Zeitreise Yamaha XT 250 und WR 250 F

Zeitreise Yamaha XT 250 und WR 250 F Halbstark

Gut 20 Jahre Enduro-Entwicklung liegen zwischen den beiden halbstarken 250ern von Yamaha - eine kleine Ewigkeit. Hier die Erfahrungen aus zwei ganz unterschiedlichen Welten.

Halbstark fact

Dies ist eine kleine Geschichte über kleine Motorräder, die zu erzählen weites Ausholen verlangt. Weit, weil die Yamaha XT 250 den Kalender 240 Monate zurückblättert. 20 Jahre bedeuten eine andere Welt. Jeder, der so lange Motorrad fährt, weiß das. Und jeder, der Ende der siebziger, Anfang achziger Jahre begonnen hat zu fahren, neigt dazu, die Vergangenheit zu verklären. Logisch, denn damals waren sowohl er als auch die kleine XT noch jung und frisch, während der Lauf der Zeit doch viel Patina auf die kleine Maschine und Falten in das Gesicht des Bikers geworfen hat. So blättert hier und da der Lack am Rahmen, den Auspufftopf ziert sichtbar Rost, und der ermattete Schaumstoff der Sitzbank will so gar nicht zu der Unternehmungslust passen, mit der man noch heute den XT-Kickstarter tritt.
Das war die Mannes-Prüfung - für alle XT 500-Besitzer, die 250er sprang immer nach dem dritten Tritt an, vorausgesetzt der Fahrer öffnete den Benzinhahn und schloss die Luftklappe am Vergaser. Nicht nur wegen der guten Starteigenschaften zogen Kenner und Mädchen die kleine der großen und berühmten Schwester vor, sondern sie war natürlich auch billiger und dazu mit einer Cantilever-Federung ausgestattet, technisch also weit überlegen!
Na ja, immerhin, der kleine Einzylinder brabbelt nach wie vor erstaunlich vollmundig im Stand vor sich hin, versetzt die XT in leichte Schwingungen und zaubert ein Lächeln auf die Lippen. Ja, genau so klang es, als man damals nach Korsika aufbrach, mit Zelt, Schlafsack und Isomatte hinten drauf, ein paar hundert Mark im Geldbeutel und viel Abenteuer im Sinn. Heute genügt schon ein Griff in den Handhebel der Vorderradbremse, um das Thema Abenteuer neu zu definieren. Es bremst von 100 auf 50 km/h, dann geht der Halbnabenbremse die Luft aus. Vorausschauende Fortbewegung heißt das Motto, mit dem man sich vor allem bergab Kurven und Ampeln nähern sollte.
Um sich der WR 250 F zu nähern, muss man ebenfalls ausholen. Wenn nicht zeitlich, so doch örtlich, denn der Blick gehört gen Amerika gerichtet, dorthin, wo die größte Motocross-Szene der Welt vibriert. Was in den USA an Crossmaschinen auf den Markt geworfen wird, muss Hightech sein. Dort herrscht Kampf, im Showroom des Dealers, auf dem Cross-Track wie im Stadium. Yamaha baut deshalb in die kleine YZ 250 F einen fast schon lächerlich aufwendigen Motor, mit fünf Titanventilen im Kopf, zwei Nockenwellen, ultrakurzem Hub und Formel-1-Kolben, wo es ein paar Kubikzentimeter mehr Hubraum doch auch täten.
Aber das Sport-Reglement will es so, man teilt sich in Klassen ein und gibt sich in der jeweiligen die volle Kante. Hinzu kommt, dass die 250er-Viertakter gegen 125er-Zweitakter antreten, jene leichten, über 35 PS starken kleine Raketen, die bisher als unschlagbar galten. Und jetzt will man beweisen, dass Viertakter besser sind. Was das mit der WR 250 F zu tun hat? Nun, sie ist der Enduro-Ableger der YZ. Für den Endurobetrieb braucht die YZ eine Straßenzulassung. Dafür rüstet Yamaha die YZ mit Licht, Blinkern, Tacho und leiserem Auspuff zur WR 250 F um. Der quirlige, in der YZ 250 fast 38 PS starke Motor steckt in einem tollen Fahrwerk, mit perfekten Federelementen, klasse Bremsen und einem Handling, das seinesgleichen sucht.
Gestartet wird der kleine Rennmotor per Miniatur-E-Starter - kicken würde Zeitverlust bedeuten - und fällt sofort in einen stabilen Leerlauf mit ebenfalls überraschend deutlicher Ansage. Tatsächlich klingen die beiden Yamaha im Stand gar nicht so unterschiedlich, ja, selbst im Stadtverkehr intonieren die WR und XT noch gutmütigen Einzylindersound, als wollten sie auf die wirklich weit hergeholten Verwandtschaftsgrade hinweisen. Die erste schnellere Passage nach dem Ortsschild stellt klar, was Hightech bringt. Die WR dreht und dreht und dreht, stürmt wie wild davon, während die arme XT traurig hinterherklappert. Das einzig Wilde an ihr ist die schwankende Drehzahlmessernadel. Sie pendelt wütend zwischen der 6000er- und 9000er-Marke, wütend, weil der Motor nicht geht. Die 17 PS des alten Zweiventilers mühen sich wacker, aber verebben bei gut 110 km/h im Kampf gegen Rollwiderstand und Winddruck.
