Style geht nur zusammen mit urban? Cool funktioniert ausschließlich mit city? Hip wird’s downtown, und yard built hat craft? So‘n Mist. Eine Bildungsreise nach Husum/Niedersachsen.
Style geht nur zusammen mit urban? Cool funktioniert ausschließlich mit city? Hip wird’s downtown, und yard built hat craft? So‘n Mist. Eine Bildungsreise nach Husum/Niedersachsen.
Holger will das nicht. Sich absetzen von den andern, die in Hamburger, Berliner oder Münchner Hinterhöfen ihre malerischen Werkstätten betreiben. Es kommt einfach so, weil Holger nun mal eines nicht will: nach Hamburg, Berlin oder München. Sogar Hannover kann ihm gestohlen bleiben, denn er braucht die Dinge ruhig und übersichtlich. Nostalgie ist ebenfalls verzichtbar: Warum soll er in die staubige Schmiede um die Ecke ziehen, wenn Werkbank und Hebebühne locker in den praktischen Holzschuppen neben seinem Carport passen?
Das mag diesem oder jenem, der einen von Holger Breuers mittlerweile 25 Umbauten erworben hat, arg nüchtern erschienen sein. Zu wenig verrucht. So ganz ohne freigeistiges Sahnehäubchen oben drauf. Aber er wird sich mit seiner wirklich geilen Karre getröstet haben. Darunter macht es Holger nämlich nicht.
Wundert das? Okay, dann müssen jetzt mal ein paar blöde Klischees dran glauben. Zum Beispiel diese mächtigen und in kaum noch greifbarer Vergangenheit wurzelnden Vorstellungen von einem gleichförmig dösigen Landleben zwischen Kirche und Wirtshaus, Schweineweiden und Milchkannen. Gibt‘s nicht mehr, und zumindest bei den Milchkannen weiß Holger das ganz genau. Er arbeitet nämlich in einer Molkerei, und dort rührt er nicht mit der Käseforke in einem Sahnebottich rum, sondern hält als Betriebselektriker eine riesige und hochkomplexe Anlage am Laufen. In Früh- oder Spätschicht, wie bei VW. Nebenher hat er sich schon mit unter 30 in Husum/Niedersachsen ein picobello Eigenheim gebaut, aber als das fertig war, sind in der Freizeit handwerkliche Entzugserscheinungen aufgetreten. Eine kreuzbrave Suzuki LS 650 musste dran glauben. So fing das an.
Vor einigen Jahrzehnten, als es in Husum von Schweineweiden und Milchkannen wimmelte, da qualmten im Ruhrgebiet noch die Schlote. Neben schwitzenden Dampfmaschinen und gleißenden Hochöfen schufteten Tausende Malocher, andere kloppten in riesigen Hallen irgendwelche Autos oder Lokomotiven zusammen. Abends war Kneipe, samstags Tauben, sonntags Fußball. Oder Motorradrennen. Die Renner wurden in Kellern, Bretterbuden, alten Ställen aufgebaut, auch mancher Straßenfeger mag hier entstanden sein. Aber warum steht diese Szenerie – oder das, was nassforsche Kreative dafür halten – bis heute Pate bei jeder Präsentation eines neuen Cool-Bikes? Egal, ob Gustls erster Umbau oder Harleys letzte Sportster.
Weiß Holger auch nicht. Wenn er mal wieder was fertig hat, dann fotografiert sein Kumpel das am Dorfrand oder an einem nahen Weserhafen. Und wenn er Inspiration sucht, tobt er nicht durch abbruchreife Fabrikhallen oder sozial heikle Großstadtviertel, sondern surft ins Internet. Schön gemütlich auf dem Sofa. So hat er auch die Kopenhagener Wrenchmonkees gefunden, seine ersten Vorbilder. Deren Motorräder hatten eine Botschaft, verströmten ein Lebensgefühl. Nicht unbedingt seines, aber beinahe, auf jeden Fall ein deutlich sichtbares.
Man muss nicht in einer Metropole wohnen, um zu begreifen, dass viele Motorräder der 70er- und 80er-Jahre ein zweites Gesicht haben. Ihr eigentliches? Mag sein, jedenfalls entdeckte Holger hinter der eher pummeligen und bunten Fassade des Kawasaki-Tourentwins Z 750 B ein verdammt cooles Wesen, aus dem er einen zornig-eleganten Racer formen wollte. Das fanden viele überraschend. All jene nämlich, die vom tradierten Bild der ollen Z nicht loskommen konnten. Holger dagegen hatte einfach an die britischen Ahnen der ganzen Umbauerei gedacht und den schön geformten Twin der Kawasaki gesehen. Ihren herrlichen Tank. Er hat selber keine Ahnung, woher seine Sicherheit im Umgang mit Motorradformen kommt. Aber er kann sich darauf verlassen: Er schaut etwas an und weiß, wo es hingehört. Wie ein Puzzle. Irgendwann macht es klick, und dann taucht vor seinem inneren Auge das ganze fertige Ding auf, inklusive Farben und Zierlinien.
