Eigenbau
Road Star 535 von Werner Koch

Zu schade für die Tonne, dachte MOTORRAD-Redakteur Werner Koch, und rollte die Yamaha XV 535 Virago zur Wiederverwertung in seine Werkstatt.Jetzt heißt sie Road Star 535, kann manches mehr und vieles besser.

Ein perfektes Motorrad ist sie nicht, eine Goldgrube ist die kleine Virago dennoch. Seit Jahren, genauer gesagt seit acht, tauschen zigtausende von Motorradlern - und vor allem Motorradlerinnen - ihr Bares gegen den niedlichen Chrom-Chopper ein. Hat ja auch was, die XV 535. Der solide, optisch imposant aufgeblasene V2-Motor mit seinem angeflanschten, pflegeleichten Kardanantrieb und - jetzt kommt’s - ein Sitz, so tief, daß auch Eineinhalb-Meter-Menschlein ihre Füße platt auf den den Asphalt stemmen können. Das schafft Vertrauen und Sicherheit beim Rangieren und verhindert peinliche Umfaller an der Ampel. Für solch freundliche Tugenden nimmt Mann und Frau die choppertypischen Handicaps gerne in Kauf. Schlappe Federung mit wenig Komfort, eine träge und indirekte Lenkung durch die flach angestellte Gabel, Soziuskomfort, der keiner ist, und und und. »Viele Kunden fragen nach einer Enduro, versuchen es dann aber doch lieber mit einem Straßenmotorrad und landen letztlich bei der Virago. Denn nur auf dem tiefen Sitz fühlen sie sich sicher genug«, berichtet Yamaha-Händler Edgar Walz. Dabei ist es einem Großteil der Käufer ziemlich Wurst, ob die Virago zur Gattung der Chopper gehört oder nicht. Was also liegt näher, als die Vorteile der XV 535 zu konservieren und die Nachteile rigeros aus der Welt zu schaffen. Die eierlegende Wollmilchsau auf zwei Rädern sozusagen. In die Hände gespuckt, und los geht’s. Zehn Gebote standen im Lastenheft für meine neue Road Star 535 ganz oben: 0 Leichtes und zielgenaues Lenkverhalten 0 Beste Fahrstabilität auch mit zwei Personen 0 Während der Fahrt verstellbare Sitzhöhe 0 Höhenverstellbare Lenker und Fußrasten 0 Wirksame und gut dossierbare Bremsanlage0 Guter Sitzkomfort für Fahrer und Beifahrer0 Übersichtliche, pflegeleichte Technik 0 Eigenständige Merkmale in Technik und Design 0 Design ist der Funktion untergeordnet0 Schadstoffarmer MotorEinem Stappel von Skizzen und Zeichnungen folgte monatelange Handwerksarbeit an Werkbank und Drehmaschine. Die XV 535-Basis mutierte Stück für Stück zum neuen Konzept, das sich Stilelemente aller Kategorien ohne Scheu einverleibte. Klassische Speichenräder und Kniekissen, supersportliche Bereifung und Bremsanlage, hier ein bißchen Streetfighter, dort eine Stückchen Tourer - aber alles immer unter der Motto »Form follows function«. Denn Beispiele, wie schnell ein an sich brauchbares Motorrad-Konzept durch übertriebenes Design zum unbrauchbaren Vehikel degradiert wird, gibt es genug. Mit Flex und Schweißgerät nicht zimperlich, wird unter Beihilfe der UNO-Fahrwerks-Spezialisten aus dem bayerischen Ziemetshausen der Rahmen auf optimale Werte getrimmt. Der Lenkkopf steht danach 66 anstatt 58 Grad steil, der Radstand verkürzt sich um 100 Millimeter. Anstatt der dürren XV 535-Gabel führt jetzt die modifizierte, 41 Millimeter starke Ausführung der Yamaha TRX 850 das 17-Zoll-Vorderrad. Auch hinten wird die ellenlange Rohrschwinge mit soliden Verstrebungen stabilisiert und über zwei White Power-Stoßdämpfer mit 40 Millimeter mehr Federweg ausgerüstet. 150 Millimeter breit, spannt sich der neue Radial-Reifen über das 17-zöllige Drahtspeichenrad. Denn nur moderne Radialreifen erlauben eine perfekte Reifenhaftung bei relativ geringem Verschleiß und hervorragender Fahrstabilität. MOTORRAD-Designer Stefan Kraft skizzierte die Formen der Sitzbank, die Kunststoff-Spezialist Harald Haungs um die Heckpartie modelierte. Dazu die knubbelige Diopa-Lenkerverkleidung, ein ziemlich umgeformter Harley-Alu-Tank, und fertig war das luftige Kleid der Road Star 535. Unverändert blieb dagegen der Motor, nur dessen kitschige Chromblenden am Zylinderkopf wurden in grobkörnigem Aluminiumsilber eingefärbt. In den kunstvoll verschlungenen Auspuffkrümmern verstauten die Auspuff-Profis von L&W zwei ungeregelte Dreiwege-Katalysatoren, damit die Abgase die beiden Edelstahltöpfe nicht nur leise, sondern auch weitestgehend sauber verlassen. Und damit unser Road Star nicht zur uniformen Konfektionsware wird, lassen sich die Fußrasten über eine Excenterverstellung und einen Zwischenaddapter je nach Körpergröße in zig verschiedenen Stellungen positionieren. Dazu passend die Höhenverstellung am leicht gekröpften Stahlrohrlenker. Für die Höhenvestellung der Sitzbank dient eine Hebelmechanik, die sich an einer Gasdruckfeder mit hydraulischer Arretierung abstützt. Was sich so kompliziert anhört, ist in jedem Bürostuhl verbaut. Nur in meinem nicht mehr, denn die Gasfeder steckt jetzt in der Road Star und hat den Vorteil, daß sich damit die Sitzhöhe während der Fahrt stufenlos justieren läßt. Das ist, selbst wenn die routinierten Jungs mit Gardemaß jetzt hämisch grinsen, auch für Buben oft ein peinliches Thema. Man kennt das ja: Überfüllter Rastplatz, Motorrad voll beladen, eine enge Wende, und schon kullern Gepäck, Mensch und Kupplungshebel durchs erstaunte Publikum. Deshalb: Hebel ziehen und absitzen.

