Benelli Leoncino 800 im Dauertest
Mittelklasse-Naked Bike im 50.000-km-Test

Im August 2022 startete die Benelli Leoncino 800 ihren 50.000-Kilometer-Dauertest in der MOTORRAD-Redaktion. Hier lest ihr die aktuellsten Fahrtenbucheinträge.

Benelli Dauertest
Foto: Angelina Leser
In diesem Artikel:
  • Benelli Leoncino 800 auf dem Prüfstand

Mit der Benelli stellt sich zum ersten Mal ein Bike aus China der Marathon-Distanz. Herzlich willkommen, kleiner Löwe. Wobei der Name etwas irritiert. Denn klein ist diese mit vollgetankt knapp 230 Kilogramm auch recht stämmige Benelli Leoncino 800 nicht, vielmehr ist sie das aktuelle Topmodell der italienisch-chinesischen Kooperation. Wenngleich der Antrieb ungeachtet des Namens lediglich 754 cm³ Hubraum bietet und mit dem der Benelli 752 S identisch ist. Doch dies nur am Rande. Jedenfalls freut sich die Redaktion, dass es nach langem Bemühen endlich gelungen ist, ein Bike aus chinesischer Produktion für den Dauertest über 50.0000 Kilometer zu bekommen.

Unsere Highlights

Benelli Leoncino 800 auf dem Prüfstand

Kaum in Stuttgart musste die Löwin zwecks Eingangsmessung auf die Rolle. Mit erfreulichem Ergebnis: Die Werksangabe von 76 PS wurde um zwei PS übertroffen.

Einträge aus dem Dauertest-Fahrtenbuch Benelli Leoncino 800

Kilometerstand: 9.025 – Fahrwerk

230 Kilo bringt die Benelli Leoncino 800 auf die Waage und wie auch schon die VorrednerInnen bekräftigt haben, spürt man diese im Stand und beim Rangieren durchaus. Ebenfalls anstrengend im Stand: Den Bart des Klapp-Zündschlüssels … nun ja, auszuklappen. Der per Druckknopf bedienbare Klapp-Mechanismus ist bereits reichlich abgenudelt und es braucht auf jeden Fall Fingernägel einer zusätzlichen und unbehandschuhten Hand, um den Schlüsselbart zum Vorschein zu bringen.

Einmal in Fahrt sind die Mühen jedoch vorüber. Der breite Lenker in Union mit einem tiefen Schwerpunkt verhilft der Benelli Leoncino 800 zu Zuschreibungen wie „flink“ und „wuselig“. Wer den erwachsen bollernden Motor schön auf Zug hält, fräst flott durch die Landschaft und freut sich dabei über hohe Schräglagenfreiheit sowie den Grip der Pirellis (MT 60 RS). Sicher, ein Präzisionsmesser wird die Leoncino mit ihrem eher einfachen Chassis und der eher hemdsärmeligen Gasannahme zwar nicht mehr, aber um erhobenen Hauptes in die Führerscheinlosigkeit zu brettern, reicht es allemal.

Die Bremse ist eher zahm und das Fahrwerk bewegungsreich. MOTORRAD-Tipp: Ein Gang hoch im Getriebe, einen runter im Kopf und für Genuss statt Gefahr optieren. Passt eh besser zum gediegenen Charakter dieser gediegenen Benelli Leoncino 800. Fehlt eigentlich nur noch ein etwas gnädigeres Federbein. Kurze Schläge reicht es leider oft durch. Vielleicht findet sich da im Laufe des Dauertests noch eine elegantere Zubehör-Lösung.

Kilometerstand: 7.234 – Bedienung

Eigentlich hat die Benelli Leoncino 800 beste Voraussetzungen, einem in sachen Bedienung das Leben leicht zu machen, denn viel zu bedienen gibt es nicht. Abseits vom (nicht einstellbaren) ABS gibt es nämlich keinerlei Fahrassistenzsysteme und auch neumodische Goodies wie Connectivity sucht man vergebens. Den Tageskilometerzähler zu nullen, kann aber zur Geduldsprobe werden (Spoiler: Pfeil nach unten-Taste lange drücken). Die vier Tasten für die Cockpitbedienung sind zudem umständlich auf beide Lenkerhälften verteilt und ohne Umgreifen nicht erreichbar. Naja, auch die Chinesen kriegen Italien nicht ganz aus der Marke, wie es scheint. So gesehen wieder sympathisch …

Kilometerstand: 5.708 – Gepäck

Soll die Reise vielleicht nicht groß, aber zumindest weniger klein sein, finden sich an unserer Dauertest-Maschine nun Stoff-Packtaschen aus dem Werkszubehör: Schön gemacht, leicht (de-)montierbar und mit wasserdichter Innenverkleidung. Für den Wochenendtrip könnte es knapp werden, aber ein paar Extra-Klamotten für den abendlichen Kälteeinbruch oder die berühmte Notfallunterhose samt Zubehör für die Morgentoilette finden locker ihren Platz.

