Was für eine Maschine! Eindeutig eine Vierventil-Boxer-BMW, aber ungleich viel schlanker und sportlicher als die Serie. Aggressiv wie ein monumentaler Raubvogel, mit muskulösem Körper und hoch erhobenem, spitzem Hintern. Angriffslustig stehen die Zylinder im Fahrtwind. Der Auspuff hängt nicht wie ein kränkelnder Appendix lustlos neben dem Hinterrad, er versteckt sich elegant im Höcker - verschwunden das dicke Hinterteil, entstanden eine klare, elegante Linie ohne überflüssige Anhängsel. Der Weg bis zu dieser Form war aber nicht gerade kurz.
Alles begann mit dem von Moto-Aktiv ausgetragenen 24-Stunden-Rennen 1995. Romolo Liebchen, als Bayer aus Wolnzach natürlich patriotisch der weißblauen Marke verbunden, beschloß, mit einer R 1100 RS gegen die etablierte Konkurrenz anzutreten. Ein Vorhaben, das mit der nahezu serienmäßigen Gummikuh zu einem sensationellen elften Gesamtrang führte. Klar, daß mehr folgen mußte. Das Potential war offensichtlich, der Ehrgeiz geweckt.
Im Oktober ´96 viel der Startschuß für den Aufbau der ´97er Rennkuh mit eindeutiger Zielsetzung: weitmögliche Verwendung deutscher Komponenten und Verbesserung des ´95er Resultats. Kleiner mußte die BMW werden, leichter, windschnittiger, stärker, und alles ohne Einbußen bei der Zuverlässigkeit. Die Charakteristik der Originalsilhouette sollte erhalten bleiben.
Die Mannen um Romolo haben ganze Arbeit geleistet. Den Serientank ersetzt ein wahres Alu-Kunstwerk mit vergrößertem Fassungsvermögen, das schicklich von einem Kohlefaser-Cover in Original-Form verdeckt wird. Überhaupt wurden alle Verkleidungsteile in eigens gefertigten Formen aus Kohle-Kevlar-Verbund nachlaminiert. Serienoptik, wie gesagt. Die Lenker mußten nach unten, die Verkleidung tiefergelegt werden. Dies gelang durch die Montage einer Gabel und eines Hilfsrahmens, die zwar sehr nach Serie aussehen, aber in dieser Form noch an keiner der Redaktion bekannten BMW verbaut wurden. Sollte es sich etwa schon um Teile der angekündigten Sport-Boxers R 1100 S handeln? Die Erbauer hüllen sich diesbezüglich in Schweigen. Fahrwerksseitig gibt es noch verschiedene Highlights zu erwähnen, die alles andere als alltäglich sind. Zum Beispiel die federleichten Sachs-Sporting-Federbeine, normalerweise in der Formel 1 zu Hause, mit getrennter High- und Lowspeed-Einstellung für Zug- und Druckstufendämpfung. Oder die gefrästen Brembo-Monoblocksättel mit gelochten Titankolben, mit denen sich auch ein Mick Doohan an seinen Gegnern vorbeibremst. Die filigranen Felgen und die Bremsscheiben stammen von der K 1200 RS. Standesgemäß rollt der Sportboxer auf Michelin Race-3 Sportreifen, die derzeit zum Haftfähigsten und Leichtfüßigsten zählen, was der Reifenmarkt zu bieten hat. Das Rahmenheck wurde neu gezeichnet, um den Auspuff und den Höcker perfekt zu beherrbergen. Klar, daß noch jede Menge Kohlefaser, Alu- oder Titanschrauben und unzählige weitere Hingucker verbaut sind, sei es das Cockpitoder die Schnelltankanlage.
Natürlich blieb auch das Herzstück nicht unangetastet. Motorenguru Helmut Mader aus Erding favorisierte Drehmoment und Haltbarkeit vor schierer Motorleistung und ließ dem Triebwerk umfangreiche Feinarbeit angedeihen. Kanten und Übergänge der Kanäle und des Ölkreislaufs wurden gerundet und perfektioniert, der Ventiltrieb drastisch erleichtert. Andere Kolben nebulöser Herkunft heben die Verdichtung auf beachtliche 11,3 : 1. Penibles Feinwuchten und Auswiegen des Kurbeltriebs mildern Vibrationen und verbessern die Haltbarkeit ebenso wie kugelgestrahlte Pleuel. Die eigens gefertigte Zwei-in-Eins-Auspuffanlage mit kombinierter Reflektions- und Absorptionsschalldämpfung wurde mittels modifiziertem Kennfeld angepaßt. Bei der Realisation dieser nicht gerade kostenreduzierenden Umbauten halfen etliche Sponsoren, und vielleicht steuerte sogar das Mutterhaus aller BMW in der Bayernmetropole ein paar hilfreiche Versuchsparts bei.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Stramme 105 Pferde stemmt der Boxer bei 7800/min aus dem Motor, und 106 Nm bei 5500/min sind auch nicht von Pappe. Die Liebchen-BMW wiegt mit 21,5 Litern Sprit nur 207 Kilo. Aber wie fährt sie sich?
Sofort fällt die ungewöhnlich hohe Sitzposition auf. Die Stummel liegen gut zur Hand und belassen den Fahrer sehr aufrecht. Auch die Fußrastenposition: sehr bequem und eigentlich wenig rennmäßig. Auf den ersten Knopfdruck erwacht der Boxer zum Leben. Nicht sehr laut, aber sonor und sehr eigenständig. Gespannt rolle ich aus der Boxengasse in Magny-Cours. Caramba, diese Kuh fliegt! Schnell eile ich durch die Gangstufen, lasse mich in die schnelle Links nach Start und Ziel fallen. Erster Eindruck: enorm niedrige Lenkkräfte bei hoher Zielgenauigkeit. Alles paßt. Seien es schnelle oder langsame Wechselkurven, die mit Leichtigkeit durcheilt werden, sei es die (nicht zuletzt in Verbindung mit der Telelever-Vorderradführung) wohl beste Bremse, die ich je bedienen durfte, sei es die phantastische Zielgenauigkeit oder der starke Motor. Selbst die Schräglagenfreiheit, bei Boxern auf der Rennstrecke immer ein Thema, reicht aus. Die Federbeine geben jederzeit glasklare Rückmeldung, die Reifen kleben wie verwachsen am Asphalt. Spitze! Diese BMW hat sicher dazu beigetragen, daß Romolo Liebchen, Peter John, Ralf Lewien und Christian Kohlhaas beim 24-Stunden-Rennen souveräne Klassensieger und Gesamtneunte wurden.
Die Liebchen-BMW R 1100 RS ist ein Sportboxer, wie ihn sich Sportfahrer in aller Welt wünschen! Dabei ist sie leise und nur durch fehlende Blinker und ein Nummernschild von der Zulassungsfähigkeit getrennt. Das Beste: Romolo möchte käufliche Replikas bauen. Es lebe der Sport!
Fahrbericht Liebchen-BMW R 1100 RS : Schattenboxer
Beim 24-Stunden-Rennen in Magny-Cours bewies ein bayerisches Team mit dem Sieg der BoT-Klasse die sportlichen Talente einer Boxer-BMW. Allerdings keiner ganz gewöhnlichen.