Zornig vorwärts geht es auf der WR. Wie verrückt rotiert die Kurbelwelle in dem schlanken Gehäuse, brüllt die Auspuffanlage. Feine Vibrationen stören höchstens minimal, breites Leistungsband begeistert. Kaum ein Motor bietet so ein Band, von 2000/min bis 12400/min schiebt der Renner - mit einem Zylinder. Unglaublich! Nix wie auf den Prüfstand - satte 32 PS trotz leisem Schalldämpfer, ein tolles Leistungstableau zwischen neunfünf und zwölfvier. So entstehen Siege! Das spürt man, das durchdringt Mark und Bein, wo ist die nächste Crosspiste?
Luft ablassen, Crossausrüstung anziehen, Brille aufsetzen und hinein in die schnelle Welt der Offroad-Artisten. Reinknallen in den Anlieger, Bodenwellen glattbiegen, beschleunigen und springen – jaaa – fliegen – ein geiles Gefühl! Frei wie ein Vogel in der Luft, mit Gas ein wenig das Hinterrad korrigieren, perfekt landen und weiter mit vollem Speed – Kurve anbremsen, Gabel federt und dämpft sensationell, nach vorne ziehen, kurvenäußere Raste belasten. Na ja, driften will die Kleine nicht wirklich, dafür geht’s richtig vorwärts. Der dritte Gang ist’s. Hat immer Power, baggert aus jeder Ecke, schiebt an den dicken Eintöpfen vorbei, als wäre es nichts. WR 250 bedeutet übersetzt State of the Art bei den Offroad-Competition-Bikes.
Die XT schaut gelangweilt zu. Zu viel Hektik für den alten Muli, Crosspiste heißt viel putzen, verhungern an langen Steigungen, durchschlagen selbst nach kleinen Hüpfern. Korsika, das wäre es jetzt. Kurvenparadies, Meer, Sonne, Strand, Buchten, die nur mit einer Enduro erreicht werden können. Klettern über Felsabsätze, weg von der Straße. Metzler-Trailreifen, die sich Stollen für Stollen wie Saugnäpfe am Grund festhalten. Und wenn es zu heftig wird, einfach kräftig mitfuseln, die Sitzbank ist niedrig genug. Eine kleine Sandpassage wird locker mit dem breiten Lenker gemeistert und dann – jaaa – liegen - ein geiles Gefühl! Sich in Badehose am Strand räkeln, die Sonne auf die Haut scheinen lassen, das Rauschen der Wellen, duftende Kiefern werfen ein wenig Schatten. Die XT knistert noch im Auspuff, müffelt nach verbranntem Öl, die Kette ist sandig - egal.
Ein Tag am Meer, wie lange schon nicht mehr genossen. Stress? Vorbei! Hektik? Man müsste sich mal umdrehen. Sonnenbrandgefahr ist das Einzige, was es zu beachten gilt, und selbst das wird vergessen. Die Gedanken werden weit, umspannen 20 Jahre Motorradfahren. Musste wirklich alles so extrem werden? Aus 150 Millimeter Federweg 300, aus Halbnabentrommeln Doppelkolbenschwimmsättelscheiben, aus 17 PS 32? Braucht man Upside-down-Titanventil-Gelbatterie-Technologie, um eine Enduro zu bauen? Sind die USA-Crosser wirklich die richtige Basis für Europas Enduristen?
Nein! Das kann nicht sein. Die XT muss weiterleben! So lange, bis sich Yamaha wieder eine richtige Alltags-Abenteuer-Enduro einfallen lässt. Eine Gefährtin für alle Straßen und Pisten, zu Hause auf Alpenpässen und Schotterpisten, ein treuer Muli für die Stadt, der immer läuft, auch ohne viel Pflege. Ein Bike, das sich nicht auf einen Zweck reduziert und den perfekt erfüllt. Wo bleibt das Multifunktions-Motorrad, das alles fast perfekt kann! Hübsch designed, gut ausgestattet und genauso robust wie die seelige XT. Halten Titanventile 20 Jahre? Wollen Enduristen jeden Tag 12400/min drehen? Die WR 250 ist eben ein Crosser, gerade so für die Sportenduro-Freaks umgebaut, dass sie die technische Abnahme vor der Veranstaltung bestehen. In ihrem schmalen Einsatzbereich kann sie mehr als die meisten Piloten.
Die XT kann eigentlich nichts gut. Das machte sie so vielseitig. Und so sehr liebenswert, dass sie noch in vielen Garagen ein Gnadenbrot bekommt. Gefahren wird heute BMW F 650 GS.

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