar schon weniger als die 3VD, etwa 5,5 Liter flossen aber immer durch die Vergaser. Die Yamaha MT-09 Tracer nimmt sich für 100 Landstraßen-Kilometer 4,8 Liter aus dem Tank. Das freut Geldbeutel und Umwelt. Und die TDM. Weil: Mit der Tracer hat Yamaha für das Crossover-Segment nicht nur das Argument gut weiter verfeinert, sondern endlich auch die Eigenschaft günstig ins Spiel gebracht. 9595 Euro sind ein Wort. 9813 Euro kostete eine Yamaha TDM schon 2007.
Die zieht einträchtig weiter mit der Yamaha MT-09 Tracer ihre Bahn, begeistert dabei mit ihrem auch heute noch sehr unterhaltsamen, beständig drückenden Motor. Der schüttelt sich nur ganz unten merklich. Ab 2000 Umdrehungen hängt er aber wundervoll am Gas und dreht willig hoch. Das macht Laune. Die verbreitet der Tracer-Antrieb sowieso. Kann fast alles, macht fast alles mit. Sich an damals zu erinnern bleibt aber interessant. So gelingt es der Yamaha TDM, die Tracer in Sachen Ausstattung sogar partiell zu übertrumpfen: Die Anpassung der Federspannung hinten per Schnellverstellung – das bietet nur sie.
Die TDM wirkt insgesamt also keineswegs alt, sie ist erfrischend modern geblieben. Langsam rollen die beiden Bikes aus. Die Yamaha TDM genießt den Feierabend, gönnt sich ein paar Liter Sprit und ein pflegendes Bad. Das hat sich unser volljähriges Fotomodell verdient. Zum Abschluss noch ein kurzer Blick ins Crossover-Poesiealbum, in dem auch die Yamaha MT-09 Tracer vorkommt. Die ist gut, in allem besser als die TDM und ein würdiger Nachfolger. Sie muss sich ihren Platz in der Crossover-Geschichte aber noch erarbeiten. Das wird nicht leicht. Anders als früher gibt es heute reichlich Konkurrenz in der Klasse bis 1000 cm³. Die Yamaha TDM sieht es gelassen und genießt die späte Anerkennung.
Crossover-Bikes haben zwar einen leicht enduresken Touch, sie wollen aber auf Asphalt bewegt werden. Das zeigt schon ihre Bereifung mit eher feinem und wenig ausgeprägtem Profil. Wo nahm das den Anfang und wo ging’s hin?
Okay, so ganz streng genommen passt die BMW R 80 ST nicht in diese Übersicht. Führt sie doch vorne ein 19-Zoll-Rad spazieren. Aber das war eben früher oftmals so. Sogar Yamaha vertraute bei der TDM noch lange auf ein 18 Zoll großes Vorderrad. Aber zurück zur BMW. Die bereicherte von 1982 bis 1984 die Motorradwelt als direkter Ableger der Enduro R 80 G/S. War sie damit das erste Crossover-Bike? Nicht ganz. Sie zeigte aber schon mal, was da kommen könnte. Was unter Crossover-Gesichtspunkten klar fehlte, waren die Verkleidung und der Supermoto-Sportspirit. Dachte auch Yamaha und verknüpfte alle genannten Aspekte in einem Bike – der TDR 250. Zweitaktend suchte sie ab 1988 nach neuen Fans für das Straßenkonzept und erschreckte wie begeisterte mit ihrer extremen Motorabstimmung. Bis 7000 Umdrehungen ging nichts, dann folgte der Sturm.
Massenkompatibler erwies sich die Yamaha TDM ab 1991. Supermoto erlebte in den 90ern einen Hype, aber rund um Crossover blieb es ruhig. Bis zum neuen Jahrtausend. 2000 stellte Cagiva die Navigator mit dem Motor aus der Suzuki TL 1000 S vor. 2003 erschien die erste Multistrada von Ducati. Damals noch mit lenkerfester Halbschale. Die traf optisch nicht jedermanns Geschmack, sorgt aber für Belebung. 2006 folgte Buells Ulysses XB 12X, dann Benellis TreK 1130 und die Triumph Tiger auf 17-Zoll-Reifen. 2009 schickte KTM mit der 990 SMT eine deutliche Erinnerung an die Supermoto-Wurzeln hinterher. Und kurz vorm neuen Jahrzehnt erblickte die Kawasaki Versys 650 das Licht der Motorradwelt. Endlich ging etwas. Heute haben fast alle Hersteller quer über die Hubraumklassen verteilt Crossover-Bikes im Programm. Aus dem Trend ist damit eine feste Größe in der Motorradbranche geworden.
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