Es war einmal eine BMW 75/6, die fand sich nicht mehr schön - und ging zum Frisör. Der griff zu Schere, Flex plus Farbeimer, und als die BMW zurück auf die Straße kehrte... aber lesen Sie selbst.
Es war einmal eine BMW 75/6, die fand sich nicht mehr schön - und ging zum Frisör. Der griff zu Schere, Flex plus Farbeimer, und als die BMW zurück auf die Straße kehrte... aber lesen Sie selbst.
Es ist nicht besonders schwer, aus alten Zweiventil-Boxern coole Hingucker zu bauen“, sagt Dirk Oehlerking und bleibt dabei ganz westfälisch trocken. Der Mann ist Inhaber und Mastermind der Firma Kingston Custom aus Gelsenkirchen und lehnt lässig an seiner letzten Schöpfung, einem federleichten Bobber auf BMW R 75/6-Basis. „Eigentlich ist es ja ein Mix“, sagt Dirk. „Denn der 75/6- Motor- steckt in einem 90/6-Rahmen.“ Aha. Man steht ehrfurchtsvoll davor und denkt: Ist schon verrückt, wie anders doch eine BMW aussehen kann. Wie klein. Wie zierlich. Wie bunt. Die Farbe, nebenbei bemerkt, nennt sich Citroën Bullat-Rotmetallic. Der Rest ist eine krude Mischung von allerlei Motorradteilen, die sich unter der Regie von Oehlerking irgendwie saucool zusammengefunden haben. „Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht“, brummt Dirk trocken. „Die gute: Du darfst fahren. Die Schlechte: Hab die Maschine grad verkauft. Sie geht nach New York.“
Die 32er-Bing-Vergaser sind prima synchronisiert, denn Gas nimmt der Boxer sauber und ohne zu spucken an. Es klingt schaurig schön, bassig potent sogar, wenn er lossprintet. Allerdings muss der Zweiventiler gedreht werden, will man die 50 PS vollends spüren - erst bei 6200/min produziert der 745-Kubik-Boxer seine Höchstleistung. Verglichen mit modernen Aggregaten agiert dieses Triebwerk leicht phlegmatisch. Ganz im Gegensatz zu den verbauten Bremsen, die recht ordentlich verzögern. Und wahrscheinlich verweigert sich der Bobber auch nicht vor einer größeren Tour.
Doch seine Stärke ist der große Auftritt am Eiscafé. Selten war Parken lässiger. Während der Boxer unter zappelndem Hin und Her mit seinen Kolben nach beiden Seiten tritt, kickt man lässig den Seitenständer aus und lehnt die Maschine darauf. Der allein ist ein echter Hingucker, denn er besteht aus einem 24er-Ringschlüssel, gekröpft. Vergütet. Deutsche Produktion. Das kommt nicht nur in New York gut an.
Könnten neugierige Augen etwas weggucken, wäre der Bobber hundertmal am Tag verschwunden. Denn irgendwie findet sich nichts an der Maschine, was unpassend oder unschön wirkt. Beginnend mit dem gesteppten Ledersattel über die Handhebel, den Choke, die Blinkerbetätigung, das Rundinstrument bis hin zu den lässigen Griffen im Retro-Style. Wunderschön auch die Räder mit ihren teilpolierten Felgen und Edelstahlspeichen. Schade, dass man all diese Features nur im Stand und nicht beim Fahren beobachten kann.
„Dieser Bobber ist nicht nur eine kompromisslose Fahrmaschine, sondern auch ein Motorrad, dem du abends in deiner Garage zuprostest und bei dem dir das Herz höher schlägt, wenn das Tor hochgeht. Solch ein Motorrad lebt von Emotionen und Sinnen“, sagt Dirk. Man überlegt kurz, zu widersprechen, einzuwerfen, dass der Komfort kleingeschrieben wird, der Hupensound eher verhalten ist oder man im Spiegel nicht viel sieht… Aber schweigt dann. Besser so. Und schlussendlich ist die schlechte Nachricht leider wirklich schlecht: verkauft nach New York. Schade.
Hausbesuch. Dirk Oehlerking sitzt an seinem Wohnzimmertisch. Vier Meter lang, weiß, auf gewachstem, hellem Eichenboden. Deckenhöhe 3,60 Meter. Schwarz-Weiß-Fotos und Gemälde in Vintage-Rahmen zieren die Wand, Skulpturen auf Schränken. Riesige Fensterflächen.