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Fahrbericht Road Star 535 (Archivversion) - Die Dose lebt

So, Werner, genug der einleitenden Worte. Nun wollen wir doch mal sehen, was in der Dose steckt.

Wie der Werner zum ersten Mal mit seiner umfunktionierten Dose angerollt kam, das war schon was. Er sah aus, der Bub - voll die Kellerassel: viel Arbeit, wenig Schlaf, kaum Sonnenlicht. Aber ein Grinsen auf dem Gesicht - ein Grinsen, wie man es sonst nur bei Honigkuchenpferden sieht, oder eben bei Leuten, die mit sich und ihrer Dose zufrieden sind. Kein Zweifel: Er hatte es geschafft.Daß nun ausgerechnet mir die Ehre zuteil wurde, diesen Fahrbericht zu schreiben, hat verschiedene Gründe: Einmal wollte Kollege Koch an selbiger Stelle keinesfalls in Erscheinung treten, wegen Befangenheit und so. Wär´ ja auch zu peinlich, wenn hier stünde: »Werners Road Star ist ein ganz toller Ofen«, gezeichnet - Werner Koch. Ne, ne, so etwas gehört sich nicht. Das Projekt Fünf-Drei-Fünf sollte rücksichtslos behandelt werden, und da fiel automatisch mein Name - Garant für vernichtende Kritiken. Außerdem bin ich ein sogenannter Fall. Länge über alles: 158 Zentimeter. Absolut zielgruppengerecht. Schließlich soll dieses Recyclingbike gerade kleineren Leuten auf den Leib geschneidert sein. Also dann: Schau´n wir mal, was unser Werner da zusammengebastelt hat.Vergessen Sie die XV 535, vergessen Sie den Chopper, und vergessen Sie vor allem den American way of drive. Die Road Star ist anders. Ganz anders. Lichtjahre von der Virago entfernt. Im Sattel der Reinkarnation kommen touristische Gedanken auf, zuweilen auch sportliche. Sind Sitzbank und Lenker auf Hochbetrieb programmiert, können gar Erinnerungen an eine Enduro erwachen. Hier hat der Koch ein ureigenes Süppchen gebraut, und wäre es nicht verbürgt - kein Mensch würde glauben, daß es aus der Dose kommt.Die frohe Botschaft für alle Bonsais: Es reicht. Mini, wie Werner aus erfindlichen Gründen genannt wird, hat sein Versprechen gehalten. Da ist tatsächlich Boden unter den Füßen. Beidseitig. Steht die Sitzbank auf niedrigstem Niveau, müssen die Beine nicht mal voll ausgefahren werden, um die Sohlen platt auf den Asphalt zu bekommen. Man könnte glatt Wurzeln schlagen. Ein gutes Gefühl. Wer nie im Bodenlosen nach Grund gefischt hat, kann sich nicht vorstellen, wie gut. Rangieren, nicht etwa per Hand- und Hüftarbeit, sondern AUF dem Motorrad SITZEND, vorwärts, rückwärts. Wunderbar.Schon klar, da lachen sich die Hünen schlapp. Aber lacht nur, ansonsten gibt«s für euch hier eh nichts mehr zu lachen. Warum? Ganz einfach: Wer über 1,90 Meter mißt, ist für die Road Star zu groß geraten. Ziemlich schade, was? So. Jetzt grämt Euch schön, während sich unsereins weiter vergnügt. Mit dem hopfenleichten Handling zum Beispiel.Ich stieg direkt von einem Phlegma-Tourer auf Minis Eigenbau um und hätte das gute Stück an der ersten Ecke fast weggeworfen. Auf dermaßen viel Elan war ich nicht gefaßt: Die Road Star reagiert spontan wie ein Klappverschluß. Richtungsänderungen und Schräglagenwechsel erledigen sich quasi im Handumdrehen. Halt - keine Sorge, hyperaktive Überreaktionen sind nicht zu befürchten. Eher das ein oder andere Strafmandat, denn zuweilen glüht man durch die Gegend, als ob einem der Kittel brennt.Um sicher zu gehen, daß die RS 535 bei solchen Veranstaltungen Haltung bewahrt, verpaßte ihr unser Sportsfreund Koch ein paar straff gedämpfte Federelemente, die das nötige Quantum Stabilität liefern. Egal bei welchem Tempo, ob enge Kehren, weite Kurven oder auf der Geraden: Die Maschine gerät nicht aus der Fassung, nimmt Bodenwellen her, daß es die reinste Freude ist, und bleibt dabei stets auf Kurs. Um den Komfort ist«s allerdings nicht 100prozentig bestellt. Mit kurzen, harten Stößen, die von Brückenabsätzen, Kanaldeckeln und dumm aus dem Asphalt glotzenden