Die Europäische Meisterschaft der Custombike-Bauer bot eine fette Orgie aus Farben, Chrom und den raffiniertesten technischen Lösungen - Aliens oft näher als Motorrädern.
Die Europäische Meisterschaft der Custombike-Bauer bot eine fette Orgie aus Farben, Chrom und den raffiniertesten technischen Lösungen - Aliens oft näher als Motorrädern.
Doch, die können auch fahren. Die Mehrheit allerdings maximal die Strecke vom Transporter draußen bis hinein in die Halle. In diesem Fall die Phoenixhalle in Mainz, wo am letzten März-Wochenende 119 Custombikes um die Gunst der Jury buhlten: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?
Custom Chrome Europe, Europas größter Teile- und Zubehöranbieter für Harleys und V-Twins, veranstaltete in Mainz seine "Dealer-Show". Etliche der europaweit 1800 Custom Chrome-Händler waren dafür angereist, um neue Verträge abzuschließen, Bestellungen abzugeben, kurz, um hinter den Kulissen am Samstag Geschäfte (und abends Party) zu machen. Vor den Kulissen jedoch, sprich in der Halle, standen die Bikes aufgereiht, bereit zum EM-Showdown am Sonntag.
Schon traditionell richtet Custom Chrome, seit 40 Jahren in den USA und seit zwölf in Europa als Anbieter im Markt, die "European Championship of Custombike Building" in Mainz aus. Und zwar jeweils unter den gestrengen Augen von eigens aus den USA eingeflogenen Mitarbeitern des Magazins "American Motorcycle Dealer" (AMD), das jedes Jahr beim Bikertreffen in Sturgis/South Dakota, dem größten Treffen der Welt, mit der Weltmeisterschaft die Saison zum glorreichen Finale bringt. Das vom AMD vorgegebene Regelwerk ist klar definiert: Angetreten wird in diversen Kategorien, darunter "Bester Harley-Umbau" und als Königsklasse die "Freestyle-Class". Die Bikes müssen in der Lage sein, sich aus eigener Motorkraft wenigstens bis in die Halle zu bewegen und müssen Eigen-Kreationen des Meisterschaftsbewerbers sein. Mit einem einfach nur für teuer Geld gekauften Motorrad geht in Mainz nichts. Entsprechend sind ihre Schöpfer stets persönlich dabei. Und sie sind es auch, die den wesentlichen Teil der Jury stellen: Gewählt werden darf alles bis aufs eigene Motorrad.
Am Samstag, als die Jury-Mitglieder Zeit hatten, ihre Wahl zu treffen, war in der Halle eine leichte Irritation zu spüren: Es gab keinen Favoriten. "Irgendwie war alles schon mal da und die Grenze des Machbaren aus meiner Sicht bereits vor zwei Jahren erreicht", meinte Marcus Walz. Wenn der Hockenheimer (MOTORRAD 16/2009) so etwas wie der Pop-Star der deutschen Custom-Szene ist, darf sich Fred Kodlin aus Borken (Hessen) als Papst der internationalen ansehen. Doch statt des päpstlichen Segens hatte er für diese EM-Wahl nur ein mitleidiges Lächeln und einen vielsagenden Blick durch die blaue Brille übrig: Keiner der Top-Desiger war mit einem eigens für den Wettbewerb gebauten Bike in Mainz angetreten. Angst vor der Krise in einem bislang noch vom Erfolg verwöhn-ten Markt? Laut sagen mochte das keiner.
Enthusiastischer als manche Promis und Profis waren drei junge Österreicher zu Werke gegangen: Die Jungs von "Blech und Drüber" präsentierten ihren funkelnden Alu-Chopper "Walton". Ein Norton Commando-Twin im gereckten Rahmen mit ultralanger Trapezgabel, dazu in Uhrmacher-Qualität gefertigte Details. Das Engagement wurde belohnt: Platz fünf und Teilnahme an der Sturgis-WM waren am Ende für sie drin.
Bühnen-Glamour wie bei der Oscar-Verleihung begleiteten Custom Chrome-Chef Holger Mohr, als er Luciano Andreoli, ebenfalls aus Italien, für seinen fahrradschlanken Knucklehead-Dragster "Morning Sunrise" mit Platz zwei und den Japaner Kenji Nagai für dessen verspielten Chopper "One Eyed King" mit Rang drei belohnte. Der EM-Sieg ging ans Team Garage65 aus Verona, das mit einer ebenfalls komplett in Handarbeit gefertigen flachen Racer-Studie auf babypo-glatten Slicks und mit Radnaben-Lenkung angereist war.
Aber Preise hin, Krise her, viele der knapp 5000 Besucher, die am Publikums-Sonntag in die Phönixhalle durften, bestaunten die ausgestellten Bikes als "galaktisch geil", wie es einer von ihnen formulierte. Ein Sonntag auf einem anderen Stern.