Im Fall der Kawasaki klappte das so gut, dass Holger erstens noch zwei Racer und einen Scrambler aufbaute und zweitens eines dieser Motorräder zum 40. Geburtstag der Z-Reihe vom Importeur auf der INTERMOT ausgestellt wurde. So schnell kann das gehen, von Husum aus ins Rampenlicht. Die Z-Sache hatte nur einen Haken, nein zwei: Erstens ist das Ausgangsmaterial ziemlich rar und oft reichlich runtergeritten. Zweitens ist der hiesige Custom-Freund zwar unglaublich cool, bleibt aber trotzdem urdeutsch. Wenn er sich was wünschen darf, dann eine schön gemachte BMW. Da zahlt er auch extra. Gegen deftige Agrarmechanik darf ein überzeugtes Landei wie Holger nichts einwenden, logo, und so hat er dann vor rund fünf Jahren den ersten Zweiventil-Boxer zerlegt.
Als Ergebnis dieser Auftragsarbeit betrat ein sauberer Scrambler-Allrounder-Verschnitt die Bühne, viel näher an der Sache als alles, was BMW selbst heute noch bauen darf. Nicht einzigartig in seiner Formensprache, aber mit äußerst souveränem Auftritt und ausgeführt in sichtbarer handwerklicher Meisterschaft. Klasse, wirklich, und mittlerweile so was wie der Topseller im Programm. 13 Boxer ähnlicher Art folgten, mal kam der Tank von einer US-Version (Toaster), mal von einer Behördenkarre (mit Werkzeugklappe), mal von Yamaha (XS 360) und mal von Kawasaki (Z 750, na klar). Trotzdem: Irgendwann zwischen Nummer sechs und sieben hat Holger gemerkt, dass er kein ganz normaler Handwerker ist. Sondern ein Kunsthandwerker, der nicht nur ausführen, sondern auch immer wieder neu gestalten muss, um mit seiner Arbeit ins Reine zu kommen. Also wurde gelegentlich wieder ein Kawa-Twin eingestreut, dann eine Guzzi. Und endlich Nummer 20, der Bobber für den Meister höchstselbst.
Das Teil spricht für sich, oder? Ein paar Sachen stehen unten, aber hier geht es nicht um Technik. Sondern um Form und um Lebensgefühl. Okay, jetzt denken wieder alle, wie granatengeil es wäre, mit diesem Viech durch die Bronx zu knallen. Oder mindestens über‘n Prenzlauer Berg. Holger findet es toll, damit ins Landhaus Meinkingsburg zu rollen, gleich hinter der Bundesstraße. Da geht er gern mal essen, denn das ist ein reeller Laden. Die Bedienung nicht cool, aber freundlich, das passt an 360 Tagen im Jahr eh besser. Als er wieder rauskommt, stehen drei Herren um die BMW. Keiner von denen weiß, dass die nun Bobber heißt, alle sehen eher aus, als verstünden sie eine Menge von Landmaschinen oder Futtermitteln. Trotzdem: Die Karre hat sie gepackt. Zwei gehen in die Knie, starren auf den geschrubbten Tank. „Kawasaki?“, fragt der eine. „Aber doll gemacht“, sagt der andere, „nee, wirklich, Junge, ganz doll gemacht.“
Holger nickt dankend. Und weiß wieder mal ganz genau, dass er nicht nach Hamburg, Berlin oder München will.
Motor: Original BMW R 100 RT, Bj. 1977, luftgekühlter Zweizylinder-Boxer-Viertaktmotor, 980 cm³, 70 PS bei 7.250/min, 76 Nm bei 5.500/min, Serien-Vergaser und -Luftfilter, Eigenbau-Krümmer mit Hattech-Schalldämpfern, elektronische Zündung, Fünfganggetriebe, E-Starter. Triebwerk und Endantrieb wurden beim renommierten BMW-Spezialisten Heinz Baals in Minden (www.hbs-bmw.de) komplett neu aufgebaut
Bodywork: Serienmäßiger Hauptrahmen mit neu eingeschweißten Federbein-Aufnahmen, Heckrahmen entfällt, gekürzte serienmäßige Gabel, Nachbau-Federbeine für BMW R 69, R 75/5-Trommelbremse vorn, serienmäßige Trommelbremse hinten, Drahtspeichenräder mit Akront-Felgen 3.00 x 16, Nachbau-Armaturen für BMW R 69, Lenker und Griffe von Magura, Einzel-Ledersitz, Tank von Kawasaki Z 750 B, Lackierung von Chikos Pinstriping
Info: www.hb-custom.de
Preis: Verhandlungssache