Frostbeulen rühren, kann die Gabel zwar noch recht gut, die hinteren Federbeine jedoch weigern sich, solchen Müll zu schlucken.Wie konnte das passieren, Mini, gerade Dir, wo Du doch selbst jahrelang als Stoßdämpfer tätig warst und wissen müßtest, wie«s geht? Was sagst Du da - ein Zugeständnis an den Zweipersonenbetrieb? Oh ja, hätte ich fast vergessen. Also, liebe Leserinnen und Leser: Auf der Road Star sitzt man nicht nur in der ersten Reihe recht kommod, auch hinten gibt«s ein nettes Plätzchen. »Und wenn da jemand hockt«, hat der Mini gesagt, »soll die Karre immer noch funktionieren und nicht daherkommen wie ein vollgesoffener Strumpf.« Das tut sie nicht. Beileibe. Auch mit zwei Leuten an Bord donnert die Silberbüchse ohne zurückzuschlagen über Schlaglöcher und andere Nichtswürdigkeiten der Teerwelt hinweg. Um das Kapitel Fahrwerk abschließen zu können: Die Bremsen sind okay. Anständiger Durchschnitt. Weder zu giftig noch zu lasch. Und falls Sie bis hierher irgendwelche Äußerungen bezüglich des Kardans vermißt haben: Seien Sie ganz beruhigt, Sie haben nichts verpaßt. Denn vom Antrieb bekommt man überhaupt nichts mit. Er verrichtet seine Dienste so unaufdringlich wie ein durch und durch britischer Butler. Aber das kennt man ja von der XV 535 her. Und am Kardan hat der Mini nichts verändert.Gleiches gilt für den Motor. Abgesehen von der Bedüsung, die wegen der beiden Katalysatoren modifiziert werden mußte, blieb hier alles beim bewährten alten. Das heißt: Der V-Zweizylinder springt tadellos an, schnurrt tadellos hoch und zieht einigermaßen durch. Unspektakulär - aber nicht unsympathisch. Er ist ein ganz braver, dieser 43 PS starke, luftgekühlte Twin. Läßt alles mit sich machen, sogar Anfahren im fünften Gang. Was passieren kann, weil der ununterbrochen als Übersetzer engagiert wird, auch in städtischen Gefilden.Wie subjektiv jedoch selbst solche Triebwerksangelegenheiten sind, wurde mir in erschreckender Weise bewußt, als Werner die L&W-Auspuffanlage entkorkte, nachdem er mit diversen Schalldämpfer-Einsätzen herumexperimentiert und kein befriedigendes Klangerlebnis gehabt hatte. Plötzlich ballerte die Road Star drauf los, als sei sie King Harley persönlich. Nein, nicht brüllend laut, sondern stilvoll, tragend. Sehr, sehr schön. Und später, auf der Straße, hatte ich das Gefühl, mit einem schneidvollen, großvolumigen V-Zwo unterwegs zu sein. So läßt man sich täuschen. Eine Schallpegel-Messung steht allerdings noch aus.Erlauben Sie, daß ich zum Schluß noch ein paar persönliche Worte an meinen Freund und Kollegen Werner Koch richte: Lieber Mini, Du weißt ja, ich sage so etwas nicht gern, aber diesmal bleibt mir nichts anderes übrig. Also, Deine Road Star ist wirklich ein ziemlich toller Ofen. Ein astreiner Lustbringer. Technisch wie optisch. Die Leute drehen sich tatsächlich danach um, und fünfmal hätte ich das Teil vom Fleck weg verkaufen können. Trotz der altdeutschen Kniekissen, deren Vorhandensein - wenn Du mich fragst - nicht zwingend notwendig wäre. Doch das ist Dein Ding.Nur das Cockpit, Werner, ich weiß nicht. Ein bißchen lieblos, oder? Und so ein Schaltblitz - mag ja sein, daß der im Rennsport seine Berechtigung hat, wo«s auf die optimale Schaltdrehzahl ankommt. Aber auf der Straße? Ich bin mir da echt nicht sicher. Klar, witzig ist das Ding, vor allem bei Dunkelheit, wenn man damit Polizei spielen kann. Allerdings jagt man sich zuweilen auch selbst einen gehörigen Schrecken ein: stockfinstere Nacht, freie Autobahn, nix wie heim. Nase hinterm Windschild vergraben, ganz dicht am Cockpit und ... blitz - voll ins linke Auge. Da trifft dich der Schlag. So ein stinknormaler Drehzahlmesser ist doch nichts Verwerfliches. Überleg´s Dir noch mal.Was mich jetzt noch interessieren würde: Könntest Du Dir eigentlich vorstellen, Dein Silberdöslein in Silberlinge umzumünzen? Ich wüßte da jemanden.