Kilometerstand: 3.315 – Vibrationen

Die nächste größere Tour war zur IDM an den Red Bull Ring. Gute 600 Kilometer einfache Fahrt. Ich – Angelina Leser – spüre bei konstantem Tempo direkt deutliche Vibrationen an Griffen, Fußrasten und Sitzbank. Bis 300 Kilometer am Stück sind die zu ertragen, dann braucht es eine Pause. Unter Vollast (208 km/h abgelesen) nimmt die Benelli Leoncino 800 sich 7,3 Liter, lässt den Windschutz vorn und bei Regen den Spritzschutz hinten stark vermissen. Lob gibt es für das Display, das nur bei direktem Sonnenlicht schwer abzulesen. Das Bedienen des Bordcomputers für den Reset der Trip-Zähler geht nur im Stand, wahrscheinlich ist das gut so, denn die Knöpfe am Display lassen sich nur mit der Gashand erreichen.

Kilometerstand: 2.890 – auch für Kurzbeinige

Dina Dervisevic, motorradonline.de: Das hohe Gewicht von 230 Kilo vollgetankt ist mir beim Fahren dank des breiten Lenkers nicht negativ aufgefallen. Nur beim Rangieren wurde es schweißtreibend. Aber immerhin hält der MOTORRAD-Dauertest-Fuhrpark mit der Leoncino 800 ein Mopped, bei dem ich auf beiden Seiten mit den Füßen Bodenkontakt herstellen kann. Fahrend empfand ich sie als handlich, auch im Stadtverkehr. Sie ist etwas länger übersetzt, als ich es von meiner MT-07 gewohnt bin – in 30er-Zonen war ich im 2. Gang unterwegs, in 50er-Zonen im 3. Gang. Bei der MT wären das jeweils der 3. und der 4. Gang gewesen. Das serienmäßige TFT-Display ist sehr gut ablesbar und wechselt bei einer Tunneleinfahrt schnell in den Nachtmodus. Etwas gewöhnungsbedürftig ist für meinen Geschmack die Drehzahlanzeige.

Benelli Leoncino 800 im Dauertest
Dina Dervisevic
Online-Redakteurin Dina: "Das serienmäßige TFT-Display ist sehr gut ablesbar und wechselt bei einer Tunneleinfahrt schnell in den Nachtmodus. Etwas gewöhnungsbedürftig ist für meinen Geschmack die Drehzahlanzeige."

Aber nach einigen Kilometern werden diese Informationen dank des schön kernigen Sounds sowieso über die Ohren eingespielt. Noch war es nicht notwendig, aber optimale Verzurrmöglichkeiten für Gepäcktaschen habe ich nicht ausfindig machen können. Eine Möglichkeit wäre über die Halterung der Soziusfußrasten in Kombination mit dem Nummernschildhalter. Wobei dabei das Rück- und Bremslicht überdeckt werden könnte. Aber wie schon der Eintrag zuvor ankündigt: "Ein Gepäcksystem samt Kofferträger sei in Vorbereitung. "Etwas, das mir noch sehr positiv aufgefallen ist, hört sich nach einer Kleinigkeit an, macht aber im Alltag viel aus: die Anordnung und Größe der Schalter. Finde ich bei der Benelli Leoncino 800 sehr gelungen – selbst mit gut gefütterten Handschuhen hat der Daumen kein Problem, direkt den richtigen Schalter zu erspüren und bekommt auch eindeutige Rückmeldung, in welcher Stellung bspw. der Blinkerschalter steht.

Kilometerstand: 1.800 – Überführung aus Italien

Die Übergabe an unsere Italien-Korrespondentin Eva Breutel erfolgte Anfang August mit 1.800 Kilometern auf der Uhr direkt am Firmensitz in Pesaro. Die Überführung nach Stuttgart auf Achse war dann auch gleich die erste Bewährungsprobe, die die Benelli problemlos und im Mittel mit knapp 5,5 Litern bewältigte. Wenngleich die Gepäckbefestigung einige Kreativität und Fantasie erforderte, denn Haken oder ähnliches gibt es nicht. Ein Gepäcksystem samt Kofferträger sei aber in Vorbereitung, heißt es (und ist auch seit Frühjahr 2023 an der Testmaschine, siehe Eintrag zu Kilometer

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Erscheinungsdatum 15.09.2023