Motor:
luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, Bohrung x Hub 82 x 70,6 mm, Hubraum 745 cm3, zwei Ventile pro Zylinder, Leistung 37 kW (50 PS) bei 6200/min, zwei Bing-
Vergaser, Ø 32 mm;
Fahrwerk:
Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen der R 90/6, Telegabel, Ø 36 mm, Sachs-Hydrocross-Federbeine, Federweg v/h 60/50 mm, Doppelscheibenbremse vorne, Ø 260 mm, Trommelbremse hinten, Drahtspeichen-Alufelgen, Sitzhöhe 530 mm, Radstand 1415 mm, Tankinhalt 7 Liter, Gewicht vollgetankt 205 kg;
Höchstgeschwindigkeit:
zirka 150 km/h;
Preis:
15.000 Euro;
Infos:
http://kingstoncustom.blogspot.de/
Dirks Traum, Motorräder nach seinen Vorstellungen aufzubauen, ist vor zwei Jahren in Erfüllung gegangen. Als sein erstes Projekt, eine umgebaute Yamaha SR 500, auf der Custombike-Messe in Bad Salzuflen großen Anklang fand, legte er los. Verkaufte sein Motorrad-Fachgeschäft und zog um in eine kleine Werkstatt, in der er „unbehelligt von früh bis spät schrauben kann, ohne dass jemand hinter mir steht“. Denn es geht ihm um Freiheit. Beim Fahren. Beim Leben. Beim Schrauben. Die Inspiration kommt ihm oft erst, wenn er das Motorrad gestrippt auf der Bühne stehen hat. Will man seine Bikes mit anderen vergleichen, fallen Namen wie Deus ex Machina, Roland Sands oder Blizz Motorcycles. Und die haben auch mal klein angefangen…
Seine Umgebung wirkt ebenso stylish und clean wie die Motorräder, die er seit knapp zwei Jahren unter dem Label Kingston Custom baut. Er trägt Jeansjacke, Sneakers und ein T-Shirt aus eigener Kollektion. Der 50-Jährige macht bewusst nicht auf jung. Er ist es wirklich geblieben. Bringt man das Thema aufs Motorrad, beginnen seine Augen zu funkeln wie die eines Frischverliebten. Denn das ist wirklich sein Ding, seit er im Alter von 13 Jahren sein erstes Geländesport-Rennen gewann. Die Affinität zum Geländesport gipfelte 1985 im Titel Deutscher Meister und der Teilnahme an der Sechstagefahrt in Spanien. Weit über 200 Pokale schmücken seine kleine Werkstatt, in der die Kingston Custom-Unikate in Handarbeit entstehen.
Einen Customizer wie ihn findet man selten. Und schon gar nicht in Deutschland. Denn Auftragsproduktionen laufen mitunter so: Kunden können ein Motorrad als Basis wählen, den Style bestimmen und die Farbe - aber wie es letztlich aussieht, bestimmt allein Dirk Oehlerking. Er ist ständig auf der Suche nach gebrauchten Motorrädern aus den 1970er- und 1980er-Jahren. Luftgekühlte Motoren eignen sich besonders gut, da Kühler und Schläuche wegfallen.
Seine fertigen Unikate haben alle eine Gemeinsamkeit: die Reduktion auf das Wesentliche. Dirk geht es um klar ersichtliche Formen. Klassische Formen. Zwei Räder. Motor. Tank. Sitzbank. Der Rahmen als Verbindung. Mehr braucht man nicht. Kingston Custom ist letztlich der gelebte Traum eines Zweiradmechaniker-Meisters, der es leid war, ständig Öl zu wechseln, Ventile zu kontrollieren oder Glühbirnen zu tauschen.
Warum die Nachricht schlecht ist? Nun, eigentlich nur für den Fall, dass man sich in den Bobber beim Fahren verliebt. Denn Dirk baut jedes Fahrzeug nur einmal. In seiner kleinen, aber piekfeinen Werkstatt entstehen ausnahmslos Unikate. „Als die BMW völlig gestrippt auf der Hebebühne stand, dachte ich mir: Die musst du tieflegen. Flach machen. Flacher als alles, was bisher da war.“ Sein erster Schritt war die Kürzung der Gabel um 80 Millimeter. Hinten sind Hydrocross-Stoßdämpfer verbaut, die normalerweise in einem alten 250er-Sachs-Geländesport-Motorrad arbeiten. Doch das richtig geduckte Styling bekam die BMW erst durch den Tank einer Yamaha FS1, einem Mokick aus den Siebzigern. Der ist lang. Er ist flach und schmal. Und er hat nur sieben Liter Volumen. „Macht nix“, sagt Oehlerking, „eine Harley Forty-Eight hat auch nur ’nen 7,9-Liter-Tank. Wer Touren fahren will, soll sich ein anderes Motorrad kaufen.“
Dem Druck auf den E-Starter folgt ein kurzes Motorschütteln und herzhaft-bolleriges Blubbern aus den Schalldämpfern im Norton-Style. Und zwar so herrlich niedertourig, dass es sich fast wie ein Herzschlag anhört. Ein Ruhepol. „Das dürften um die 750/min sein“, resümiert Dirk auf die Frage nach dem Standgas. Ältere Vergaser-Harleys standgasen auch nicht viel lässiger. Aufgesessen. Mit nur 530 Millimetern ist die Sitzhöhe angenehm niedrig, und der Originallenker liegt gut in der Hand. Richtig lange Beine darf man allerdings nicht haben, sonst stoßen die Knie an Vergaser und Zylinder. Die Fußrasten sind zwar in der Höhe versetzbar, doch vergleichsweise weit hinten montiert. „Kannst ruhig mal durchladen“, sagt Dirk. „Motor und Getriebe wurden zerlegt und sind komplett überholt.“ Gut, das kann der Ami für einen Verkaufspreis von rund 15 000 Euro auch erwarten. Also Gang rein, und los geht’s.
Dirk Oehlerking spricht von fahrbereit 205 Kilogramm. Widersprechen möchte man nicht. Das zweizylindrige Fliegengewicht, gepaart mit dem niedrigen Schwerpunkt, gibt sich wunderbar leichtfüßig, handlich, lässig. Und so fühlt man sich auch als Fahrer. Befreit von der Alltagsschwere und von allem Überflüssigen. Keine Hektik. Keine Scheibe. Kein Kunststoff. Keine ausladende Plastikschale. Kein Kotflügel vorn. Hoffentlich regnet es nicht. Apropos Kotflügel: Den vorderen hat Dirk einfach hinten montiert. Und apropos weglassen: Den Fahrkomfort hat er auch gleich weggelassen. Das Bobber-Fahrwerk erzählt dir ganz genau, über welche Seite des Centstücks du gerollt bist: Kopf oder Zahl. Der Zielgruppe wird das egal sein. Denn wer cool sein will, muss leiden. Fehlender Wetterschutz? „Meine Haut ist wasserdicht. Deine etwa nicht?“