Road Star 535 Eigenbau von Werner Koch (P + FB ) (Archivversion) - Optik und Fahrwerk voll gut - die bessere XV

Andreas Veigel, 25, über Transalp und VFR auf die Honda XR gekommen

Kaufen würde ich mir die Road Star zwar nicht unbedingt, weil mir der Motor zu weich agiert, aber Aussehen und Fahrverhalten gefallen mir absolut. Handlichkeit, Zielgenauigkeit, Ergonomie (bei 1,78 Meter) - alles okay. Vor allem für Fahranfänger wäre der Twin gut geeignet, allein wegen der Verstellmöglichkeiten des Fahwerks, die den Zugang zum Motorrad erleichtern. Ich kenne die XV 535 und denke, daß die Road Star unbedingt eine Alternative darstellt. Schon weil man viel besser drauf sitzt.

Road Star 535 Eigenbau von Werner Koch (P + FB ) (Archivversion) - Technik pur, superhandlich - die will ich haben

Ute Stratmann, 34, unterwegs auf einer umfunktionerten Honda Transalpina

Nie im Leben würde ich einen Chopper fahren, obwohl ich mit 1,63 Meter oft Schwierigkeiten mit der Sitzhöhe habe. Die Road Star kommt mir da sehr entgegen. Weitere Sympathie erwirbt sie durch das leichte Handling, die stabile Straßenlage, Kardan, Motorcharakteristik, Sound und Outfit. Besonders schick sind die Räder. Was mich aber am meisten anspricht, ist die Transparenz der Technik. An dieses Motorad wage ich mich heran, weil ich alles sehe. 12 000 Mark - und ich nehm die Kiste gleich mit.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023